Parlamentskorrespondenz Nr. 970 vom 21.09.2016

Sicherung der EU-Außengrenzen: Doskozil ortet Versäumnisse auf EU-Ebene

Aktuelle Europastunde auf Verlangen des Team Stronach

Wien (PK) – "Hier ist ein Verzug auf EU-Ebene." Mit diesen Worten fasste in der heutigen Aktuellen Europastunde im Nationalrat Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil die EU-Politik in Sachen Flüchtlings- und Migrationspolitik zusammen. Konkret meinte er damit die Sicherung der Außengrenzen, notwendige Rückführungsabkommen, ein gemeinsames europäisches Asylverfahren und die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU. Doskozil hält es zudem für notwendig, an den EU-Außengrenzen eine gemischte polizeiliche und militärische Mission einzurichten. Aber auch in dieser Frage ist ihm das Tempo zu langsam. Die Grünen hegen dagegen verfassungsrechtliche Bedenken.

Der Verteidigungsminister traf diese Feststellungen im Rahmen der vom Team Stronach verlangten aktuellen Europastunde zum Thema "Schutz der österreichischen Grenzen, der EU-Außengrenzen und Sicherung von Schutzzonen – wie wird sich Österreich verhalten?"

Doskozil zeigte in diesem Zusammenhang auch Verständnis für die Haltung der Visegrad-Staaten, die das Vertrauen in die Handlungsoptionen der EU verloren hätten. Dieses Vertrauen werde man, so der Minister, nur dann zurückgewinnen können, wenn die EU Handlungsfähigkeit durch einen effektiven Schutz ihrer Außengrenzen und den Abschluss von Rückführungsabkommen unter Beweis stellt. Dann werde man mit diesen Ländern auch darüber diskutieren können, wie man zu einem gemeinsamen Asylverfahren kommt und wie man eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge umsetzen kann. Die Visegrad-Staaten haben den Lissabon-Vertrag unterschrieben und damit auch die Zusage zu solidarischem Handeln bekräftigt, merkte dazu die EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) an.

Der Minister unterstrich mehrmals, dass man das Thema europäisch betrachten müsse. Wenn aber zu wenig passiert, dann seien nationale Maßnahmen gefordert. Sein Ressort bekomme daher mehr Budgetmittel und mehr Personal und werde einer Strukturreform unterzogen. Österreich engagiere sich zudem auch im Mittelmeerraum und unterstütze Ungarn bei der Sicherung der Grenze zu Serbien. Österreich habe seine Hausaufgaben gemacht, betonte der Minister. Seine Zusammenarbeit mit dem Innenminister fand allgemeines Lob, auch seitens der Opposition.

Hart gingen in der Diskussion Europa-Abgeordneter Heinz Kurt Becker (V) und seine Kollegin vom Grünen-Klub Ulrike Lunacek mit den europäischen Regierungen ins Gericht. Die Sicherung der Außengrenzen sei nicht verwirklicht worden, weil die Regierungen der Mitgliedstaaten ihren Job nicht gemacht haben und die vielfältigen Vorstöße der EU-Kommission mit Hinweis auf staatliche Kompetenzen verhindert hätten. Auch bereits beschlossene Projekte seien nicht umgesetzt worden.

Diskussion über die Ausgestaltung einer gemeinsamen EU-Verteidigungspolitik

In der Frage der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) stellte Doskozil klar, dass sich Österreich nicht an einer europäischen Armee beteiligen und neutral bleiben werde. Man werde aber im Sinne der Bedeutung des Auslandsengagements bestmögliche Kooperationsvarianten finden, versicherte er. Das wiederum wollte der Freiheitliche EU-Abgeordnete Harald Vilimsky nicht zur Kenntnis nehmen und warnte vor einer EU-Armee, die völlig andere Interessen als Österreich verfolgen werde. Eine europäische Armee steht nicht auf der Tagesordnung, konterte daraufhin die EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek (G). Die FPÖ versuche Mythen zu schaffen und Märchen zu erzählen, weil sie darauf aus sei, aus der EU auszutreten und sie zu zerstören, kritisierte sie scharf die Aussagen Vilimskys. Dem widersprach wiederum der Freiheitliche Reinhard Eugen Bösch, indem er sagte, kein Freiheitlicher wolle aus der EU austreten, man verlange aber eine Reform der EU.

Grün-Abgeordneter Peter Pilz unterstützte grundsätzlich eine gemeinsame europäische Verteidigung, jedoch unter jenen Voraussetzungen wie sie die österreichische Neutralität vorsieht. So müsste auch auf europäischer Ebene die Nicht-Teilnahme an einem Krieg, das Verbot einem militärischen Bündnis beizutreten und fremde Gruppen auf europäischen Boden zu stationieren als Verfassungsprinzipien verankert werden.

Team Stronach: Migrantenströme sind von der EU aus wirtschaftlichen Gründen gewollt

Angestoßen wurde die Debatte vom Team Stronach, dessen Klubobmann Robert Lugar von einer Flüchtlingsbewegung "biblischen Ausmaßes" sprach. Dahinter vermutet er weniger die Krisenherde, vielmehr ortet er die Schuld dafür bei der EU, die der Bevölkerung nach seinen Worten einen "Schmäh" auftische, in Wahrheit aber aus wirtschaftlichen Gründen beschlossen habe, 17 Millionen Migrantinnen und Migranten nach Europa zu holen, um der Wirtschaft Arbeitskräfte zuzuführen. Man wisse derzeit nicht, wer kommt, und alle, die in Österreich landen, bleiben auch hier, weil man nicht darauf schaut und sie nicht zurück führen könne, so Lugar. Die wenigsten dieser Menschen hätten Anrecht auf einen Asylstatus, da die meisten WirtschaftsmigrantInnen seien. Kriegsflüchtlinge hätten nach der Genfer Konvention zudem kein Anrecht auf Asyl, sie müssten in ihren Nachbarländern Zuflucht finden, wo man sie auch unterstützen sollte. Lugar warnte vor allem vor einem allzu großen Zustrom von Muslimen, die Europa wieder in Besitz nehmen wollen, wie er meinte. Diese würden etwas ganz anderes wollen als das, "was wir lieb gewonnen haben".

Ins gleiche Horn stießen seine Klubkollegen Christoph Hagen und Martina Schenk. Sie vermissten Handlungsfähigkeit sowohl auf EU-Ebene, als auch innerhalb der österreichischen Bundesregierung. Beide sprachen sich für die Einrichtung von Schutzzonen und Wartecamps in Nordafrika aus und sehen vor allem den Außenminister gefordert, mit Ländern wie Afghanistan, Pakistan, Marokko und Nigeria Rücknahmeabkommen zu schließen.

FPÖ: Regierung betreibt Placebo-Politik

Von einer Politik der Placebos seitens der Bundesregierung sprach FPÖ-Abgeordneter Johannes Hübner. Konkret meinte er damit die verbale Bekräftigung, die EU-Außengrenzen schützen zu müssen, ohne tatsächlich etwas dafür zu tun. Auch FRONTEX habe dafür keinen Auftrag, sondern stelle lediglich eine "Schlepperhilfe-Organisation" und eine "kostenlose Transporthilfe in die EU" dar. Es fehle einfach der politische Wille, der Masseneinwanderung Einhalt zu gebieten und dafür brauche man ein Konzept. Derzeit bleibe Österreich nichts anderes übrig, als die eigenen Grenzen zu schützen.

Ebenso ortete Reinhard Eugen Bösch (F) einen Notstand und plädierte für eine Schließung der Grenzen, nachdem die EU versage. Harald Vilimsky warnte zudem davor, dass der Hauptstrom der MigrantInnen von Italien an die Brennergrenze geht und sprach sich für eine stärkere Unterstützung zum Schutz der Menschen in jenen Regionen aus, aus denen sie kommen. Bösch meinte auch, dass man jene Menschen zurückschicken müsse, bei denen der Asylgrund wegfällt. Lobende Worte fand er trotz aller freiheitlichen Kritik an der Bundesregierung für Verteidigungsminister Doskozil, der das Bundesheer darauf vorbereite, gemeinsam mit dem Innenminister die österreichischen Grenzen zu schützen.

SPÖ: Die vielfältigen Fluchtursachen bekämpfen

Während Freiheitliche und Team Stronach in erster Linie auf nationale Lösungen setzten, unterstrichen die RednerInnen von SPÖ, ÖVP, Grünen und NEOS die Notwendigkeit eines gemeinsamen solidarischen Vorgehens in Europa, wie dies Otto Pendl formulierte. "Wenn wir ein gemeinsames Europa wollen, dann müssen wir die nationalen Kompetenzen auf EU-Ebene bündeln", meinte dazu Hannes Weninger. Allgemein wurde jedoch eingeräumt, dass man bis zu einem gemeinsamen europäischen Vorgehen die eigenen Grenzen schützen müsse. Die EU-Abgeordnete der SPÖ, Karin Ingeborg Kadenbach, warnte vor einem Aufziehen von Binnengrenzen, denn ein Aussperren habe auch das Einsperren zu Folge, und das würde sich auf den Binnenmarkt und die Mobilität negativ auswirken.

Die Konstruktion der EU zur Zeit von Schengen sei aus heutiger Sicht politisch fahrlässig, gab Weninger zu bedenken, andererseits sei die aktuelle Situation nicht absehbar gewesen. Weninger verteidigte die EU-Institutionen und wies darauf hin, dass es die Mitgliedstaaten selbst seien, die effiziente Lösungen verhindern. Wenn einzelne Staaten keine Kompetenzen abgeben wollen, dann könne man dies nicht der EU vorwerfen, sagte er.

Weninger drängte sowie Pendl und Kadenbach darauf, dass die internationale Staatengemeinschaft für Frieden, soziale Lebensbedingungen und eine lebenswerte Umwelt sorgt, denn damit bekämpfe man auch die Fluchtursachen. In diesem Sinne setzte sich Pendl dafür ein, humanitäre Projekte in den Krisenregionen durchzusetzen und Kadenbach sprach sich für eine Entwicklungspolitik aus, die auch den Namen verdient. Sie befürwortete Schutzzonen in den Regionen und prangerte das Wegschauen vor kriegerischen Auseinandersetzungen an.  

ÖVP: Grenzen setzen und Sicherheit geben

"Grenzen setzen und Sicherheit geben", so sieht ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka die Aufgabenstellung. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker dies erkannt habe und man nun daran gehe, mit Hilfe der neu gegründeten Grenz- und Küstenwache die Außengrenzen zu schützen. Die Menschen dürften nicht mehr ans europäische Festland gelangen, sagte Lopatka, denn dann stehe ihnen der Weg nach Mittel- und Nordeuropa frei. Der EU-Abgeordnete der ÖVP Heinz Kurt Becker äußerte jedoch Zweifel, ob diese Grenzsicherungseinheit, wie sie derzeit konzipiert ist, auch ausreicht. Lopatka warnte auch davor, sich auf die Vereinbarung mit der Türkei zu verlassen und die EU-Außengrenzen zu vernachlässigen. Die EU dürfe sich nicht in die Hand eines anderen Staates begeben, meinte er.

Wie ÖVP-Abgeordneter Bernd Schönegger und EU-Parlamentarier Becker machte sich Lopatka für das von der ehemaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner initiierte Programm "Save Lives" stark, das die Betreuung und den Schutz der MigrantInnen in den nordafrikanischen Staaten vorsieht. Der mangelnde Schutz der EU-Außengrenzen stelle auch einen wesentlichen Grund für die existenzielle Krise der EU dar. Die daraus resultierende Wiedererrichtung nationaler Grenzen, hält Lopatka zwar für notwendig, aber nicht für wünschenswert. Die EU habe die Union ohne Binnengrenzen, aber mit Außengrenzen konzipiert, betonte Schönegger, der wie der Verteidigungsminister meinte, dass Österreich selbst auf gutem Weg sei. Schönegger spielte dabei auf die beschlossenen Obergrenzen und die Schließung der Balkan-Route an.

Grüne: Bundesheereinsatz an der Grenze ist verfassungswidrig

Das allgemeine Lob am Verteidigungsminister wurde von den Grünen nicht geteilt. Peter Pilz und EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek kritisierten vor allem den Einsatz des Militärs an den Außengrenzen als verfassungswidrig. Diese Aufgabe zu erfüllen, sei ausschließlich Sache der Polizei, meinten beide. Dem widersprach seitens der ÖVP Bernd Schönegger heftig.

Grenzsicherung könne auch nicht heißen, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen, stellte Pilz fest und sprach sich gemeinsam mit Tanja Windbüchler-Souschill für Hilfe vor Ort aus. Sie verurteilten scharf, dass das World Food Programm über viel zu wenig Mittel verfügt. Pilz warf in diesem Zusammenhang Außenminister Sebastian Kurz Doppelbödigkeit und Zynismus vor, da er fünf Millionen Euro für das Projekt versprochen habe, bislang aber kein Cent angekommen sei. Dem stellte Pilz die 21 Millionen Euro für das Enter-Kommando im Mittelmeer entgegen, wofür es seiner Meinung nach nicht einmal eine verfassungsrechtliche Grundlage gibt.

NEOS: Notwendig ist ein Mehr an Europa

Massiv auf mehr Europa setzen auch die NEOS. "Wir können nicht Grenzen im Inneren aufheben und die Außengrenzen nicht ernst nehmen", sagte Klubobmann Matthias Strolz. Das genau sei aber passiert, weshalb er Verständnis dafür zeigte, dass man mit einem nationalen Grenzschutz "zwischenpuffere", so abartig er das auch finde. Er verstehe nicht, warum die Regierung auf EU-Ebene nicht mit Nachdruck auf eine europäische Lösung drängt. Ihm zufolge könnte man es schon morgen schaffen, ausreichend Personal an die EU-Außengrenzen zu schicken. Strolz forderte in diesem Sinne neue Kooperationen und politische Antworten ein.

Sein Klubkollege Nikolaus Scherak hofft, dass die EU die gegenwärtige Krise als Chance nutzt und entschlossen vorgeht – bei der gemeinsamen europäischen Grenz- und Küstenwache, aber auch im Hinblick auf Sanktionen gegenüber jenen Staaten, die sich bei der Rückübernahme nicht kooperativ zeigen. Scherak trat auch dafür ein, gegen den Willen einiger Staaten Grenzschützer an die Außengrenzen zu schicken und Behörden die Möglichkeit zu geben, jene zurückzuschicken, die keinen Aufenthaltsstatus haben. Die Hilfe vor Ort und gemeinsame europäische Aufnahmezentren brauchen seiner Meinung nach ein Mehr an Europa.

Kritik an der EU auch von fraktionslosen Abgeordneten

In der Debatte meldeten sich auch die fraktionslosen Abgeordneten Marcus Franz, Gerhard Schmid und Susanne Winter zu Wort. Franz plädierte dafür, eine richtige Terminologie einzusetzen, denn 60% der Ankömmlinge seien WirtschaftsmigrantInnen und keine Flüchtlinge. Er forderte nationale Grenzschließungen mit rigoroser Kontrolle und sprach sich dafür aus, nur noch Christen aufzunehmen. Ähnlich wie Franz meinte Schmid, die Integration dürfe nicht auf Kosten der europäischen Kultur erfolgen. Grundsätzlich stellte er die Frage, wie lange sich Österreich noch eine solche EU leisten kann. Auch Susanne Winter kritisierte die mangelnde Handlungsfähigkeit der EU und meinte schließlich, bei den Kriegen im Namen des Terrors gehe es vielmehr um eine Geostrategie, um Macht, Rohstoffe und Geld. (Fortsetzung Nationalrat) jan