Parlamentskorrespondenz Nr. 1455 vom 21.12.2016

Bundesrat sieht Primärversorgung auch als Chance für den ländlichen Raum

Mehrheitliche Zustimmung zum Gesundheitsreformpaket in der Länderkammer

Wien (PK) – Zusätzliche Mittel für den Ausbau der Primärversorgung, die Fortsetzung des Kostendämpfungspfads im Gesundheitswesen sowie die Streichung der Spitalsselbstbehalte von Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre waren einige der wichtigsten Punkte des Reformpakets der Regierung, das heute mit Stimmenmehrheit auch den Bundesrat passierte. Durch die Entwicklung von neuen Modellen im niedergelassenen Bereich erwartet man sich eine Entlastung der Spitalsambulanzen, patientenfreundlichere Öffnungszeiten sowie bessere Arbeitsbedingungen für die ÄrztInnen. Rechtliche Basis dafür sind vor allem zwei 15a-Vereinbarungen, durch die einerseits insgesamt 200 Mio. € von Seiten der Länder und der Sozialversicherung für eine wohnortnahe Patientenversorgung bereitgestellt werden und andererseits der Anstieg der Gesundheitsausgaben schrittweise von 3,6% auf 3,2% im Jahr 2021 reduziert werden soll. Ein damit in Zusammenhang stehendes Vereinbarungsumsetzungsgesetz , das eine Reihe von notwendigen Anpassungen in anderen Gesundheitsmaterien vornimmt, wurde ebenfalls mehrheitlich beschlossen.

Keinen Einspruch gab es zudem gegen die Novellierung des Ärztegesetzes , die punktuelle Anpassungen im Berufsrecht enthält, sowie gegen die Änderung des Gentechnikgesetzes , durch das die Weitergabe von Daten aus genetischen Analysen verfassungskonform geregelt wird.  

Primärversorgung: DDR-Modell oder neue Chance für das Gesundheitssystem

Ebenso wie im Nationalrat übten die freiheitlichen Bundesräte deutliche Kritik am Primärversorgungskonzept. Der Steirer Gerd Krusche bezweifelte, dass dies die richtige Antwort auf die eigentlichen Probleme – Ärztemangel im ländlichen Raum, überfüllte Ambulanzen, Medizinerflucht ins Ausland, unattraktive Kassenverträge, überbordende Bürokratie etc. - sei. Außerdem werde durch die Schaffung von Zentren, die auch von gewinnorientierten Konzernen betrieben werden können, die freie Arztwahl untergraben. Ihn erinnere das ganze Modell fatal an die Polikliniken in der früheren DDR, wo unmotivierte ÄrztInnen als staatliche Angestellte tätig waren. Stattdessen sollte man die Gruppenpraxen weiter forcieren, bessere Kassenverträge anbieten und die Bürokratie abbauen, forderte auch sein Parteikollege Hans Jörg Jenewein (F/W). Nicht nachvollziehbar für Krusche war die Verknüpfung des Anstiegs der Gesundheitskosten mit dem jeweiligen BIP-Wachstum. Die Ausgaben müssten sich seiner Meinung nach vielmehr an der demographischen Entwicklung, dem medizinischen Fortschritt und vor allem an den Bedürfnisse der PatientInnen orientieren.

Es sei ein Zeichen für verantwortungsvolle Politik, wenn im Rahmen eines übergreifenden Managements auf Qualität und einen effizienten Mitteleinsatz geachtet werde, hielt Daniela Gruber-Pruner (S/W) den freiheitlichen Rednern entgegen. Genau dieses Ziel verfolge man mit den 15a-B-VG-Vereinbarungen. Außerdem komme es zu keinen Einsparungen, sondern nur zu einer schrittweisen Dämpfung des Kostanstiegs von 3,6% auf 3,2% im Jahr 2021. Beim Primärversorgungskonzept gehe es vor allem darum, einerseits den sehr teuren stationären Sektor zu entlasten und andererseits den niedergelassenen Bereich auszubauen. Der Hausarzt im ländlichen Raum, der bisher als Einzelkämpfer unterwegs war und oft an seine Leistungsgrenzen gestoßen ist, könne sich nun leichter vernetzen und mit anderen Gesundheitsberufen kooperieren. Als weitere Vorteile führte Gruber-Pruner die patientenfreundlicheren Öffnungszeiten sowie attraktivere Arbeitsbedingungen für das Gesundheitspersonal an. Bis 2020 sollten zumindest 75 Primärversorgungseinheiten an einem Standort (Gruppenpraxis oder selbständiges Ambulatorium) oder als Netzwerk eingerichtet werden, lautet das Ziel. Im Besonderen hob sie noch die Abschaffung der Selbstbehalte für Kinder und Jugendlichen in den Spitälern hervor; dies sei eine enorme Entlastung für die Familien.

Ferdinand Tiefnig (V/O) hielt es für dringend notwendig, neue Gesundheitsversorgungsmodelle vor allem für den ländlichen Raum zu entwickeln. Er war überzeugt davon, dass mit dem vorliegenden Konzept ein sehr guter Weg beschritten wird, da die ÄrztInnen selbst entscheiden können, ob sie mit BerufskollegInnen und VertreterInnen von anderen Gesundheitsberufen – in welcher Form auch immer – intensiver zusammenarbeiten wollen. Was die zusätzlichen Mittel betrifft, so hoffe er, dass die Länder ihre Zusage umsetzen und die Gelder auch wirklich in die Gesundheitsversorgung investieren werden.

Die Ergebnisse des Finanzausgleichs im Bereich Gesundheit seien zwar sehr enttäuschend, urteilte Heidelinde Reiter (G/S), dennoch werden die Grünen dem Gesetzespaket zustimmen. Gebraucht hätte es nämlich einen gemeinsamen Kraftakt aller Beteiligten (Landeshauptleute, Bürgermeister, Kammern, Sozialpartner, Versicherungen), bei dem ein übergeordnetes Ziel und nicht bloß der Machterhalt oder die Geldfrage im Mittelpunkt stehen hätte sollen. Sie hoffe jedenfalls, dass es in wenigen Jahren genügend Primärversorgungszentren gibt, wo die kranken Menschen gut aufgehoben sind und die Beschäftigten gerne und mit Engagement arbeiten.

Bundesministerin Sabine Oberhauser bedauerte, dass oftmals ein völlig falsches Bild von den Primärversorgungszentren (PHC) gemalt werde. Mit dem vorliegenden Gesetzespaket wolle man nur die Grundlagen dafür schaffen, dass sich die ÄrztInnen in den jeweiligen Regionen noch besser miteinander vernetzen, indem sie etwa ihre Öffnungszeiten koordinieren, die Patientendaten austauschen oder mit anderen Gesundheitsberufen kooperieren. Dafür müssten keine bestehenden Hausarztpraxen aufgegeben werden, betonte sie. Da den MedizinerInnen die Freiberuflichkeit ein wichtiges Anliegen ist, werden sie auch selbst darüber entscheiden können, in welcher Form – ob Gruppenpraxis, Verein, GesmbH etc. – sie zusammenarbeiten wollen. Außerdem stehe die konkrete Ausgestaltung der Primärversorgung heute nicht zur Debatte; über diese müsse in einem nächsten Schritt gemeinsam mit allen beteiligten Gruppen noch beraten werden. Oberhauser wies noch darauf hin, dass die finanziellen Mittel für den Bereich Gesundheit nicht gekürzt werden. Es werde nur der bereits eingeschlagene Kostendämpfungspfad weiter fortgesetzt; insgesamt steigen die staatlichen Ausgaben in den nächsten Jahren sogar um 4,6 Mrd. €. (Fortsetzung Bundesrat) sue


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