Parlamentskorrespondenz Nr. 1196 vom 10.11.2016

Nationalrat: Sozialthemen aus Oppositionssicht

Forderungen von Flüchtlingsintegration bis Arbeitsmarktsperre

Wien (PK) – Die Themen Sozialversicherung, Arbeitsmarktzugang, Bildungskarenz und die Integration von Flüchtlingen prägten heute im Nationalrat die sozialpolitische Debatte über Anträge von FPÖ und NEOS. Die Forderungen wurden wie schon im Sozialausschuss auch im Plenum von den meisten Abgeordneten abgelehnt.

Im Detail zielten die Oppositionsanträge auf Kostenwahrheit bzw. Einsparungen bei den Sozialversicherungsträgern ab; zudem pocht die FPÖ auf einen begrenzten Arbeitsmarktzugang für alle Nicht-ÖsterreicherInnen. Die NEOS wollen einen treffsichereren Einsatz der Bildungskarenz und regen an, das freiwillige Integrationsjahr für Flüchtlinge auf die Gemeindeebene auszudehnen. Großes Anliegen ist den Freiheitlichen schließlich die Personalpolitik des Arbeitsmarktservice (AMS), speziell die transparente Besetzung des Vorstands.

Sozialminister Alois Stöger verhehlte nicht die angespannte Situation am Arbeitsmarkt; neben dem Anstieg an Arbeitsplätzen erhöhe sich auch die Zahl der Arbeitssuchenden. Da Bildung und Qualifikation den besten Schutz vor Arbeitslosigkeit darstellten, habe man bereits das Fachkräftestipendium wiedereingeführt, die Ausbildungspflicht bis 18 beschlossen und die Möglichkeit der Bildungskarenz geschaffen. Zum Arbeitskräftezuzug aus dem Ausland richtete Stöger der FPÖ aus, dieser werde durch das Lohn- und Sozialdumpinggesetz stark reguliert. Anhand eines genauen Kontrollplans überprüften die Behörden, ob gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort gezahlt wird. Auf EU-Ebene müsse dieses Prinzip genauso durchgesetzt werden, unterstrich der Minister, auch gegen den Widerstand einzelner Länder aus Osteuropa.

FPÖ-Initiativen gegen Arbeitsmigration

Die Kosten der Zuwanderung will die FPÖ mittels Kassasturz in der Sozialversicherung herausfinden (1747/A(E)). Durchleuchtet werden sollen die jährlichen Transferzahlungen, die vom AMS bzw. aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung für EU-BürgerInnen, Drittstaatsangehörige, Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte an die Sozialversicherungsträger überwiesen werden. Für Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) ist Kostenwahrheit hoch an der Zeit, um herauszufinden, wie viel Geld eigentlich noch im System ist – gerade angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit, von der immer häufiger Personen mit Asylstatus betroffen seien. Kein gutes Haar an der Integrationspolitik der letzten Jahre ließ FPÖ-Mandatar Peter Wurm: Die Regierung verschweige offizielle Zahlen zu Arbeitsmarkt und Asylberechtigten, kritisierte er und folgerte aus Daten der Bundesländer, Österreich sei offensichtlich nicht im Stande, Zuwanderer in den heimischen Arbeitsmarkt zu integrieren.

Ausdrücklich gegen eine Aufschlüsselung der Bezugsberechtigten verwehrten sich die Grünen, bevor der Nationalrat mit breiter Mehrheit gegen den FPÖ-Antrag stimmte. Judith Schwentner (G) verwies darauf, dass Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung von den BezieherInnen vorab durch Einzahlungen erworben werden, also völlig berechtigt seien. Menschen würden mit solchen Ideen auseinanderdividiert, warnte sie. Die Freiheitlichen zögen schon seit jeher über MigrantInnen her, zeigte sich Karl Öllinger (G) erbost, die Aufnahme von Schutzsuchenden am Arbeitsmarkt scheitere vor allem an dieser Geisteshaltung.

Einmal mehr machte die FPÖ überdies Druck für Zugangsbeschränkungen zum österreichischen Arbeitsmarkt, auch für EU-BürgerInnen. Die Nationalstaaten bräuchten mehr Spielraum für spezifische Zugangsregeln bei der Arbeitsmigration, vor allem in wirtschaftlich schwierigen Phasen, so Herbert Kickl (F) in seinem Antrag (1742/A(E)). Gleichermaßen sollte die Entsendung von ArbeitnehmerInnen durch ausländische Unternehmen nach Meinung der FPÖ temporär begrenzt werden können, etwa im Baubereich oder im Bereich der Montagetechnik (1505/A(E)). Lohn- und Sozialdumping werde durch die Freizügigkeit in der Europäischen Union gefördert, ist Kickl überzeugt, und gehe zu Lasten der Österreichischen ArbeitnehmerInnen. Seine Parteikollegin Belakowitsch-Jenewein bekräftigte im Nationalrat, der heimische Arbeitsmarkt werde durch billige ausländische Arbeitskräfte überschwemmt. Das heimische Lohn- und Sozialdumpinggesetzt wirke überhaupt nicht, daher brauche man wieder Übergangsregelungen für den Arbeitsmarktzugang. Waltraud Dietrich (T) bestätigte diese Sichtweise und beklagte außerdem die Bürokratie, mit der österreichische Wirtschaftstreibende zu kämpfen hätten. Außer dem Team Stronach konnten die Freiheitlichen aber keine Fraktion überzeugen.

Europarechtswidrig nannte Johann Höfinger (V) den FPÖ-Antrag, Josef Schellhorn (N) verurteilte die Herangehensweise der FPÖ als Abschottungspolitik, die realitätsfern sei. Kaum ein österreichischer Betrieb komme ohne ausländische MitarbeiterInnen aus. Eine Schließung des Arbeitsmarktes nach außen hin und noch stärkere Kontrollen, nicht zuletzt in Tourismusbetrieben, stünden einer Arbeitsmarktbelebung in den Augen Gabriel Obernosterers (V) entgegen – eher müsse man dafür sorgen, dass Menschen offene Stellen in den Regionen annehmen und so den Bedarf abdecken. Walter Schopf (S) räumte allerdings ein, es gebe fraglos Schwierigkeiten wegen der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU. Anders als die FPÖ habe jedoch die Regierung als Lösungsansatz das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz auf den Weg gebracht; dieses Gesetz müsse nun ordentlich exekutiert werden, unter anderem durch eine personelle Aufstockung der Finanzpolizei als zuständiges Kontrollorgan. Anhand von Schaubildern präsentierte er exemplarisch einen Fall von osteuropäischen Waldarbeitern der österreichischen Bundesforste, die unter arbeitsrechtlich untragbaren Verhältnissen tätig sein mussten.

Für die gesetzliche Festlegung eines Mindestlohns warb Katharina Kucharowits (S) abseits der Debattengegenstände. Aktuelle Entwicklungen, die prekäre Beschäftigungsverhältnisse fördern und die Menschen in Österreich in die Armut treiben, müssten von der Politik unterbunden werden.

NEOS-Appell für zielgerichteten Einsatz des Sozialbudgets

Nicht treffsicher eingesetzt wird nach Meinung der NEOS die Bildungskarenz als Möglichkeit zur Höherqualifizierung von Personen, die besonders häufig von Arbeitslosigkeit betroffen sind. (1317/A(E)). Studien zufolge nehmen überproportional viele AkademikerInnen die Bildungskarenz in Anspruch, macht Sozialsprecher Gerald Loacker (N) in seinem Antrag darauf aufmerksam, dass ältere ArbeitnehmerInnen und bestimmte Branchen wie Handel oder Tourismus unterrepräsentiert sind. Markus Vogl (S) gab dem Antragsteller zwar Recht, vor allem Personen, die den Schritt in den Arbeitsmarkt bereits geschafft haben, würden die Bildungskarenz nutzen. Sich freiwillig zusätzliche Qualifikationen anzueignen und höhere Abschlüsse zu erwerben, müsse aber ausnahmslos unterstützt werden. August Wöginger (V) und Waltraud Dietrich (T) verwiesen genauso auf die Bedeutung lebenslangen Lernens für alle Bevölkerungsgruppen. Zwar hätten unqualifizierte Personen die schlechtesten Chancen am Arbeitsmarkt, führte Gertrude Aubauer (V) aus, dennoch wollte sie dem NEOS-Antrag nicht zustimmen. Eine Einschränkung der Bildungskarenz diskriminiere nämlich automatisch bestimmte Gruppen, etwa aus Altersgründen. Der Antrag wurde von der Plenumsmehrheit abgelehnt.

Ohne ausreichende Mehrheit blieb auch die NEOS-Forderung, die Sozialversicherungsträger sollten ihr Finanzvermögen nicht länger in beliebiger Höhe anhäufen können (1520/A(E)). Sozialsprecher Gerald Loacker (N) will eine gesetzliche Deckelung sicherstellen, auch eine Beitragssenkung kann er sich vorstellen. Derzeit seien die Strukturen ineffizient, da verschiedene Sozialversicherungsträger Hunderte von Millionen Euro bunkerten, sagte der NEOS-Mandatar. Auf den Plan riefen diese Feststellung Erwin Spindelberger (S), der betonte, das ASVG bzw. Regelungen des Hauptverbands beinhalteten klare Richtlinien zur Vermögensanlage durch Sozialversicherungen. Gegen eine Beitragskürzung spreche, dass etwa bei Grippewellen nicht mehr genug Mittel für eine optimale Versorgung vorhanden sind, wenn keine Rücklagen gebildet werden, bemerkte ÖVP-Mandatar Michael Hammer. Dennoch bekannten er sich wie Wöginger zu einer Effizienzsteigerung in diesem Bereich; so sollten Mehrfachversicherungen einzelner Personen abgeschafft werden. Dieser Vorschlag rief wiederum Christoph Hagen (T) zum Rednerpult, wo er erinnerte, er habe genau das schon mehrmals beantragt – leider ohne Erfolg. Johann Höfinger (V) nutzte die Gelegenheit, für eine Quartalserstattung der Sozialversicherungsbeiträge von bäuerlichen Betrieben eine Lanze zu brechen. Angesichts der Situation am Agrarmarkt würden LandwirtInnen sonst finanziell vor dem Aus stehen.

Über die Zusammenlegung der Krankenkassen machte sich aus gegebenem Anlass – Stichwort Krankenversicherung - Abgeordneter Marcus Franz (o.F.) Gedanken und empfahl eine sachliche Diskussion darüber. Leistungskürzungen zur Kostendämpfung seien aber nicht angeraten.

Ausweitung des Freiwilligengesetzes auf Gemeinden erhält Abfuhr

Ein Antrag der NEOS (1826/A(E)) veranlasste den Nationalrat dazu, über die berufliche Integration von anerkannten Flüchtlingen zu diskutieren, konkret über das neu geschaffene Freiwillige Integrationsjahr. Abgeordneter Loacker plädiert dafür, Asylberechtigte bei ihrer Freiwilligenarbeit auch in den Kommunen einsetzen zu können. Sie würden dadurch langfristig und nachhaltig in den Arbeitsmarkt integriert, ergänzte Nikolaus Scherak (N). Als finanziellen Anreiz schlägt Loacker ein verpflichtendes Taschengeld vor, das nicht auf die Mindestsicherung anzurechnen ist. Die Ablehnung dieses Vorstoßes argumentierten August Wöginger (V) mit der Überforderung von Kommunen, wenn sie zusätzliche Integrationsagenden erhalten. Die Gemeinden leisteten jetzt schon im Rahmen des Möglichen sehr gute Arbeit bei der Integration von Geflüchteten, dabei solle man es belassen. Johann Hell (S) bewertete ebenfalls die vorhandenen Rahmenbedingungen des Freiwillige Integrationsjahrs als ausreichend und wandte sich gegen eine Gesetzesänderung. Der fraktionslose Abgeordnete Gerhard Schmid meinte überhaupt, solange es nicht gelinge, inländischen Arbeitslosen Jobs zu verschaffen, sollten keine Fremden in den Arbeitsmarkt integriert werden.

AMS-Postenbesetzung wird von SPÖ verteidigt

Die bevorstehenden Neubesetzung des Zweier-Vorstands im Arbeitsmarktservice (AMS) ist der FPÖ ein Dorn im Auge. Die Freiheitlichen vermuten heimliche Absprachen im Vorfeld. Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein forderte Sozialminister Alois Stöger daher auf, seine Vorgaben an die Mitglieder der zuständigen Entscheidungsgremien, insbesondere des Verwaltungsrats, gegenüber den Abgeordneten offenzulegen (1743/A(E)). Immerhin sei der Verwaltungsrat politisch besetzt. Die Vorstandsmitglieder würden öffentlich ausgeschrieben und vom Verwaltungsrat ausschließlich aufgrund der fachlichen Eignung der BewerberInnen bestellt, skizzierte Dietmar Keck (S) das Prozedere bei AMS-Besetzungen, wodurch er die Anschuldigungen der FPÖ widerlegt sieht. Die Freiheitlichen würden mit ihrem Antrag einzig versuchen, den Minister anzuschwärzen. Auch außerhalb der SPÖ fand die FPÖ-Abgeordnete im Plenum nicht ausreichend UnterstützerInnen, der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. (Fortsetzung Nationalrat) rei


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