Parlamentskorrespondenz Nr. 71 vom 31.01.2017

Leichtfried sieht Chancen für Klage gegen deutsche Mautpläne

Aktuelle Europastunde im Nationalrat zur gemeinsamen Verkehrspolitik

Wien (PK) – Unter dem Titel "Aktuelle Herausforderungen in der europäischen Verkehrspolitik: faire Bedingungen auf Europas Straßen" stand die auf Wunsch der SPÖ angesetzte Aktuelle Europastunde im Nationalrat. Dabei waren es besonders die umstrittenen deutschen Pläne einer Autobahnmaut, die die Abgeordneten bewegten. Darüber hinaus wurde auch eine gemeinsame europäische Verkehrspolitik eingefordert, die das Lohn- und Sozialdumping im Transportwesen beendet und zur Entlastung des Transitlands Österreich beiträgt.

Die geplante deutsche Abgabe soll für In- und AusländerInnen gelten, wobei deutsche AutofahrerInnen über die KFZ-Steuer entlastet werden. Österreich steht auf dem Standpunkt, eine solche faktische Mautbefreiung für deutsche BürgerInnen bedeute eine Diskriminierung ausländischer AutofahrerInnen. Neben den Nationalratsabgeordneten sagten auch die für die Sitzung nominierten Abgeordneten zum Europäischen Parlament Verkehrsminister Jörg Leichtfried Unterstützung bei seinen Schritten gegen diese deutschen Mautpläne zu.

SPÖ: Sozialdumping im Transportgewerbe beenden

Der europäische Wirtschaftsraum brauche eine gute Infrastruktur, das Transitland Österreich spiele dabei eine wichtige Rolle, leitete Anton Heinzl (S) die Aktuelle Europastunde ein. Er begrüße ausdrücklich den Ausbau der Bahninfrastruktur, bei dem auch die Nebenstrecken nicht vergessen wurden. Österreich sei damit Bahnfahrnation Nummer Eins in der EU geworden. Der SPÖ-Abgeordnete betonte auch die einstimmige Ablehnung von Gigalinern, die seit Jahresbeginn in Deutschland zugelassen sind. Faire Bedingungen im Transportgewerbe erfordern aus seiner Sicht auch ein Ende des Sozialdumpings, das viele Transportunternehmen betreiben.

Die deutsche Autobahnmaut müsse im Sinne der Fairness hinterfragt werden. Deutschland habe das Recht einer Bemautung, eine Steuergutschrift für deutsche AutofahrerInnen sei jedoch eine klare Diskriminierung ausländischer FahrerInnen und verstoße gegen Europarecht. Heinzl zeigte sich betroffen darüber, dass die EU-Kommission sich in dieser Frage auf die Seite Deutschlands gestellt habe. Sobald Deutschland das Gesetz beschlossen habe, müsse Österreich dagegen klagen. Heinzl warb um breite Unterstützung für eine Petition, die er in dieser Frage eingebracht hat. Seine Fraktionskollegin Gisela Wurm (S) verwies auf die Erfahrungen Tirols im Kampf gegen die Belastungen durch den Transitverkehr. Der Brenner-Basistunnel sei ein wichtiges Projekt zur Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Geforderte sei jedoch auch ein grundsätzliche Umdenken in der EU. Die angekündigte Form der Maut verstoße gegen EU-Bestimmungen, sie sehe gute Erfolgschancen für eine Klage. 

Die Beiträge der EU zur Entwicklung der österreichischen Schieneninfrastruktur seien positiv, sagte Gerald Klug (S). In der Frage der Maut müsse man Deutschland und der EU-Verkehrskommissarin deutlich sagen: "So geht das nicht." Österreich habe ein Mautsystem umgesetzt, das EU-Recht entspreche. Man wolle von Deutschland auch keine Ausnahme für ÖsterreicherInnen, sondern gleiche Bedingungen für alle. Der Weg des Verkehrsminister, grenzüberschreitend Partner für diese Forderung zu suchen, sei daher richtig. 

ÖVP will gemeinsamen europäischen Rahmen für Mautsysteme

Andreas Ottenschläger (V) begrüßte die angekündigten Maßnahmen im Zusammenhang mit der Kabotage, also der Erbringung von Transportdienstleistungen innerhalb eines Landes durch ein ausländisches Verkehrsunternehmen. Die von der Regierung geplante Halbierung der Flugabgabe stärke den Wirtschaftsstandort. Was die Trennung von Infrastruktur und Betrieb bei Schienenverkehrsunternehmen betrifft, so sei die Erhaltung der Infrastruktur eine staatliche Aufgabe, der Bahnbetrieb brauche aber mehr Wettbewerb. Zur deutschen Maut meinte er, der Gesetzestext sei auf Rechtswidrigkeiten zu prüfen, gebe es diese, sei eine Klage gerechtfertigt. Die Herstellung gleicher Rahmenbedingungen für Mautsysteme in Europa sei eine grundsätzliche Forderung an die europäische Verkehrspolitik. In der Entwicklung des automatisierten Fahrens müsse Österreich vorne dabei sein und auf gleiche Rahmenbedingungen in der EU drängen.

In der Schweiz, Italien und Österreich gebe es sehr verschiedene Mautsysteme, mit denen man in Westösterreich zurechtkommen müsse, erläuterte Elisabeth Pfurtscheller (V). Eine Maut als Beitrag zur Erhaltung des höherrangigen Straßennetzes sei richtig, nicht jedoch die Form, in der Deutschland diese umsetzen wolle.

Grüne fordern mehr Anstrengungen zur Ökologisierung des Verkehrssystems

Die Nichtdiskriminierung müsse ein Grundsatz der EU-Verkehrspolitik bleiben, betonte Georg Willi (G), der Widerstand des Verkehrsministers gegen die deutsche Maut sei daher richtig. Auch in Österreich gebe es Unfairness bei der Maut, der Verkehrsminister müsse daher auf gleiche Bedingungen für Schiene und Straße hinwirken. Dazu gehört für Willi, das System moderner Sklaverei, dem LKW-FahrerInnen unterworfen seien, zu beenden. Willi forderte auch eine Positionierung des Verkehrsministers zur EU-Wegekostenrichtlinie. Weichenstellungen für die Dekarbonisierung des Verkehrssystems forderte Christiane Brunner (G). Die Regierung habe dem Nationalrat bisher keine einzige Maßnahme zur Umsetzung des Pariser Klimavertrags vorgelegt. Die Reduzierung der Flugabgabe sei ein völlig falsches Signal, damit werde gerade der ökologisch bedenklichste Verkehrsträger entlastet.

NEOS: Mehr Fairness auch im österreichischen Mautsystem  

Zweifellos seien die deutschen Pläne abzulehnen, aber Österreich könne selber mehr tun, um Fairness im Mautsystem herzustellen, sagte Michael Bernhard (N). Wichtig sei es, bessere Bedingungen für österreichische Unternehmen zu schaffen. Bernhard betonte, Österreich brauche mehr Wettbewerb bei der Vergabe von Verkehrsdienstleistungen, und forderte Maßnahmen für die Förderung von selbstfahrenden Autos und Elektroautos. Sein Fraktionskollege Josef Schellhorn (N) sah ein "Rosinenpicken" der Regierung. Diese wende sich zwar gegen die deutsche Maut als EU-rechtswidrig, plane aber mit Einschränkungen der Personenfreizügigkeit selbst Maßnahmen, die dem Europagedanken widersprechen.

Team Stronach: Nationalen Spielraum nützen

Der Verkehrsminister solle sich nicht nur gegen die deutschen Mautpläne stellen, sondern auch das österreichische Mautsystem neu gestalten, forderte Christoph Hagen (T). Eine Möglichkeit wäre es, die Entscheidung der EU zugunsten der deutschen Mautpläne in Österreich zu nützen, etwa für eine stärkere Bemautung des Schwerverkehrs, günstigere Bedingungen für österreichische Frächter oder dafür, auch in Österreich den AutofahrerInnen die Vignettenkosten zurückzuerstatten.

Der Verkehrsminister habe richtig erkannt, dass der Traum einer fairen EU sich nicht erfüllt habe, meinte Waltraud Dietrich (T). Die deutsche Maut sei ein weiteres Zeichen für den fortschreitende Zerfall der EU. Dagegen anzukämpfen sei richtig, es brauche aber auch auf nationaler Ebene Maßnahmen, um die österreichische Wirtschaft zu fördern. Grundsätzlich brauche man Rahmenbedingungen für die Globalisierung, damit die heimische Wirtschaft überleben könne.

FPÖ-Abgeordnete sehen geplantes Vorgehen des Verkehrsministers gegen Maut skeptisch

Gerhard Deimek (F) kritisierte das Fehlen konkreter Konzepte gegen die deutschen Mautpläne. Er hege Zweifel, dass eine Klage zum Erfolg führe könne, da Deutschland sich rechtlich gut abgesichert habe. Statt auf einen Schaukampf und die Androhung einer Klage mit unsicherem Ausgang zu setzen, hätte man auf bilateraler Ebene Regelungen zugunsten der österreichischen PendlerInnen aushandeln sollen. Die Transitfrage für Tirol werde man zudem nicht über die Maut regeln können. Sein Fraktionskollege Christian Hafenecker zweifelte grundsätzlich an der Fähigkeit der Koalition, Lösungen umzusetzen. Er kritisierte die Bahnpolitik, die mit dem Ausbau der TEN-Netze nur einige Hauptstrecken fördere, während gleichzeitig die Nebenstrecken stillgelegt würden.

Der fraktionslose Abgeordnete Gerhard Schmid sah in dem deutschen Maut-Plänen einen klaren Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Besonders betroffen seien PendlerInnen in den Grenzregionen.

Leichtfried setzt sich für gemeinsame europäische Verkehrspolitik ein

Verkehrsminister Jörg Leichtfried sah die EU als Versuch der Umsetzung eines gerechten, solidarischen Europas. Dieser Traum habe sich nicht erfüllt, viele Mitgliedsstaaten setzten zunehmend auf nationalstaatliche Regelung. Die deutschen Mautpläne sei nur ein weiteres Beispiel dieser Fehlentwicklung. Leichtfried sieht die geplante Maut als diskriminierend und als ein Versagen der EU-Kommission an. Es gehe nicht an, dass sich große Mitgliedsstaaten auf Kosten der kleinen durchsetzen. Im EU-Parlament habe es bereits mehrere parteiübergreifende Initiativen gegen gegeben. Österreich werde das deutsche Mautgesetz prüfen, er schließe eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) dagegen weiterhin nicht aus.

Auch im Frachtbereich sei in Europa leider das Lohn- und Sozialdumping zur Regel geworden, das widerspreche nicht nur EU-Recht, sondern gefährde auch das Ziel der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Probleme gebe es besonders bei der Kabotage. Hier gebe es zu viele Schlupflöcher, meinte Leichtfried und kündigte entsprechende Änderungen im Güterverkehrsgesetz an. Er forderte zudem klare Regelungen auf europäischer Ebene, damit Rechtswidrigkeiten im Transportgewerbe abgeschafft und die Sozial- und Arbeitsvorschriften eingehalten werden.

Leichtfried kritisierte auch Tendenzen in der europäischen Verkehrspolitik, unter dem Schlagwort von mehr Wettbewerb integrierte Eisenbahnunternehmen zu zerschlagen. Ein solches Vorgehen habe sich noch in keinem Land bewährt. Er forderte eine Richtungsänderung der europäischen Verkehrspolitik zugunsten funktionierender Eisenbahnunternehmen.

Europaabgeordnete kündigen weitere Schritte gegen deutsche Mautpläne an

Scharfe Kritik an den die deutschen Mautpläne kam vom Abgeordneten der Freiheitlichen im EU-Parlament, Georg Mayer. Diese seien eine versteckte Diskriminierung ausländischer FahrerInnen. Der mit der EU-Kommission ausgehandelte Kompromiss sei zudem typische "Hinterzimmerpolitik", die ein Grundproblem der EU darstelle, denn so werde immer wieder geltendes EU-Recht unterlaufen. Diese veraltete Politik stoße auf immer weniger Verständnis der Menschen in Europa. Mayer sagte dem Verkehrsminister die Unterstützung seiner Fraktion für sein Vorgehen gegen die deutschen Mautpläne zu.

Die EU-Kommission habe leider einen faulen Kompromiss in der Mautfrage akzeptiert, sagte die Grüne Europa-Mandatarin Ulrike Lunacek (G). Die deutschen Vorstellungen würden klar EU-Recht widersprechen, da vor allem PendlerInnen aus den deutschen Anrainerstaaten betroffen seien. Lunacek ist daher überzeugt, dass der EuGH einer Klage dagegen stattgeben würde. Im Europäischen Parlament habe sich eine überfraktionelle Allianz gebildet, die von EU-Kommissarin Violeta Bulc Rechenschaft für ihre Entscheidung verlangen wird. Lunacek forderte mehr Kostenwahrheit im Verkehr ein. Es müsse gelten, wer mehr Schadstoffe verursacht, zahlt mehr.

Weitgehende Übereinstimmung in der Kritik an der rechtswidrigen deutschen Maut sah auch die EU-Abgeordnete der NEOS, Angelika Mlinar. Grundsätzlich sei mehr gemeinsame EU-Verkehrspolitik gefordert. Der Verkehrsminister sei grundsätzlich auf dem richtigen Weg, denn wie in anderen Bereichen auch, könne kein Land alleine mit seiner Verkehrspolitik erfolgreich sein. Ein gemeinsames europäisches Mautsystem sei überfällig, leider hänge man auch in Österreich zu sehr am Wunsch, alles nationalstaatlich zu regeln.

Die EU-Mandatarin der SPÖ Karoline Graswander-Hainz unterstrich die breite Allianz gegen die aus ihrer Sicht diskriminierenden Mautregeln Deutschlands. Im EU-Parlament sei bereits einiges getan worden, um gleiches Recht für alle einzufordern. Es gehe um viel, man müsse befürchten, dass die deutsche Politik das Anfang vom Ende des gemeinsamen Wirtschaftsraumes Europa bedeute. Mautsysteme sollten zudem nicht nur der Erhaltung der Infrastruktur dienen, sondern auch umweltfreundlicheren Verkehr fördern. Hier sei noch sehr viel zu tun, um die in Paris vereinbarten Klimaziele erreichen.

Den Schulterschluss gegen die deutsche PKW-Maut begrüßte auch die EU-Abgeordnete der ÖVP, Claudia Schmidt (V). Es sei an der Zeit, grundsätzlich mehr Fairness für AutofahrerInnen einzufordern. Sie sehe in den Forderungen der Grünen zur Maut jedoch nur Forderungen dogmatischer Autofeinde. Über die Vignettenkosten sei keine Steuerung der Ökologisierung des Verkehrssystems möglich, sie wirkten nur als Strafzahlungen für Individualverkehr. (Fortsetzung Nationalrat) sox