Parlamentskorrespondenz Nr. 1031 vom 05.10.2016

EU-Normierungsinitiative und Umsetzung der Binnenmarktagenda: Bundesrat hat Bedenken

EU-Ausschuss plant Mitteilungen an die Kommission

Wien (PK) – Die EU-Kommission macht Druck bei der Umsetzung der Binnenmarktstrategie. Durch eine Gemeinsame Normungsinitiative will sie einen weiteren Schritt zur Integration des Binnenmarkts setzen und legte zudem eine Mitteilung vor, in der sie eine Bestandsaufnahme zur Umsetzung der Binnenmarktagenda vorlegt. Im EU-Ausschuss des Bundesrats wurden zu beiden Materien Bedenken geäußert, weshalb man übereinkam, diese Themen nochmals auf die Tagesordnung zu setzen. So standen Befürchtungen im Raum, durch die Normungsinitiative könnten Qualitätsstandards gesenkt werden, auch wenn man den Vorstoß im Sinne gegenseitiger Anerkennung von Berufsausbildung für durchaus berechtigt einschätzt. Auch die Digitale Agenda im Bereich der Binnenmarktagenda werteten die LändervertreterInnen als einen wesentlichen Aspekt zur Schaffung von Arbeitsplätzen, man sieht aber durchaus auch Gefahren. Zu beiden Themenkomplexen plant der Ausschuss daher, jeweils eine Mitteilung zu verfassen.

Gemeinsame Normungsinitiative – Qualitätsstandards dürfen nicht gesenkt werden

In ihrer Mitteilung "Europäische Normen für das 21. Jahrhundert" unterstreicht die EU-Kommission die Bedeutung einheitlicher Normen für den Binnenmarkt. Sie seien innovationsfördernd, dienten der Gewährleitung eines Qualitäts- und Sicherheitsniveaus und würden Beschäftigung und Wachstum ankurbeln, so die Kommission. Durch Normen würde zudem die Fragmentierung des Binnenmarkts überwunden und daraus resultierende hohe Kosten vermieden. Eine einheitliche Normierungspolitik ist für die Kommission ein "Schlüsselfaktor für Europas Führungsposition". Besondere Priorität soll der Normierung im IKT-Bereich und bei den Dienstleitungen eingeräumt werden - und darin orten die Bundesrätinnen und Bundesräte sensible Punkte, die genauer unter die Lupe genommen werden sollen, vor allem im Hinblick auf die Gewährleistung hoher Standards.

Die Bedenken richteten sich in erster Linie gegen die Ausdehnung auf Dienstleistungen, wobei die Bereiche Gesundheitswesen, Berufsqualifikationen und Tourismus hervorgehoben wurden. Da Österreich – im Gegensatz zu anderen Ländern - die Normierung stark über die Qualifikation und Standards definiert, wurden im Ausschuss dahingehend Bedenken geäußert, dass dies nicht nur zu einer viel zu starken Regulierung führen könnte, sondern auch zu einer Unterschreitung geltender hoher Standards. In diesem Sinne äußerten sich die BundesrätInnen Edgar Mayer (V/V), Stefan Schennach (S/W), Ferdinand Tiefnig (V/O) und Monika Mühlwerth (F/W). Schennach sprach in diesem Zusammenhang - wie auch seine FraktionskollegInnen Ana Blatnik (S/K) und Michael Lindner (S/O) - die Berufsqualifikationen an, wobei er aber betonte, dass man für die Berufsanerkennung ein eigenes System brauche. Günther Novak (S/K) plädierte zudem dafür, Sensibilität in Bezug auf den Tourismusbereich walten zu lassen. Als einen zentralen Bereich bezeichnete Heidelinde Reiter (G/S) den Gesundheitsbereich, hier ortet sie Handlungsbedarf. Reiter stellte aber die Frage in den Raum, ob europäische Normen durch Freihandelsverträge "overruled" werden könnten. Mühlwerth äußerte grundsätzlich Bedenken gegenüber einer weiteren Regulierung.

Die Kommission sieht im Bereich der Normen deshalb Handlungsbedarf, da das Normungsumfeld im Wandel begriffen ist. Neue Technologien und die fortschreitende Integration digitaler Lösungen in globale industrielle Wertschöpfungsketten sowie der sich rasch weiterentwickelnde internationale Kontext übe Druck auf das bestehende und bisher gut funktionierende Europäische Normungssystem (ESS) aus. Deshalb kündigt die EU-Kommission in ihrer Binnenmarktstrategie an, eine "Gemeinsame Normungsinitiative" ins Leben rufen zu wollen. Das Ziel besteht darin, "eine europäische Normungsplattform mit globaler Wirkung voranzutreiben, in deren Rahmen Normen in einer zeitnahen, offenen, transparenten und integrativen Art und Weise entwickelt werden." Die Normungsinitiative wird durch zwei weitere Dokumente ergänzt: die im April 2016 angenommene Mitteilung der Europäischen Kommission mit dem Titel Schwerpunkte der IKT-Normung für den digitalen Binnenmarkt, die Teil des Pakets "Technologien des digitalen Binnenmarkts und Modernisierung der öffentlichen Dienste" ist, und ein spezifisches, zum vorliegenden Paket gehöriges Dokument über Dienstleistungsnormen.

Wie das Wirtschaftsministerium betont, hat die "Gemeinsame Normungsinitiative" den Status einer freiwilligen Selbstverpflichtung für maßgeblich Beteiligte. Es sei daher wichtig, dass man bei der Erarbeitung von Normen dabei sei, denn ein Veto gebe nicht. Eine europäische Rechtssetzung wird in der Mitteilung nicht angekündigt. Ziel ist es, dass das europäische Normungssystem zeitgerecht branchenübergreifende qualitativ hochwertige Normen liefert und dabei eine breite Einbindung von Stakeholdern erfolgt, heißt es im Papier der Kommission.

Kommission setzt mehrere Hebel an, um Wirtschaft anzukurbeln

Auch die zweite heute im EU-Ausschuss diskutierte Mitteilung der Kommission unter dem Titel "Umsetzung der Binnenmarktagenda für Arbeitsplätze, Wachstum und Investitionen" dient der Umsetzung der Binnenmarktagenda. Auf Basis einer Bestandsaufnahme hebt die Kommission darin jene Bereiche hervor, in denen strategische und politische Entscheidungen dringend erforderlich sind. Im Mittelpunkt stehen dabei die Binnenmarktstrategie, die Strategie für einen digitalen Binnenmarkt und der Aktionsplan zum Aufbau einer Kapitalmarktunion. Alle drei Strategien zielen darauf ab, Hindernisse (einschließlich neuer Hindernisse in der digitalen Wirtschaft) abzubauen und jede unnötige Fragmentierung zu vermeiden.

Laut der Frühjahrsprognose, so die Kommission, "bleibt Europa trotz des schwierigen globalen Umfelds auf Wachstumskurs. Die Beschäftigungsquote steigt – wenn auch immer noch zu langsam – und das gesamtstaatliche Defizit ist weiter rückläufig. Die Bedingungen für eine Belebung des Investitionsklimas haben sich weiter  verbessert". Wenngleich dies als ermutigende Anzeichen gewertet werden, drängt die EU-Kommission weiter auf eine optimale Umsetzung des Wirkungsdreiecks Strukturreform, verantwortungsvolle Finanzpolitik und Investitionen, um die wirtschaftliche Erholung zu unterstützen.

Die bisherigen Auswirkungen des "Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI)" – durch ihn sollen Investitionen in Höhe von mindestens 315 Mrd. € in drei Jahren mobilisiert werden – seien vielversprechend, betont die Kommission, die durch den EFSI generierten Gesamtinvestitionen belaufen sich bisher auf 100 Mrd. €. Mehr als 140.000 Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) und Unternehmen mit mittlerer Kapitalisierung sollen vom verbesserten Zugang zu Finanzmitteln aus dem Europäischen Investitionsfonds profitieren. Bislang werden bereits Projekte in 26 Mitgliedstaaten unterstützt und weitere sollen folgen. Es ist beabsichtigt, den Fonds über 2018 hinaus zu verlängern.

Finanzinstrumente würden aber nicht ausreichen, stellt die Kommission fest und plädiert einmal mehr dafür, in die Qualifikation der Bürgerinnen und Bürger zu investieren und Bürokratie abzubauen. Priorität räumt die Kommission zudem der Europäischen Energieunion, der geplanten Europäischen Kompetenzagenda, einer besseren Rechtsetzung und der Binnenmarktstrategie ein. Zur Förderung von Investitionen in die Gesamtwirtschaft soll auch die Kapitalmarktunion vorangetrieben werden. Ziel ist es, eine bessere Verbindung zwischen Sparvermögen und Investitionen herzustellen. In diesem Zusammenhang listet die Mitteilung zahlreiche anhängige Vorschläge auf, die dem EU-Parlament und dem Rat vorliegen. Dazu kommen Vorschläge, um die Herausforderungen durch den digitalen Wandel zu bewältigen sowie zum Abbau der Bürokratie für KonsumentInnen, Unternehmen und die öffentliche Verwaltung.

Ausschussvorsitzender Edgar Mayer (V/V) sowie Stefan Schennach (S/W) erinnerten an die Mitteilung des Bundesrats zum digitalen Binnenmarkt und die Subsidiaritätsrüge in Bezug auf den Onlinehandel. Man brauche den digitalen Binnenmarkt, um die Beschäftigung sicher zu stellen, bemerkte Schennach und bedauerte, dass der Motor derzeit stottere. Schennach sprach in diesem Zusammenhang von der Achillesferse der EU. Trotz der Bedeutung des digitalen Binnenmarkts will Schennach aber nicht die Sicht der Städte und Gemeinden außer Acht lassen, zumal durchaus die Gefahr von Geschäften entleerter Orte bestehe und man auch Vorsorge im Hinblick auf den Datenschutz treffen müsse.  (Fortsetzung EU-Ausschuss des Bundesrats) jan


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