Parlamentskorrespondenz Nr. 724 vom 23.06.2016

Rechnungshof hinterfragt Einrichtung der MedUni Linz

Komplizierte Finanzierungsstruktur, genereller Ärztemangel nicht feststellbar

Wien (PK) – Im Herbst 2014 haben die ersten 60 Studierenden ihr Medizinstudium an der neuen Medizinischen Fakultät Linz aufgenommen. Bis zum Studienjahr 2022/23 soll die Zahl der StudienanfängerInnen kontinuierlich auf 300 steigen. Ob es überhaupt sinnvoll war, einen fünften Standort für die medizinische Universitätsausbildung in Österreich einzurichten, ist allerdings fraglich. Zumindest wenn es nach dem Rechnungshof geht. Er hat die Planung der landläufig als MedUni Linz titulierten Fakultät penibel unter die Lupe genommen und dem Nationalrat dazu Ende vergangenen Jahres einen kritischen Prüfbericht vorgelegt. Heute stand dieser im Rechnungshofausschuss des Hohen Hauses zur Diskussion. Meinhard Lukas, Rektor der Johannes Kepler Universität Linz, ist jedoch überzeugt, dass die Entscheidung für den Standort Linz eine gute war.

In seinem Prüfbericht (III-222 d.B.) verweist der Rechnungshof unter anderem auf die komplizierte Finanzierungsstruktur, die sich daraus ergibt, dass grundsätzlich der Bund für die Finanzierung von Universitäten zuständig ist, im Falle der MedUni Linz aber sowohl das Land Oberösterreich als auch die oberösterreichischen Gemeinden Finanzierungsbeiträge leisten. Und das obwohl nur 58% der zugelassenen StudienanfängerInnen im ersten Studienjahr aus Oberösterreich stammten, wie im Prüfbericht angemerkt wird. Aufgaben-, Ausgaben- und Finanzierungsverantwortung klafften damit wieder einmal auseinander, die Anzahl der Finanzierungsströme zwischen Bund und Ländern sei weiter gewachsen. Auch die verpflichtende Kooperation zwischen der MedUni Linz und der Uni Graz ist für die PrüferInnen nicht nachvollziehbar.

Der Rechnungshof macht darüber hinaus darauf aufmerksam, dass Österreich im internationalen Vergleich eine Spitzenposition einnimmt, was die Zahl der graduierten MedizinerInnen und die Ärztedichte betrifft. Hingegen hinkt man beim Verhältnis zwischen ÄrztInnen und anderem Krankenhauspersonal deutlich hinterher. Nur in wenigen EU-Ländern gibt es weniger Krankenschwestern und Krankenpfleger im Vergleich zur Zahl der ÄrztInnen als in Österreich.

Zwar wandern überproportional viele in Österreich ausgebildete MedizinerInnen ins Ausland ab, aus einer vom Gesundheits- und vom Wissenschaftsministerium gemeinsam in Auftrag gegebenen Ärztebedarfsstudie lässt sich laut Rechnungshof die Gefahr eines Ärztemangels aber nicht zwingend herauslesen. Von den 42 Empfehlungen der Studie zur nachhaltigen Sicherung des österreichischen Gesundheitswesens betreffe jedenfalls keine die Errichtung einer weiteren medizinischen Universität oder Fakultät, heißt es im Bericht kritisch. Ganz abgesehen davon, dass eine Schaffung zusätzlicher 300 Studienanfängerplätze laut Rechnungshof auch durch den Ausbau der bestehenden Universitätsstandorte möglich gewesen wäre und das Projekt nicht in eine gesamthafte Bundesstrategie integriert war.

Die Kosten für die Errichtung der Universität Linz werden mit rund 630 Mio. € bis zum Jahr 2027 veranschlagt, wobei laut Rechnungshofbericht das Risiko einer Kostenüberschreitung zum Zeitpunkt der Gebarungsüberprüfung nicht ausgeschlossen war. Empfohlen wird dem Wissenschaftsministerium unter anderem eine Strategie zu entwickeln, um die Abwanderung von ÄrztInnen aus Österreich einzudämmen. Der Rechnungshof hält es außerdem für notwendig, auf die Einhaltung der Finanzierungsverpflichtungen seitens des Landes Oberösterreich zu achten und eine schriftliche Kostentragungsregelung zwischen der Medizinischen Universität Graz und der Universität Linz zu vereinbaren.

Grüne warnen vor "Verländerung" der Universitätspolitik

Der Kritik des Rechnungshofs schlossen sich heute auch Grüne, NEOS und das Team Stronach an. Es sei zwar vergossene Milch, über die MedUni Linz zu diskutieren, da die Fakultät bereits eingerichtet sei, meinte Sigrid Maurer (G), sie hofft aber, dass die Politik aus dem Bericht des Rechnungshofs Lehren für die Zukunft zieht. Es könne nicht sein, dass sich das Wissenschaftsministerium von einer Gesamtstrategie im Bereich der Hochschulpolitik verabschiede und nach und nach in allen Bundesländern eine medizinische Fakultät genehmige, warnte sie etwa vor einer "Verländerung" der Universitätspolitik. Maurer befürchtet außerdem, dass die Einrichtung zusätzlicher Studienplätze für MedizinerInnen die Position Österreichs gegenüber der EU-Kommission in Bezug auf die derzeit von der EU noch tolerierte Quotenregelung schwächen könnte.

Kritisch beurteilte Maurer außerdem Pläne zur Einrichtung einer medizinischen Privatuniversität in Innsbruck. Es brauche keinen Wildwuchs privater Universitäten in Österreich. 

Der Rechnungshof stelle "sehr schön dar", dass ein Ärztemangel in Österreich nicht belegbar sei, hielt Claudia Gamon (N) fest. Ihrer Meinung nach wäre es wichtiger, den Fokus darauf zu richten, StudienabsolventInnen im Land zu halten, statt neue Studienplätze für angehende Ärzte anzubieten. Auch Ausschussvorsitzende Gabriela Moser (G) hinterfragte, ob eine neue medizinische Fakultät die richtige Antwort auf den Umstand sei, dass 40% der AbsolventInnen des Medizinstudiums Österreich verlassen. Es gehe schließlich darum, Steuergeld effizient zu verwenden. Ebenfalls kritisch äußerte sich Abgeordnete Martina Schenk (T).

Anders sieht das SPÖ-Abgeordnete Andrea Gessl-Ranftl. Für sie hat die MedUni Linz jedenfalls ihre Berechtigung. In ländlichen Regionen bestehe akuter Ärztemangel bei der Grundversorgung, machte sie geltend. Darauf wies auch ihr Fraktionskollege Erwin Preiner hin. Wichtig ist es Gessl-Ranftl in diesem Sinn, oberösterreichischen Medizinstudierenden im Bundesland Arbeitsplätze zu sichern.

Müller: Medizinische Unis sind keine "Zulieferindustrie" für Spitäler

Rückendeckung erhielt der Rechnungshof vom Rektor der Medizinischen Universität Wien Markus Müller, der auch Präsidiumsmitglied der Österreichischen Universitätenkonferenz ist. Er sei grundsätzlich dafür, in Universitäten und in Bildung zu investieren, der Ansatz noch mehr Ausbildungsstätten für MedizinerInnen einzurichten sei aber der falsche, erklärte er. Damit würden bestehende Probleme nicht behoben, sondern verschärft. Zudem schade man damit der Wahrnehmung Österreichs als Forschungsstandort. Viel wichtiger wäre es seiner Meinung nach, sich die Frage zu stellen, warum es nicht gelinge, StudienabsolventInnen aus anderen EU-Ländern in Österreich zu halten.

    

Müller glaubt nicht, dass die Abwanderung vorrangig damit zu tun hat, dass die StudienabsolventInnen in ihr Heimatland zurückkehren wollten. Die MedizinerInnen gingen dorthin, wo es die besten Arbeitsbedingungen gebe, sagte er. In diesem Sinn hält er die Debatte über die Zahl der Studienplätze auch für eine Stellvertreterdiskussion für ganz andere Probleme. Man brauche attraktivere Rahmenbedingungen für ÄrztInnen. "Wir investieren Geld in falsche Kanäle."

Müller erinnerte in diesem Zusammenhang auch daran, dass man noch vor einigen Jahren vor einer Ärzteschwemme in Österreich gewarnt habe, obwohl es damals weitaus weniger StudienabsolventInnen in Österreich gegeben habe als jetzt. Das Problem sei jedenfalls nicht, dass hierzulande zu wenig ÄrztInnen ausgebildet würden. Österreich habe eine um 100% höhere Absolventenquote als Schweden und eine um 60% höhere Ärztedichte als die Niederlande, untermauerte er seine Ausführungen mit Zahlen.

Generell warnte Müller davor, die medizinischen Universitäten als "Zulieferindustrie" für die Spitäler zu betrachten. Im Vordergrund müsse die Forschung stehen. Aus diesem Grund äußerte er sich auch zur Einrichtung von Privatuniversitäten grundsätzlich kritisch. Besonders negativ beurteilte er dabei Franchising-Modelle wie in Deutschland, für ihn kommt eine forschungsfreie Medizinerausbildung nicht in Frage. Müller sieht in diesem Zusammenhang auch einen gewissen Nachschärfungsbedarf bei der Beurteilung der Forschungsleistung von Privatunis.

Nicht möglich wäre es laut Müller gewesen, als Alternative zur MedUni Linz die Zahl der Studienplätze an der Medizinischen Universität Wien zu erhöhen, wie er gegenüber ÖVP-Abgeordneter Claudia Durchschlag erklärte. Darunter hätte die Qualität der Ausbildung gelitten, ist er überzeugt. Laut Müller hat Wien derzeit eine nahezu 100-%ige Absolventenquote, während noch vor 15 Jahren mehr als 50 % der Studierenden das Medizinstudium abgebrochen haben.

Forschungsschwerpunkte Medizintechnik und Gesundheitsversorgung in Linz

Eine Lanze für die medizinische Fakultät in Linz brach der Rektor der Uni Linz, Meinhard Lukas. Man könne natürlich infrage stellen, ob eine zusätzliche Ausbildungsstätte für MedizinerInnen in Österreich notwendig gewesen wäre, meinte er, Linz sei aber ein guter Standort für ein entsprechendes Angebot. Schließlich habe man die medizinische Fakultät nicht nur zur Deckung des Ärztebedarfs eingerichtet, wesentliches Kriterium sei auch der Forschungsaspekt gewesen. Darauf wurde auch seitens des Wissenschaftsministeriums besonderer Wert gelegt.

Lukas hob in diesem Zusammenhang die enge Kooperation der medizinischen Fakultät mit anderen Fakultäten der Uni Linz hervor, wobei er als Forschungsschwerpunkte vor allem die Medizintechnik und die Versorgungsforschung nannte. Konkret verwies er etwa auf die Entwicklung einer künstlichen Netzhaut oder die Verwendung innovativer Kunststoffmaterialen zur Vermeidung von Abstoßreaktionen.

Die Kooperation mit der Universität Graz begründete Lukas damit, dass diese zwar Kapazitäten an der Universität selbst, aber keine Kapazitäten für die klinische Ausbildung gehabt habe, während das Kepler-Klinikum hier enorme Kapazitäten biete. Anders als die Oppositionsabgeordneten zeigte er sich außerdem zuversichtlich, dass es gelingen wird, die AbsolventInnen der Medizinischen Fakultät in Linz, vor allem jene aus Oberösterreich, im Bundesland zu halten. Als weiteren Vorteil hob er die klare Trennung der Finanzierungsströme für Lehre und Forschung auf der einen Seite und für die Gesundheitsversorgung auf der anderen Seite in Linz hervor. Allgemein wies er auf die Bedeutung von Pluralität in der Wissenschaftslandschaft hin.

Einig ist sich Lukas mit Müller, was die kritische Beurteilung der Einrichtung einer medizinischen Privatuni in Innsbruck betrifft. Er bezweifelt, dass die Finanzierung auch für die notwendige Forschungstätigkeit reichen wird.

Mahrer: Wissenschaftsressort hat wenig Einfluss auf Arbeitsbedingungen von Ärzten

Staatssekretär Harald Mahrer machte geltend, dass das Wissenschaftsministerium wenig Einfluss auf die Arbeitsbedingungen für ÄrztInnen in Österreich habe, etwa was Ausbildung und Weiterbildung in den Spitälern, die Bezahlung oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf betrifft. Er sieht in dieser Frage insbesondere die Träger der Krankenanstalten bzw. die zuständigen Stellen für Ärzte im niedergelassenen Bereich in der Verantwortung. Außerdem verwies er auf den internationalen Wettbewerb. Das Ministerium könne nur für ordnungspolitische Rahmenbedingungen im Bereich der universitären Ausbildung Sorge tragen. In diesem Sinn würden auch Gespräche mit der EU-Kommission geführt. Die Kosten für die MedUni Linz sind laut Mahrer in die mittelfristige Budgetplanung für die Universitäten "eingepreist".

Was die geplante medizinische Privatuniversität in Innsbruck betrifft, betonte Mahrer, dass das Ministerium in erster Linie die Einhaltung von Qualitätskriterien bei der Zulassung und im weiteren Betrieb zu prüfen habe. Dabei würde auch das Zusammenwirken von Lehre und Forschung berücksichtigt. Ansonsten müsse lediglich sichergestellt sei, dass die Finanzierung vollkommen autonom, also ohne den Bund als Finanzierungsquelle, erfolge. Sollten die Abgeordneten diese Systematik ändern wollen, wäre eine Novellierung des Privatuniversitätengesetzes erforderlich. Mahrer steht privaten Universitäten allerdings grundsätzlich nicht skeptisch gegenüber, diese würden auch den Wettbewerb beleben.

Für Grün-Abgeordnete Maurer ist es allerdings nicht schlüssig, dass das Finanzierungsverbot für Privatuniversitäten nur für den Bund gilt, nicht aber etwa für die Länder oder andere öffentliche Einrichtungen wie die österreichischen Universitäten. Schließlich gehe es in allen Fällen um Steuergeld. Derzeit werden ihr zufolge 10 von 12 Privatunis in Österreich mit öffentlichem Geld finanziert. Auch in Tirol sei eine Beteiligung der öffentlichen Hand vorgesehen.

Moser: Politik hat sich nicht an Entscheidungsgrundlagen orientiert

Rechnungshofpräsident Josef Moser bekräftige die im Prüfbericht geäußerte Kritik. Es sei das Recht der Politik Entscheidungen zu treffen, meinte er, man habe sich im Fall der MedUni Linz jedoch nicht an den vorhandenen Entscheidungsgrundlagen orientiert. So sei die neue medizinische Fakultät nicht in eine Gesamtstrategie eingebettet gewesen und habe sich auch im Hochschulplan nicht wiedergefunden.

Moser verwies überdies nochmals auf die im Bericht zitierte Ärztebedarfsstudie, die in keinem Punkt empfohlen habe, einen neuen medizinischen Ausbildungsstandort einzurichten. Vielmehr würden sich dort Empfehlungen wie die Steigerung der Attraktivität des Ärzteberufs, die Reduzierung der Verwaltungstätigkeit, eine ausbildungsgerechte Verwendung von JungärztInnen und der Abbau des Missverhältnisses zwischen Arbeitszeit und Gehalt finden. Die Investitionen in Österreich würden, so Moser, falsch getätigt: "Wir bilden mehr Ärzte in Österreich aus, obwohl wir wissen, dass viele Österreich verlassen." Moser machte überdies darauf aufmerksam, dass es in Deutschland – im Verhältnis zur Einwohnerzahl – weniger medizinische Universitäten als in Österreich gibt und dort eine Diskussion darüber laufe, die Zahl der Standorte zu reduzieren.

Die Beratungen wurden zur Behandlung weiterer Kapitel des Prüfberichts einstimmig vertagt. (Fortsetzung Rechnungshofausschuss) gs