Parlamentskorrespondenz Nr. 414 vom 06.04.2017

Misshandelte Heimkinder erhalten zusätzliche Rente von 300 € ab Juli 2017

ExpertInnenhearing im Sozialausschuss ergibt Nachbesserungsbedarf; Abänderungsantrag noch in Verhandlung

Wien (PK) – Mit einem Staatsakt im Parlament haben Politik und Kirche im vergangenen November ein symbolisches Zeichen gesetzt, um das Leiden jener ehemaligen Heimkinder anzuerkennen, die unter staatlicher bzw. kirchlicher Obhut Opfer von Gewalt wurden. Nun folgt der "Geste der Verantwortung" ein weiterer konkreter, Schritt. Der Sozialausschuss des Nationalrats stimmte in seiner heutigen Sitzung mit S-V-G-N-Mehrheit dem Vorhaben der Regierung zu, den Betroffenen eine Rente zu gewähren. Wer in Heimen des Bundes, der Länder und der Kirche missbraucht bzw. misshandelt wurde und dafür eine pauschalierte Entschädigungsleistung vom Heimträger erhalten hat, wird ab Erreichen des Regelpensionsalters bzw. ab Pensionsantritt eine monatliche Zahlung von 300 € erhalten. Dieser Betrag gilt laut Sozialminister Alois Stöger brutto für netto und wird erstmals ab Juli 2017 ausbezahlt. Man rechne damit, dass davon zunächst etwa 2.000 Personen Gebrauch machen werden. Insgesamt geht die Regierung von rund 7.000 Fällen aus, die jährlichen Kosten werden auf vorläufig 8 Mio. € geschätzt. Damit soll der Einkommensnachteil, der durch staatliches Wegschauen bzw. Nichthinschauen entstanden ist, ein wenig reduziert werden, betonte Stöger.

Ausführlich diskutiert wurde auch über einen – nicht eingebrachten - Abänderungsantrag der Regierungsparteien. Unter Bezugnahme darauf erklärte Bundesminister Stöger, dass er die Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle für wichtig erachtet. Zu klären sei auch noch die Frage der Ausweitung des BezieherInnenkreises auf Pflegekinder oder MindestsicherungsbezieherInnen. Um zu gewährleisten, dass die Rentenleistungen nicht auf die Mindestsicherung angerechnet werden, brauche es jedoch eine verfassungsrechtliche Bestimmung. Ausschussvorsitzender Josef Muchitsch teilte noch mit, dass die SozialsprecherInnen der einzelnen Fraktionen am 19. April über die einzelnen Punkte beraten werden. Er hoffe, dass dann im Nationalratsplenum ein einstimmiger Beschluss des Heimopferrentengesetzes (HOG) möglich ist.

Hearing: ExpertInnen warnen vor Retraumatisierung und schlagen noch einige Änderungen vor

Beim vor der Debatte angesetzten öffentlichen ExpertInnenhearing sahen alle RednerInnen noch einen gewissen Nachbesserungsbedarf bei der Regierungsvorlage. Dem Präsidenten der Verbrechensopfer-Hilfsorganisation Weisser Ring, Udo Jesionek, war es ein großes Anliegen, dass durch den geplanten Abänderungsantrag entsprechende Begleitmaßnahmen für die Betroffenen sowie ein weiterführendes niederschwelliges und unbürokratisches Versorgungsangebot sichergestellt werden. Was die Durchführung betrifft, so sollten nur ausgewiesenen ExpertInnen (z.B. PsychologInnen, SozialarbeiterInnen etc.) eingesetzt werden, forderte er, damit es zu keinen Retraumatisierungen kommt. 

Waltraud Klasnic stellte eingangs klar, dass sie nicht für die Kirche spricht, sondern für die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft, die frei und autonom agiert. Auch wenn die Vorlage grundsätzlich gut sei, sollte man den BezieherInnenkreis noch um jene Personen erweitern, die in Pflegefamilien Opfer von Gewalt und Missbrauch wurden. Sie schlug zudem eine Präzisierung im Gesetz vor, um sicherzustellen, dass nicht nur Heime, sondern auch Internate von den Regelungen umfasst sind. Außerdem wünschte sie sich eine zentrale und offizielle Anlaufstelle für alle Betroffenen. Diese könnte etwa in Form eines bei der Volksanwaltschaft angesiedelten Beirats realisiert werden, schlug Klasnic vor. Wichtig war ihr auch, dass die Betroffenen, die schon eine Entschädigung erhalten haben, keinesfalls noch einmal von ihren Missbrauchserfahrungen berichten müssen. Schließlich hielt sie es für unbedingt notwendig, den Aspekt der Prävention nicht nur in das Gesetz aufzunehmen, sondern auch noch mehr in den Ausbildungscurricula von pädagogischem Personal, Tagesmüttern etc. zu verankern.

Eine ähnliche Meinung vertrat Bernhard Mager, der die Sicht der Stadt Wien einbrachte. Auch er plädierte für die Einbeziehung von Pflegekindern in das Gesetz sowie für die Gleichstellung von MindestsicherungsbezieherInnen. Zum Glück habe sich in den letzten Jahren viel verändert, bis zum Jahr 1989 war etwa die "die gesunde Watsche" noch erlaubt, erinnerte er. In Wien werden die Kinder und Jugendlichen nur mehr in kleinen Gruppen untergebracht und von einem gut ausgebildeten Personal betreut. Auch für den Tiroler Vertreter, Josef Danner, waren noch einige Fragen offen. So sei etwa nicht geklärt, wie man mit jenen Personen umgeht, die eine bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen. Aus seiner Sicht sollte es auf jeden Fall eine einheitliche Vollzugspraxis in ganz Österreich geben.

Es sei richtig, dass sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren stark verändert haben, erklärte Johanna Zimmerl vom Kinderschutzverein "die möwe", sie sei jedoch tagtäglich mit Opfern konfrontiert, die in den eigenen Familien oder in diversen Institutionen Gewalt und Missbrauch erfahren haben. Als Psychologin hält sie es für vorrangig, dass es niederschwellige Angebote gibt, da die Betroffenen oft unter schweren Traumafolgestörungen leiden oder ein großes Misstrauen gegenüber Behörden haben. Völlig klar sei natürlich, dass dabei immer der Datenschutz beachtet werden müsse. Ihrer Ansicht nach bringt das Gesetz eine gewisse Ungleichbehandlung, da Opfer von familiärer Gewalt ausgeschlossen sind. Wie Waltraud Klasnic wünscht sie sich, dass das Thema Gewalt und Missbrauch gegenüber Kindern in der Grundausbildung von PädagogInnen und PsychologInnen noch viel stärker berücksichtigt wird. "Gewalt kann niemand allein beenden", hob Zimmerl hervor, deshalb brauche es Erwachsene, die die Signale der Kinder richtig deuten können.

Rente wird ab Juli 2017 ausgezahlt

Gemäß dem Gesetzentwurf (1525 d.B.) wird die Rente gemeinsam mit der Pension bzw. vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ausgezahlt. Betroffene Personen, die keine einmalige Entschädigungsleistung bekommen haben, etwa weil der Heimträger einem Antrag nicht entsprochen hat oder ihnen aus besonderen Gründen keine zeitgerechte Einbringung eines Antrags möglich war, müssen die ihnen zugefügte vorsätzliche Gewalt nachweisen. Die Entscheidung über eine Rentenleistung ergeht mit Bescheid, dagegen kann beim Arbeits- und Sozialgericht berufen werden. Unberechtigt empfangene Rentenleistungen sind unter bestimmten Voraussetzungen zu refundieren.

Ausgezahlt werden soll die Leistung ab Juli 2017, wobei Personen, die bereits eine Pension beziehen bzw. das Regelpensionsalter erreicht haben, die Rente rückwirkend ab Juli erhalten, wenn sie innerhalb eines Jahres ab Inkrafttreten des Gesetzes einen Antrag einbringen. Ansonsten wird die Rente mit dem Folgemonat des Antrags gewährt. Ab März 2017 können keine neuen Anträge auf wiederkehrende Leistungen als Verdienstersatz gemäß Verbrechensopfergesetz eingebracht werden.

Opposition fordert Valorisierung und Ausweitung des BezieherInnenkreises

Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig (S) dankte den ExpertInnen für ihre Statements, die wichtige Anregungen wie etwa die mögliche Erweiterung des BezieherInnenkreises, den niederschwelligen Zugang zu den Leistungen sowie die Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle enthalten haben.

Da es um ein sehr sensibles Thema geht, sollten sich alle Fraktionen nach Ostern noch einmal treffen, um über eventuell notwendige Änderungen zu reden, regte ÖVP-Mandatar August Wöginger an. Die von Waltraud Klasnic vorgeschlagene Einrichtung eines Beirats bei der Volksanwaltschaft sei eine sehr gute Idee; darin sollten alle Organisationen, die in der Vergangenheit mit dem Thema zu tun hatten, vertreten sein. Sein Fraktionskollege Franz-Joseph Huainigg wies noch darauf hin, dass gerade behinderte Kinder und Jugendliche von Gewalt und sexuellem Missbrauch betroffen waren. Er setzte sich dafür ein, dass die Heimopferrente nicht auf die Mindestsicherung angerechnet werden darf.

Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) fragte den Minister, wie man auf den Betrag von 300 € gekommen ist und ob er brutto für netto gilt. Auf jeden Fall sollte es eine automatische Indexierung geben, forderte sie. Skeptisch betrachtete sie den Umstand, dass in Hinkunft keine weiteren Ansprüche mehr geltend gemacht werden können.

Einigen Änderungsbedarf sah Albert Steinhauser von den Grünen und forderte u.a. die Einbeziehung von misshandelten Pflegekindern in den Berechtigtenkreis, die Nichtanrechnung der Rentenleistung auf die Mindestsicherung sowie die Einrichtung einer professionellen Anlaufstelle. Kritik übte er daran, dass jene Personen, die keinen Antrag gestellt haben – auch aus Gründen der Traumatisierung – keine Chance auf eine Rente mehr haben. Unverständlich ist für Steinhauser auch, dass die Betroffenen künftig keine Anträge mehr nach dem Verbrechensopfergesetz stellen können. Aus diesem Grund lehnte er - ebenso wie die NEOS – diesen Teil des Gesetzes im Rahmen der von ihm beantragten getrennten Abstimmung ab. Seine Fraktionskollegin Judith Schwentner trat für eine Valorisierung der Heimopferrente ein. G-Abgeordnete Helene Jarmer machte darauf aufmerksam, dass sich manche Menschen aufgrund sprachlicher Barrieren an keine Beratungsstellen wenden können.

Zwischen 6.000 und 7.000 Personen haben eine pauschalierte Entschädigung erhalten, erklärte Bundesminister Alois Stöger, insgesamt wurden mehr als 84 Mio. € an Heimopfer ausbezahlt. Im Zuge der von Nationalratspräsidentin Doris Bures dankenswerter Weise initiierten Veranstaltung "Geste der Verantwortung" sei klar geworden, dass die Betroffenen eine weitere Hilfestellung brauchen. Auch wenn der Schaden in keinster Weise reparierbar sei, wolle man mit der Heimopferrente in der Höhe von 300 €, die zwölf Mal im Jahr ausbezahlt wird, ein Zeichen der Anerkennung setzen. In Richtung von Abgeordnetem Steinhauser, der eine Kürzung der Mindestsicherung befürchtete, merkte er an, dass dies nur im Wege einer Verfassungsbestimmung lösbar sei. Er versicherte jedoch, dass die Rentenleistung nicht auf das Einkommen bzw. auf die Ausgleichszulage angerechnet wird. Stöger stellte zudem klar, dass auch Schulheime und somit Internate vom Gesetz umfasst sind. Generell glaube er, dass mit dem Pauschalbetrag, dessen Berechnung die Höhe der Durchschnittspensionen in Österreich zugrunde lag, ein guter Weg beschritten wird, um den Verdienstentgang auszugleichen. Schadersatzklagen seien weiterhin möglich. (Fortsetzung Sozialausschuss) sue