Parlamentskorrespondenz Nr. 937 vom 14.09.2016

Enquete zu CETA und TTIP: Unterschiedliche Expertenmeinungen zur Freihandelspolitik

Ökonomische Effekte, ökologische Auswirkungen sowie soziale Kosten strittig

Wien (PK) – Die aktuelle Freihandelspolitik der Europäischen Union, die insbesondere durch die "neue Generation" von Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) zum Ausdruck kommt, stand sodann im Mittelpunkt von vier Referaten von Wirtschaftsexperten. Während Fritz Breuss (WIFO) die ökonomischen Effekte als gering einstufte, gab Verena Madner (Wirtschaftsuniversität Wien) zu bedenken, dass es im CETA-Vertrag zwar viele Ausnahmen gebe, die aber teilweise beschränkt sind und zudem zu Rechtsunsicherheiten führten. Außerdem werden den Schiedsgerichten nicht unbeträchtliche Spielräume ermöglicht. Bei CETA und TTIP gehe es nicht mehr um bloße Handelsverträge, sondern um sehr umfassende Regulierungsabkommen, erklärte Werner Reza (ÖFSE). Den zu erwartenden geringen Wachstumseffekten und Effizienzgewinnen stehen aber zum Teil negative Verteilungseffekte und ökologische Kosten gegenüber. Eine gemeinsame Handelspolitik mache die EU schlagkräftiger und glaubwürdiger in der Welt, meinte Jörg Wojahn von der EU-Vertretung in Wien, und davon profitieren vor allem exportorientierte Länder wie Österreich und insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen.

Breuss: "Viel Lärm um Nichts" bei CETA; TTIP ist wohl politisch tot

Globalisierung fördert Wachstum und Wohlfahrt, stellte Universitätsprofessor Fritz Breuss zu Beginn seiner Wortmeldung fest, allein zwischen 1990 und 2014 konnte Österreich das BIP pro Kopf um real 880 € pro Jahr steigern. Dass internationaler Handel auch einen wettbewerbsstimulierenden Effekt hat, beweise u.a. die Tatsache, dass Österreich durch die schrittweise Öffnung seiner Volkswirtschaft (Osteuropa 1989, EU-Mitgliedschaft 1995 plus EU-Osterweiterung) bis zuletzt profitiert habe. Sowohl CETA als auch TTIP stehen nun für eine neue Wirtschaftspolitik der EU, die auf einen umfassenden Abbau von Handelshemmnissen abzielt, erklärte der WIFO-Experte Fritz Breuss. Ähnliche Verträge habe man bereits mit Südkorea und Japan abgeschlossen bzw. verhandelt, die aber interessanterweise keinen Niederschlag in der öffentlichen Debatte gefunden hätte.

Seiner Einschätzung nach sei CETA grundsätzlich ein guter Vertrag, der (fast) alle gegenseitigen Wünsche berücksichtigt, aber aufgrund der geringen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Kanada und Österreich seien die ökonomischen Effekte mit der Lupe zu suchen. TTIP wiederum sei ein Abkommen zwischen den zwei größten globalen Handelsregionen und würde somit 54% des gesamten Welthandels umfassen. Da auf EU-Seite die höheren Schranken bestehen (sowohl in Bezug auf Zölle als auch bei nicht-tarifären Hemmnissen), werde die Union durch das Abkommen weniger profitieren als die USA. Politisch umstritten seien überdies die institutionellen Rahmenbedingungen (Streitbeilegungsverfahren, regulatorische Kooperation etc.), gab Breuss zu bedenken, außerdem stehe gerade die österreichische Bevölkerung dem Vertrag negativ gegenüber (70% Ablehnung). Möglicherweise sind die genannten Freihandelsabkommen zu ambitioniert angelegt, um auf ausreichend Akzeptanz in der Bevölkerung und in der Politik zu stoßen, urteilte er. Wenn man schon so komplexe Verträge haben will, dann hätte man auch das Wettbewerbsrecht inkludieren sollen, regte Breuss an, um einen unfairen Standortwettbewerb und somit Steuergeschenke für multinationale Konzernen vermeiden zu können. Mitdenken müsse man auch die Auswirkungen des Brexit, da Kanada und die USA sicher weniger Interesse an einem Abschluss der Verträge haben, wenn Großbritannien nicht mehr dabei ist.

Madner: Handelsabkommen werfen Fülle von rechtlichen Interpretationsfragen auf

Universitätsprofessorin Verena Madner (WU Wien) bezeichnete TTIP und CETA als ehrgeizige und weitreichende Abkommen, die vor allem in den Bereichen Daseinsvorsorge und Investitionsschutz die bisher ambitioniertesten Regelungen, die jemals von der EU ausverhandelt wurden, enthalten. Öffentliche Dienstleistungen nehmen eine besondere Rolle im europäischen Gesellschaftsmodell ein, ihr Stellenwert ist im EU-Primärrecht ausdrücklich verankert, betonte sie. Allerdings enthalte gerade der CETA-Vertrag, der in allen Details bereits vorliegt, eine Reihe von Ausnahmen, wie z.B. für die Abfallwirtschaft oder für öffentlich finanzierte Dienstleistungen in den Sektoren Gesundheit, Soziales und Bildung. Was auf den ersten Blick als ausreichender Gestaltungsspielraum aussieht, ergebe bei näherer Betrachtung ein etwas differenzierteres Bild. Einerseits sind nämlich die Ausnahmen in ihrer Reichweite beschränkt und andererseits bestehen Rechtsunsicherheiten, analysierte Madner. Im Besonderen hob sie hervor, dass Investoren auch im Bereich der Daseinsvorsorge auf Schadenersatz klagen können.

Außerdem zeigen die Erfahrungen in der Vergangenheit, dass die öffentlichen Interessen bei Schiedsgerichtsverfahren oft nicht angemessen berücksichtigt wurden. Offen sei ihrer Meinung auch, ob die CETA-Klarstellungen nicht umgangen werden können. Auch wenn einige Reformvorschläge auf dem Tisch liegen, wurde die entscheidende Grundsatzfrage nicht beantwortet, weshalb Sonderklagebefugnisse für ausländische Investoren ein notwendiges Rechtsschutzinstrument darstellen. Warum enthalte CETA zwar Verpflichtungen zur Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards, aber keine Klage- und Sanktionsmechanismen? Weshalb sieht der Vertrag explizit vor dass BürgerInnen und inländische Unternehmen sich vor Gerichten und Behörden nicht auf CETA berufen können? Generell müsse Europa aber klären, welche Werte es bei der Mitgestaltung der Globalisierung einbringen möchte. Dies sei in erster Linie eine politische und weniger eine rechtliche Entscheidung, so Madner.

Raza drängt auf eine nachhaltige Handelspolitik und warnt vor sozialen und ökologischen Kosten

Über die ökonomischen, ökologischen und sozialen Effekte von CETA und TTIP referierte Werner Raza von der Österreichischen Forschungsstiftung für internationale Entwicklung (ÖFSE). Er schickte seiner Wortmeldung voraus, dass es sich bei dieser neuen Generation an Handelsverträgen im Grunde um Regulierungsabkommen handelt. Das heißt, dass es dabei um die Angleichung, die Harmonisierung, die gegenseitige Anerkennung und Vereinfachung von innerstaatlichen Regeln geht. Was die Wachstumseffekte betrifft, so pflichtete er Breuss bei, dass diese zwar positiv sind, aber als klein bis sehr klein (zwischen 0 und etwas über 1%) eingestuft werden können. Der Hauptgrund dafür sei, dass die durchschnittlichen Zollsätze im bilateralen Handel ohnehin schon sehr niedrig sind. Auch der Abbau nicht-tarifärer Handelsbarrieren - also die Angleichung unterschiedlicher Standards in sehr vielen Bereichen – bringe nur geringe Effizienzgewinne. Schließlich ging Raza noch auf die möglichen Anpassungskosten am Arbeitsmarkt ein, wobei einige Sektoren verlieren und andere wieder profitieren werden. Eine aktuelle Studie der Kommission kommt zum Schluss, dass möglicherweise über 1 Million Jobs betroffen sein werden, was in Bezug auf TTIP hochgerechnet zu Kosten von etwa 24 Mrd. € führen wird (bei CETA 2, 4 Mrd. €). Daher müsse in diesem Bereich gegensteuern, forderte Raza, er bezweifle aber, dass der EU-Globalisierungsfonds dafür der geeignete Mechanismus sei. Weniger qualifizierte Arbeitskräfte müssten zudem mit geringen Reallohnverlusten rechnen. Bedauern äußerte Raza darüber, dass die ökologischen Aspekte in der Diskussion zu wenig Berücksichtigung finden, denn eine starke Ausweitung des Handels führe zu einem Anstieg der Emissionen insbesondere im Flug- und im Schiffverkehr.

Wojahn: Gemeinsame Handelspolitik sichert Wohlstand und Schlagkraft der EU in der Welt

Die Republik Österreich ist schon vor etlichen Jahren einem Freihandelsabkommen beigetreten, das "über TTIP und CETA unendlich weit hinausgeht" erinnerte Jörg Wojahn, der Vertreter der Europäischen Kommission in Wien, und bezog sich damit auf die EU-Mitgliedschaft. Die Debatten, die im Vorfeld des Beitritts stattgefunden haben, sind den heutigen, die über CETA und TTIP geführt werden, nicht unähnlich, meinte er. Auch damals war oft von Untergangsszenarien die Rede, die sich aber alle nicht bewahrheitet hätten. Da die WTO-Verhandlungen ins Stocken geraten sind, musste sich die EU andere Wege überlegen, um den Außenhandel, der zu mehr Wohlstand und einer Absicherung der Arbeitsplätze führt, voranzutreiben. Wojahn widersprach Aussagen, wonach CETA und TTIP nur den großen Staaten nütze. Es mache viel mehr Sinn, wenn alle EU-Mitgliedsstaaten gemeinsam an einem Strang ziehen; dies zeige etwa auch der Konflikt mit dem Apple-Konzern in Irland. Davon profitieren dann wieder die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in einem geschützten Rahmen ihre Produkte in andere Länder exportieren können, war Wojahn überzeugt.

Parlamentarier: Mehr Chancen für KMUs oder zu viele Nachteile für Umwelt, Soziales und Arbeitsmarkt?

In einer ersten Debattenrunde meldeten sich zahlreiche VertreterInnen der Parlamentsfraktionen zu Wort. SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder etwa bedauerte, dass im Fall von CETA dem Wunsch nach Einrichtung eines eigenen Handelsgerichtshofs nicht entsprochen wurde. Nachbesserungen wären zudem in Bezug auf den Schutz der Daseinsvorsorge notwendig. Wesentlich wichtiger als diese zwei Abkommen seien eine Regulierung der Finanzmärkte, europäische Wachstumsinitiativen oder ein Investitionspakt mit der USA als Antwort auf den Klimawandel.

ÖVP-Abgeordneter Peter Haubner bekannte sich dazu, den globalen Handel aktiv mitzugestalten und nicht nur zuzusehen. Gerade Österreich sei als kleines exportorientiertes Land davon abhängig, dass es Freihandelsabkommen gibt, die den Zutritt zu Märkten erleichtern und Rechtssicherheit schaffen. Jeder zweite Arbeitsplatz in Österreich sei direkt oder indirekt vom Export abhängig, stellte er mit Nachdruck fest.

Im Sinne der Generationengerechtigkeit müssten in der Frage des Freihandels, der Wohlstand schafft, nun die nächsten Schritte gesetzt werden, verlangte NEOS-Vertreterin Claudia Gamon. Auch sie sah bessere Chancen für kleinere und mittlere Unternehmen, wenn ein gemeinsamer Rechtsrahmen geschaffen wird, weil dann für alle freie und faire Marktbedingungen herrschen.

Natürlich sei Handel, den es schon seit der Steinzeit gibt, zu begrüßen, meinte Werner Kogler von den Grünen, die Frage sei nur, unter welchen Bedingungen er stattfindet. In der konkreten Diskussion gehe es vorrangig aber nicht um den Freihandel, sondern um Investitionen, Regulierungen und um die Standards. Was CETA betrifft, so stünden den ökonomischen Vorteilen in homöopathischen Dosen aber eine Perforierung des Vorsorgeprinzips gegenüber. Außerdem würde man auch eine Zweiklassenjustiz einführen, kritisierte Kogler. Er forderte daher den Kanzler auf, das Abkommen derzeit nicht zu unterzeichnen, um eine vorläufige Anwendung zu stoppen.

FPÖ-Mandatar Johannes Hübner sprach von einer Irreführung der europäischen Öffentlichkeit und befürchtete, dass nach dem Abschluss von TTIP die USA die EU noch viel stärker am Gängelband führen wird. Sie hätten dann nämlich legale Mittel in der Hand, um in interne demokratische Entscheidungen der Union einzugreifen bzw. Schadenersatzzahlungen in Milliardenhöhe einzuklagen.

Waltraud Dietrich vom Team Stronach hingegen machte sich große Sorgen um den Fortbestand der EU, da die EU-VertreterInnen die Sorgen der Bevölkerung nicht ernst nehmen und mit einer gewissen Arroganz Dinge von oben verordnen wollen. Wenn schon Handelsabkommen abgeschlossen werden, dann müssen die Partner auf Augenhöhe agieren und gleiche Standards gewährleistet werden, forderte sie. (Fortsetzung Enquete) sue

HINWEIS: Fotos von der Enquete finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos.