Parlamentskorrespondenz Nr. 1236 vom 16.11.2016

#DigitaleCourage: Es geht um alle Räume, auch außerhab des Netzes

ExpertInnen: Gefragt sind Social-Media-Plattformen, Politik und v.a. Gesellschaft; strengere Gesetze alleine helfen nicht

Wien (PK) – Die Trennung zwischen "online" und "offline" ist nicht mehr sinnvoll. Es geht um alle Räume, auch außerhalb des Netzes, so die Kernaussage im zweiten Teil der heutigen parlamentarischen Enquete #DigitaleCourage, in dem sich ExpertInnen aus Medien, Kommunikation und Psychologie dem Thema Hassbotschaften im Netz widmeten. Gefragt sei neben den Social-Media-Plattformen ein gemeinsames Handeln der Institutionen, vor allem aber der Gesellschaft selbst, indem sie ihre eigenen demokratischen Werte aktiv verteidigt. Was BürgerInnen dafür brauchen, seien Informations- und Beratungsstellen sowie das Wissen darüber, an wen sie sich im konkreten Fall wenden können. Für die ExpertInnen ist außerdem eines klar: Strengere Gesetze allein können das Problem nicht lösen.

Schubert: Probleme der Offline-Welt können online nicht gelöst werden

Österreichs ProviderInnen können Probleme der Offline-Welt, die online sichtbar werden, nicht alleine lösen, was es braucht, ist ein ganzheitlicherer Ansatz, sagte Maximilian Schubert, Generalsekretär von Internet Service Provider Austria (ISPA). Das Netzt sei an sich ein neutrales Medium, das von einer kleinen Gruppe von Menschen missbraucht werde. Dennoch stand für Schubert fest: "Das Internet ist eine einmalige Erfolgsgeschichte", Menschen, die gezielt Hass verbreiten, seien die Ausnahme.

Ansetzen würde Schubert bei der Bildung. Wichtig sei dabei, nicht nur bei jungen Menschen, in Kindergärten oder Schulen zu beginnen, Informationsarbeit müsse in der gesamten Gesellschaft passieren. Potential sieht er zudem in der Gegenrede sowie in Trusted Flagger Programmen. Zudem müssten dort, wo Defizite bestehen, Anstrengungen der österreichischen ProviderInnen intensiviert werden. Bereits im Bereich der Kinderpornografie und der NS-Wiederbetätigung hätten diese in den letzten Jahrzehnten u.a. durch Kooperationen mit staatlichen Stellen und der Entwicklung einer international vernetzten Meldestelle gezeigt, dass sie ihre gesellschaftspolitische Verantwortung wahrnehmen.

Denkmayr: Klare Positionen sowie klare Verantwortlichkeiten kommunizieren

"Jeder von uns ist ein Medium", machte Social Media-Expertin Judith Denkmayr klar, was aber aus ihrer Sicht fehlt, ist Diskussionskultur. Momentan gehe es vor allem darum, die eigene Meinung kundzutun, das Suchen von Kompromissen bleibe aus. "Wir sind meinungsstark, aber diskussionsschwach geworden", so Denkmayr. Hassbotschaften in Online-Foren begegne man bereits mit Community ManagerInnen, in den meisten Fällen würde es sich hierbei aber um Personen handeln, die nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügen würden, menschenfeindliche Kommentare zu moderieren.

Geht es nach Denkmayr, könnte das Problem durch klare Prozesse sowie klare Verantwortlichkeiten gelöst werden. Wesentlich ist für sie Information, dass Menschen wissen, an wen sie sich etwa im Fall des am Wochenende veröffentlichen Videos, in dem eine Jugendliche brutal zusammengeschlagen wird, wenden können. Eine übergreifende Zusammenarbeit würde bisher fehlen, der "Schwarze Peter" Social-Media-Plattformen zugeschoben. Diese sind Denkmayr  zufolge aber durchaus mehr in die Pflicht zu nehmen. Auch bei Facebook und Co. gelte es, klare Verantwortlichkeiten und mehr Transparenz einzufordern, etwa, wenn es um Löschprozesse geht.

Wetzstein: Trennung in eine "Online"- und "Offline"-Welt kaum noch sinnvoll

Hassbotschaften gegen bestimmte Gruppen können sich im alltäglichen Handeln und im gesellschaftlichen Zusammenleben fortschreiben, informierte die Kommunikationswissenschaftlerin der Uni Wien Irmgard Wetzstein über die dynamische Infrastruktur Sozialer Medien. Deshalb sei eine Trennung in eine "Online"- und in eine "Offline"-Welt kaum noch sinnvoll. Betrachtet man das Phänomen medienzentriert, wonach UserInnen in "filter bubbles" bzw. "information bubbles" voneinander isoliert bleiben und wo Tabubrüche wie das Diffamieren bestimmter Gruppen durch das Fehlen direkter Konfrontation mit Andersdenken vereinfacht und begünstigt werden, sieht Wetzstein die BetreiberInnen in der Pflicht. Hier dürften Kommentarspalten nicht unmoderiert bleiben, zudem sollte vermehrt über das Melden von Hass-Postings oder letztlich auch über Möglichkeiten von Anzeigen bei der Polizei aufgeklärt werden.

Gelöst ist für die Kommunikationswissenschaftlerin das Problem damit aber noch nicht. Digitale Courage braucht aus ihrer Sicht mehr als den Fokus darauf, wie ein Medium funktioniert. Gefordert sieht sie die Gesellschaft als Ganzes, insbesondere aber ein gemeinsames Vorgehen gegen Hasskultur im Netz durch Institutionen und Organisationen auf nationaler und europäischer Ebene, NGOs und zivilgesellschaftlichen Initiativen, Schulen, Behörden und Forschungseinrichtungen. Überlegenswert sind für sie etwa Konzepte für Peer-Education-Programme, Medien- und Kommunikationskompetenztrainings, Sensibilisierungsarbeit auch außerhalb von klassischen Schulsettings, vermehrte Forschung, die sich auf die Entwicklung von automatisierten Monitorings konzentriert sowie "Offline"-Begegnungsräume, um durch persönliche Erfahrungen Vorurteile abbauen zu können.

Burger: User Generated Content kann Mehrwert bringen

Über den Wert konstruktiver Online-Debatten sprach Christian Burger, Community Manager bei derStandard.at. User Generated Content sei dabei die Weiterführung des Gründungsgedankens des Standard, dem Leser auf Augenhöhe zu begegnen, schickte Burger voraus. Seine Aufgabe sei es, ein Umfeld zu bieten, in dem alle, die etwas Relevantes zu sagen haben, gerne partizipieren und mitdiskutieren, ferner das Ziel zu verfolgen, Inhalte zu erzeugen, die qualitätsvoll und mintunter unterhaltsam sind, sowie sicherzustellen, dass ein inhaltlicher Mehrwert geschaffen werde. Die Kommentar-Funktionen nach Online-Artikel abzuschalten hält er für einen falschen Schritt. Laut Zahlenmaterial wird die sogenannte Einprozentregel im Netz, wonach nur 1 % einer Online-Community in Diskussionsforen aktiv werden, 9 % ein wenig und der überwiegende Großteil, nämlich 90 %, stille Mitleser sind, im Standard-Forum überschritten. Burger zufolge sind 25.000 von 2 Millionen UserInnen aktiv, das entspricht 1,3 % aktive PosterInnen.

Community Management ist für ihn Prävention, dass es erst gar nicht zu Hasspostings kommt. Aus diesem Grund steht bei derStandard.at in Online-Debatten die aktivierende Moderation im Fokus, indem UserInnen beispielsweise nach Lösungsvorschlägen für eine aktuelle politische Situation gefragt werden . Daneben wird direkte User-Kommunikation via E-Mail betrieben. Zusammengerechnet ergibt das einen Moderationsaufwand pro Jahr von 14.000 Stunden, berichtete Burger.

Baldauf: Kein Gesetz und keine Klage gegen Facebook, Google und Co. wird Problem lösen

"Zivilcourage kann nur stattfinden, wenn es auch Menschen gibt, die für eine demokratische Kultur und Menschenwürde aktiv eintreten", lautete das Postulat von Johannes Baldauf von der Amadeu Antonio Stiftung Berlin. Beruflich beschäftigt er sich mit den Schattenseiten des Internets - mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Verschwörungstheorien. Sein Fazit:

"Man würde den Eindruck bekommen, dass das Netz zu großen Teilen aus nichts anderem besteht als Holocaustleugnung, jüdischer Weltverschwörung und der Abwertung von allen, die als anders wahrgenommen werden." Denn die Grenzen des Sagbaren haben sich Baldauf zufolge in den letzten Jahren verschoben. Für ihn liegt es einerseits bei den Social Media-Plattformen selbst, diese Phänomene einzudämmen, andererseits vor allem aber auch an der Gesellschaft, grundlegende Werte zu verteidigen. Immerhin gehe es nicht nur um soziale Netzwerke oder das Internet, sondern um alle Räume, auch außerhalb des Netzes. Ein Allheilmittel gegen Hasspostings sieht Baldauf in strengeren Gesetzen aber nicht. "Machen wir uns keine Illusionen: Kein Gesetz und keine Klage gegen Facebook, Google und Co. wird unser Problem lösen", so Baldauf, am Ende müssten die BürgerInnen und NutzerInnen selbst gestalten und aushandeln, welche demokratischen Werte zählen würden.

Er schlägt vor, dort konsequent zu verfolgen und zu strafen, wo Hassverbrechen stattfinden, die demokratische Zivilgesellschaft im Netz mit Programmen und Strukturen zu stärken und das Netz bei allen Bildungsprogrammen mitzudenken. Dabei dürften aber nicht nur junge Menschen im Fokus stehen.

Kaufmann: Wir reden zu wenig mit jenen, die den Hass verbreiten

Barbara Kaufmann, freie Journalistin und Filmemacherin stand dafür ein, mehr mit jenen zu sprechen, die Hass im Netz verbreiten. Würde man das nämlich tun, wie Florian Klenk in der letzten Ausgabe der Wiener Wochenzeitung Falter, in dem er einen jungen Mann besucht hat, der im Netz davor angegeben hatte, ihn gerne anzünden zu wollen, zeige sich stets ein ähnliches Bild: Die überwiegende Mehrheit jener, die Hass im Netz verbreiten, hätte oftmals kein Bewusstsein dafür, wie öffentlich sie das tun. Außerdem hätten viele das Gefühl, etwas Normals zu tun. Dass Hass oftmals zur Normalität geworden ist, erklärt sich Kaufmann unter anderem dadurch, dass provokative, aggressive Stimmen im Netz mehr an Aufmerksamkeit bekommen, vor allem aber auch, weil Hass gegen den anderen mittlerweile zum politischen Alltag gehöre.

Die Rolle der Presse sei dabei viel zu oft die des Brandverstärkers. "Ein Politiker, der verbal Grenzen überschreitet, ist immer eine Gschicht", so Kaufmann. Jemand, der pöbelt, hasst und wütet, bekomme in der Tagesberichterstattung oftmals mehr Platz eingeräumt als SachpolitikerInnen. " Hass bringt Quote. Hass bringt online Klicks", sagte Kaufmann, die JournalistInnen würden so zu PR-AgentInnen des Hasses. Sie selbst ist sich nicht sicher, ob strengere Strafen oder stärkere Forenmoderation etwas gegen die Hasskultur ausrichten können. Für sie handelt es sich um ein viel weitreichenderes, gesellschaftliches Problem, das nur gemeinsam – inklusive Politik und Medien – gelöst werden könne, indem "wir uns dieser Hasskultur bewusst werden und sie durch eine Gegenkultur bekämpfen".

Jonas: Digitale Courage muss on- und offline stattfinden

Dass Digitale Courage innerhalb und außerhalb der Online-Medien und plattformunabhängig stattfinden muss, darüber informierte der Sozialpsychologe und Zivilcourage-Forscher von der Universität Maastricht Kai Jonas. Wobei es aus seiner Sicht schwierig ist, ein Verständnis für Digitale Courage zu etablieren, denn viele würden wissen, was etwa bei Gewaltsituationen auf offener Straße zu tun ist, nicht aber bei Hassbotschaften im Internet. Die Aktionsmöglichkeiten seien im Netz nämlich andere, die Bedrohungsmomente oft diffuser. "Wir stehen mit der Digitalen Courage ganz am Anfang", so die Bestandsaufnahme des Sozialpsychologen. Das Problem kann für ihn dabei weder nur Firmen oder ProviderInnen überlassen werden, noch kann es allein juristisch gelöst werden. Denn viele Fälle von Hassbotschaften würden nicht den Gang zur Polizei oder zum Staatanwaltschaft zur Folge haben.

Wesentlich ist für Jonas auch der Aspekt des Medienwechsels. Das bedeutet, dass eine Reaktion auf eine Hassbotschaft nicht zwangsläufig im selben Medium stattfinden muss, wie die Originalbotschaft. Außerdem erachtet es der Sozialpsychologe als wesentlich, dass Menschen lernen, offline darüber zu sprechen, was online mit ihnen passiert. Jonas plädiert aus diesem Grund insbesondere für Medientrainings zu Digitaler Courage sowie Beratungsstellen, die BürgerInnen darüber informieren, was gegen Hassbotschaften getan werden kann. "Wir können die Bürger aufklären, informieren und Digitale Courage trainieren", so sein Credo. Die heutige Enquete ist für Jonas ein erster Schritt, jetzt müssten aber auch greifbare Programme folgen. (Fortsetzung Enquete) keg

HINWEISE: Weitere Informationen zu Enquete, Initiative und Grünbuch "#DigitaleCourage" finden Sie auf der Website des Parlaments in den Aktuellen Themen. Fotos stehen im Anschluss an die Enquete auf der Website des Parlaments zur Verfügung.


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