Parlamentskorrespondenz Nr. 1193 vom 10.11.2016

Novelle zum Apothekengesetz sichert bessere Versorgung

Nationalrat beschließt zudem einstimmig das Gewebesicherheitsgesetz

Wien (PK) – Wenn Behörden künftig die Neuansiedlung von Apotheken genehmigen, ist es nicht mehr zwingend erforderlich, eine Mindestgrenze von 5.500 zu versorgenden Personen einzuhalten. Vielmehr sei die optimale Verfügbarkeit von Arzneimitteln für die Bevölkerung das Hauptkriterium für die Erteilung einer Bewilligung, hält der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung fest. Zu berücksichtigen seien dabei besondere örtliche Verhältnisse wie wachsende Siedlungsgebiete oder stark frequentierte Verkehrsknotenpunkte. Diesem Urteil leistete der Nationalrat heute Folge und unterstützte einstimmig die Novellierung des Apothekengesetzes , dem ein gemeinsamer Antrag von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grünen zugrunde lag. Einstimmig angenommen wurde auch das Gewebesicherheitsgesetz, das eine europäische Harmonisierung in Sachen Rückverfolgbarkeit und Import von Gewebespenden bringt. Ein vom NEOS-Mandatar Gerald Loacker eingebrachter Entschließungsantrag, der u.a. erweiterte Öffnungszeiten für Apotheken von bis zu 72 Stunden in der Woche sowie Lockerungen bei der Zulassung von Filialapotheken vorsah, fand keine Mehrheit.

EuGH verlangt Einzelfallprüfung bei der Bewilligung von neuen Apotheken

Marianne Gusenbauer-Jäger (S) erläuterte den Hintergrund des vorliegenden Antrags. Obwohl Österreich bereits 2014 infolge eines EuGH-Urteils das Apothekengesetz anpassen musste, gingen den europäischen Richtern die Änderungen nicht weit genug. Da nach Auffassung des EuGH die Verbesserung der Arzneimittelversorgung im Vordergrund steht,  muss die Behörde in jedem einzelnen Fall prüfen, ob besondere örtliche Verhältnisse vorliegen bzw. ob eine rasche und zumutbare Erreichbarkeit von Apotheken gewährleistet ist. Dies sei etwa dann der Fall, wenn es sich um ein wachsendes Siedlungsgebiet handelt, wenn sich im näheren Umkreis größere medizinische Einrichtungen oder ein Krankenhaus mit mehreren Ambulatorien befindet oder wenn es um die Versorgung an bedeutenden und stark frequentierten Verkehrsknotenpunkten (Flughäfen oder Hauptbahnhöfen) geht. In diesen Fällen kann der vorgesehene Grenzwert von 5.500 zu versorgenden Personen unterschritten werden. Dadurch komme es vor allem zu einer besseren Versorgung des ländlichen Raums, war die Mandatarin überzeugt.

Diesen Aussagen schlossen sich auch die ÖVP-Abgeordneten Angela Fichtinger und Martina Diesner-Wais an. Man könnte sich noch die Ausarbeitung eines Kriterienkatalogs für die Bezirksbehörden überlegen, um für einheitliche Entscheidungen im Bundesgebiet zu sorgen, regte Diesner-Wais an. Ihr Fraktionskollege Erwin Rasinger (V) lobte grundsätzlich das österreichische Apothekensystem, das vor allem auf den hohen Ausbildungsstandards der Berufsgruppe basiere. Diese sollen auch weiterhin bestehen bleiben, unterstrich er, da "Medikamente keine Waschmittel sind".

Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) begrüßte die Änderungen, die ihrer Meinung nach zu einer besseren Versorgung im ländlichen Raum beitragen werden, hielt den grundsätzlichen Gebietsschutz für Apotheken aber für richtig. Eine totale Liberalisierung und Privatisierung im Gesundheitswesen sei der falsche Weg; dies belegten viele negative Beispiele in anderen Ländern.

Die Grünen werden der legistischen Reparatur des Apothekengesetzes zustimmen, erklärte Eva Mückstein (G). Ebenso wie ihre Vorrednerin hielt sie ein Plädoyer für den Erhalt des öffentlichen Gesundheitswesens; nicht alles sei tauglich, um am freien Markt gehandelt zu werden.

Auch Waltraud Dietrich vom Team Stronach sprach sich für die Novelle zum Apothekengesetz aus. Ein großes Anliegen war ihr die ausreichende Versorgung der ländlichen Bevölkerung mit praktischen ÄrztInnen, wo es derzeit Handlungsbedarf gebe. Ihre Partei schlägt zudem vor, dass Gemeinden eine Parteienstellung bei der Vergabe von Konzessionen für öffentliche Apotheken erhalten sollen.

Gerald Loacker (N) setzte sich im Rahmen eines Entschließungsantrags dafür ein, dass - ebenso wie im Handel -  Apotheken bis zu 72 Stunden in der Woche geöffnet haben dürfen. Außerdem forderte er gewisse Erleichterungen bei der Eröffnung von Filialapotheken "in wachsenden Stadtteilen".

Europäische Harmonisierung in Sachen Rückverfolgbarkeit und Import von Gewebespenden 

Auf einhellige Zustimmung stieß sodann die Änderung des Gewebesicherheitsgesetzes , das primär der Umsetzung von zwei EU-Richtlinien in innerstaatliches Recht dient. Einerseits geht es um die Kodierungsrichtlinie der EU, mit der ein verpflichtender Einheitlicher Europäischer Code ("Single European Code") geschaffen wird, um die Rückverfolgbarkeit von Spendern und Empfängern von Zellen und Gewebe, die zur Verwendung beim Menschen dienen, in allen EU-Mitgliedsstaaten zu erleichtern. Andererseits werden durch die Einfuhrrichtlinie detaillierte Verfahrensvorschriften für den Import menschlicher Gewebe und Zellen in die Union festgelegt. Damit zusammenhängend ist auch vorgesehen, dass Gewebebanken, die Einfuhren aus Drittstaaten tätigen, einer Bewilligung durch das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) bedürfen. Das BASG ist zudem verpflichtet, ein Register über sämtliche zertifizierten Entnahmeeinrichtungen und bewilligten Gewebebanken zu führen und dieses auf der Homepage zu veröffentlichen.

Erwin Rasinger (V) und Erwin Spindelberger (S) sprachen von einem sehr positiven Gesetzesbeschluss im Sinne der PatientInnensicherheit. Spindelberger wies noch darauf hin, dass die EU-Kommission eine öffentliche Kodierungsplattform einrichtet, wo alle sich in der EU in Verkehr befindlichen Arten von Gewebe und Gewebeprodukten registriert werden.

Auch FPÖ-Mandatar Andreas Karlsböck begrüßte die Vorlage und hob positiv hervor, dass die im Rahmen der Begutachtungsphase vorgebrachten Vorschläge weitgehend berücksichtigt wurden. Er nahm die Debatte über diesen Tagesordnungspunkt aber auch zum Anlass, um generell Kritik an der Gesundheitspolitik der Bundesregierung zu üben. Die seit langer Zeit bekannten Probleme, wie der eklatante ÄrztInnenmangel oder der Kollaps der gesundheitlichen Versorgung, würden seiner Ansicht nach nämlich ignoriert und keiner Lösung zugeführt. So werden etwa mehr als 60% aller KassenärztInnen in den nächsten zehn Jahren das Pensionsantrittsalter erreichen, zeigte Karlsböck auf. Gleichzeitig würden auf Kosten der heimischen SteuerzahlerInnen sehr viele MedizinstudentInnen aus den Nachbarländern ausgebildet, die gar nicht vorhaben, in Österreich zu arbeiten. Aus diesem Grund sollte man sich auf EU-Ebene für Ausgleichszahlungen einsetzen, forderte er. Aber auch zahlreiche zeitraubende bürokratische Hürden (wie z.B. ELGA) ließen viele JungmedizinerInnen davor zurückschrecken, eigene Praxen zu eröffnen.

Von Seiten der Grünen drückte Eva Mückstein ihre Zustimmung zum Gesetz aus, das zu einer weiteren Qualitätsverbesserung führen soll. Auch sie zeigte sich besorgt über einige Entwicklungen im Gesundheitswesen, wo es ihrer Ansicht nach dringenden Handlungsbedarf gebe. Als Beispiele nannte sie die Spezialambulanz für Tumororthopädie im AKH Wien, die nur mehr einmal in der Woche den österreichischen PatientInnen zur Verfügung steht. Dies führe teilweise zu Wartezeiten von bis zu sieben Stunden. Ähnliche Missstände bestehen bei den kassenfinanzierten MRT- und CT-Untersuchungen, wo man teilweise sechs Monate auf Termine warten muss, zeigte Mückstein auf. Zum wiederholten Male machte die Mandatarin auch auf die dramatische Unterversorgung im Bereich der Psychotherapie aufmerksam.

Beim Gewebesicherheitsgesetz stehe die Sicherheit der PatientInnen im Vordergrund, erklärte Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser, dennoch habe man versucht, alle unnötigen bürokratischen Barrieren abzubauen. Die von Abgeordneten angesprochenen Themen spiegeln die Zerrissenheit im österreichischen Gesundheitswesen wider, führte die Ressortchefin weiter aus. Dies reiche von der universitären Ausbildung der MedizinerInnen, für die der Wissenschaftsminister zuständig ist, bis hin zu den Wartezeiten für bestimmte Untersuchungen, die derzeit Verhandlungsgegenstand von Gesprächen zwischen Ärzte- und Wirtschaftskammer, Sozialversicherung sowie den niedergelassenen Instituten sind. Die Gesundheitsministerin habe dabei oft nur die Möglichkeit, alle an einen Tisch zu holen, in der Hoffnung, dass es zu einer Lösung kommt. Außerdem bemühe sie sich, Strukturen zu schaffen, die es ÄrztInnen erleichtern soll, im niedergelassenen Bereich zu arbeiten. Oberhauser appellierte diesbezüglich an alle InteressenvertreterInnen, machtpolitische Bestrebungen hintanzustellen und im Sinne der PatientInnen an konstruktiven Lösungen mitzuarbeiten. (Fortsetzung Nationalrat) sue

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