Parlamentskorrespondenz Nr. 1377 vom 06.12.2016

Hammerschmid: Ganztägige Schulformen heben Lernerfolg

Ganztagsschul-Ausbau bis 2025 wird konkret - Opposition kritisiert im Unterrichtsausschuss Mittelaufteilung

Wien (PK) - Zum weiteren Ausbau von Ganztagsschulen in Österreich hat der Unterrichtsausschuss des Nationalrats den ersten Stein gelegt. Die Ausschussmitglieder von SPÖ, ÖVP, NEOS und Team Stronach beschlossen mit dem Bildungsinvestitionsgesetz, bis 2025 ein flächendeckendes Angebot an schulischer Tagesbetreuung zu schaffen. Bildungsministerin Sonja Hammerschmid betonte, allen SchülerInnen – gerade auch jene aus sozial schwächeren Familien – erhielten damit ein optimales Lernumfeld und könnten so ihre Leistungen steigern. Der Bund nimmt für die Investitionen insgesamt 750 Mio.€ in die Hand, über ein Drittel davon können die Bundesländer für ganztägige Schulformen im Pflichtschulbereich verfügen.

Die NEOS kritisierten diese Verteilung der Gelder und mahnten mit einem Abänderungsantrag zum Gesetzesentwurf ein nachvollziehbares Monitoring der Mittelverwendung ein, blieben mit ihrem Vorstoß aber in der Minderheit. Für die Grünen ist bei der zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilten Ressourcenverwaltung überhaupt kein klares Konzept erkennbar. Ihre ablehnende Haltung zur aktuellen Regierungsvorlage erklärten sie jedoch vorrangig mit einer mangelhaften Beachtung des Inklusionsthemas im Gesetzestext.

FPÖ und Team Stronach zeigten sich einer Erweiterung der Ganztagsschulangebote zwar nicht abgeneigt, bezweifeln aber, dass die zur Verfügung gestellten Mittel für die anfallenden Kosten ausreichen werden. SPÖ und ÖVP hingegen loben die Investitionssumme, die aus der Abschlagszahlung für die gesenkte Bankenabgabe stammt. Die Volkspartei will allerdings die Wahlfreiheit der Eltern bezüglich Nachmittagsbetreuung der Kinder gewahrt wissen.

Auf Wahlfreiheit pochen auch FPÖ und Team Stronach in eigenen Anträgen hinsichtlich der Entscheidung, welche Schule Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) besuchen. Eltern sollten demnach weiterhin zwischen Sonderschulen und integrativen Maßnahmen im Regelunterricht wählen können und sonderpädagogische Schulen müssten das Recht haben, Zeugnisse für Volksschulen und Neue Mittelschulen auszustellen. Die Forderungen wurden aber ebenso von der Ausschussmehrheit dem Unterausschuss des Unterrichtsausschusses zugewiesen wie eine Bürgerinitiative, die gegen SPF-Modellregionen ohne Sonderschulen mobil macht. Eine FPÖ-Initiative zur gesetzlichen Verankerung der Deutschpflicht an Schulen wurde in die Vertagung geschickt.

Chancengleichheit als Ziel schulischer Ganztagsbetreuung

Ziel des Ganztagsschulausbaus sei, jedem Kind unabhängig von seiner sozialen Herkunft optimale Bildungschancen zu bieten, verdeutlichte Bildungsministerin Sonja Hammerschmid den Hintergrund der Regierungsvorlage zum Bildungsinvestitionsgesetz (1360 d.B.). Die jüngsten Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudie PISA hätten einmal mehr die Bildungsvererbung in Österreich aufgezeigt: So lägen SchülerInnen, deren Eltern nur über einen Pflichtschulabschluss verfügen, um zwei Lernjahre hinter ihren KollegInnen aus Elternhäusern mit höherer Bildung. Die Ganztagsschule wirke dem entgegen, so Hammerschmid. BildungsforscherInnen wie Andreas Schleicher würden bestätigen, dass Länder mit großteils ganztägigen Schulformen hinsichtlich Leistungserfolg der SchülerInnen besser abschneiden. Der Bedarf an Nachhilfeunterricht soll aufgrund der innerschulischen Betreuung wegfallen. Außerdem will die Regierung durch das ganztägige Betreuungsangebot – an Wochentagen von 07.00 Uhr bis 18.00 Uhr - die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Eltern verbessern.

Insgesamt soll der Bund für den Ausbau von ganztägigen Schul- und Betreuungsangeboten in maximal 20 km Entfernung zum Wohnort ab nächstem Schuljahr 750 Mio. € bis 2024/25 zur Verfügung stellen, geht aus dem Gesetzesentwurf hervor. Sowohl öffentliche als auch mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Privatschulen können daraus um einen Zweckzuschuss beim Bildungsministerium (fixer Anteil) bzw. der zuständigen Landesregierung (flexibler Anteil) ansuchen. Um Doppelförderungen zu vermeiden, werden in den ersten beiden Jahren nur verschränkte Ganztagsschulen gefördert, in denen Unterricht, Lern-, Ruhe- und Freizeitphasen einander abwechseln. Zeitgleich erhalten über einen 15a-Vertrag mit den Ländern nämlich auch Schulen mit getrennter Nachmittagsbetreuung Zuschüsse, erinnerte Hammerschmid. Zur Evaluierung des Mitteleinsatzes würden die Schulen jährlich Berichte vorlegen.

Der flexible Förderanteil von 250 Mio. €, über den die Bundesländer selbst bestimmen können, ist für die Umwandlung von Klassen mit Nachmittagsbetreuung in Klassen mit verschränkter Abfolge des Unterrichts vorgesehen. Zudem sollen damit bestehende außerschulische Betreuungseinrichtungen zugunsten der Ganztagesschulen aufgelassen, Ferienangebote eingerichtet und die Betreuungsbeiträge an ganztägigen Schulen nach einer sozialen Staffelung gesenkt werden. Die Regierungsvorlage zum Bildungsinvestitionsgesetz nahm der Ausschuss mit SPÖ-ÖVP-NEOS-Team Stronach-Mehrheit an, die Grünen behalten sich ihre Zustimmung bis zur Plenarsitzung nächste Woche vor.

Nachschärfungen bei schulischer Inklusion, Kostenwahrheit eingemahnt

Die Zurückhaltung der Grünen bei der Ausschussabstimmung argumentierten deren VertreterInnen Harald Walser und Helene Jarmer damit, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bei der Bildungsreform besonderes Augenmerk erhalten müssten, was im Bildungsinvestitionsgesetz nicht der Fall sei. ÖVP-Mandatar Franz-Joseph Huainigg gab zu bedenken, neben barrierefreien Schulbauten brauche es auch ausreichend PädagogInnen für den Unterricht und die Nachmittagsbetreuung von SchülerInnen mit Behinderung. Abgesehen von Mängeln bei der schulischen Inklusion kritisierte Walser die angedachte Kostenverteilung zwischen verschiedenen Gebietskörperschaften und riet, die Mittelverteilung sofort an einen Chancenindex zu knüpfen, um soziale Nachteile einzelner Standorte auszugleichen. NEOS-Klubobmann Matthias Strolz sieht eine "vergebene Chance" in der geplanten Mittelaufteilung, ungeachtet seiner prinzipiellen Zustimmung zum Ganztagsschulausbau. Besonders die freien Schulen in privater Trägerschaft liegen ihm am Herzen – mit den 750 Mio.€ hätte diesen eine ebenso hohe staatliche Förderung wie ihren konfessionellen und öffentlichen Pendants zuteilwerden können, meinte Strolz.

Mit einem Abänderungsantrag, der keine Mehrheit fand, forderte er, der Bund solle jährlich den Einsatz der Fördermittel überprüfen und veröffentlichen. Robert Lugar, Klubobmann des Team Stronach, hinterfragte überhaupt, ob die verfügbaren Mittel länger als zwei Jahre ausreichen. Generell sei die Ganztagsschule gut, um allen Kindern die Chance zu geben, ihr Potential voll auszuschöpfen, räumte er ein; angesichts der schlechten PISA-Ergebnisse heimischer SchülerInnen forderte er aber ein ambitionierteres Vorgehen gegen Leistungsschwächen.

SPÖ-Bildungssprecherin Elisabeth Grossmann unterstrich wiederum, die Ganztagsschule leiste einen wichtigen Beitrag zur Chancengerechtigkeit, das Bildungsinvestitionsgesetz bringe somit einen "Qualitäts- und Quantitätsschub" bei der bestmöglichen Nachmittagsbetreuung aller Kinder. Für ihre Bereichskollegin aus der ÖVP, Brigitte Jank, ist der Gesetzesvorschlag ein "guter, tragbarer Kompromiss" zum Ausbau ganztägig geführter Schulen. Sie verlangte indes ähnlich wie ÖVP-Wissenschaftssprecher Karlheinz Töchterle, die unterschiedlichen familiären Bedürfnisse, sprich die Wahlfreiheit, zu berücksichtigen. Vor allem die Einbeziehung der Horte mit der vorhandenen Infrastruktur in das Ganztagsschulkonzept ist Jank ein Anliegen, im Gesetzespaket zur schulischen Autonomie müsse dies umgesetzt werden. Töchterle warnte vor "übertriebenem Optimismus", dass Ganztagsschulen automatisch zu besseren Lernergebnissen führen und traf sich dabei mit FPÖ-Bildungssprecher Walter Rosenkranz, der sagte, es gebe keine Studien, die den Mehrwert dieser Schulformen bestätigten. Zwar gestand er der Nachmittagsbetreuung von SchülerInnen durchaus eine hohe Bedeutung zu, den vorliegenden Gesetzesentwurf lehnte er aber ab: zu "unausgegoren" seien viele Bestimmungen, von der Kostenwahrheit bis zur tatsächlichen Wahlfreiheit. Abgeordneter Peter Wurm (F) zog nach, wenn in der nächsten Umgebung nur verschränkte Ganztagsschulen entstünden, könne von Wahlfreiheit keine Rede mehr sein. Letztlich hänge schulischer Erfolg stark von der Qualität der Lehrpersonen ab.

Ruf nach Wahlfreiheit bei sonderpädagogischem Förderbedarf

Im Sinne der Wahlfreiheit machen sie die Freiheitlichen auch für den Erhalt von Sonderschulen und Sonderpädagogischen Zentren stark. Außerdem fordern sie mehr personelle Ressourcen in diesem Bereich und eine aktualisierte Berechnungsart zur Feststellung des Sonderpädagogischen Förderbedarfs (SPF) in den Bundesländern (1849/A(E)). Damit wären die tatsächlichen Erfordernisse festzustellen, sodass der Einsatz von unterstützendem Nicht-Lehrpersonal an SPF-Schulen und das Zwei-Lehrkräfte-Modell möglich werden, meinen die Antragsteller Walter Rosenkranz und Gerald Hauser. Überdies empfehlen die beiden, Schulversuche der "umgekehrten Integration", bei denen SchülerInnen aus Volksschulen (VS) bzw. Neuen Mittelschulen (NMS) und Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf zusammen in kleinen Klassen unterrichtet wurden, rechtlich zu verankern (1850/A(E)). Die Kinder an diesen SPF-Schulen würden Volksschul- oder NMS-Zeugnisse mit dem zutreffenden Förderplan erwerben können.

Neben der FPÖ verlangte noch das Team Stronach vehement, Erziehungsberechtigte von SchülerInnen mit Behinderung auch künftig zwischen einer Sonderschule und einer Schule mit integrativen Maßnahmen wählen zu lassen (1502/A(E)), außerdem lag dem Ausschuss eine entsprechende Bürgerinitiative (102/BI) vor. Darin wird vermutet, durch die Abschaffung von Sonderschulen sollten vor allem Einsparungen erzielt werden. Betroffenen würde keine ihren Bedürfnissen entsprechende Bildung mehr zuteil. Diesen Bürgerprotest schickten die Regierungsfraktionen zur weiteren Behandlung genauso in den Unterausschuss wie die Anträge von FPÖ und Team Stronach. Gerald Hauser (F) war jedoch kein Freund davon, da so die Thematik auf die lange Bank geschoben werde. Sonderpädagogische Schulen müssen weitergeführt werden, nur so ist die Betreuung sichergestellt, meinte er.

Das Parallelsystem von Sonderschulen und Integrationsschulen ist kostenintensiv und daher abzuschaffen. In diesem Sinn muss eine Entscheidung fallen, argumentierte Helene Jarmer (G) im Einklang mit Franz-Joseph Huainigg (V) und Matthias Strolz (N) für Integrationsschulen. Die Inklusion muss verbessert werden, stimmte auch Bildungsministerin Hammerschmid zu. Sie werde sich das Thema genau ansehen, freute sich Hammerschmid auf die Diskussionen im Unterausschuss.

Streit um Deutsch in der Pause

Klare Vorgaben wünscht die FPÖ (indes) bei der Schulsprache. So sollten fremdsprachige Schulpflichtige zum schnellen Erwerb der deutschen Sprache an der Schule auch in den Pausen nur Deutsch sprechen, lautet die Forderung von FPÖ-Bildungssprecher Rosenkranz (1871/A(E)). Verfassungsrechtliche Bedenken hat er nicht, zumal ein Rechtsgutachten die gesetzliche Verankerung von Deutsch als offizielle Sprache der Republik verdeutliche.  Sprachenvielfalt ist ein Reichtum, meinte dazu Matthias Strolz (N) und sah den Vorschlag als pädagogisch verfehlt an. Auch Harald Walser (G) zweifelte an der Sinnhaftigkeit eine solchen Regelung, wobei er eine Einigung auf freiwilliger Basis wünschenswert findet. Das Thema werde im Rahmen der Debatte über Schulautonomie behandelt, erklärte Asdin El Habbassi (V). Rosenkranz' Antrag wurde folglich vertagt. (Fortsetzung Unterrichtsausschuss) rei/gro


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