Parlamentskorrespondenz Nr. 670 vom 15.06.2016

Steigende Jugendarbeitslosigkeit trotz dualer Ausbildung

Nationalrat sieht viele Gründe für Lehrlingsmangel

Wien (PK) – Trotz generell steigender Arbeitslosigkeit befindet sich Österreich bei der Jugendbeschäftigung weiterhin im EU-Spitzenfeld, vor allem dank der dualen Ausbildung in Betrieb und Berufsschule. Die Jugendarbeitslosenquote betrug in Österreich letztes Jahr 10,6% und lag damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 20,3%. Das geht aus einem Bericht des Wirtschaftsministeriums hervor, der sich speziell mit der Lehrlingsausbildung befasst, und dem heute die Mehrheit im Nationalratsplenum ein positives Votum erteilte. Dennoch setze man fortlaufend Maßnahmen, so Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner heute im Nationalrat, um die Abbruchsrate in der Lehrausbildung zurückzudrängen. Im Regierungsbericht heißt es zur Entwicklung der Jugendbeschäftigung, während die Jugendarbeitslosigkeit EU-weit seit 2013 sinke, steige sie in Österreich seit 2011 kontinuierlich an, nachdem Jugendliche überproportional von den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen seien.

In der Plenardebatte erhielt die duale Ausbildung grundsätzliches Lob von allen Parteien, dennoch wird dabei noch viel Reformbedarf gesehen – angefangen beim landläufigen Lehrlings-Image.

FPÖ und Team Stronach: Überregulierung behindert Lehrausbildung

Als "Erfolgsmodell" und "Exportschlager" bezeichnete Axel Kassegger die duale Ausbildung zwar, er kritisierte aber den starken Rückgang an Lehrlingen beziehungsweisen Lehrbetrieben in Österreich: "Das ist wahrlich besorgniserregend". Neben einer Verbesserung des Images der Lehre riet er ausdrücklich dazu, die Bürokratie bei der Ausbildung abzubauen. Ähnlich meinten Leopold Steinbichler vom Team Stronach und der fraktionslose Abgeordnete Rupert Doppler, die Lehrlingsausbildung gestalte sich immer schwieriger für Betriebe. Unzählige Vorschriften würden die Praxisschulung unterminieren und so die Freude am Beruf nehmen, wie Steinbichler ausführte. Andererseits suche die regionale Wirtschaft nach Fachkräften. Der gesellschaftliche Stellenwert des Lehrberufs gehöre eindeutig angehoben, bekräftigte Doppler Kasseggers Aufruf.

Den Nutzen überbetrieblicher Ausbildungsstätten (ÜBA) hinterfragte der FPÖ-Abgeordnete außerdem, genauso wie sein Parteikollege Bernhard Themessl. Für ÜBA verwendete Ressourcen seien besser in die betriebliche Lehrausbildung zu investieren. Tatsächlich diene die vom AMS betriebene Form der Lehrausbildung vor allem dem Verschleiern der tatsächlichen Jugendarbeitslosigkeitsrate. Abgesehen davon erwartet die FPÖ eine intensive Kooperation mit dem Bildungsressort, um die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen bei jungen Menschen sicherzustellen und ihre Chancen am Lehrlingsmarkt zu erhöhen.

In die gleiche Kerbe schlug Peter Wurm (F), als er den Regierungsparteien vorwarf, das Lehrlingsproblem mit einer verfehlten Schulpolitik verursacht zu haben. Immerhin seien 25% der heimischen SchülerInnen nach Ende der Schulpflicht "faktische Analphabeten". Demgegenüber wachse die Akademikerrate in höherem Maß als entsprechende Arbeitsplätze entstünden.

Grüne verteidigen überbetriebliche Ausbildung als wichtiges Förderinstrument

Wiewohl von Grüner Seite bekräftigt wurde, schulische Defizite würden in die Lehrausbildung weitergetragen, legten die Rednerinnen dieser Oppositionspartei anders als die FPÖ ein klares Bekenntnis zur überbetrieblichen Lehrausbildung ab. Birgit Schatz (G) sagte, junge Menschen, die in regulären Betrieben keine Lehrstelle erhalten, bekämen in ÜBA die Möglichkeit einer Ausbildung, eben weil es ihnen oft an der nötigen Schulbildung fehle. Die Basisbildung junger Menschen zu verstärken, erachtet Ruperta Lichtenecker (G) ebenfalls als wichtig zur Abdeckung des Lehrlingsbedarfs. Weiters regte sie Lehrstellenverbünde an, in denen Betriebe die Ausbildung leichter umsetzen können sowie eine verstärkte Berufsorientierung in den Berufsschulen, um die Abbrüche zu reduzieren. Nachdrücklich verlangte Lichtenecker eine Erhöhung der Lehrlingsentschädigung und eine Gleichstellung öffentlicher Förderungen an Lehrlinge mit den an SchülerInnen gezahlten Leistungen, sodass die Lehre attraktiver wird.

NEOS regen Lehrausbildung für junge Flüchtlinge an

Für die NEOS pflichteten Josef Schellhorn und Gerald Loacker Abgeordneter Schatz bei, im Bildungssystem liege das Grundproblem des Lehrlingsmangels; von einer "Ausbildungspflicht bis 18" , wie sie die Regierung anstrebt, erhofft Loacker deswegen nicht viel Abhilfe. Schellhorn macht überdies wie die Grünen eine klare Benachteiligung von Lehrlingen im Vergleich zu SchülerInnen höherer Schulen oder Studierenden aus, was Unterstützungen der öffentlichen Hand anbelangt. Eine Lanze brach der NEOS-Wirtschaftssprecher dafür, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen eine Lehre zur ermöglichen – sowohl aus integrations- als auch aus wirtschaftspolitischen Gründen, denn "der Fachkräftemangel wird immer größer", weil es immer weniger Lehrlinge gebe. Für Unternehmen stellten die zahlreichen Förderungen zur Lehrlingsausbildung oftmals eine zu große Hürde dar, ergänzte Loacker.

SPÖ pocht auf qualitätsvolle Ausbildung in Betrieben

Die duale Ausbildung sei international von ungebrochen hohem Interesse, schilderte Christoph Matznetter (S) einige der jüngsten Besuche ausländischer Delegationen, die sich an Österreichs Muster orientieren wollten. "Dieses Asset macht den Erfolg der österreichischen Wirtschaft aus". Das Problem sieht er vor allem bei "Liberalisierern", die Abstriche bei der Ausbildung einfordern, ohne die Konsequenz - unzureichend ausgebildete Fachkräfte – zu bedenken. Verbesserungen bei der Lehrlingsausbildung wie die stärkere Durchlässigkeit im Bildungssystem zeigen sich Franz Kirchgatterer (S) zufolge schon an den technischen Fachhochschulen, wo viele Studierende aus der dualen Ausbildung kämen. Letztlich müsse aber die Wertschätzung der Facharbeit noch mehr gesteigert werden, konstatierte Kirchgatterer

Das Thema Jugendarbeitslosigkeit beleuchteten die SozialdemokratInnen Cornelia Ecker, Wolfgang Katzian und Walter Schopf (S) aus Sicht der Betroffenen. Damit diese Menschen eine Perspektive hätten und nicht in die Kriminalität abrutschen, sei die überbetriebliche Ausbildung äußerst wichtig, unterstrich Ecker in Übereinstimmung mit ihren Parteikollegen; Schopf nannte als Erfolgsbeispiel die Wiener Einrichtung "Jugend am Werk". Die hochqualitative Lehrausbildung in Betrieben sicherzustellen, ist Katzian allerdings das größte Anliegen und er richtete in diesem Zusammenhang den NEOS aus, die geplante Ausbildungspflicht entspreche keineswegs wie von NEOS-Seite postuliert einer Einstellungspflicht. Produzierende Betriebe, etwa aus der Stahlindustrie, würden aufgrund von Billigimporten bei der Lehrlingsausbildung zurückstecken, warnte Dietmar Keck (S), weswegen er forderte, EU-weit stärkere Anti-Preisdumpring-Maßnahmen in diesem Bereich zu setzen.

Die Digitalisierung in Verbindung mit Lehrberufen sprach Elisabeth Hakel (S) an: die digitale Welt müsse in der Ausbildung ihren Platz finden, da hier neue Berufsfelder entstünden, Stichwort Start-ups. Die Politik sei deswegen gefordert, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, von den Arbeitsverhältnissen und der Sozialversicherung bis zu einem neuen Insolvenzrecht und der Gewerbeordnung.

ÖVP wirbt für Karriere mit Lehre

Einen Garant für ein abgesichertes Berufsleben ist die Lehre in den Augen von Angelika Winzig (V), wobei der gesteigerte internationale Wettbewerb eine große Herausforderung darstelle. Das Lehrlings-Coaching lobte Winzig als richtige Maßnahme besonders für Jugendliche mit Migrationshintergrund. "Lehre bildet die Grundlage für eine gute Karriere", wies Peter Haubner (V) darauf hin, dass Fachkräfte derzeit mehr denn je am Stellenmarkt gesucht werden. Zur Hebung des allgemeinen Ansehens des Lehrlingsberufs habe man bereits die Durchlässigkeit des dualen Ausbildungssystems erhöht, skizzierte Haubner anhand des Beispiels Lehre mit Matura. Den Rückgang an Lehrlingen erklärte er nicht zuletzt mit der demographischen Entwicklung, womit er bei der FPÖ auf Widerspruch stieß: Der Rückgang in der Geburtenrate erkläre keineswegs die enorm gesunkene Lehrlingszahl, so ein freiheitlicher Einwand.

Mitterlehner: Drop-out-Rate bei Lehrlingen weiter senken

Zwar würden derzeit 38% aller Jugendlichen eine Lehre verfolgen, wobei dieser Wert trotz demographischer Entwicklung konstant bleibe, zeichnete Bundesminister Mitterlehner ein vorsichtig positives Bild der Lage. Dennoch müssten die Drop-out-Quoten bei der Lehrausbildung weiter gesenkt werden, ungeachtet der Tatsache, dass die betriebliche Lehre mit rund 13% eine weit niedrigere Abbruchsrate aufweist als allgemeinbildende höhere Schulen, rechnete der Vizekanzler vor. Der über 40%-ige Drop-out-Anteil bei überbetrieblichen Lehrwerkstätten ist für Mitterlehner unter anderem darauf zurückzuführen, dass hier meist nicht im Wunschberuf ausgebildet werden kann; dennoch sei hier ebenfalls die Qualität noch mehr zu steigern. Keinesfalls will er vom ÜBA-System an sich abgehen. Wie gut das Qualitätsmanagement in der Lehre generell wirke, zeige jedoch die hohe Erfolgsquote bei Lehrabschlüssen.

Zur Effizienzsteigerung in der Lehrausbildung und um den Verbleib von Lehrlingen in Betrieben zu unterstützen, will Mitterlehner branchenspezifische Maßnahmen setzen – wenn nötig, auch mittels Coaching. Maßgeschneiderte Projekte lanciere man für neu geschaffene Berufsfelder wie Fachkaufmann/frau Tourismus. Ungleichbehandlungen zwischen Lehrlingen und anderen jungen Menschen gibt es aus der Sicht Mitterlehners nicht, wie er mit Verweis auf die Basisförderung ausführte. (Fortsetzung Nationalrat) rei