Parlamentskorrespondenz Nr. 533 vom 19.05.2016

Kern will neues Politikverständnis und New Deal

Neuer Bundeskanzler präsentiert im Nationalrat seine Pläne gegen Stillstand und Vertrauensverlust

Wien (PK) – Ein anderes Politikverständnis – unter dieses Motto könnte man die Regierungserklärung stellen, die der neue Bundeskanzler Christian Kern heute im Nationalrat unter Anwesenheit von Bundespräsident Heinz Fischer abgegeben hat. Er rief zu einem "New Deal" auf, geprägt von einer deutlich akzentuierteren Politik. In den letzten Jahren seien die politischen Inhalte durch taktischen Opportunismus ersetzt worden, blickte Kern kritisch zurück, damit müsse man brechen. Wofür die Menschen brennen, das seien Grundsätze und Haltungen und nicht Kompromisse.

Vom neuen Bundeskanzlern ist auch insofern ein neuer Stil zu erwarten, als er bekräftigte, sich der Schnelllebigkeit entziehen zu wollen. Es sei nicht notwendig, jedem hingehaltenen Mikrophon eine Wortspende zu erteilen. Das Land könne sich keine politische Führung leisten, die sich keine Zeit zum Nachdenken nimmt, machte er klar.

Der Eindruck des Stillstands, der jedoch nicht die Realität wiederspiegle, sei in der Bevölkerung weit verbreitet, die Menschen hätten das Bedürfnis, dass ein Ruck durch das Land geht und die Dinge grundlegend geändert werden. Der neue Regierungschef räumte ein, dass die Erwartungshaltung groß sei, und er sei sich dessen bewusst, dass nicht alles gelingen wird und dass es auch Enttäuschungen geben kann. Als Herausforderung bezeichnete Kern die vielen Interessenslagen in der Republik, den Lobbyismus und den deutlich ausgeprägten Föderalismus. Er könne aber mit jeder Faser des Wollens und der Leidenschaft versprechen, die Dinge in die richtige Richtung zu bringen.

Im Jahr 2016 braucht man Visionen und Mut, nicht billigen Populismus

Einen Grund für das entstandene Bild des Stillstands ortet Kern in der Kombination zwischen pragmatischen Lösungsversuchen und Rhetorikgewitter, denn dabei seien Zukunftsbilder und Orientierung verlorengegangen. In dieses geistige Vakuum krieche dann umso leichter das Vorurteil und die billige Pointe, bemerkte er. Im Jahr 2016 brauche man im Gegensatz dazu Visionen und Mut, betonte er und merkte in Abwandlung eines Zitats an, dass derjenige, der keine Visionen hat, tatsächlich einen Arzt brauche.

In diesem Zusammenhang erteilte er dem billigen Populismus eine klare Absage. "Wir wollen die Köpfe und Herzen nicht dem billigen Populismus überlassen", sagte er, "ab heute läuft der Countdown um die Herzen in diesem Land." Er wolle nicht die Menschen in ihren Ängsten und Sorgen bestärken, sondern vielmehr die Hoffnung nähren, dass Probleme gelöst werden können. Die Regierung wolle eine Politik des Zukunftsglaubens der Hoffnungslosigkeit gegenüberstellen, eine Politik der Weltoffenheit der geistigen Verengung gegenüberstellen und eine Politik der Heimatverbundenheit und des Patriotismus dem Chauvinismus und der Hetze gegenüber Minderheiten gegenüberstellen.

Das Land braucht eine neue politische Kultur

Kern rief auch zu einer neuen politischen Kultur auf. Es gehe nicht darum, über Dogmen und Doktrinen zu reden, sondern er stehe für eine offene Diskussion. Dabei sieht der Regierungschef die Verantwortung nicht nur bei der Regierung selbst, sondern auch bei der Opposition. Die Politik müsse in den Dialog mit den Menschen treten, damit die Menschen wieder motiviert werden, sich mehr politisch zu engagieren, so seine Bitte an die PolitikerInnen auf allen Ebenen.

Seine Ziele umriss Kern mit der Feststellung, in einer Gesellschaft leben zu wollen, in der alle Kinder gleiche und faire Chancen haben und die mit Respekt vor der Menschenwürde versucht, die Flüchtlingsdebatte zu lösen. Er wolle in einem Land leben, in dem nicht nur kleine Minderheiten von der Wohlstandsentwicklung profitieren und in dem Politik und Zivilgesellschaft Hand in Hand gehen. Bei all dem dürfe man nicht vergessen, soziale, innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten.

Ein "New Deal" zur Stärkung der Investitionsbereitschaft

Kern ging auch kurz auf seine wesentlichen kurzfristigen und mittelfristigen Pläne ein. Mit dem Projekt eines "New Deal" will er vor allem die private Investitionsbereitschaft stärken. Der entscheidende Hebel für ihn ist, die Stimmung im Land zu heben, denn schlechte Laune sei eine Ursache für die Wachstumsbremse. Nicht aus der sozialen Verantwortung lassen möchte er jedoch die Unternehmen, unterstrich Kern. Jobs seien wichtig, Menschen müssen von ihrem Einkommen aber auch leben können. Kern sprach sich in diesem Zusammenhang für mehr Spielraum bei öffentlichen Investitionen aus, und diese Diskussion ist er entschlossen, auf die EU-Ebene zu tragen.

Mittelfristig plant Kern mit seinem Team einen Plan für Österreich 2025 zu entwickeln. Auf Basis klar definierter Zukunftsbilder müssen seiner Meinung nach private und öffentliche Investitionen vernetzt werden, die Hochschulen und der gesamten politische Rahmen sei darauf abzustimmen. Das Land müsse sich auch der Globalisierung, der Internationalisierung und der Digitalisierung stellen und die entsprechenden Voraussetzungen dafür schaffen. Diese Kräfte werden die Wertschöpfungskette verändern, der Dienstleistungssektor wird signifikant weniger ArbeitnehmerInnen brauchen, ließ der Bundeskanzler keinen Zweifel am Reformbedarf. Damit verknüpft seien Fragen der Arbeitsverteilung, des Sozialversicherungssystems und der Ausrichtung des Bildungssystems.

Mitterlehner: Ich will und unsere Seite will es auch

"Ich will, und ich glaube, unsere Seite will auch", knüpfte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner an die Rede des Bundeskanzlers und dessen Aufruf zu einem neuen Politikstil und einem neuen Politikverständnis an. "Wenn wir gemeinsam Probleme angehen, sollen sich Anspruch und Wirklichkeit verbinden." Die Art der Politik müsse sich ändern, unterstrich auch Mitterlehner, es brauche ein anderes und respektvolles Miteinander in der Politik.

Mitterlehner warnte aber auch vor überhöhten Erwartungen. Selbstkritik hält er für notwendig, aber diese sei nicht nur bei der Regierung, sondern auch bei der Opposition angebracht, meinte er übereinstimmend mit Kern. Er rief daher die Opposition auf, sich konstruktiv einzubringen.

Im Hinblick auf den Vertrauensverlust merkte Mitterlehner an, Bundeskanzler Faymann sei kein Einzelunternehmer gewesen, "wir alle waren Teil dieser Politik und der Bilder, die wir abgegeben haben." Bei aller Notwendigkeit der Selbstkritik hält der Vizekanzler jedoch Selbstgeißelung für nicht angebracht, zumal nicht alles schlecht gewesen sei. Er erinnerte daran, dass die Wirtschaftskrise noch immer nicht überwunden sei, die Regierung aber Maßnahmen gesetzt habe, um Unternehmen und Arbeitsplätze in die Gegenwart zu retten, und dafür 12 Mrd. € investiert habe, ohne diese wieder ins Budget zurückführen zu können. Man habe auch aus der Energiekrise gelernt und den Energiebereich umgestellt, sagte Mitterlehner und schließlich sei es gelungen die HETA-Problematik in ruhiges Fahrwasser zu bringen, eine Lösung zu finden und den Schaden möglichst klein zu halten. Er erteilte auch den parteipolitischen Postenbesetzung der Vergangenheit eine Absage und meinte, ihm sei das Parteibuch egal, es komme auf Qualifikation und Kompetenz an. Auch die Steuerreform hält er für eine wichtige Weichenstellung in Richtung Wachstum. Im Bereich der Flüchtlingspolitik habe es die Regierung geschafft, internationale Solidarität zu erzwingen.

Mitterlehner drängt auf Entbürokratisierung und Deregulierung der Wirtschaft

Dem Land gehe es also nicht so schlecht, schlecht sei aber die Stimmung, resümierte er. Das Gefühl des Stillstands resultiere aus einer oft überzogenen Erwartungshaltung, aus einer überbordenden Bürokratie, aber auch aus Verdrängungsängsten und Zukunftsängsten. Um dem entgegenzuwirken, unterstützt Mitterlehner den "New Deal" für eine zukunfts- und wettbewerbsfähige Wirtschaft, wobei er Entbürokratisierung und Deregulierung in den Vordergrund stellte. Mehr Wettbewerb forderte er auch für die Sozialsysteme, sprich Gesundheitsbereich, Arbeitsmarkt und Pensionen. Das Engagement müsse mehr belohnt werden und das Geld, das man verteile, müsse vorher erarbeitet werden. Mitterlehner will davon abgehen, Transferleistungen in den Mittelpunkt zu stellen. (Fortsetzung Nationalrat/ Regierungserklärung) jan