Parlamentskorrespondenz Nr. 588 vom 17.05.2017

Demokratisierung in Tunesien schon weit gediehen

Österreichisch-Tunesische Aussprache im Parlament über Demokratisierungsprozess und Lage in der Region

Wien (PK) – "Wir wollen der Welt zeigen, dass die Demokratie und der Islam keine Gegensätze sind", sagte heute der tunesische Außenminister Khemaies Jhinaoui bei einem Treffen mit Abgeordneten des Außenpolitischen Ausschusses im Parlament. Im Mittelpunkt des Gesprächs stand Tunesiens Übergang zur Demokratie und die Lage in der Region. Der Prozess sei zwar durch die Schaffung einer modernen Verfassung und unabhängigen Justiz- und Wahlgremien fast abgeschlossen, dennoch stehe das Land vor enormen Herausforderungen, wie Jhinaoui gegenüber den Abgeordneten Josef Cap (S), Christoph Vavrik (V), Berivan Aslan (G) sowie Christoph Hagen (T) erklärte. Trotz Schwierigkeiten will Tunesien den Weg der Demokratisierung aber weitergehen. sagte Jhinaoui.

Die Herausforderungen liegen laut tunesischem Außenminister im Wirtschafts- und Sicherheitsbereich. 620.000 junge TunesierInnen, darunter etwa 250.000 AkademikerInnen, sind seinen Angaben zufolge arbeitslos. Genau diese Menschen hätten sich 2011 gegen das Regime erhoben, um die Einführung der Scharia zu verhindern. Bedauerlicherweise sei es Tunesien bis heute nicht gelungen, ihren Erwartungen zu entsprechen. Den Wirtschaftsmonotor will das Land an der Grenze zu Libyen u.a. durch Erleichterungen von Start-up-Gründungen, dem Ausbau des Dienstleistungssektors sowie Reformen bei den Investitionen, Steuern, der Korruptionsbekämpfung und dem Bildungsbereich ankurbeln. Die Einschätzung, dass sich arbeitslose Jugendliche in Tunesien radikalisieren könnten, sollte ihnen keine Chance gegeben werden, teilte Jhinaoui mit Abgeordnetem Vavrik.

Tunesien würde zudem unter Nachbarn leben, die es dem Land nicht einfach machen, hielt er gegenüber dem Obmann des Außenpolitischen Ausschusses Cap fest. Dementsprechend appellierte Jhinaoui, die internationale Aufmerksamkeit auf Libyen zu richten, die Stabilisierung des Landes würde sich auch positiv auf Tunesien auswirken. Dem pflichtete Cap bei, geht es nach ihm, ist die Stabilisierung Libyens neben einer neuen Wirtschaftsordnung und besseren Lebensbedingungen vor Ort eine Voraussetzung für die Lösung der Flüchtlingsfrage.  

Angesprochen von Hagen auf mögliche Wartecamps für Asylsuchende in Tunesien meinte Jhinaoui, dass Tunesien nicht bereit sei, Camps bzw. Lager einzurichten. Tunesien gehöre zwar nicht zu den Transitländern, sei aber bereit, zu verhandeln und zu helfen. Dennoch sei das Land "nicht da, um als Bollwerk zu dienen", machte der Außenminister klar.

Die Gleichberechtigung von Frau und Mann spiegelt sich im islamischen Land Jhinaoui zufolge auch im Parlament wider. Bei den Wahllisten gilt das Reißverschlusssystem, ein Drittel der Abgeordneten sind Frauen. Eine Entwicklung, die insbesondere von Aslan begrüßt wurde, denn ohne Frauen in institutionellen Strukturen werde Demokratisierung nicht gelingen. Auf ihre Anregung, wonach die muslimische Welt gemeinsam gegen den IS zusammenarbeiten sollte, sagte Jhinaoui, dass das Modell Tunesiens keines sei, das vom Großteil der Länder in der islamischen Welt angestrebt werde. Aslan stand dafür ein, Länder wie Tunesien sichtbarer zu machen. "In Zeiten aufkommender Islamophobie brauchen wir hier in Europa Best Practices", sagte Aslan. (Schluss) keg