Parlamentskorrespondenz Nr. 1166 vom 04.12.2017

EuGH-Richter Bonichot: Subsidiarität ist eines der verfassungsrechtlichen Prinzipien der EU

Rechtsansicht zu Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit bei Konferenz des Europäischen Ausschusses der Regionen im Parlament

Wien (PK) - Welche Bewandtnis es mit dem Subsidiaritätsprinzip und dem Subsidiaritäts-Frühwarnmechanismus für die Rechtsprechung am Europäischen Gerichtshof (EuGH) hat, stand im Rahmen der heutigen Subsidiaritätskonferenz des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR) im Hohen Haus im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion zum Thema "The judicial review of the principle of subsidiarity and the relevance of the Subsidiarity Early Warning System for the Court of Justice of the European Union".

Gemäß Subsidiaritätsprinzip soll die EU nur dort tätig werden, wo die angestrebten Ziele nicht durch Maßnahmen der Mitglieder auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene besser erreicht werden können. Die nationalen Parlamente können im Rahmen eines Frühwarnsystems binnen acht Wochen darlegen, wenn ein EU-Entwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Nachträglich – also nach Annahme des Gesetzgebungsaktes - ist die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch Erhebung einer Subsidiaritätsklage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union überprüfbar.

Bonichot: Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips betrifft sowohl BürgerInnen, als auch Mitgliedsstaaten und Institutionen

Jean-Claude Bonichot, Richter am Europäischen Gerichtshof, erörterte dazu aus Sicht der Rechtsprechung Aspekte der richterlichen Subsidiaritäts-Normenkontrolle und deren Möglichkeiten, den Status quo der EU-Judikatur, die Situation rund um Subsidiaritätsklagen und die rechtlichen Grundsätze des Subsidiaritätsprinzips. Subsidiarität sei ohne Zweifel eines der verfassungsrechtlichen Prinzipien der EU, sagte Bonichot zur Einleitung. Die Idee, die dahinterstehe, sei nicht neu: Sie besagt, die Gemeinschaft solle sich nur dann einmischen, wenn die Umstände es erfordern. Wenig verwunderlich sei daher, dass weitere Übertragungen der Zuständigkeiten mit einer parallelen Forderung nach Stärkung der Subsidiarität einhergingen.

Ein starke Rolle hätten hierbei die nationalen Parlamente, die die Einhaltung der Subsidiarität nicht nur überprüfen, sondern auch Nichtigkeitsklage wegen eines Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip erheben könnten. Zwar hängen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität eng zusammen, erläuterte der Richter weiter – während es allerdings bei der Subsidiarität um eine Erlaubnis zu handeln und um eine Zuständigkeitsregel geht, betreffe die Verhältnismäßigkeit die Bedingungen und den Inhalt.

Das Subsidiaritätsprinzip sei zudem sowohl ein politisches, aber auch juristisches Prinzip, da es justiziabel, also einklagbar sei. Ein solche Klage sei auch nicht auf eine Einbringung durch Institutionen beschränkt. Das Prinzip betreffe somit nicht nur Behörden untereinander, sondern als demokratische Notwendigkeit sowohl BürgerInnen, Mitgliedsstaaten, als auch Institutionen. Auch bei Delegierten Rechtsakten schließt Bonichot eine Befassung des EuGH nicht aus. Die Aufgabe des Gerichtshofs sieht er darin, die Wirksamkeit sicherstellen, ohne sich allerdings auf die politische Ebene zu begeben.

Subsidiarität zwischen politischer und rechtlicher Norm

Johannes Maier, Mitglied der Subsidiarität-Expertengruppe im AdR und EU-Koordinator vom Amt der Kärntner Landesregierung, ortete demgegenüber einen sehr zurückhaltenden Zugang des EuGH zur Subsidiarität und vermisst eine klarere Spezifizierung des Subsidiaritätsprinzips seitens des Gerichtshofs. Bonichot bestätigte dazu zwar, dass der Aspekt der Subsidiarität oft vorgebracht werde. Allerdings passiere das meist nur nebenbei und ohne Argumentation. Zurückhaltung des EuGH sieht der Richter nicht – wenn es erforderlich sei, habe der Gerichtshof auch keine Angst, einen Rechtsakt aufzuheben, dies müsse aber mit der gebotenen Vorsicht und mit Fingerspitzengefühl erfolgen. Die politische sei jedenfalls eine andere als die rechtliche Kontrolle.

Subsidiaritätskonferenz findet bereits zum 8. Mal statt

Die Subsidiaritätskonferenz wird vom Europäischen Ausschuss der Regionen alle zwei Jahre veranstaltet und zielt darauf ab, die Dynamik der Subsidiaritätskontrolle und den Dialog zwischen allen am Subsidiaritätsüberwachungsprozess beteiligten Parteien zu stärken. Die heutige Konferenz in Wien steht unter dem Titel "Converting subsidiarity into action. Enhancing subsidiarity, proportionality and better regulation in the daily operation of the European Union". Die Subsidiaritätskonferenz findet bereits zum 8. Mal, jeweils in einem anderen EU-Mitgliedstaat, und heute in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat erstmals im Österreichischen Parlament statt. (Fortsetzung Subsidiaritätskonferenz) mbu

HINWEIS: Fotos stehen im Anschluss an die Subsidiaritätskonferenz auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos zur Verfügung.


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