Parlamentskorrespondenz Nr. 686 vom 16.06.2016

Nationalrat beschließt erstes Paket zur Bildungsreform

Bildungsministerin Hammerschmid will mit Schulrechtsnovelle mehr Chancengerechtigkeit erreichen

Wien (PK) - Das erste Gesetzespaket zur Bildungsreform hat heute den Nationalrat mit Zustimmung der Mehrheit verlassen, nachdem FPÖ  und Grüne zu einzelnen Teilen eine getrennte Abstimmung verlangt hatten. Zentrale Punkte in dieser Novelle zum Schulrecht sind die Neugestaltung der Schuleingangsphase und die Ausweitung der Sprachförderung ab dem letzten Kindergartenjahr. Mehr Autonomie erhalten Volksschulen bei der Leistungsbeurteilung - diese kann bis zur dritten Schulstufe ohne Ziffernnoten erfolgen – und bei der Schaffung von schulstufenübergreifenden Klassen. Um den Eltern mehr Freiheit bei der Wahl der Volksschule für ihre Kinder zu geben, wird den Bundesländern größtmögliche Flexibilität bei der Sprengelverwaltung eingeräumt.

Das Projekt "Oberstufe Neu" kann statt wie ursprünglich geplant 2017/18 bei Bedarf um zwei Jahre später beginnen. Dadurch erhalten die allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) und berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) mehr Zeit für die Umstellung des Unterrichts in Kompetenzmodule ab der 10. Schulstufe. Berufsorientierung wird als fixer Bestandteil der Sekundarstufe gesetzlich festgeschrieben, je nach Schultyp als Pflichtpraktikum oder im Rahmen fünf unterrichtsfreier Tage. Der Einsatz von Lehrbeauftragten zur Vermittlung von Praxiswissen an BMHS wird auch erleichtert.

Auf Antrag des Unterrichtsausschusses wurde der Regierungsvorschlag unter anderem mit Bestimmungen zur schulischen Sprachförderung ergänzt, die nun auch an Berufsschulen Einzug hält. Einstimmig folgte das Plenum überdies der Ausschussempfehlung, das höhere landwirtschaftliche Schulwesen Westösterreichs mit einer eigenen Bundeslehr- und Forschungsanstalt in Tirol zu stärken.

Oppositionsforderungen mitbedacht

Auch Forderungen der Opposition fanden zumindest teilweise Eingang in den abgeänderten Gesetzestext, etwa die FPÖ-Initiative zur Erleichterung des Überspringens von Klassen, indem die Schulleitung anstatt der Schulbehörde darüber entscheidet. Mehr Flexibilität wollen die Freiheitlichen auch beim Schuleintritt von zu früh geborenen Kindern erreichen; aufgrund dieser Initiative gab das Plenum der Regierung den Auftrag, die Möglichkeit eines späteren Schulantritts von "Frühchen" zu prüfen, was die Freiheitlichen allerdings nicht gänzlich zufriedenstellte.

In gemeinsamen Anträgen einhellig befürwortet wurden überdies Vorschläge von Grünen und NEOS, weitere Stakeholder, konkret Volksgruppen und Schulpartner, in die Verhandlungen zur Bildungsreform einzubinden.

Ein zusätzlich während der Plenardebatte eingebrachter Antrag der NEOS mit Verbesserungsvorschlägen für den Unterricht erhielt keine Mehrheit, anders als ein Abänderungsantrag von SPÖ und ÖVP zur Schulrechtsnovelle. Damit ist ab 2018 eine schulautonome Vorziehung von Teilprüfungen der Matura an allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) sowie berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) erlaubt. Die Entscheidung darüber erfolgt durch die Schulleitung, nach Rücksprache mit dem Schulgemeinschaftsausschuss.

Hammerschmid: Schulrechtspaket unterstützt Chancengleichheit

"Ich möchte in einem Land leben, in dem alle Kinder die gleiche Chance auf Bildung haben", wiederholte Bildungsministerin Sonja Hammerschmid einmal mehr die Zielsetzung ihrer Politik. Das vorliegende Schulrechtspaket adressiere Chancengleichheit ganz zentral, befand sie zufrieden und dankte ausdrücklich ihrer Vorgängerin Gabriele Heinisch-Hosek, den Weg dafür bereitet zu haben. Sprachförderung hebt Hammerschmid bei der Schulrechtsreform als wichtigstes Element hervor: Die Förderung müsse unbedingt bei den Jüngsten beginnen, um mit Bedacht auf Talente und Schwächen der Kinder den Übertritt vom Kindergarten in die Schule zu erleichtern. Überhaupt sei ohne ausreichende Sprachkenntnisse eine erfolgreiche Bildungslaufbahn nicht möglich; deswegen habe man die Planstellen für Sprachförderkurse verdoppelt. Optimierungsschritte in Sachen Schulautonomie sind für die Ministerin beispielsweise nun geschaffene Möglichkeiten zum klassenübergreifenden Unterricht sowie die Option der alternativen Leistungsbeurteilung an Volksschulen. Mit der Autonomieausweitung erhalten die Lehrkräfte mehr Spielraum zur bestmöglichen Unterstützung ihrer SchülerInnen, so Hammerschmid.

Lob für Förderung von Sprache bis Berufsorientierung

Die Bildungssprecherinnen der Regierungfraktionen, Elisabeth Grossmann (S) und Brigitte Jank (V), trugen die positive Einschätzung Hammerschmids vollinhaltlich mit. Grossmann hob vor allem hervor, durch das Schulrechtsänderungsgesetz beginne die individuelle Förderung schon bei den Jüngsten im Kindergarten, um ihnen die Zäsur beim Übertritt in die Schule zu ersparen. Besonders die Sprachförderung erhalte mehr Gewicht, auch in weiterführenden Schulen und in Berufsschulen. In Sprachstartgruppen werde auf den Regelunterricht vorbereitet, jedoch immer mit Anbindung an die Klassengemeinschaft, um das soziale Lernen nicht hintanzustellen. Für Jank hat neben der Sprachförderung, die aufgrund der Zunahme zugewanderter SchülerInnen immer mehr an Bedeutung gewinne, die Stärkung der Schulautonomie höchste Priorität in diesem ersten Teil der Bildungsreform, weil damit mehr Verantwortung den Standorten übertragen werde. Als Beispiele dafür nannte sie unter anderem den frei wählbaren Beginn der Oberstufe neu oder die Schaffung schulstufenübergreifender Klassen, sie räumte aber ein, gerade in finanzieller Hinsicht gebe es noch Nachschärfungsbedarf. Bedeutend wertet sie auch die Berufsorientiertung für alle SchülerInnen ab der 8. Schulstufe.

Erste Schritte zur Bildungsreform für Grüne und NEOS zu zaghaft

Insgesamt war die Stimmung im Plenum heute etwas weniger geladen als zuletzt, wenn Bildungsthemen zur Debatte standen. Die Oppositionsparteien fanden durchaus positive Worte zur Schulrechtnovelle, wenn auch die Kritik nicht ausblieb. So zeigten sich die Bildungssprecher Harald Walser (G) und Matthias Strolz (N) zuversichtlich, dass die Arbeiten an einer zeitgemäße Bildungspolitik endlich begonnen werden – wenn auch viel zu spät, wie sie beanstandeten. Immerhin würden wichtige Punkte im Reformprogramm – intensive Sprachförderung und erweiterte Autonomie der Schulstandorte – mit der Novelle angegangen. Für eine echte Schulautonomie forderte Strolz ungeachtet dessen noch weitergehende Bewegung. Dementsprechend zielte sein Antrag auf eine selbständige Finanzverwaltung Neuer Mittelschulen im Rahmen eines Qualitätsbudgets ab: Die für Team-Teaching im Ausmaß von sechs Wochenstunden vorgesehenen 175 Mio. € jährlich pro Schule sollten auch anders nutzbar werden.

Als Sammelsurium bezeichnete Walser das Gesetzespaket, das für ihn lediglich ein "Schrittchen" in der Bildungsreform darstellt – dennoch gingen viele der Bestimmungen in die richtige Richtung, speziell bei der Sprachförderung, wenn er auch deren zeitliche Befristung verurteilte. Nötig wäre außerdem, LehrerInnen in diesem Zusammenhang über integrative Förderung der außerordentlichen SchülerInnen im Klassenverband entscheiden zu lassen. Das schulautonome Opt-out von Ziffernnoten an den Volksschulen entspricht ebenfalls nicht völlig dem Wunsch der Grünen, die für eine generelle Abschaffung der Zahlenbenotung bis zur dritten Schulstufe eintreten.

Brennpunktschulen in sozioökonomisch schwachen Regionen, unzureichend muttersprachlicher Förderunterricht und das Fehlen einer "Mittleren Reife" –Prüfung zum Abschluss der Schulpflicht sind für NEOS-Klubobmann Strolz Beispiele dafür, dass die Bildungsreform, mit ihren "kolportierten sechs Paketen", zu schleppend vorangeht.

FPÖ und NEOS stellen aktuelle Bildungspolitik in Frage

Namens der Freiheitlichen schlug Gerald Hauser noch kritischere Töne zum neuen Schulrechtspaket an. Obwohl er die geplante Neugestaltung der Schuleingangsphase samt Sprachstartgruppen grundsätzlich positiv wertete, vermisst er für die tatsächliche Umsetzung eine genaue Definition im Gesetzestext. Speziell fraglich ist für ihn, welche Konsequenzen ein als unzureichend festgestellter Sprachstand bei SchulanfängerInnen haben soll. Überdies fehle im Gesetzesvorschlag die zentrale Fragestellung "Ist die Schule in der Lage, unseren Kindern Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen?". Notwendig ist daher aus Hausers Sicht eine Entrümpelung der Lehrpläne, denn derzeit würden unbenommen der hohen Kosten des Schulsystems über eine Million der PflichtschulabsolventInnen massive Mängel bei der Lese- und Schreibfähigkeit aufweisen und dadurch automatisch in die Arbeitslosigkeit abrutschen.

Als Wermutstropfen der letzten Unterrichtsausschusssitzung führte Hauser die erneute Vertagung eines von allen Oppositionsfraktionen unterstützten FPÖ-Antrags an. Inhalt dieser Forderung war, Wiederholungsprüfungen zur Matura schon vor der Sommerpause abzuhalten, da dies den SchülerInnen ihre weitere Planung erleichtere. Gesetzesänderung brauche es dafür keine, da im Schulunterrichtsgesetz ein Wiederholungstermin innerhalb der letzten neun oder zehn Wochen eines Schuljahres erlaubt sei. Von Ministerin Hammerschmid erwartet Hauser in diesem Zusammenhang einen kompletten Neustart, um schulpolitische Probleme zu lösen.

Team Stronach-Bildungssprecher Robert Lugar ließ generell kein gutes Haar an der heimischen Bildungspolitik. Unter anderem kritisierte er, die SchülerInnen würden zu 90% mit "unnötigem Wissen vollgestopft", wodurch man den Kindern den Spaß am Lernen nehme. Altmodische Methoden des Auswendiglernens hätten im digitalen Zeitalter keinen Platz mehr. Die Vermittlung der Basis für Problemlösungskompetenz– Lesen, Schreiben, Rechnen – gerate dabei ins Hintertreffen. Unter diesen Rahmenbedingungen sei eine umfassende Autonomie der Schulen nicht möglich, folgerte Lugar und schlug vor, kostenlose Privatschulen mit hochqualifizierten Lehrkräften zu ermöglichen. Im öffentlichen Bildungswesen blockiere die Lehrergewerkschaft zu sehr. Angesichts des bestehenden öffentlichen Schulsystems konnte Peter Wurm (F) die Forderung nach mehr Privatschulen nachvollziehen. Zwischen 20% und 25% Analphabeten sprächen Bände; die Wirtschaft klage schon lange über grundlegende Bildungsmängel bei Lehrlingen, durch die Zuwanderung werde diese Situation noch verstärkt.

SPÖ für Ganztagsschule, ÖVP für mehr Praxisorientierung

Diese Vorwürfe ließen die SozialdemokratInnen nicht unerwidert: Marianne Gusenbauer-Jäger wies Lugars Vorhaltungen gegenüber dem öffentlichen Schulwesen aufs Schärfste als haltlos zurück. Vielmehr, betonten Elmar Mayer, Daniela Holzinger-Vogtenhuber, Andrea Kuntzl und Erwin Preiner, beweise die Sammelnovelle den Willen der Politik, den Bildungsbereich zu modernisieren und zu verbessern; angefangen im Kindergarten, der – nach Worten von Holzinger-Vogtenhuber - ersten Bildungseinrichtung. Ein Hindernis zur effizienten Umsetzung elementarpädagogischer Fördermaßnahmen kann sich nach Einschätzung von Mayer allerdings aus der derzeitigen Kompetenzaufteilung im Bildungsbereich ergeben, wonach sich Kindergärten in der Zuständigkeit der Länder befinden. Den Ausbau der Ganztagsschulen werten Mayer und Kuntzl jedenfalls als entscheidend für die künftige Weiterentwicklung des Bildungswesens. Preiner begrüßte an der Gesetzesnovelle vor allem, dass unzählige Schulversuche damit obsolet würden.

Die Ausweitung der Schulautonomie und des Sprachunterrichts bilde die Grundlage für die Weiterentwicklung des Bildungswesens, bekräftigten die ÖVP-Mandatare Karlheinz Töchterle und Manfred Hofinger die Ausführungen der Bildungssprecherin Jank. Begrüßen würde Töchterle noch mehr Möglichkeiten zum Einsatz externer Lehrpersonen im fachlichen Unterricht. Er, bezog sich mit dieser Bemerkung auf eine Bestimmung, mit der an berufsbildenden Schulen Fachleute leichter für den Praxisunterricht herangezogen werden können. "Es gibt nur eines, was auf Dauer teurer ist als Bildung – keine Bildung", warnte Gertrude Aubauer (V) in Anlehnung an John F. Kennedy vor steigenden Arbeitslosenzahlen aufgrund fehlender Abschlüsse und Qualifikationen. Wie Eva-Maria Himmelbauer (V) regte Aubauer vor diesem Hintergrund an, besonders die Digitalisierung im Bildungsbereich noch mehr zu forcieren. Die Berufsorientierung im Rahmen von fünf unterrichtsfreien Tagen lobte Himmelbauer als wichtige Hilfestellung für junge Menschen, die ihren Fähigkeiten entsprechende Ausbildung zu finden. Franz-Joseph Huainigg (V) verlangte in der Debatte zur Zukunft des Schulwesens, Kinder mit Migrationshintergrund nicht länger wegen Sprachdefiziten vorschnell in Sonderschulen einzuschreiben und ihnen dadurch am weiteren Lebensweg Hürden in den Weg zu legen. Anhand seiner eigenen Erfahrungen trat er außerdem vehement für eine verstärkte Inklusion von SchülerInnen mit Behinderung im Regelunterricht ein.

Abgeordnete wollen Volksgruppen und Schulpartner in Bildungsreform einbinden

Die kommende Bildungsreform soll auf eine möglichst breite Basis gestellt werden. Einstimmigkeit herrschte über eine Initiative der Grünen auf Einbindung der Volksgruppen in die Verhandlungen, wobei Minderheitensprecher Wolfgang Zinggl (G) vor allem auch an die Sorgen der Volksgruppen erinnerte, bei der Bildungsreform nicht beachtet zu werden. Die SPÖ-Abgeordneten Elisabeth Grossmann und Franz Kirchgatterer unterstützten die Initiative, in der sie einen völkerrechtlichen Auftrag und auch einen Akt der politischen Vernunft sahen. Nikolaus Berlakovich (V) und Nikolaus Scherak (N) wiederum wiesen auf die zentrale Bedeutung der zweisprachigen Ausbildung und Betreuung für den Fortbestand der Volksgruppensprachen hin. 

Unumstritten ist für die Abgeordneten aller Fraktionen auch die Notwendigkeit der Teilnahme aller Schulpartner am Entscheidungsprozess in Sachen Bildungsreform. Den Anstoß gab hier ein entsprechender Antrag der NEOS, deren Klubobmann Matthias Strolz von der Prämisse ausgeht, dass sich ein erfolgreiches Bildungswesen nur gemeinsam mit den Betroffenen – SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern – bewerkstelligen lasse. Die von Strolz vorgeschlagene Kompetenzerweiterung für die Schulpartner fand auch viel Sympathie bei Katharina Kucharowits (S), die den Wert der Mitsprache insbesondere der SchülerInnen hervorhob und in diesem Zusammenhang eine Lanze für die Verankerung von Schülerparlamenten brach. "Wir nehmen das Thema Partizipation ernst", bekräftigte ihr Fraktionskollege Hermann Krist. Asdin El Habbassi (V) schloss sich dem Anliegen mit dem Wunsch an die Politik an, bei allen Bildungsreformen den Fokus auf die SchülerInnen zu legen. Wesentlicher Baustein dazu sei die Schulpartnerschaft. Grünen-Bildungssprecher Harald Walser mischte kritische Töne in seine Zustimmung und beanstandete vor allem, der Antrag sei zu allgemein gehalten.

Eine weitere (135.) Sitzung des Nationalrats diente formalen Zuweisungen und Mitteilungen gemäß der Geschäftsordnung des Nationalrats. (Schluss Nationalrat) rei/hof


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