Parlamentskorrespondenz Nr. 673 vom 15.06.2016

Nationalratsdebatte über öffentliches Hearing vor Wahl der ORF-Spitze

Bundeskanzler Kern offen für Ideen der NEOS

Wien (PK) – Aus dem "Trauerspiel" bei der Nominierung der Rechnungshofpräsidentin wollen die NEOS rasch Konsequenzen ziehen. Daher konfrontierte Klubobmann Matthias Strolz heute im Nationalrat Bundeskanzler Christian Kern mit einem Dringlichen Antrag für Transparenz, Professionalität und Objektivität bei staatsnahen Postenbesetzungen, namentlich bei der Bestellung von MinisterInnen, VerfassungsrichterInnen und für die ORF-Spitze. Konkret schlagen die NEOS öffentliche Hearings der KandidatInnen vor. In der Begründung seines Antrags erinnerte Strolz Kern an die Ankündigung eines neuen Stils in der Politik und sah in einem öffentlichen Hearing der KandidatInnen für die ORF-Spitze eine zweite Chance Kerns zur Einlösung seines Versprechens. Für die Idee eines öffentlichen Hearings bei der Wahl der ORF-GeneraldirektorIn zeigten sich Bundeskanzler Kern und SprecherInnen der SPÖ aufgeschlossen. Letztlich sei dies aber eine Geschäftsordnungsfrage des unabhängigen ORF-Stiftungsrates und keine Entscheidung der Politik, hieß es unisono auf Seiten der Regierung. Bei der Abstimmung blieb der Antrag der NEOS, der auf ein Bundesgesetz und auf Änderung des ORF-Gesetzes abzielte, in der Minderheit und wurde abgelehnt.

Strolz: Wahl der ORF-Spitze ist Kerns zweite Chance für neuen Stil in der Politik    

Ein "Ende des Schauspiels der Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit" verlangte NEOS-Klubobmann Matthias Strolz (N) und erinnerte den Bundeskanzler an diesen Satz, mit dem er bei seinem Amtsantritt Begeisterung ausgelöst hat und den er nun mit Leben erfüllen sollte. Umsomehr nach dem "elenden Spiel" bei der Nominierung der Rechnungshofpräsidentin. "Gerhard Steger war eine Kategorie für sich", zitierte Strolz BeobachterInnen des Hearings und warf der ÖVP Mangel an intellektueller Redlichkeit, an Ehrlichkeit und an Ernsthaftigkeit vor. Die Bestellung des ORF-Genderaldirektors biete Kern eine zweite Chance für einen neuen Stil mit mehr Transparenz in der Politik zu sorgen. Die Aufforderung, die Opposition solle sich nicht in den Wahlmodus des unabhängigen Stiftungsrates einmischen, wies Strolz ebenso zurück wie die Behauptung, das öffentliche Hearing habe sich nicht bewährt – tatsächlich habe die ÖVP das öffentliche Hearing pervertiert, formulierte Strolz und löste heftige Reaktionen in den Reihen der Volkspartei aus.

Bei der Besetzung der ORF-Spitze gehe es um eine professionelle und transparente Entscheidung im Interesse eines Milliardenunternehmens, seiner vielen MitarbeiterInnen und der GebührenzahlerInnen. Den Stiftungsrat apostrophierte Strolz als von Freundeskreisen der Regierungsparteien dominiert, lehnte Packeleien hinter verschlossen Türen - wie beim Rechnungshof – ab und appellierte an die Regierungsparteien, wenigstens ein freiwilliges Hearing zu ermöglichen, wie es auch Alexander Wrabetz begrüße. Auch bei der Bestellung von MinisterInnen und HöchstricherInnen wäre es ein Dienst an der Glaubwürdigkeit der Politik, Entscheidungen aufgrund fachlicher und persönlicher Eignungen zu treffen - mit Packelei wollen die BürgerInnen nichts mehr zu tun haben, schloss Strolz.  

Kern findet Idee eines öffentlichen ORF-Hearings interessant   

Bundeskanzler Christian Kern wies die Kritik seines Vorredners an der Nominierung der RH-Präsidentin zurück: Nachdem Gerhard Steger keine Mehrheit fand, sei mit Margit Kraker eine gute Entscheidung getroffen worden. Der ORF wiederum, ein Unternehmen mit Milliardenumsätzen und zentraler demokratiepolitischer Bedeutung brauche nicht nur eine Person mit Visionen, sondern auch mit der Umsetzungskraft, die das ORF-Management in den letzten Jahren bewiesen hat. Damit nicht nur redegewandte Zukunftsforscher in Spitzenpositionen kommen, brauche es sorgfältige, ergebnisorientierte Selektionsprozesse unter Einsatz von Headhuntern. Kern sprach den respektablen Persönlichkeiten im Stiftungsrat des ORF sein Vertrauen aus, fand die Idee einer Übertragung des Hearing auf ORF III aber interessant und sagte Strolz zu, für diese Idee zu werben, hielt aber fest, dass die Entscheidung beim Stiftungsrat liege. Skeptisch zeigte sich der Bundeskanzler beim Thema Hearings für MinisterInnen: Diese Persönlichkeiten stehen immer in der Öffentlichkeit, ein weiteres Hearing sei wenig sinnvoll, bei der Bestellung von VerfassungsrichterInnen werden zum Teil bereits Hearings praktiziert, sagte Kern und sah mehr Transparenz positiv.  

Alm will ORF in ein Public Value-Haus umbauen

Grundsätzliche Überlegungen zur Medienpolitik stellte Nikolaus Alm (N) an. Medien sollen Grundlagen für eine pluralistische, kritische Meinungsbildung bereitstellen, sagte Alm und problematisierte eine Rundfunkpolitik, die an den Realitäten des 21. Jahrhunderts vorbeigehe, weil sie sich auf die Verhandlung parteipolitischer Interessen beschränke und den Einfluss des Inseratenmarkts und Förderungen übersehe. Gesellschaftspolitische Entwicklungen sein zu thematisieren statt nur Fragen der Machtpolitik. Social-Media lassen immer weniger Werbeeinnahmen bei den Medien ankommen und fragmentieren die Öffentlichkeit, was einzelne Politiker nutzen, beobachtet der Redner. Die Digitalisierung verändere nicht nur die Technik der Produktion und Distribution, sondern auch die Machtverhältnisse, analysierte Alm weiter und warnte vor der Vorstellung, die Machtfrage in der Medienpolitik lasse sich darauf reduzieren, wer Chef des ORF wird. Eine neue Medienpolitik sollte auf Inhalte gerichtet sein, die öffentlichen Werten entsprechen, sollte Medienhäuser ökonomisch und parteipolitisch entzerren und auf die Förderung von Distribution und Technik überhaupt verzichten. Unabhängige statt parteipolitische Medienhäuser fordert Alm und beim ORF eine Neuordnung der ORF-Gremien, etwa einen Stiftungsrat als Aufsichtsrat, das Zurückdrängen parteipolitischer Einflüsse und einen Public Value-Auftrag für den Rundfunk. Diesen Wandel zu initiieren und zu begleiten lautet die Anforderung Alms für die neue ORF-Spitze.

Cap will mit dem ORF die Kulturidentität Österreichs wahren

"Demokratischer geht es nicht", lautete das Urteil Josef Caps (S) zur Nominierung der Rechnungshofpräsidentin. Da Steger keine Mehrheit fand, musste ein Kompromiss gefunden werden, das habe nichts mit "Packelei" zu tun, meinte Cap. Das geltende ORF-Gesetz aus der Zeit Wolfgang Schüssels funktioniere, räumte Cap ein, sowohl was die Funktion des Generaldirektors betreffe als auch hinsichtlich des Stiftungsrates, in dem kompetente Menschen ihre Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeiten wahrnehmen - etwas anderes zu behaupten sei ungerecht und unfair. Kritische Fragen an die KandidatInnen für die neue ORF-Spitze gehörten dazu, sagte Cap, der den Vorschlag der NEOS, das Hearing auf ORF III zu übertragen, für möglich hält, "wenn das der Stiftungsrat beschließt". Leistung muss Anerkennung finden, sagte Cap über Alexander Wrabetz, der auch mit den Stimmen der Opposition gewählt wurde und auf wirtschaftliche Erfolge in Zeiten der Finanzkrise, auf einen erfolgreichen Song Contest, Oscars, die Marktführerschaft des Unternehmens und auf Erfolge im Online-Sektor verweisen könne. Namhafte Experten sehen die politische Unabhängigkeit, die Autonomie und Unabhängigkeit der ORF-Redakteure größer denn je, berichtete der Abgeordnete, dem es vor allem um die Wahrung der Kulturidentität Österreichs geht. Die Vorschläge der NEOS für die Bestellung von VerfassungsrichterInnen und MinisterInnen will Josef Cap im Verfassungsausschuss vernünftig diskutieren.

Singer: Ein Hearing ist kein Präzisionsinstrument  

Von Seiten der ÖVP sah Johann Singer den ORF als Leitbetrieb der Medienlandschaft in Österreich. Bei der anstehenden Personalentscheidung gehe es um die Ausrichtung des Unternehmens für die Zukunft und um eine hohe Qualität der Informationen in Österreich. Über diese Fragen entscheidet nicht das Parlament, sondern der Stiftungsrat. "Das Unternehmen soll selbst entscheiden", lautet das Credo Singers. Es gibt ein Hearing und der Stiftungsrat wird eine gute Lösung treffen, nicht die Politik, hielt Singer fest, dem transparente, professionelle Personalentscheidungen in staatsnahen Unternehmen wichtig sind. Die Bedeutung von Hearings werde dabei überschätzt. Sie sind kein Präzisionsinstrument. Bei Anhörungen könne jemand zeigen, wie kommunikativ er oder sie ist, es geht aber auch um andere Führungskompetenzen, sagte Singer, der mehrstufige Auswahlverfahren präferiert.

Zanger: SPÖ legte bei Wahl der RH-Kandidatin Schienen für Wrabetz als ORF-Chef

Eine Diskussion über die ORF-Zwangsgebühren regte Wolfgang Zanger (F) an. Zur Wahl der Kandidatin für die Rechnungshofspitze zollte Zanger allen KandidatInnen Respekt und erklärte seine Entscheidung für eine unabhängige Kandidatin statt für ein Parteimitlied mit den Worten: "Steger war nicht der beste". Die SPÖ habe Steger in einem durchschaubaren Manöver geopfert und die Schienen zur Bestellung von Alexander Wrabetz als ORF-Chef gelegt. Auch in der Steiermark zeichne sich bei der Besetzung der ORF-Landesspitze offenbar ein trauriger "Deal" der Koalitionsparteien ab, meinte Zanger.

Glawischnig für Modernisierung des Verfahrens zur Bestellung der ORF-Spitze

Die Bedeutung der Transparenz als Schutzinstrument gegen Korruption und Parteibuchwirtschaft betonte Eva Glawischnig-Pieszeck (G) und sah im öffentlichen Hearing bei der Nominierung zur RH-Spitze einen Fortschritt. Enttäuscht sei sie über den Einsatz der "Erpressungsmehrheit" von ÖVP und FPÖ gegen die SPÖ bei der Besetzung dieses wichtigen Amts. Die Frage laute nicht, ob jemand eine politische Gesinnung habe, sondern ob Karrieren mit nichts anderem als einer politischen Gesinnung gemacht werden. Die neue RH-Präsidentin müsse jedenfalls den Rollenwechsel zur Repräsentation einer wichtigen öffentlichen Institution schaffen, an deren Spitze es auch um Konfliktfreude geht. Aus dem RH-Hearing seien ihrer Meinung nach nicht die richtigen Konsequenzen gezogen worden, sagte die Klubobfrau der Grünen, die ja zu Hearings für MinisterInnen sagte und Überlegungen darüber empfahl, wie man das derzeit politische Verfahren zur Bestellung der ORF-Spitze modernisieren könnte.

Dietrich: Die Politik steht still und der Postenschacher geht weiter

Waltraud Dietrich (T) klagte einmal mehr über politischen Stillstand sowie die Fortsetzung des rot-schwarzen Postenschachers und warf der SPÖ vor, Rundfunkt und Fernsehen als Machtfragen zu behandeln. Daher die parteipolitischen Verflechtungen im ORF, daher die jüngsten Ereignisse im Parlament, meinte Dietrich. Gegenüber Caps Lob für "schwarze Zahlen und rote Politik" beim ORF mahnte die Rednerin einen überparteilichen ORF ohne parteipolitische Postenbesetzungen und ohne politische Meinungsmache ein. Mitreden sollen hingegen die Menschen, die Zwangsgebühren zahlen, verlangt Dietrich, die über die NEOS-Vorschläge hinaus für die Mitbestimmung der HörerInnen bei der Bestellung der ORF-Spitze eintritt. Bei einem Stiftungsrat, der zu mehr als 90% von "Parteisoldaten" besetzt sei, von Unabhängigkeit zu sprechen, lehnt Dietrich ab und mutmaßt politische Zusammenhänge zwischen Postenbesetzungen an der Spitze des ORF und der Spitze des ORF-Steiermark.

Scharfe Oppositionskritik an Rechnungshof-Entscheidung

Auch die weitere Debatte gestaltete sich zu einer Nachlese über die Nominierung der Rechnungshof-Präsidentin. Bei der Beurteilung des ORF kamen die Fraktionen zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen.

Ein Deal sei die Entscheidung über die Leitung des Rechnungshofs gewesen, stellte FPÖ-Klubobman Heinz-Christian Strache fest, der den Regierungsparteien vorwarf, die Chance zur Unterstützung einer unabhängigen Kandidatur verpasst zu haben. Sigrid Maurer von den Grünen nannte das Hearing eine Blamage für das Parlament und sprach überdies von einer demokratiepolitischen Farce, bei der sich die SPÖ "am Nasenring der ÖVP" habe vorführen lassen. Für Team Stronach-Mandatarin Martina Schenk war die Entscheidung über die Rechnungshof-Präsidentin ein "Kuhhandel" im Abtausch mit der Nachbesetzung der ORF Führung.

ORF: Fraktionen haben kein einheitliches Bild

Was den ORF betrifft forderte Strache ebenso wie Dieter Brosz (G) eine Abkehr von der Parteipolitik bei der Entscheidung über die Person des Generaldirektors. Wendelin Mölzer (F) stellte die ORF-Gebühren in Frage und war einer Meinung mit seiner Fraktionskollegin Dagmar Belakowitsch-Jenewein in der Einschätzung, dass die Anstalt ihrem öffentlich-rechtlichem Auftrag nicht mehr nachkommt. Im Visier der Kritik hatten die beiden FPÖ-Abgeordneten dabei vor allem die Objektivität, aber auch Versäumnisse bei der Übertragung von Kultur- und Sportereignissen. Anders sah dies Elisabeth Hakel (S) die Alexander Wrabetz bescheinigte, gerade im Kultur- und Bildungsbereich den öffentlichen Auftrag erfüllt zu haben. So würden österreichische Musik und heimische Filmproduktionen im ORF breiten Raum erhalten.

Besetzung von Spitzenfunktionen: NEOS pochen auf Transparenz

Namens der NEOS untermauerte Nikolaus Scherak einmal mehr die Forderung seiner Fraktion nach einem transparenten und objektiven Bestellmechanismus, dies etwa auch bei den RichterInnen des Verfassungsgerichtshof oder hinsichtlich der Nominierung von Regierungsmitgliedern. SPÖ und ÖVP warf Scherak vor, nicht die Besten, sondern die für ihre Partei Richtigen in die Ämter zu holen. Claudia Gamon (N) erwartet sich nun von einem öffentlichen Hearing grundsätzlich ein Umdenken im Prozess der Postenbesetzung. Angela Lueger (S) wandte auf den ORF angesprochen ein, gerade in der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt herrsche volle Transparenz, die Unabhängigkeit sei gesetzlich abgesichert, die Stiftungsräte würden über die nötigen fachlichen Qualifikationen verfügen. Nach Ansicht von ÖVP-Mandatarin Angelika Winzig wiederum könne ein Hearing nur eine erste Stufe in einem Auswahlverfahren, nicht aber ein Allheilmittel sein. Die Stiftungsräte beim ORF hätten in der Vergangenheit jedenfalls bewiesen, dass sie hochwertige Arbeit leisten. (Fortsetzung Nationalrat) fru/hof