Parlamentskorrespondenz Nr. 971 vom 20.09.2017

Aktuelle Europastunde: Grüne machen Druck beim Thema Glyphosat

SPÖ und ÖVP konnten sich auf keine gemeinsame Linie einigen

Wien (PK) – Auf Antrag der Grünen ging in es in der heutigen Aktuellen Europastunde im Nationalrat um das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. Während die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit das Pestizid für ungefährlich erklärt hat, stufte die Internationale Agentur für Krebsforschung der WHO Glyphosat als wahrscheinlich für den Menschen krebserregend ein, zeigte Christiane Brunner (G) auf. Da die Zulassung für "dieses Gift" auf EU-Ebene Ende 2017 auslaufe, müsse ihrer Meinung nach alles getan werden, um eine Verlängerung um weitere zehn Jahre zu verhindern.

Die ÖsterreicherInnen können sich auch in Zukunft darauf verlassen, dass kein Gift auf ihren Tellern landet, sondern hochwertige qualitätsvolle Lebensmittel, bekräftigte Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter. Gerade beim Thema Glyphosat habe die AGES (Österreichische Agentur für Ernährungssicherheit) die Öffentlichkeit über die aktuellen Entwicklungen immer umfassend und transparent informiert. So wurde u.a. auch klargestellt, dass es zu keiner Verlängerung der Zulassung kommen wird, solange die heimischen Forderungen nicht erfüllt werden. Es werde daher die Ablehnung eines Vorschlags gefordert, dem Österreich ohnehin nie zugestimmt hätte. SPÖ-Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (S) zeigte sich enttäuscht über die Haltung von Rupprechter, der trotz intensiver Bemühungen seitens der Gesundheitsministerin Rendi-Wagner zu keinem klaren Nein zu der "tickenden Zeitbombe" Glyphosat zu bewegen sei.

Brunner: "Stopp für Glyphosat in Europa - Kein Gift auf unseren Tellern!"

Zahlreiche Studien belegen, dass der Einsatz von Glyphosat - das weltweit am häufigsten eingesetzte Pestizid – mit zahlreichen Gefahren verbunden ist, erklärte die Umweltsprecherin der Grünen, Christiane Brunner. Spuren davon finden sich nicht nur im Grundwasser und im menschlichen Urin, es wurde auch schon im Brot oder im Bier nachgewiesen. Bedenklich sei zudem, dass Glyphosat alles außer gentechnisch veränderte Pflanzen "umbringt". Auch wenn die WHO-Agentur für Krebsforschung eine Warnung ausgesprochen hat, liege es nunmehr an der Europäischen Behörde EFSA (European Food Safety Authority), um über eine weitere Zulassung zu entscheiden. Es wurde erst kürzlich aufgedeckt, dass über 100 Seiten des Gutachtens der EFSA Wort für Wort aus dem Antrag des Chemiekonzerns Monsanto übernommen wurden, zeigte sich Brunner empört. 96 WissenschaftlerInnen aus 25 Ländern habe diese Vorgangsweise aufs Schärfste kritisiert. Wenn man das in Europa geltende Vorsorgeprinzip ernst nimmt, dann müsse man darauf pochen, dass Monsanto nun am Zug sei und den Beweis antreten müsse, dass ihr Produkt nicht gesundheitsgefährlich ist. Die G-Mandatarin forderte den Landwirtschaftsminister auf, Position zu beziehen und sich klar gegen eine weitere Zulassung von Glyphosat in ganz Europa auszusprechen. Generell braucht es nach Ansicht der Grünen einen Pestizidreduktionsplan.

Rupprechter: Wissenschaftliche Argumente statt Wahlkampfgetöse

Es sei bedauerlich, dass in Wahlkampfzeiten oft versucht werde, mit einem sensiblen Thema politisches Kleingeld zu wechseln, hielt Minister Rupprechter den Grünen entgegen. Er stehe hingegen für eine verantwortungsvolle, sachliche und wissenschaftsbasierte Politik, die dazu beiträgt, dass die Menschen nicht verunsichert werden. Über die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln entscheiden sinnvollerweise nicht die Politiker, sondern Expertengremien. Zahlreiche Fachleute der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde, der Europäischen Chemikalienagentur und der wissenschaftlichen Einrichtungen aller Mitgliedsstaaten, wie etwa die AGES in Österreich, prüfen anhand der Unterlagen der Industrie und der unabhängigen Wissenschaft, ob ein Wirkstoff die strengen EU-Anforderungen erfüllt. Nur wenn nach diesen fachlichen Bewertungen eindeutig davon auszugehen ist, dass kein Risiko für die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt vorliegt, schlägt die Kommission eine Genehmigung vor, erläuterte Rupprechter. Der nun vorliegende Entwurf für eine Durchführungsverordnung werde in keinen Räten, sondern von der Kommission entschieden. Österreich sei dabei im Expertenausschuss der EU-Kommission durch MitarbeiterInnen der AGES vertreten, denen er als Minister voll vertraue. Bekanntlich hat die AGES bestimmte Bedingungen für die Zustimmung zur Zulassung gestellt, erinnerte Rupprechter. Die AGES werde sich gegen eine Verlängerung aussprechen, wenn die österreichischen Forderungen nicht berücksichtigt werden. Was die Plagiatsvorwürfe bezüglich des EFSA-Gutachtens betrifft, so wurden diese unverzüglich mit der Aufforderung an die Kommission weitergeleitet, eine umfassende Stellungnahme dazu abzugeben.

Grüne: Rupprechter soll im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung klar Stellung beziehen

Die Wortmeldung von Rupprechter zeige abermals, dass die Agenden Umwelt und Landwirtschaft einfach nicht zusammenpassen, urteilte Europa-Abgeordnete Ulrike Lunacek (G). Bedauerlich sei vor allem, dass der Minister die AGES nicht klar aufgefordert hat, bei der nächsten Ausschusssitzung gegen die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat zu stimmen. Dies wäre im Sinne des Vorsorgeprinzips, das in den Primärverträgen der EU enthalten ist und auf die Vermeidung von Risiken abzielt. Die Grünen wollen daher den EU-Unterausschuss einberufen, um dort eine bindende Stellungnahme für die beiden zuständigen Minister zu beschließen, kündigte Lunacek an. G-Mandatar Wolfgang Pirklhuber zeigte sich erfreut darüber, dass es im Nationalrat offenbar nun eine Mehrheit gibt, um Glyphosat zu stoppen. Dies müsse auch die neue Kurz-ÖVP, die sich durch Ausflüchte und Debattenvermeidung auszeichnet, zur Kenntnis nehmen, erklärte Werner Kogler (G).

SPÖ: Österreich soll Vorreiterrolle ernst nehmen und für ein Verbot von Glyphosat eintreten

Nach Auffassung des SPÖ-Abgeordneten Markus Vogl (S) mache es sich Minister Rupprechter ein wenig zu einfach, wenn er die Verantwortung in den Gesundheitsbereich abschieben will. Jene weisungsgebundene Abteilung in der AGES, die für die Bewertung des Kommissionsvorschlags zuständig ist, ressortiere immerhin zum Landwirtschaftsministerium. Außerdem gehe es um eine grundsätzliche Richtungsentscheidung. Man könne einerseits Biomusterland oder der Feinkostladen Europas sein wollen und andererseits sich für die Anwendung von Glyphosat aussprechen. Offensichtlich hätten sich wieder einmal die Agrarlobby und die Großkonzerne mit ihren Interessen durchgesetzt. Wenn es um die Gesundheit der Bevölkerung geht, müsse aber die Politik die Verantwortung übernehmen und entsprechende Entscheidungen treffen, forderte die EU-Parlamentarierin Karin Kadenbach (S). Denn es könne nicht sein, dass ein Produkt, bei dem es den begründeten Verdacht gibt, das es krebserregend sei, noch immer zum Einsatz kommt. Zahlreiche Wissenschaftler haben aufgezeigt, dass es Alternativen zu Glyphosat gibt.

ÖVP: Österreichische KonsumentInnen müssen sich nicht sorgen

Es gibt in Österreich keine einzige Kulturpflanze, die mit Glyphosat behandelt wird, stellte ÖVP-Mandatar Hermann Schultes fest. Daher könne es auch keine Rückstände in österreichischen Lebensmitteln geben. Dies belegen auch alle Untersuchungen der AGES, da weder in Nahrungsmitteln noch im Wasser Rückstände gefunden wurden. Glyphosat werde nur dort eingesetzt, wo es wirklich notwendig ist, und diese "vernünftige Praxis" sollte nicht behindert werden. Viel wichtiger für die Bauern wäre eine "gescheite Herkunftsbezeichnung", damit jeder Konsument sicher sein kann, dass es sich um qualitätsvolle heimische Produkte handelt, argumentierte Schultes.

Auch Manfred Hofinger (V) bekräftigte, dass Glyphosat nur ab und zu in Ackerbaubetrieben als Erosionsschutzmittel verwendet wird. Herbizide verhindern Schädlings- und Pilzbefall und sichern damit die hohe Qualität der Nahrungsmittel, war auch Europa-Abgeordneter Heinz Becker (V) überzeugt. Klar sei jedoch, dass die aktuellen Vorwürfe in Richtung der EFSA unverzüglich aufgeklärt werden müssen. Am 11. Oktober werde es daher auch im Europäischen Parlament eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema geben. Der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission zur Verlängerung der Zulassung sei aus seiner Sicht derzeit nicht zustimmungsfähig.

FPÖ: Gesundheitsinteressen der Bevölkerung stehen im Vordergrund

Mit der Gesundheit der Menschen dürfe man nicht spielen, merkte die freiheitliche Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein an. Wenn ein Breitbandherbizid im Verdacht steht, dass es möglicherweise sehr schwere Krankheiten verursachen kann, dann sollten nicht die wirtschaftlichen Interessen, sondern jene der Bevölkerung im Vordergrund stehen. Sie glaube zudem, dass auch viele Landwirte bereit wären, Alternativen zu Glyphosat zu suchen. Walter Rauch (V) warf der ÖVP einen Zick-Zack-Kurs vor. Notwendig wären aber eine klare Positionierung und eine einheitliche Stimme in Europa. Europa-Abgeordneter Harald Vilimsky (F) hält es für skandalös, dass die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde 100 Seiten in ihrem Gutachten von jenem Unternehmen übernimmt, das mit Glyphosat Profit macht, nämlich von Monsanto. Es gebe bereits seit einigen Jahren massive Kritik an der EFSA, weil einige Mitglieder des Verwaltungsrates in den Aufsichtsräten von internationalen Lebensmittelkonzernen sitzen. Dieses Problem sei leider symptomatisch für das verhängnisvolle Zusammenspiel von Lobbyismus und Entscheidungsfindung auf internationaler Ebene, gab er zu bedenken.

NEOS wollen Beschränkungen im privaten Bereich

Abgeordneter Gerald Loacker (N) zeigte sich verwundert über die Themenwahl der Grünen. Auch die Europa-Abgeordnete der NEOS, Angelika Mlinar, hätte sich gewünscht, dass heute etwa über die letzte Rede von Kommissionspräsident Juncker, in der es um die Zukunft der Europäischen Union ging, diskutiert worden wäre. Statt so wichtige Fragen wie die Zuwanderung, den Brexit oder die österreichische EU-Präsidentschaft zu behandeln, werde jedoch eine höchst emotionale Debatte über Glyphosat geführt, die zudem auf einem Minimum an Fakten basiert, bedauerte Loacker. Verschwiegen werde etwa auch die Tatsache, dass es erst aber einer Konsumation von 1.000 Liter Bier pro Tag gesundheitliche Bedenken gibt. Es wäre daher angebracht, dass die Grünen wissenschaftliche Fakten, die von zahlreichen internationalen Behörden bestätigt wurden, auch dann akzeptieren, wenn sie mal nicht in ihren ideologischen Kram passen. Die NEOS befürworten aber eine Limitierung des Einsatzes von Glyphosat im privaten Bereich, betonte Loacker. Michael Bernhard (N) gab zu bedenken, dass man nicht nur ein Verbot fordern könne, sondern auch Lösungen aufzeigen müsse. Alle bekannte Alternativen seien aber gleich gefährlich oder sogar noch bedenklicher. Aus diesem Grund sollte vor allem die Forschung vorangetrieben werden.

Abgeordneter Leopold Steinbichler (o.F.) wies auf eine umfangreiche Palette von Produkten hin, in denen Glyphosat enthalten ist. Rückstände finde man z.B. in Bratöl, in denen dann die guten heimischen Nahrungsmittel frittiert werden. Die Bevölkerung sollte auch wissen, dass sich die ÖVP immer wieder gegen ein Qualitätsgütesiegelgesetz ausgesprochen hat. Produkte, deren Unschädlichkeit nicht zu 100% nachgewiesen ist, dürfen in der EU nicht zugelassen werden, verlangte Abgeordneter Gerhard Schmid (o.F.). Das Thema Glyphosat sei für ihn ein weiterer Beleg dafür, warum die Mitgliedschaft in der EU überdacht werden sollte. Abgeordnete Martina Schenk (o.F.) konnte nicht nachvollziehen, warum Minister Rupprechter die Bedenken von Seiten der WHO-Agentur so einfach vom Tisch wischt. (Fortsetzung Nationalrat) sue