Parlamentskorrespondenz Nr. 765 vom 29.06.2016

Gesundheitsausschuss beschließt neues Tuberkulosegesetz

Debatte über Landärztemangel, Harmonisierung der Leistungen und Kinder- und Jugendpsychiatrie

Wien (PK) – Auf einhellige Zustimmung stießen heute im Gesundheitsausschuss die Änderungen im Tuberkulose- und im Epidemiegesetz, die im Wesentlichen eine Kompetenzerweiterung der Bezirksverwaltungsbehörden sowie eine Meldepflicht für neue Infektionskrankheiten (z.B. Zika-Virus, Dengue-Fieber) beinhalteten. Auf der Grundlage von zahlreichen Oppositionsanträgen – die teils vertagt, teils abgelehnt wurden – befassten sich die Abgeordneten noch mit dem akuten Landärztemangel in Österreich sowie Problemen bei der psychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen. Eine intensive Debatte gab es über eine mögliche Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger, in deren Rahmen Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser betonte, dass die Weichen in Richtung einer schrittweisen Vereinheitlichung der Leistungen gestellt werden müssen.

Anpassung des Tuberkulosegesetzes und Meldepflicht für neue Infektionskrankheiten

Da das Tuberkulosegesetz im Wesentlichen aus dem Jahr 1968 stammt, war eine umfangreiche Novellierung (1187 d.B.) erforderlich, erläuterte Erwin Spindelberger (S). So mussten u.a. die Regelungen in Bezug auf die Anhaltung uneinsichtiger Tuberkulosekranker den aktuellen verfassungsrechtlichen Vorgaben und menschenrechtlichen Standards angepasst werden. Darüber hinaus werden Chikungunya-Fieber, Dengue-Fieber, Zika-Virus- und Hanta-Virus-Infektionen der Meldepflicht nach dem Epidemiegesetz unterworfen.

Vorgesehen ist nun auch eine explizite Meldepflicht der Labors an die jeweiligen Bezirksverwaltungsbehörden, falls ein Erreger nachgewiesen wird. Ausgedehnt werden überdies die Aufgaben der Bezirksverwaltungsbehörde, da sie die an Tuberkulose erkrankten Personen nicht nur über ihre Verhaltens- und Behandlungspflichten aufzuklären hat, sondern auch über die Rechtsfolgen bei Verletzung dieser Bestimmungen, nämlich die Möglichkeit der gerichtlichen Anhaltung. Dies gilt nunmehr auch für "krankheitsverdächtige Personen, die sich der endgültigen diagnostischen Abklärung entziehen". Entsteht durch das Verhalten dieses Personenkreises eine unmittelbare und akute Gefahr, so kann die Bezirksverwaltungsbehörde eine sofortige Einweisung in ein Krankenhaus erwirken. Ein im Laufe der Sitzung eingebrachter S-V-Abänderungsantrag sieht vor, dass bei Beiziehung von Organen der öffentlichen Sicherheit adäquate Schutzmaßnahmen von Seiten der Behörde zu treffen sind.

Generell ist die Bezirksverwaltungsbehörde von der Abklärung des Verdachts, der Ermittlung des persönlichen Umfelds der erkrankten Person und ihrer Kontaktpersonen (inklusive Infektionsdiagnostik und –propyhlaxe), der Überwachung der Durchführung der Therapie (inklusive Kontrollen in sechsmonatigen Abständen) bis hin zur Dokumentation aller Maßnahmen zuständig.

Im Sinne der Prävention sind LeiterInnen von Schulen, Kindergärten und sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen für Minderjährige verpflichtet, bei Verdacht auf Vorliegen einer Tuberkuloseerkrankung ein Attest durch einen Lungenfacharzt einzufordern. Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), die als nationale Referenzzentrale für Tuberkulose fungiert, hat jährlich einen Bericht über das Auftreten dieser Krankheit vorzulegen. Die WHO stellte klar fest, dass es entgegen der weit verbreiteten Auffassung keinen systematischen Zusammenhang zwischen Migration und der Einschleppung von Infektionskrankheiten gibt, ist den Erläuterungen zu entnehmen; dies werde auch durch die in Österreich vorliegenden Daten des vergangenen Jahres untermauert.

Abgeordneter Andreas Karlsböck (F) zeigte sich erfreut über die Regierungsvorlage, die schon seit längerem von seiner Fraktion gefordert wurde. Auch G-Mandatarin Eva Mückstein wertete die Änderungen als positiv. Ihrer Ansicht nach müsse man aber sehr genau darauf schauen, dass die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen geachtet werden. Zustimmung zu dem Entwurf kam weiters von Seiten der NEOS und des Team Stronach.

Die Regierungsvorlage wurde in der Fassung eines S-V-Abänderungsantrag einstimmig angenommen; die damit im Zusammenhang stehenden Anträge der Freiheitlichen, in denen eine Meldepflicht für Dengue-Fieber und für das Auftreten von Zika-Infektionen gefordert wurden, galten als miterledigt.

FPÖ-Förderprogramm zur Sicherstellung der ärztlichen Versorgung im ländlichen Bereich

Da die LandärztInnen unter sehr schwierigen Arbeitsbedingungen leiden - bis zu 70 Wochenarbeitsstunden, Bereitschaftsdienst jede zweite Nacht, tausende Straßenkilometer jährlich unterwegs – gebe es bereits große Probleme, NachfolgerInnen für die Ordinationen zu finden, zeigte FPÖ-Mandatarin Dagmar Belakowitsch-Jenewein in einem – mehrheitlich vertagten - Entschließungsantrag auf (414/A(E)).

Dringend notwendig sei nach Ansicht der Freiheitlichen die Umsetzung eines Maßnahmen- und Förderprogramms, um eine qualitativ hochwertige und flächendeckende medizinische Versorgung der österreichischen Bevölkerung im ländlichen Bereich auch in Zukunft sicherzustellen. Wichtige Eckpunkte eines solchen Konzepts wären auf jeden Fall die Verbesserung der Arbeitsbedingungen als auch der Einkommenssituation der ÄrztInnen.

Unterstützung für dieses Anliegen kam auch von den VertreterInnen der NEOS und der Grünen, die die Regierung endlich zum Handeln aufforderten. Als Bürgermeister sehe er die Probleme täglich vor Ort und er verstehe wirklich nicht, warum in dieser Frage so blockiert werde, beklagte FPÖ-Mandatar Erwin Angerer. Eva Mückstein wiederum gab zu bedenken, dass die vollständige Umsetzung des Primärversorgungskonzepts noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, dauern werde und daher keine Lösung für den akuten LändärztInnenmangel sei.

Heftige Debatte über grundlegende Reform des Sozialversicherungssystems

Mehrere Anträge der Freiheitlichen und der NEOS waren sodann Ausgangspunkt für eine generelle Debatte über die Reform des österreichischen Sozialversicherungssystems, wobei fast alle vertagt wurden. Die FPÖ drängte u.a. auf eine vollständige Harmonisierung, welche eine Zusammenführung aller Beitragsleistungen, Finanzierungs- und Steuerungsfunktionen in ein einziges System vorsieht (758/A(E)). Damit einhergehen müsse auch eine direkte Kontrolle durch die Pflichtversicherten mittels Ur-Wahlen der Kontroll- und Verwaltungsorgane. Eine weitere Forderung der FPÖ bezog sich auf die Durchführung einer Potentialanalyse in den Sozialversicherungen (875/A(E)). Es sollten endlich etwaige Kostendämpfungs- und Einsparungsmöglichkeiten insbesondere in den Bereichen Beschaffung und Verwaltung erhoben und Form einer Studie vorgelegt werden. Eine deutliche finanzielle Entlastung der Krankenkassen wäre z.B. durch die Aufnahme von Biosimilars in den Erstattungskodex (1469/A(E)) möglich, schlug Gerald Loacker (N) vor. Von der Opposition ins Treffen geführt wurde auch eine Aussage von Bundeskanzler Kern, der sich in einem Interview für eine Reduktion der Sozialversicherungen ausgesprochen hat.

Bundesministerin Sabine Oberhauser wiederholte ihren Standpunkt, wonach es in die Richtung "gleiche Beiträge für gleiche Leistungen" gehen müsse. Der Weg dorthin sei allerdings nicht leicht; derzeit versuche man im Rahmen des Finanzausgleichs Lösungen zu finden. Was die Frage der Biosimilars betrifft, so sei dies ein Thema bei den Verhandlungen mit der Pharmaindustrie.

SPÖ-Vertreter Erwin Spindelberger stellte klar, dass Bundeskanzler Kern nur gesagt habe, man solle prüfen, ob Effizienzsteigerungen bei den Sozialversicherungen möglich sind. Aus diesem Grund wurde auch eine Studie in Auftrag gegeben.

Die G-Abgeordneten Eva Mückstein und Karl Öllinger (G) hielten es für hochgradig ungerecht, dass die medizinische Versorgung und der Zugang zu therapeutischen Leistungen von der jeweiligen Krankenkasse abhänge. Es sei einfach eine Tatsache, dass viele Versicherte monatelang auf notwendige Behandlungen und Operationen warten müssen, während privilegierte Gruppen oder vor allem jene, die es sich leisten können, oft sofort einen Termin bekommen. Auch Fraktionskollegin Judith Schwentner forderte im Sinne von mehr Transparenz und Gerechtigkeit ein Sozialversicherungssystem für alle.

ÖVP-Mandatar Erwin Rasinger räumte ein, dass Reformschritte notwendig sind, konnte aber der Zusammenlegung auf ein "einziges Ding" nicht viel abgewinnen. Das Beispiel England, wo man dieses Konzept durch die Einführung des "National Health Service" verfolgt habe, zeige, dass dieser Weg nicht immer sinnvoll sei. Viele Fragen und Probleme, die es gibt, müssten z.B. zwischen den Kassen und den Ländern gelöst werden, und nicht von einer zentralen Stelle in Wien, argumentierte er.

Auch NEOS-Vertreter Gerald Loacker sprach sich für eine Zusammenlegung aller Krankenversicherungsträger aus. Als ersten wichtigen Schritt in diese Richtung regte er die Abschaffung der insgesamt 17 Krankenfürsorgeanstalten (KFA) an; deren Beamten und Bedienstete sollten in die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter übergeführt werden. – Dieser Antrag wurde abgelehnt, alle anderen wurden mit S-V-Mehrheit vertagt.

Abgelehnt wurde zudem noch ein Ansinnen des Team Stronach auf Zusammenführung der öffentlichen Spitäler zu einem  gemeinsamen österreichischen Krankenhausverbund (1655/A(E)). Ein Antrag der NEOS zum Thema "Open Data für das Gesundheitswesen" (949/A(E) wurde einstimmig vertagt.

Opposition übt Kritik am Mystery Shopping

Der Gesundheitssprecher der FPÖ, Andreas Karlsböck, ließ kein gutes Haar am so genannten "Mystery Shopping", weil es Krankenkassen erlaube, ohne Anfangsverdacht einen "Lockspitzel" zur Qualitätskontrolle von Kassenärzten in deren Ordinationen zu schicken (1663/A(E)). Dies sei ohne Zweifel verfassungswidrig, war er überzeugt. Außerdem würde dadurch das so wichtige Vertrauensverhältnis zwischen ÄrztInnen und PatientInnen aufs Spiel gesetzt. Ablehnung kam auch von Seiten der NEOS und der Grünen, die von einseitigen Maßnahmen und inakzeptablen Vorgangsweisen sprachen. - Der Antrag wurde mehrheitlich vertagt.

Grüne beklagen massive Versorgungslücken im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie

Zur Verbesserung der psychiatrischen Versorgung in Österreich, vor allem jener von Kinder und Jugendlichen, schlugen die Grünen ein Bündel an Maßnahmen vor. Abgeordnete Eva Mückstein gab zu bedenken, dass trotz anhaltender Kritik weiterhin Kinder und Jugendliche an psychiatrischen Abteilungen für Erwachsene aufgenommen werden (1628/A(E)). Auch die Volksanwaltschaft habe in ihrem jüngsten Bericht festgestellt, dass diese Vorgangsweise eine Verletzung präventiver, menschenrechtlicher und fachlicher Standards darstellt und beruft sich dabei auf eine Grundsatzentscheidung des OGH. Die Gesundheitssprecherin der Grünen gibt zu bedenken, dass die Konfrontation mit psychisch schwer erkrankten Erwachsenen von Kindern und Jugendlichen als sehr belastend erlebt wird. Eine ähnliche Problemlage orten die Grünen im ambulanten und teilstationären Bereich, wo es nach Ansicht der Antragstellerin nicht ausreichend Kapazitäten gibt (1640/A(E)). Mückstein macht darauf aufmerksam, dass Österreich – etwa im Vergleich zu Deutschland oder der Schweiz - einen extremen Mangel an Kinder- und JugendpsychiaterInnen aufweist - derzeit gebe es nur 191 FachärztInnen. Außerdem sei das Angebot in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich. – Beide Anträge wurden vertagt.

Abgelehnt wurden hingegen eine weitere Initiative der Grünen, in denen es um Mindestanforderungen für den Um- und Neubau von psychiatrischen Einrichtungen ging (1757/A(E)). Mückstein ersuchte in diesem Zusammenhang die Ministerin, in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und Krankenanstaltenträgern evidenzbasierte Planungsleitlinien für die psychiatrische Betreuung zu erarbeiten.

Keine Mehrheit fand auch der G-Antrag betreffend Einführung eines Zentralregisters für freiheitsbeschränkende Maßnahmen in der Psychiatrie (1756/A(E)). Mückstein zeigte auf, dass fixierte PatientInnen oft nicht kontinuierlich durch so genannte Sitzwachen des medizinischen Personals überwacht werden. Auch der Einsatz von Gangbetten und die Sichtbarkeit von Fixierungsmitteln durch Dritte stelle eine inakzeptable Praxis dar. Gefordert werde daher die Einrichtung eines Zentralregisters zur Erfassung freiheitsbeschränkender (auch medikamentöser) Maßnahmen, weil dies Voraussetzung und Bestandteil einer effektiven und systematischen Präventionsstrategie sei.

Grüne orten Missstände bei der Verabreichung von Psychopharmaka in Pflegeheimen

Auch auf Missstände im Bereich der medikamentösen Versorgung in Alten- und Pflegeheimen verwiesen die Grünen im Rahmen eines Entschließungsantrags (1231/A(E)). In einem Bericht der Volksanwaltschaft aus dem Jahr 2014 werde auf nicht nachvollziehbare Psychopharmakaverordnungen und –dosierungen hingewiesen, stellte Eva Mückstein (G) fest. Der unkritische Umgang mit Psychopharmaka habe gravierende negative gesundheitliche Folgen und schränke die Mobilität und Lebensqualität älterer Menschen deutlich ein. Ihr konkreter Forderungskatalog in diesem Bereich enthielt folgende Punkte: Verordnung von Psychopharmaka in Alten- und Pflegeheimen nur mit Einwilligung und nur bei Vorliegen einer entsprechenden Indikation; verpflichtende Dokumentation der Medikamentengabe sowie eine spezifische Ausbildung von ÄrztInnen und Pflegepersonal in diesem Bereich. Außerdem sollte die Gesundheit Österreich GmbH damit beauftragt werden, Modelle für die verpflichtende Zusammenarbeit aller involvierten Gesundheitsberufe sowie wissenschaftlich fundierte Leitlinien zur Verordnung von Psychopharmaka an geriatrische PatientInnen ausarbeiten.

Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig (S) war der Meinung, dass mittlerweile schon ein sehr großes Umdenken in den Einrichtungen stattgefunden habe; dies bestätigte auch der Bericht der Volksanwaltschaft. – Der G-Entschließungsantrag wurde schließlich mit S-V-Mehrheit vertagt. (Fortsetzung Gesundheitsausschuss) sue