Parlamentskorrespondenz Nr. 603 vom 02.06.2016

Bundesregierung präsentiert Arbeitspensum im Bundesrat

BK Kern und VK Mitterlehner nennen Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Investitionen, Bildung und Flüchtlingsbewegungen als Prioritäten

Wien (PK) – "Wir haben in diesem Land eine besondere Verantwortung", es sei ein gemeinsamer Diskussions- und Entscheidungsprozess notwendig. "Ich will meine Hand ausstrecken und bitte, diese anzunehmen", warb Bundeskanzler Christian Kern für eine gute Kooperation auch mit allen Bundesrätinnen und Bundesräten. Kern stellte heute gemeinsam mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner die neuen Regierungsmitglieder und die wichtigsten Projekte der Bundesregierung im Rahmen einer Regierungserklärung dem Bundesrat vor.

Kern: Ich bin kein Freund davon, einen Notstand zu konstruieren, wo keiner vorliegt

Im Mittelpunkt standen dabei auch das Thema Asyl und die jüngste Debatte über die Obergrenze von 37.500 Flüchtlingen. Kern appellierte, das Thema mit Ruhe, Unaufgeregtheit und Verantwortung zu behandeln und Hass und Respektlosigkeit entschieden entgegenzutreten. Wohin der Hass führt, das habe Altenfelden in Oberösterreich gezeigt, sagte er im Hinblick auf den Brandanschlag auf eine noch leerstehende Unterkunft für AsylwerberInnen. Für ihn gehe es daher um klare Prioritäten, nämlich die Menschen bestmöglich zu integrieren; das gelte vor allem für den Arbeitsmarkt und die Bildungspolitik. Andernfalls würden die Betroffenen auf der Straße in Obdachlosigkeit landen, sie hätten keine Perspektive und würden damit in die Kleinkriminalität getrieben. Wenn es nicht gelingt, die Menschen zu integrieren, dann werde auch der höchste Zaun nicht helfen, warnte er. Kern setzt in diesem Zusammenhang vor allem auch auf die Kooperation der Sozialpartner.

Eine wichtige Zukunftsfrage sei, wie der Zustrom reguliert wird – und er fügte unmissverständlich hinzu, das man das mit größter Sorgfalt abwägen müsse. Hier seien Sachargumente gefordert, und nicht die politische Pointe, warnte er vor einer Zuspitzung des Themas, denn "der Weg zu brennenden Flüchtlingsheimen ist kürzer als wir glauben". Der Kanzler umriss seine Haltung grundsätzlich mit den Worten "ich bin kein Freund davon, einen Notstand zu konstruieren, wo keiner vorliegt". Er insistierte auch darauf, Integration und Sicherheit als zwei Begriffe auseinander zu halten. 

Vereinbarung zur Obergrenze ist nach Punkt und Beistrich einzuhalten

Zum Eindruck der Verwirrungen um die vereinbarte Obergrenze, bekräftigte der Bundeskanzler, die Vereinbarung sei von allen Seiten nach Punkt und Beistrich einzuhalten. Gerade bei dieser sensiblen Frage gehe es um den genauen Text der Vereinbarung, und hier seien keine Spielräume zuzulassen. Kern stellte in diesem Zusammenhang klar, dass es bei den 37.500 Fällen um jene gehe, die zum Asylverfahren zugelassen werden sollen. Die Diskussion darüber war nach den Aussagen Kerns im Ministerrat entstanden, als er von 11.000 Asylanträgen gesprochen hatte. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sagte heute in seiner Erklärung dazu, die BürgerInnen hätten das Recht auf Klarheit über Zahlen und Strategien. Kanzleramtsminister Thomas Drozda stellte später im Rahmen der Debatte unter Verweis auf die heute stattgefundene Pressekonferenz des Innenministers fest, dass die Zahl der zum Verfahren zugelassenen Anträge mit 18.950 zu beziffern sei, dabei seien 6.689 Anträge aus dem Jahr 2015 inkludiert, die erst heuer zugelassen würden. Die Dublin-Fälle wurden dabei herausgerechnet, diese belaufen sich allein 2016 auf mehr als 22.000 Anträge.

Dass die Dublin-Fälle nicht eingerechnet werden, hält Kern für wichtig, auch wenn es viele Stimmen gebe, die meinten, "die werden wir ohnehin nicht los". Das könne man keinesfalls akzeptieren, sagte er, vielmehr müsse man Vorkehrungen treffen, dass diese Fälle in den Nachbarländern behandelt werden. Selbstverständlich habe man die moralische Verpflichtung, Menschen auf der Flucht vor dem Tod zu bewahren, so Kern, es gehe aber nicht an, dass Menschen dort ihren Asylantrag stellen, wo sie wollen. Man brauche auch bilaterale Abkommen mit anderen Staaten, wie etwa mit Libyen, merkte er an und verwies auf diesbezügliche Vorbilder, wie etwa Deutschland. Hier rasch weiter zu kommen, sei eine große Aufgabe für die österreichische Diplomatie, meinte er und verteidigte auch den Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei - trotz aller berechtigter Diskussionen über den Kurs, den das Land derzeit fährt. "Es wäre ein fataler Fehler, wenn wir uns von dem Deal abwenden", hielt Kern fest. Als weiteres Ziel seiner Politik gab Kern an, die Asylverfahren beschleunigen zu wollen.

Prioritäten: Arbeitsmarkt, Innovation, Bildung, Entbürokratisierung

Neben der aktuellen Frage der Flüchtlingsbewegungen ging der Bundeskanzler auf jene Projekte ein, denen die Bundesregierung höchste Priorität einräumt. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Umsetzung sei aber eine sorgfältige Analyse der Sachverhalte. Jedenfalls wolle man möglichst viele Interessensgruppen miteinschließen, insbesondere Länder, Oppositionsparteien, ExpertInnen und die Sozialpartner. "Wir können in unserem Land nur voran kommen, wenn wir die Probleme gemeinsam lösen", sagte Kern.

Als großes Thema nannte er den Arbeitsmarkt und die Beschäftigungssituation und betonte, die strukturelle Entwicklung am Arbeitsmarkt lasse eine weiter steigende Arbeitslosigkeit befürchten, was eine Gesellschaft nicht akzeptieren dürfe. Zudem habe es in den letzten Jahren einen Reallohnverlust gegeben, und es sei der Eindruck entstanden, dass die Perspektiven für die jungen Menschen nicht mehr so gegeben sind wie früher. Daraus resultiere auch ein Nachfrage- und Konsumproblem. Ebenfalls unbefriedigend sei die Investitionssituation, die eng mit Vertrauen und Stabilität verknüpft ist. Jüngst habe ein IWF-Bericht festgestellt, dass die zunehmende Ungleichheit auch eine erhebliche Wachstumsbremse zur Folge hat und nicht nur eine soziale Frage darstellt.

Die Bundesregierung werde daher alles daransetzen, öffentliche und private Investitionen zu fördern. Notwendig sei es auch Start-up- Unternehmen den Rücken zu stärken, denn mit diesen entwickle sich eine Dynamik, die sich auch positiv auf den Arbeitsmarkt auswirke. Die zunehmende Präkarisierung von Arbeitsverhältnissen will der Kanzler nicht so einfach hinnehmen. In diesem Zusammenhang hob er die Bedeutung der Sozialpartner hervor und warnte vor dem französischen Beispiel, würde man die Interessenvertretungen nicht miteinbeziehen.

Kern kündigte auch an, "vor der eigenen Haustüre zu kehren", und Vereinfachungen, wie etwa in der Gewerbeordnung, in der öffentlichen Verwaltung, bei der Sozialversicherung, aber auch bei der Registrierkassenpflicht vorzunehmen. In Österreich gebe es hervorragende Unternehmen in Bezug auf Innovation, Forschung, Entwicklung und Technologie. Hier gelte es, konsequent "die Stärken zu stärken". Beim Thema Bildung müssten vor allem Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle Kinder im Vordergrund stehen.

MItterlehner: Den Wirtschaftsbereich wieder in den Vordergrund rücken

Einen großen Anteil für die schlechte Stimmung im Land haben für Vizekanzler Reinhold Mitterlehner auch die Medien mit zu verantworten. Ihre Berichte seien vom Flüchtlingsthema dominiert gewesen, was Zukunftsängste geweckt habe. Es sei daher wichtig, dass man diesen Ängsten entgegen tritt und auch den Wirtschaftsbereich wieder in den Vordergrund rückt. Mit einem zu erwarteten Wirtschaftswachstum, von 1,6% sei erstmals wieder eine Drehung gelungen, sagte Mitterlehner. Wichtig sei es, Österreich unternehmerischer zu gestalten und Projekte zu starten, die Althergebrachtes hinterfragen.

Wie der Bundeskanzler verwies Mitterlehner auf zahlreiche vereinbarte Vorhaben der Regierung, unter anderem auf die Entrümpelung der Gewerbeordnung oder die angedachte Reform der Sozialversicherung. Die Entbürokratisierung müsse nicht nur für die Unternehmen gelten, sondern für alle Bereiche, sagte er, und sprach sich gegen die Kultur aus, immer etwas zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen abzutauschen. Hier ortete er ein kulturelles Problem. Er sprach sich dafür aus, Gesetze im Hinblick auf ihre aktuelle Relevanz zu überprüfen. Seiner Ansicht nach sind die Sozialpartner gefordert, genau darauf zu achten, ob die Probleme von damals noch immer die Probleme von heute sind.

Im Rückblick auf die vergangenen Regierungsjahre stellte Mitterlehner fest, man habe trotz großer Meinungsunterschiede unter der Kanzlerschaft Faymann vieles zustande gebracht: sei es die Bewältigung der Wirtschaftskrise, wo es gelungen sei, dass niemand sein Sparbuch verliert und Investitionen getätigt wurden -  Mitterlehner hob dabei die konstruktive Rolle der Sozialpartner hervor. Sei es die Steuerreform, die Konsum und Investitionen belebt hat, und sei es das Flüchtlingsproblem, wo es gelungen sei, den ungeregelten Zustrom in ein systematisches kontrolliertes System überzuführen. Gerade in der Flüchtlingsfrage hält es der Vizekanzler für unabdingbar, aus Betroffenen Beteiligte zu machen. Dies wolle man mit "gemeinsamer, aktiver und integrierender Politik erreichen". Wichtig sei es auch gewesen, in der Frage der Sicherheit die richtigen Konsequenzen zu ziehen, merkte er an. (Fortsetzung Bundesrat, Regierungserklärung) jan            


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