Parlamentskorrespondenz Nr. 1052 vom 12.10.2017

Viel Wahlkampfrhetorik in Nationalratsdebatte über Erklärung von BK Kern Verantwortung für Österreich

FPÖ-Misstrauensantrag gegen Kern und SPÖ-Antrag zum Mietrecht abgelehnt

Wien (PK) – Wie zu erwarten war, gab die Erklärung von Bundeskanzler Christian Kern heute im Nationalrat Anlass für eine heftige Debatte, die vor allem durch Wahlkampfrhetorik und gegenseitige Schuldzuweisungen geprägt war, begleitet von lauten Zwischenrufen. Die Abgeordneten, auch die fraktionslosen, nützten die Gelegenheit, für ihre jeweilige Partei zu werben und Kritik an den anderen zu üben.

Der Bundeskanzler stellte seine Rede unter den Titel "Verantwortung für Österreich" und appellierte an die Gemeinsamkeit und den gegenseitigen Respekt. Es werde einen Tag nach der Wahl geben, sagte er, man brauche eine Kultur des Dialogs zwischen allen Parteien und keine politische Kultur, die das Land spaltet. Die anderen Parteien warfen dem Kanzler vor, das Parlament als Wahlkampfbühne zu missbrauchen. Vizekanzler und Justizminister Wolfgang Brandstetter schlug zunächst versöhnliche Töne an und erinnerte, wie Kanzler Kern zuvor, an die vielen Beschlüsse, die auch nach der Ankündigung von Neuwahlen noch gelungen sind. Er verurteilte jedoch Aggression, Gehässigkeit und gegenseitiges Niedermachen im politischen Diskurs und hielt es für notwendig, die Lücke im Strafrecht in Bezug auf Dirty Campaigning zu schließen.

Die FPÖ legte ihren bereits vorher angekündigten Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Kern vor, der jedoch keine verfassungsmäßige Mehrheit fand – für den Antrag stimmten nur die FPÖ-Abgeordneten und der fraktionslose Marcus Franz. Das nahm Herbert Kickl (F) zum Anlass, der ÖVP vorzuwerfen, dem Bundeskanzler weiterhin die Mauer zu machen. ÖVP-Abgeordneter Andreas Ottenschläger konterte, die WählerInnen würden am Sonntag entscheiden, wer stärkste Kraft sein wird, und diesem Votum wolle seine Fraktion nicht vorgreifen.

Nicht erfolgreich war auch die SPÖ mit ihrem Entschließungsantrag zu fairen Mieten. Darin fordert deren Abgeordnete Ruth Becher den Justizminister auf, ein neues Miet- und Wohnrecht vorzulegen, das eine faire Mietpreisregelung mit einem bundeseinheitlich geltenden transparenten Mietrecht, ferner die Abschaffung der Maklergebühren für MieterInnen (Erstauftraggeberprinzip), eine Senkung der Betriebskosten durch Herausnahme der Hausversicherung und der Grundsteuer aus dem Betriebskostenkatalog und schließlich den Ausbau des leistbaren Wohnungsangebots durch Stärkung der Gemeinnützigen Wohnungswirtschaft und Baulandmobilisierung umfasst. Die Menschen würden durch solch eine Reform um 1,15 Mrd. € pro Jahr entlastet, rechnete sie vor. Becher bedauerte, dass es bislang zu keiner Einigung über dieses Thema gekommen ist, obwohl das ein Punkt des Regierungsübereinkommens ist. Sie gab dafür der ÖVP die Schuld, diese habe nur Scheinverhandlungen geführt, sagte Becher.

Nachdem Bundeskanzler Kern nicht der gesamten Debatte folgte, stellte Dieter Brosz von den Grünen den Antrag auf Anwesenheit des Regierungschefs. SPÖ-Klubobmann Schieder entgegnete, dieser sei ohnehin durch Staatssekretärin Muna Duzdar vertreten. Der Vorsitz führende Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer stellte fest, über den Antrag sei abzustimmen. Trotz der Einwendungen Schieders stimmten dann aber doch alle Fraktionen, also auch die SPÖ, dafür, dass der Kanzler bei der Diskussion über seine Erklärung anwesend sein müsse. Das hatte aber insofern keine unmittelbaren Auswirkungen, da die Debatte wegen der Dringlichen Anfrage unterbrochen wurde und dabei die Anwesenheit des Kanzlers nicht erforderlich war.

Kern appelliert an Verantwortung der Politik und gegenseitigen Respekt

Bundeskanzler Christian Kern appellierte in seiner Erklärung an die Verantwortung aller ParlamentarierInnen, denn schließlich sei man den BürgerInnen, dem Souverän, verpflichtet. Kern räumte ein, dass die Wahlauseinandersetzung dazu keinen guten Beitrag geleistet habe, und rief dazu auf, sich wieder der politischen Kultur in Österreich zu besinnen. Die politischen Debatten sollten von Respekt, Integrität und Redlichkeit geprägt sein, so Kern. Wer jetzt weiter Misstrauen schüre, der habe die politische Lektion nicht gelernt.  

Im Sinne dieser politischen Kultur warb er bei den Abgeordneten dafür, ein starkes Zeichen für ein Miteinander zu setzen, indem man die Lebensrealitäten der Menschen in den Mittelpunkt stellt und konkrete Lösungen vorlegt. Er forderte die ParlamentarierInnen in diesem Sinne auf, noch heute für die Gleichstellung von ArbeiterInnen und Angestellten, die Abschaffung der Gebühren für Mietverträge, die Unterhaltsgarantie und mehr Chancen für Menschen mit Behinderung zu stimmen. "Wir müssen uns an die Spitze der Veränderung stellen", sagte Kern und wies auf die großen Herausforderungen wie Klimawandel und Digitalisierung hin. Österreich müsse zukunftsfähig sein und Chancen für alle und nicht nur für einige wenige bieten.

Brandstetter: Wer in Dirty Campaigning investiert, investiert in die Politikverdrossenheit

Auch Vizekanzler und Justizminister Wolfgang Brandstetter appellierte, zur politischen Kultur und zum gegenseitigen Respekt zurückzukehren. Es gehe um die Suche nach den besten Lösungen, sagte er und fügte hinzu: "Wer in Dirty Campaigning investiert, investiert in die Politikverdrossenheit."

Als Vizekanzler habe er versucht, so viel wie möglich aus dem Regierungsprogramm noch gemeinsam umzusetzen, betonte Brandstetter in seiner Stellungnahme. Auch wenn vieles gelungen sei, so bedauerte er aus seiner Sicht, dass die SPÖ die Arbeitszeitflexibilisierung und das Sicherheitspaket blockiert habe. Vor allem beim letzten Punkt gehe es um Verantwortung, unterstrich Brandstetter.

In Bezug auf die Notwendigkeit einer Unterhaltsreform ging er mit dem Kanzler konform, nicht aber mit dem Weg zur Lösung. Diese müsse sachorientiert erfolgen, meinte er. Beim SPÖ-Modell stößt sich der Justizminister vor allem daran, dass man mit dem Grundsatz der Berechnung nach den Lebenshaltungskosten brechen wolle. Man müsse auch verhindern, dass Geldflüsse unnötig ins Ausland gehen. In Richtung FPÖ meinte er, die Eingrenzung auf in Österreich lebende Kinder sei unrealistisch.

ÖVP warnt vor Schnellschuss bei budgetrelevanten Materien

Die Debatte über die Erklärung zeigte sehr rasch, dass die noch Koalitionspartner SPÖ und ÖVP unterschiedliche Wege gehen. So warnte August Wöginger (V) davor, heute budgetrelevante Beschlüsse in der Höhe von 580 Mio. € und weitreichende Änderungen im sozial- und gesellschaftspolitischen Bereich zu fassen. Als Abgeordneter habe man die Verantwortung für die zukünftigen Generationen wahrzunehmen, replizierte Wöginger auf den Titel der Kanzler-Erklärung. Die ÖVP werde der Pensionsanpassung zustimmen, kündigte er an, keinesfalls werde man aber ein "Husch-Pfusch-Gesetz" wie die Angleichung von ArbeiterInnen und Angestellten unterstützen. Das sei ein tiefer Eingriff in die Kollektivverträge ohne Einbindung der Sozialpartner. Die ÖVP werde aber eine eigene Entschließung vorlegen. Auch beim Kindesunterhalt könne die ÖVP nicht mitgehen, da sie unnötige Überweisungen ins Ausland verhindern möchte.

Die SPÖ glaube zu sehr an den Staat, die ÖVP wolle den Menschen mehr Freiheit zurück geben, fasste Andreas Ottenschläger (V) die Unterschiede von ÖVP und SPÖ zusammen. Was die Mieten betrifft, so sprach er sich für eine Gebührenbremse in Wien und mehr soziale Treffsicherheit im sozialen Wohnbau aus.

FPÖ will nach der Wahl einen Kurswechsel

FPÖ-Klubobmann Heinz-Christian Strache griff den Kanzler persönlich an und warf ihm komplettes Führungsversagen und Dirty Campaigning auf Kosten der SteuerzahlerInnen vor. Nach all dem, was in den letzten Wochen passiert ist, sei die Erklärung des Bundeskanzlers "fast ein Kabarett" gewesen. Die Zusammenarbeit der SPÖ mit Silberstein und anderen Personen mit dubiosen Firmenbeteiligungen zeige ein Sittenbild der Partei. Der Wahlkampf sei ein Tiefpunkt der Unkultur gewesen, so Strache weiter, noch nie habe man in der zweiten Republik im In- und Ausland so viel Schaden angerichtet. Was die SPÖ gemacht hat, sei ein Missbrauch des Begriffs Verantwortung gewesen, bekräftigte Herbert Kickl (F) die Kritik seines Parteiobmanns. Kern habe nach dem Plan von Tal Silberstein gehandelt und wolle eigene Spuren verwischen und falsche Fährten legen. Seine Politik bestehe aus 95% Inszenierung und 5% Inhalt, so Kickl, der im gleichen Atemzug diese "politische Mixtur" auch dem ÖVP-Spitzenkandidaten und Außenminister Sebastian Kurz zuschrieb.

Strache geißelte in seiner Rede die Politik der Koalition. Diese habe für eine Steuerbelastung in höchstem Ausmaß gesorgt und sei für die mangelnde Fairness vor allem im Sozialbereich verantwortlich. Die Regierung habe die Probleme nicht rechtzeitig abwehren können, deshalb verdiene Österreich einen Kurswechsel, so sein Fazit.

Grüne für authentische Politik und keine Politikinszenierungen

Als "unerhört" empfand Albert Steinhauser von den Grünen die Erklärung des Bundeskanzlers, er habe diese zu einer Wahlkampfrede missbraucht. Die ÖsterreicherInnen hätten von diesem Wahlkampf die Nase voll, er schade der Demokratie und habe nichts mit den konkreten Problemen zu tun. Für seine Partei nahm er in Anspruch, für eine authentische Politik und nicht für Politinszenierungen und eine "gebürstete Politik" zu stehen. Dem Dirty Campaigning erteilte Steinhauser eine klare Absage. In Richtung ÖVP stellte er fest, dass die Grünen es ablehnen würden, sich von GroßspenderInnen kaufen zu lassen. Das Verhalten von SPÖ und ÖVP habe zu einem Vakuum geführt, das die FPÖ nun ausfülle und den Weg zu einem Rechtsruck ebne.  

NEOS: Allianz für Freiheit und Verantwortung

Ebenso stellten Matthias Strolz und Nikolaus Scherak die NEOS als eine positive Kraft dar. Der Flurschaden sei groß, sagte Strolz, man brauche nun einen Neustart. In diesem Sinne hätten die NEOS eine Allianz für Freiheit und Verantwortung geschlossen, womit drei Leitlinien verbunden seien: Inhalte statt Intrigen, Freiheit statt Filz und Tempo statt Taktik. Die NEOS wollten für Lösungen arbeiten, die auch im Leben ankommen. Im Sinne dieses neuen Stils werde er nach der Wahl auf alle Parlamentskräfte zugehen, um Chancengespräche zu führen. Der neue Nationalrat müsse einen entscheidenden Schritt zu einem Arbeitsparlament setzen, forderte Strolz.

Besonders kritisch äußerten sich Strolz und Scherak zur Budgetpolitik und forderten einen Stopp der Verschwendung, die sie vor allem bei den Förderungen orten. Österreich mache seit 55 Jahren neue Schulden, wofür man jährlich 8 Mrd. € zahle, rechnete Scherak vor, was er als ein verantwortungsloses Schuldenmachen auf Kosten der nächsten Generation bezeichnete.

SPÖ sieht bei nächster Wahl Richtungsentscheidung

Im Gegensatz zu den anderen Fraktionen stellten sich die SPÖ-Abgeordneten voll hinter ihren Bundeskanzler. Am Sonntag werde eine Richtungsentscheidung getroffen, ob der Wirtschaftsaufschwung und der Wohlstand weiterhin gestärkt und dieser auch fair verteilt werde, sagte etwa Klubobmann Andreas Schieder, ob es einen Kurs des sozialen Ausgleichs mit Bundeskanzler Kern oder einen Kurs des sozialen Kahlschlags mit ÖVP-Obmann Kurz und FPÖ-Obmann Strache gibt. Die Regierung habe die meisten Arbeitsplätze geschaffen, die Fakten sprächen für sich. Die in Österreich herrschende soziale Sicherheit stelle einen enormen Standortvorteil dar, betonte Schieder und warb für sichere Pensionen, die Unterhaltsgarantie und ein faires Mietrecht.

Anders als Vizekanzler Brandstetter sehen Schieder und seine Klubkollegin Andrea Kuntzl die Blockade bei der ÖVP. Kurz habe massiv daran gearbeitet, wichtige Lösungen zu verhindern. Kuntzl wehrte sich vor allem gegen den Begriff "Wahlzuckerl", da es sich etwa beim eigenständigen Anspruch auf Notstandshilfe, bei der Gleichstellung von ArbeiterInnen und Angestellten und beim Wegfall der Gebühren bei Mietverträgen um wichtige Schritte gegen die Armut handle. Zu all dem gebe es ausgefeilte Konzepte, versicherte auch Wolfgang Katzian gegenüber August Wöginger (V). So werde etwa die Entgeltfortzahlung in Bezug auf ArbeiterInnen und Angestellte seit zwei Jahren von den Sozialpartnern diskutiert, ohne eine Einigung erzielt zu haben. Nun habe man einen verantwortungsvollen Weg gefunden.

Kritik an Kern und Regierung auch von fraktionslosen Abgeordneten

Auch die fraktionslosen Abgeordneten Christoph Hagen, Marcus Franz, Waltraud Dietrich, Barbara Rosenkranz, Martina Schenk und Leopold Steinbichler übten Kritik an den Worten des Kanzlers. Wo war die Verantwortung 2015/16 beim Flüchtlingssturm auf Österreich, fragte etwa Hagen, der bei den Wahlen nicht mehr antritt. Als VolksvertreterIn müsse man auf das Volk schauen. Verantwortung könne man nicht mit schönen Worten herbeireden, meinte wiederum Franz und unterstrich den Vorrang Österreichs vor der EU. Wie Dietrich hätte er es für angebracht gehalten, wenn sich Kern für das Dirty Campaigning entschuldigt hätte. Der Wahlkampf sei ein politischer Tiefpunkt gewesen, sagte Dietrich. Kerns Darstellung, Silberstein sei in erster Linie für Umfragen engagiert worden, sei unglaubwürdig und mit einem Spitzenkoch zu vergleichen, den man fürs Tellerwaschen anstellt, meinte sie.

Rosenkranz und Schenk warben für die Freie Liste Österreich, für die beide kandidieren. Rosenkranz forderte einmal mehr den Ausbau der direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild. Diese sei weniger anfällig für Demagogie als die repräsentative Demokratie, ist sie überzeugt. Schenk warf ihrerseits der FPÖ vor, ihre klare EU-kritische Haltung aufgegeben zu haben, um in der künftigen Regierung vertreten zu sein. Steinbichler tritt seinerseits für die Weißen an und unterstrich, auch kleine Parteien könnten etwas bewegen. Als Beispiele nannte er die Strategie zum Verbot von Palmöl, es sei auch gelungen, die Militärkapellen zu erhalten, erinnerte er. Deshalb sei es wichtig, dass auch kleine Gruppierungen im Nationalrat vertreten sind. (Fortsetzung Nationalrat) jan