Parlamentskorrespondenz Nr. 1122 vom 20.10.2016

Stöger appelliert an Koalitionspartner in Sachen Mindestsicherung

Sozialausschuss debattiert über Sozialhilfe, Arbeitsmarkt und Pensionen

Wien (PK) – Der nun wieder verstärkt ausgebrochene Koalitionszwist über die Neuregelung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung fand heute seine Fortsetzung auf parlamentarischer Ebene. Die derzeitige 15-a-Vereinbarung mit den Ländern, die in dieser Frage zuständig sind, läuft mit Jahresende aus. "Er habe sich maximal bewegt", um zu einer österreichweiten Lösung zu kommen, betonte Bundesminister Alois Stöger in der Sitzung des Sozialausschusses, leider gebe es aber noch keine Einigung mit dem Regierungspartner. Weitere Themen, die im Rahmen einer Aktuellen Aussprache diskutiert wurden, waren geplante Initiativen des Ressorts in den Bereichen Arbeitsmarkt sowie Pensionen.

Stöger: Umsetzung des oberösterreichischen Modells wäre ein Tabubruch

Sozialminister Alois Stöger sprach im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) von "einer ganz schwierigen Situation". Er habe sich bei vielen Punkten gesprächsbereit gezeigt, wie etwa bei der Frage der Deckelung der Sozialhilfe für arbeitslose VollbezieherInnen oder der Übernahme des Vorarlberger Modells, wo gewisse Integrationsleistungen gefordert werden. Da die Mindestsicherung aber das letzte soziale Netz ist, das Menschen in Österreich vor der Armut bewahrt, dürfe es bei gewissen Gruppen (AlleinerzieherInnen, Menschen mit Behinderungen, Kindern oder Personen, die nicht von ihrer Erwerbsarbeit leben können) keine Kürzungen geben. Sein Entwurf wäre sozial verträglich, definiere klare Pflichten und Spielregeln mit Sanktionen. Das in Oberösterreich bereits in Kraft befindliche Modell sei hingegen verfassungswidrig und einen solchen "Tabubruch" könne er als Ressortchef daher nicht mittragen. Stöger appellierte an die ÖVP, sich auf ihre christlich-sozialen Werte zu besinnen und kündigte gleichzeitig seine Bereitschaft für weitere Verhandlungen bis zum 31. Dezember an.

Was die Arbeitsmarktpolitik betrifft, so befinden sich einige wichtige Vorhaben auf Schiene, die noch heuer beschlossen werden können, führte Stöger weiter aus. Da Österreich derzeit einen Rekordwert bei der Beschäftigung aufweist, gleichzeitig aber immer mehr Menschen einen Job suchen, sollen zunächst einmal die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik im Jahr 2017 um 9% erhöht werden. Aufgestockt werde auch das Personal beim Arbeitsmarktservice (+ 400 Planstellen), um gute und kompetente Beratungsmaßnahmen anbieten zu können. Neben der Umsetzung der Ausbildungspflicht soll der Fokus auf jene unter 25-Jährigen gerichtet werden, die nur einen Pflichtschulabschluss haben. Im Mittelpunkt stehen dabei Qualifizierungsmaßnahmen sowie der Ausbau des Fachkräftestipendiums, um Menschen eine zweite berufliche Chance zu geben. Er würde sich auch ein so genanntes Integrationsjahr für Flüchtlinge wünschen.

Hinsichtlich der aktuellen legistischen Pläne für die Umsetzung der Ergebnisse des Pensionsgipfels wies Stöger u.a. auf die erhöhte Ausgleichszulage (Mindestpension von 1.000 € bei 30 Arbeitsjahren), die Forcierung beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen sowie Anreize zum längeren Arbeiten hin. Durch die bereits gesetzten Maßnahmen sei es u.a. gelungen, den Bundeszuschuss zu den Pensionen sowohl im Jahr 2016 (minus 357 Mio. €) als auch im Jahr 2017 (minus 600 Mio. €) zu unterschreiten. Darin noch nicht inkludiert ist der Beitrag für die Pensionen der Bank-Austria-MitarbeiterInnen, der den Zuschuss um weitere 730 Mio. € reduzieren würde, informierte Stöger. Diese Gelder sollen seiner Ansicht nach aber u.a. für wichtige Investitionen in den Kommunen verwendet werden, die aufgrund finanzieller Engpässe derzeit nicht finalisiert werden können.

ÖVP, FPÖ und Team Stronach für restriktivere Vorgangsweise bei der Mindestsicherung

ÖVP-Mandatar August Wöginger räumte ein, dass es beim Thema Mindestsicherung Bewegung auf beiden Seiten gegeben hat. In seiner Partei gebe es aber Konsens darüber, dass Menschen, die in den letzten fünf Jahren nicht in Österreich gelebt haben, eine niedrigere Summe erhalten sollen. Da man dabei nicht zwischen In- und AusländerInnen differenzieren würde, sei auch keine Verfassungswidrigkeit gegeben, hob der Redner hervor. Diese Linie werde übrigens auch von über 70% der Bevölkerung mitgetragen, wie erst kürzlich eine OGM-Umfrage belegt habe. Das Modell in Oberösterreich zeige zudem, dass niemand von Armut bedroht ist oder obdachlos wurde. Gleichzeitig brauche es auch noch Leistungsanreize, z.B. in Form eines Wiedereinsteigerbonus, um den Wechsel in das Arbeitsleben attraktiver zu machen, war Wöginger überzeugt.  

Herbert Kickl von der FPÖ ging noch einen Schritt weiter und forderte eine Differenzierung zwischen In- und AusländerInnen, da sonst das Sozialsystem kollabiere. Es sei aber schon "ein Wunder", dass die ÖVP nun Teile der freiheitlichen Positionen übernommen habe. Was die geplanten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen betrifft, so hegte er große Zweifel, dass damit das Ruder herumgerissen werde; dies habe man in den letzten Jahren schon zu oft gehört. Der Fleckerlteppich an einzelnen Maßnahmen gehe nämlich am Grundproblem vorbei; dieses könne nur durch eine sektorale Schließung des Arbeitsmarkts gelöst werden. Peter Wurm (F) beklagte vor allem, dass gerade in einer so wichtigen Frage wie der Mindestsicherung kein fundiertes Zahlenmaterial für ganz Österreich vorliege.

Waltraud Dietrich vom Team Stronach sprach sich auch für die Einführung einer Leistungskomponente bei der Mindestsicherung aus. Sie wies u.a. auf ein Urteil des EuGH hin, wonach EU-AusländerInnen erst nach fünf Jahren einen Zugang zu Sozialleistungen haben.

Karl Öllinger (G) gab gegenüber seiner Vorrednerin zu bedenken, dass dies bereits seit Jahren in Österreich so praktiziert werde. Dennoch mahnte er die Einhaltung der Verfassungsgrundsätze ein, die eine Ungleichbehandlung von InländerInnen und Flüchtlingen untersagen. Abgeordnete Birgt Schatz (G) begrüßte die Erhöhung der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik, die schon seit langem notwendig gewesen sei, und hob dabei insbesondere den Ausbau des Fachkräftestipendiums hervor.

NEOS-Vertreter Gerald Loacker kritisierte die seiner Ansicht nach weitere Privilegierung der Sozialversicherung der Bauern, die schon jetzt zu den höchst subventionierten gehöre. Außerdem forderte er eine Evaluierung der Qualifizierungsmaßnahmen des AMS, die offenbar ihre Ziele bis dato nicht erreicht haben.

Oppositionsinitiativen zu den Themen Mindestlohn, Pflegeurlaub und Kündigungsschutz

Nach der Aktuellen Aussprache setzte sich der Sozialausschuss mit einer Reihe von Oppositionsanträgen auseinander, wobei es in einem ersten Themenblock um arbeitsrechtliche Fragen wie Entlohnung, Pflegeurlaub und Kündigungsschutz ging. So pochen die Grünen weiter darauf, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Den NEOS geht es unter anderem um die arbeitsrechtliche Gleichstellung von ArbeiterInnen und Angestellten. Außerdem hat Gerald Loacker eine Änderung des Freiwilligengesetzes beantragt, um die berufliche Integration von Flüchtlingen zu forcieren; dieses Anliegen wurde als einziges von SPÖ und ÖVP abgelehnt, die restlichen Anträge wurden vertagt.

Geht es nach Grün-Abgeordneter Birgit Schatz, sollen ArbeitnehmerInnen für jede geleistete Arbeitsstunde zumindest zwei Drittel des Brutto-Medianstundeneinkommens aller Vollzeitbeschäftigten erhalten. Das würde gemäß den Erläuterungen ihres Antrags (1860/A(E) ) aktuell rund 9,50 € entsprechen. Auch ÖVP-Abgeordnete hätten sich schon mehrfach für einen Mindestlohn von monatlich 1.600 € brutto ausgesprochen, macht sie geltend. August Wöginger (V) und Markus Vogl (S) machten namens der Regierungsfraktionen klar, man erwarte eine sozialpartnerschaftliche Lösung, um existenzsichernde Minimumstandards bei der Entlohnung in allen Branchen einzuführen. Der Sozialdemokrat wandte sich in seiner Argumentation aber entschiedener gegen einen Mindestlohn in Österreich als sein Kollege von der Volkspartei.

Ein weiteres Anliegen sind den Grünen gesetzliche Änderungen bei der Pflegefreistellung (1494/A(E) ). Nach Meinung von Abgeordneter Judith Schwentner soll ein gemeinsamer Haushalt künftig keine Voraussetzung mehr für die Inanspruchnahme von Pflegeurlaub für nahe Angehörige sein. Damit würde man erwachsenen Kindern etwa die Möglichkeit geben, Mutter oder Vater nach einem Unfall oder einer Erkrankung kurzfristig zu versorgen, macht Schwentner geltend, womit sie bei der SPÖ offene Türen einrannte. Als vollständig auf einer Linie mit Schwentner in Sachen Pflegefreistellung bezeichnete beispielsweise Katharina Kucharowits ihre Haltung, sie wies allerdings auf die laufenden koalitionsinternen Gespräche hin, die Kucharowits zufolge auf einen diesbezüglichen Gesetzesentwurf abzielen.

Zum Themenbereich Kündigung lagen dem Ausschuss drei Anträge vor. So drängen die Grünen darauf, eine mindestens sechswöchige Kündigungsfrist für alle ArbeitnehmerInnen zu verankern (1668/A(E) ). Abgeordnete Schatz hält es für unzumutbar, dass bei ArbeiterInnen manchmal nicht einmal eine 14-tägige Kündigungsfrist eingehalten werden muss. Auch die NEOS sehen in diesem Bereich Änderungsbedarf, können sich aber kollektivvertragliche Ausnahmen von einheitlichen Kündigungsfristen und -terminen gemäß Angestelltengesetz vorstellen. Generell ist Abgeordnetem Gerald Loacker eine Angleichung der Rechtsstellung von ArbeiterInnen und Angestellten ein wichtiges Anliegen (713/A(E)). Schon damit durch die Aufhebung althergebrachter Standesunterschiede die Lehre attraktiver wird, so der NEOS-Sozialsprecher. Zumindest bei letzterem Vorstoß gab es von allen Fraktionen Beifall, wobei Herbert Kickl (F) meinte, der Einsatz gegen die ungleiche Kategorisierung in der Berufswelt habe ursprünglich bei den Freiheitlichen ihren Ausgang genommen. Rainer Wimmer (S) befand, einiges sei bereits zur Gleichstellung von Angestellten und ArbeiterInnen gelungen, die letzten Schritte würden gerade von den Sozialpartnern zurückgelegt, auch was den Kündigungsschutz betrifft. Zurückhaltend äußerte sich allerdings Erwin Spindlberger (S) zur von den NEOS verlangten Lockerung des erhöhten Kündigungsschutzes für ältere ArbeitnehmerInnen (1140/A ). Die erleichterte Kündigungsmöglichkeit bei Menschen mit Behinderung habe diesen nämlich kaum geholfen, einen Job zu finden. Nach Meinung Loackers soll der Kündigungsschutz nicht zum Tragen kommen, wenn ArbeitnehmerInnen zum Zeitpunkt ihrer Einstellung bereits älter als 50 Jahre waren. Loacker erwartet sich dadurch bessere Chancen für ältere Arbeitslose am Arbeitsmarkt.

NEOS blitzen mit Vorschlägen zu kommunaler Flüchtlingsintegration ab

Auf Basis eines Antrags der NEOS (1826/A(E) ) befasste sich der Ausschuss mit der Frage der beruflichen Integration von Flüchtlingen. Die NEOS halten wenig von der Forderung, anerkannte Flüchtlinge zwangsweise zu 1-Euro-Jobs zu verpflichten, und wollen stattdessen das Freiwilligengesetz adaptieren, um das eigens für Flüchtlinge konzipierte Freiwillige Integrationsjahr attraktiver zu machen. Unter anderem geht es Abgeordnetem Loacker darum, das mögliche Einsatzgebiet von Flüchtlingen auf kommunale Einrichtungen wie Bauhöfe auszudehnen sowie Deutschkurse und andere Angebote des AMS in die gesetzlich verankerte umfassende pädagogische Begleitung einzurechnen. Als finanziellen Anreiz für Flüchtlinge schlägt Loacker ein verpflichtendes Taschengeld vor, das nicht auf die Mindestsicherung anzurechnen ist, also eine Form von Bezahlung. Die Forderung nach integrativen Maßnahmen auf Gemeindeebne im Rahmen des Freiwilligengesetzes lehnten SPÖ und ÖVP aber mehrheitlich ab. Das NEOS-Konzept umfasse keine pädagogische und sozio-kulturelle Betreuung der Geflüchteten, wie Ulrike Königsberger-Ludwig (S) erklärte. Die bestehenden Möglichkeiten eines Integrationsjahres bei Organisationen wie Rotes Kreuz oder Samariterbund böten dagegen das optimale Integrationsumfeld. Wöginger (V) befürchtet zudem eine Überforderung der Kommunen bei zusätzlichen Integrationsagenden. Ein generell harsches Urteil über die Integrationspolitik der letzten Jahre fällte FPÖ-Mandatar Peter Wurm: Die Regierung stehe hier vor einem Scherbenhaufen, da 90% der Asylwerbenden und der Asylberechtigten MindestsicherungsbezieherInnen außerhalb des Arbeitsmarkts seien. (Fortsetzung Sozialausschuss) sue/rei