Parlamentskorrespondenz Nr. 274 vom 17.03.2016

Nationalrat: Asylfragen sind Menschenrechtsfragen

Frauen auf der Flucht bedürfen besonderen Schutzes

Wien (PK) - Asylfragen standen nach einer heftigen außenpolitischen Debatte auch im Zentrum vom Menschenrechtsblock der heutigen Nationalratssitzung. Eine Forderung der NEOS nach einem nationalen Asyl-Aktionsplan fand zwar keine Mehrheit, dafür gab es einstimmigen Zuspruch zum Aufruf sämtlicher Parteien, die Bundesregierung solle verstärkt für flüchtende Frauen und Kinder aktiv werden.

Forderung nach nationalem Asyl-Aktionsplan abgelehnt

Angesichts der großen Zahl an AsylwerberInnen in Österreich fordern die NEOS einen konkreten Plan von der Regierung, um langfristig Unterbringung und Integration von Flüchtlingen sowie die Finanzierung der notwendigen Maßnahmen zu gewährleisten. Antragsteller Nikolaus Scherak (N) gestand Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zwar zu, schon lange vor Einsetzen der Flüchtlingsbewegungen nach Österreich die damit verbundenen Herausforderungen vorhergesagt zu haben, aber auf weitgehend taube Ohren gestoßen zu sein. Er kritisierte jedoch massiv das Krisenmanagement der Regierung, als dann tatsächlich die ersten großen Gruppen Asylwerbender in Österreich angekommen sind. Auch wenn die Unterbringung der Schutzsuchenden nun besser funktioniere als noch letzten Sommer, meinte Scherak, immer noch würden die Bundesländer ihre Unterbringungsquoten nicht erfüllen. Nicht einmal dort, wo die föderale Zuständigkeit seitens der Grünen verwaltet werde. Bundesweite Vorgaben in diesem Bereich sind für Scherak folglich höchst an der Zeit.

Bestätigt wurde Scherak von Alev Korun (G), die ebenfalls einen Masterplan für Asyl einforderte, um Bund, Ländern und Gemeinden eine rechtliche Grundlage für eine funktionierende Flüchtlingspolitik zu geben. Immerhin seien viele Schutzsuchende weiterhin in Zwischenquartieren untergebracht, ungeachtet des großen Engagements vieler BürgermeisterInnen bei der Flüchtlingsbetreuung, für das sich Korun ausdrücklich bedankte; das sie im gleichen Atemzug aber sämtlichen Gebietskörperschaften empfahl. "Bemühen wir uns gemeinsam mehr, denn diese Herausforderung ist nur gemeinsam zu meistern".

Eine andere Bewertung der Situation erfolgte durch die ÖVP-Mandatare Georg Vetter und Johann Rädler. Sie bezeichneten den NEOS-Antrag als überholt, denn die Regierung habe in den letzten Monaten vom Durchgriffsrecht des Bundes zur Flüchtlingsversorgung über die Bereitstellung von Mitteln für Integrationsmaßnahmen bis hin zur Festlegung einer Aufnahme-Obergrenze und des Grenzmanagements zahlreiche zielführende Maßnahmen gesetzt. Nicht zuletzt zum Erhalt der öffentlichen Ordnung. Rädler räumte allerdings ein, auf einige Gemeinden müsse man noch mehr Druck ausüben, um sie zur Aufnahme von Flüchtlingen zu bewegen.

Die SozialdemokratInnen Nurten Yilmaz, Ulrike Königsberger-Ludwig und Harry Buchmayr lehnten Scheraks Vorstoß ebenfalls nicht aus inhaltlichen Gründen ab, sondern da die Forderungen zur Wohnraumbeschaffung und Bereitstellung finanzieller Mittel "schon auf Schiene sind", wie Yilmaz betonte. Auch wenn es nach wie vor noch Gemeinden gebe, die keinen einzigen Flüchtling aufgenommen haben, sei zu beachten, dass die gesetzliche Grundlage dafür bereits besteht. Um "positive Meinungsbildung" in den Gemeinden und eine europäische Lösung mit einem anderen Aufnahmeregime als dem Dublin-System warb Königsberger-Ludwig, um eine solidarische Aufteilung der AsylwerberInnen in Österreich und der EU zu erreichen. Rasche humanitäre Hilfe in der Krisenregion und an der griechisch-mazedonischen Grenze, wo derzeit unzählige Flüchtende gestrandet sind, mahnte sie überdies ein. Buchmayer nutzte seine Wortmeldung dafür, Klubobmann Robert Lugar (T) den Rücktritt nahezulegen, nachdem dieser gestern im Plenum einen Vergleich zwischen "Neandertalern" und Flüchtlingen gezogen hatte.

Ein Aktionsplan sei nötig, um das bestehende "Asylchaos" abzuarbeiten, nahm FPÖ-Abgeordneter Günther Kumpitsch (F) wiederum direkt Bezug auf den Debattengegenstand. Die Anliegen der NEOS haben sich seiner Meinung nach inzwischen erübrigt. Er gab die Verantwortung für die aktuelle Situation vor allem der deutschen und der österreichischen Bundesregierung, wenn auch letztere nun eine Richtungsänderung vollzogen habe. Keinesfalls dürfe Fremden, die nur aus ökonomischen Gründen in Europa um Asyl ansuchen, Schutz gewährt werden, unterstrich der Freiheitliche. Kumpitschs Argumentationslinie schloss sich der fraktionslose Abgeordnete Gerhard Schmid nur insoweit an, als dass auch er "Wirtschaftsflüchtlingen" keinesfalls Asylrecht zugesteht. Tatsächlich aber brauche die Republik schon zum Erhalt von Wohlstand und Beschäftigung ein klares Konzept zur Integration von MigrantInnen, gewann Schmid dem NEOS-Antrag durchaus Positives ab – zumal die Europäische Union im Asylmanagement offenbar völlig versage.

Frauen auf der Flucht: Gemeinsamer Auftrag an die Bundesregierung

Schutz- und Hilfsmaßnahmen für die Frauen beziehungsweise Kinder unter den Schutzsuchenden, die Opfer von Menschenhandel, Missbrauch oder anderen Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt geworden sind, ist allen Frauensprecherinnen im Nationalrat ein Anliegen. Dabei sehen sie nicht nur das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR gefordert, das die Sicherheit und adäquate Versorgung für Frauen in Flüchtlingslagern sicherstellen soll. Auch die österreichische Bundesregierung habe im Rahmen der Unterstützung humanitärer Hilfsprogramme die Situation und Bedürfnisse von Frauen speziell zu berücksichtigen. Weiters sei auf die Einhaltung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul Konvention) zu achten, heißt es in einem Allparteien-Entschließungsantrag.

Konsens besteht unter den Antragstellerinnen Gisela Wurm (S), Dorothea Schittenhelm (V), Carmen Schimanek (F), Aygül Berivan Aslan (G), Claudia Angela Gamon(N) und Martina Schenk (T), die aktuellen Konflikte und die davon ausgehende Flüchtlingsbewegung erhöhen das Risiko für Frauen, Opfer von Gewalt oder Diskriminierung zu werden. "Frauen und Kinder benötigen einfach mehr Schutz", besonders auf der Flucht, erklärte Schimanek und verwies auf die Situation in türkischen Lagern, wo syrische Frauen und Mädchen "als Zweit- und Drittfrau" verkauft würden, was auch Schenk ansprach. Missbrauch von Frauen und Kindern unter Asylwerbenden ist den beiden Politikerinnen zufolge mittlerweile sogar in der Europäischen Union Realität.

Schittenhelm verdeutlichte die Dringlichkeit des überparteilichen Antrags mit dem Beispiel einer jungen Asylwerberin, die sagte: "Ich habe Angst davor, verrückt zu werden", und aus Furcht vor Übergriffen kaum zu schlafen wage. Alleinreisende Frauen, egal welchen Alters, seien auf den Flüchtlingstrails extrem gefährdet, meinte die ÖVP-Mandatarin. Da derzeit der Großteil der Flüchtlinge weiblich sei, brauche es verstärkt Maßnahmen wie die bereits begonnenen Schutzinitiativen von UNHCR und dem heimischen Innenministerium. Die Mehrfachdiskriminierung und Gewalt, denen Frauen auf Fluchtrouten ausgesetzt sind, machte Wurm in ihrer Wortmeldung augenscheinlich. Auf gesetzgeberischer Ebene lobte sie in diesem Zusammenhang, dass Österreich mehrere UN-Abkommen zum Schutz von Frauen in Krisenherden ratifiziert hat, wobei sie wie Aslan das Mitwirken von Frauen an Friedensprozessen als entscheidend hochhielt. Die Grünen-Mandatarin warf grundsätzlich weiten Teilen der Politik vor, durch eine Abschottungspolitik die Lage in Kriegsgebieten lange missachtet zu haben, worunter Frauen und Mädchen besonders litten. Exemplarisch nannte sie die von der afrikanischen Terrororganisation Boko Haram entführten Schülerinnen sowie die Christinnen und Yesidinnen, die der Terrormiliz IS zum Opfer gefallen sind. "Hätte die internationale Gemeinschaft viel früher reagiert, wären Tausende von Frauen und Mädchen heute noch am Leben". Gamon verlangte, die Forderungen im Allparteienantrag mit tatsächlichen Taten zu erfüllen, gerade in finanzieller Hinsicht. Menschenhandel und Ausbeutung dürften in Europa nicht länger zugelassen werden, weswegen legale Einreisemöglichkeiten für Asylsuchende unumgänglich seien, folgerte sie.

Franz Leonhard Eßl (V) und Andrea Gessl-Ranftl (S) bekräftigten,  Frauen und Kinder bildeten die schutzbedürftigste Gruppe unter den Flüchtlingen. Wie ihre Fraktionskollegin Petra Bayer führte Gessl-Ranftl Vergewaltigungen und andere sexuelle Übergriffe sowie Zwangsprostitution als gängige Gefahren an, mit denen weibliche Flüchtlinge konfrontiert sind. Abgesehen vom Schutz davor benötigten Frauen in den Flüchtlingsunterkünften aber auch entsprechende sanitäre und psychologische Betreuung. Der Anteil an Schwangeren in der Flüchtlingspopulation sei ebenfalls zu bedenken, wenn es um die medizinische Versorgung von Flüchtlingen geht, so Bayer.

Deutlich plädierte Eßl angesichts der Gefahrenquellen für Frauen auf der Flucht für ein internationales Entgegensteuern, weil die Flüchtlingsfrage letztlich ein globales Problem darstelle. Abgesehen davon gab er zu verstehen, Hilfe in Form von Asyl könne nur jenen zukommen, die tatsächlich an Leib und Leben bedroht sind. (Fortsetzung Nationalrat) rei