Parlamentskorrespondenz Nr. 535 vom 19.05.2016

Brunnenmarkt-Mord: Schwere Vorwürfe der FPÖ an die Behörden

Dringliche Anfrage im Nationalrat an Justizminister Brandstetter

Wien (PK) – Die Bluttat am Wiener Brunnenmarkt, bei der eine Frau auf offener Straße mit einer Eisenstange erschlagen wurde,  beschäftigte heute auch den Nationalrat. In einer Dringlichen Anfrage an Justizminister Wolfgang Brandstetter verlangte die FPÖ Aufklärung darüber, wie es kommen konnte, dass der mutmaßliche Täter – ein polizeibekannter, psychisch auffälliger junger Kenianer ohne gültigen Aufenthaltstitel – trotz zahlreicher Vorstrafen weder verhaftet noch abgeschoben wurde. Klubobmann Heinz Christian Strache warf den Behörden Untätigkeit vor und stellte fest, der Fall zeige exemplarisch die Hilflosigkeit eines Rechtsstaats auf, der nicht mehr in der Lage ist, seine Bürger zu schützen.

Wolfgang Brandstetter sprach sich für eine lückenlose Aufklärung in alle Richtungen aus und setzt dabei auf die unabhängige Sonderkommission, deren Einrichtung in der Debatte von allen Fraktionen begrüßt wurde. Der Fall legt für den Minister jedenfalls die Notwendigkeit einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz nahe, wobei sich Brandstetter auch offen für mögliche weitere Konsequenzen zeigte.

Strache: Ausländische Kriminelle müssen konsequent abgeschoben werden

"Österreich hat ein Sicherheitsproblem" - FPÖ Klubobmann Heinz Christian Strache sprach von einem realen Gefährdungspotenzial, das er auf eine falsche Asyl- und Zuwanderungspolitik zurückführte. Wenn nur ein Drittel der abgewiesenen Asylwerber abgeschoben werden oder freiwillig ausreisen und sich nunmehr 200.000 Zuwanderer illegal in Österreich aufhalten, dann zeige dies massiven Handlungsbedarf bei der Abschiebepraxis auf. Es könne nicht sein, dass die Behörden nach einem negativen Asylbescheid einfach wegschauen. Vielmehr müsste doch alles getan werden, um die rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Strache forderte kürzere Asylverfahren, konsequentere Rückführungen und Abschiebungen sowie insgesamt ein härteres Vorgehen gegen kriminelle Asylwerber. Personen, die wegen Straftaten rechtskräftig verurteilt wurden, dürfen keine rechtsgültigen Asyltitel erhalten, steht für ihn fest. In diesem Sinn geht es für den FPÖ-Klubobmann nicht nur um die Überprüfung des Einzelfalls, sondern auch darum, die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen.

Brandstetter setzt auf lückenlose Aufklärung durch die Sonderkommission

Justizminister Wolfgang Brandstetter räumte ein, der Fall sei symptomatisch für die Probleme an den Schnittstellen von Behördenzuständigkeiten und mache deutlich, dass man über die Grenzen der einzelnen Ressorts hinaus blicken müsse. Ein "Ich bin nicht zuständig" dürfe es in Zukunft jedenfalls nicht mehr geben. Brandstetter erwartet sich nun von der unabhängigen Sonderkommission eine schonungslose, lückenlose und transparente Aufklärung in jede Richtung, gehe es doch darum, Schwachstellen im System aufzudecken und allfällige Konsequenzen zu ziehen. Klar ist für den Minister jedenfalls, dass es in Zukunft eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Polizei und Justiz sowie zwischen den Behörden untereinander braucht, um auf Gefährdungspotenziale rechtzeitig zu reagieren.

In Beantwortung der an ihn gestellten Fragen bestätigte Brandstetter, dass der Verdächtige über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfügte. Erste Auffälligkeiten hätten sich bereits im Jahr 2010 ergeben, man habe aber kein gerichtliches Unterbringungsverfahren nach dem Unterbringungsgesetz eingeleitet. Seit 2010 seien 18 Strafanträge wegen diverser Vergehen gestellt worden, vier davon führten zu Verurteilungen, die übrigen Fälle seine noch offen. Man habe gegen den verdächtigen Kenianer keine U-Haft verhängt, da die gesetzlichen Voraussetzungen aufgrund der fehlenden Schwere der Taten nicht vorlagen. Über eine allfällige Untätigkeit der Staatsanwaltschaft wollte sich Brandstetter zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern, wobei er betonte, es gehe zunächst um eine sachliche Untersuchung ohne voreilige Schuldzuweisungen.

Belakowitsch-Jenewein fordert Umdenken bei der Staatsanwaltschaft

Mit den Worten "Es ist Feuer am Dach" beklagte Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) einen massiven Anstieg der Kriminalität in Wien und meinte, die Bevölkerung sei angesichts der Untätigkeit der Behörden frustriert und in Angst. Im Umgang mit Asylwerbern dürfe es keine ideologischen Scheuklappen geben, unterstrich sie und rief die Staatsanwaltschaft zu einem Umdenken auf. Wer in Österreich Schutz sucht und dann kriminell wird, der habe hier nichts verloren.

Jarolim: Die Waffen des Rechtsstaats müssen eingesetzt werden

Der Rechtsstaat habe scharfe Waffen, diese müssten aber zum Einsatz gebracht werden, betonte Johannes Jarolim (S). Es gelte, Aufenthaltsverbote und Abschiebungen, die die Rechtsordnung für ausländische Kriminelle als Folge von massiven Straftaten vorsieht, auch durchzusetzen. Handlungsbedarf sieht der Justizsprecher der SPÖ vor allem bei den Rückführungsabkommen. Nicht nachvollziehbar ist für Jarolim der Umstand, dass die FPÖ zwar jetzt Mängel bei der Strafverfolgung beklagt, im Plenum die Verschärfungen im Sexualstrafrecht und die Verbesserungen im Suchtmittelgesetz aber nicht mitgetragen hatte.

Steinacker erwartet ergebnisoffene Arbeit der Sonderkommission

Die vom Justizminister eingesetzte Sonderkommission werde ergebnisoffen und ohne Tabus arbeiten und allfällige Schwachstellen im System aufdecken, erwartet Michaela Steinacker (V). Schnittstellen müssten in allen Bereichen durchleuchtet werden, um in Zukunft zu vermeiden, dass Straftäter im Sicherheitssystem "durchrutschen". Konkrete Vorschläge sollten raschest in Gesetze gegossen werden. Steinacker unterstützte in diesem Zusammenhang die Forderungen von Innenminister Sobotka nach Schubhaft schon bei der erstinstanzlichen Verurteilung von Fremden sowie sofortiger DNA-Abnahme von Beschuldigten und Verdächtigen bei Sexualdelikten. Klar ist für die ÖVP-Justizsprecherin aber, dass das Strafrecht für Inländer und Ausländer gleichermaßen gilt. Nichts hält sie deshalb von einer Rücknahme jener Anpassungen im Jugendgerichtsgesetz, die jungen Straftätern bessere Chancen auf Resozialisierung bieten sollen.

Steinhauser: Einsetzung der Sonderkommission war richtige Reaktion

Albert Steinhauser (G) bescheinigte dem Justizminister, mit der Einsetzung der Sonderkommission richtig reagiert zu haben. Offen ist für den Justizsprecher der Grünen aber nach wie vor die Frage, warum der Verdächtige niemals psychiatrisch untersucht wurde. Der Fall sollte deshalb Anlass sein, über das Funktionieren der jeweiligen Schnittstellen zwischen den Behörden und über möglichen legistischen Änderungsbedarf nachzudenken. Im Visier hat Steinhauser dabei insbesondere das Unterbringungsgesetz.

Scherak gegen legistische Schnellschüsse

Nikolaus Scherak von den NEOS warnte vor legistischen Schnellschüssen und meinte, mit dem rechtlichen Bestand, insbesondere mit dem Unterbringungsgesetz, hätte man im konkreten Fall das Auslangen gefunden. Nach Ansicht des NEOS-Justizsprechers liegt es nun an der Sonderkommission, mögliche Systemversagen aufzudecken. Handlungsbedarf sah Scherak aber bei den Rückführungsabkommen, wobei er dafür eintrat, diese Problematik auch im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit zu diskutieren. Klar sei jedenfalls, dass Personen, die keinen gültigen Aufenthaltstitel in Österreich haben, in ihre Heimatländer zurückgebracht werden müssen.

Hagen sieht Handlungsbedarf bei den Rücknahmeabkommen

Christoph Hagen (T) forderte mehr Unterstützung für die Polizei durch konsequente Rechtsprechung und präventive Maßnahmen. So gehe es nicht an, Straftäter nach ihrer Festnahme gleich wieder auf freien Fuß zu setzen. Nicht nachvollziehbar ist für den Team Stronach-Justizsprecher auch, dass Österreich nicht schon längst wie Deutschland Rücknahmeabkommen mit den Staaten Nordafrikas abgeschlossen hat. Hagen erwartet sich von der Politik vor allem auch Signale an die Zuwanderer in Richtung Integration, und zwar nach dem Motto "Wer sich nicht benimmt, der hat hier nichts zu suchen".

FPÖ und Team Stronach für Verschärfung im Strafrecht

Die Freiheitlichen Walter Rosenkranz und Christian Lausch unterstützten ihren Parteichef Strache in seiner Argumentation, es brauche angesichts der Straftaten von Migranten eine neue Asyl- und Zuwanderungspolitik in Österreich. Wiewohl Rosenkranz Minister Brandstetters Einsetzung der Sonderkommission als richtigen Schritt würdigte, bezeichnete er das Verbrechen am Wiener Brunnenmarkt aber als Symptom für eine verfehlte Politik. An "Brennpunkten" wie diesem brauche es ständige Polizeipräsenz. Weiters müssten umfassende Kontrollen von Einreisenden mit befristetem Visum tatsächlich greifen, sodass sie nach Ablauf der Aufenthaltsberechtigung außer Landes geführt werden. Kriminalität müsse auch bei AsylwerberInnen entsprechend geahndet werden, ergänzte Lausch, der auch eine "Frustration" in der Exekutive ausmacht, weil die Justiz sogar bei Wiederholungstätern häufig nicht reagiere, was der fraktionslose Abgeordnete Gerhard Schmid bestätigte. Rosenkranz regte deswegen an, im Strafrecht besondere Erschwerungsgründe für Asylwerbende vorzusehen, da hier ein "Missbrauch des Gastrechts vorliege". Abgesehen davon problematisierte Lausch die Gesundheitsfürsorge in Justizanstalten, die er im Vergleich zum öffentlichen Gesundheitswesen für überzogen und zu teuer hält.

Die Sichtweise der FPÖ wird vom Team Stronach geteilt: Martina Schenk stellte zwar fest, das Ergebnis der Sonderkommission sei abzuwarten, die steigende Gewalt unter Asylwerbenden ist in ihren Augen aber nicht wegzureden. Augenscheinlich geworden sei das "nicht-vorhandene Sicherheitsgefühl der Österreicherinnen und Österreicher" am jüngsten Frauentag, als das Team Stronach mit seiner Pfefferspray-Verteilaktion viel Zuspruch von Bürgerinnen erhalten habe.

Grüne und NEOS vermissen Prävention

Peter Pilz von den Grünen wiederum erinnerte, der mutmaßliche Täter vom Brunnenmarkt sei als unbescholtener Minderjähriger eingereist und erst in Wien straffällig geworden. Eine umfassende Visum-Kontrolle, wie von der FPÖ angeregt, hätte also nichts genützt. Allerdings fehle es an Prävention und psychischer Betreuung von oft traumatisierten minderjährigen Flüchtlingen, ortete er ein weitreichendes Versagen, das sich nicht mit strafrechtlichen Maßnahmen beheben lasse. Abgesehen davon kritisierte Pilz aber auch den Außenminister, da dieser zu wenig Zeit darauf verwende, Rückführungsabkommen auszuverhandeln.

Die NEOS-Abgeordneten Nikolaus Alm und Claudia Angela Gamon hinterfragten generell die Konsequenzen, die aus den Erhebungen zu fehlendem Behördenhandeln gezogen werden, auch schon hinsichtlich der Versäumnisse vor der Tat am Brunnenmarkt. Alm erkennt neben dem Defizit beim Vollzug von Abschiebungen vor allem Mängel beim Umgang mit illegal aufhältigen Personen. Engere Zusammenarbeit der zuständigen Stellen in Polizei und Sozialarbeit, aber auch auf internationaler Ebene sieht der NEOS-Mandatar als entscheidendes Instrument zur Kriminalitätsbekämpfung.

Regierungsfraktionen orten Abstimmungsprobleme zwischen Behörden

Einer Meinung sind SPÖ-Sicherheitssprecher Otto Pendl und die sozialdemokratische Integrationssprecherin Nurten Yilmaz, der Mord am Brunnenmarkt hätte angesichts der mehrfachen Strafanzeigen gegen den Verdächtigten verhindert werden können, hätten Staatsanwaltschaft beziehungsweise die vom Gericht beauftragten Gutachter richtig gehandelt. Als Ottakringerin beanstandete Yilmaz überdies, die Polizei im 16. Bezirk leide an Personalmangel. Im konkreten Fall sei auch das fehlende Rückführungsabkommen mit Kenia ein großes Problem, rief sie wie schon Peter Pilz (G) das Außenressort zur raschen Behebung dieses Umstands auf. Grundsätzliches Unverständnis zeigte Pendl dafür, dass straffällige Asylsuchende und MigrantInnen ohne Aufenthaltstitel hierzulange überhaupt aufhältig sein können.

Für den Verfassungsexperten der ÖVP, Wolfgang Gerstl, setzt die Debatte über Kriminalität auch eine Diskussion voraus, welche präventiven Schritte zur Verhinderung krimineller Handlungen nötig sind. "Wirklich erschreckend" ist für ihn, stimmte er mit Pendl überein, dass der schon im Vorfeld höchst auffällige, psychisch kranke Straftäter nicht von den Behörden festgehalten wurde, etwa nach dem Unterbringungsgesetz. Als Hauptursache wertet Gerstl das Fehlen von Schnittstellen zwischen Polizei, Justiz und Gesundheitssachverständigen. Vorwürfe der FPÖ, Personen ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel würden nicht rückgeführt, verbat er sich mit dem Hinweis, Österreich sei hier Spitzenreiter.

Rudolf Plessl (S), im Zivilberuf selbst Polizist, drückte seine tiefe Anteilnahme gegenüber den Angehörigen des Opfers aus. Wichtig seien für diese jetzt insbesondere psychosoziale Dienste zur Verarbeitung des Traumas. Von der Sonderkommission erwartet Plessl, dass sie mehrere Stellen beleuchtet, nicht zuletzt das Jugendamt in seiner Zuständigkeit für obdachlose Minderjährige. Der Umgang mit jugendlichen Straftätern müsse ebenfalls erörtert werden. Fassungslos zeigte sich auch Abgeordneter Nikolaus Berlakovich (V) ob der nach seiner Analyse offenbaren behördlichen Versäumnisse. Obwohl die Kriminalität insgesamt sinke, steige das Gefährdungspotential unter Asylwerbenden, konstatierte er, wiewohl keinesfalls alle Flüchtlinge aufgrund von Einzelfällen als kriminell eingestuft werden dürften. Mit dem "Aktionsplan Sicheres Österreich" würden Innenministerium und Justizministerium deswegen alles daran setzen, der Bevölkerung mehr Sicherheit zu geben, versicherte Berlakovich und nannte beispielhaft Maßnahmen wie höhere Polizeipräsenz und vermehrte Schwerpunktkontrollen sowie effizientere Ermittlungsverfahren und Rückführungen. "Weder Mörder, noch Vergewaltiger noch sonst irgendwelche Gauner haben hier irgendetwas verloren", sagte Berlakovich. (Fortsetzung Nationalrat) hof/rei