Parlamentskorrespondenz Nr. 163 vom 28.02.2018

Nationalrat: Diskussion über bürokratische Auswüchse beim Arbeitnehmerschutz

Arbeitsunfälle gingen in den letzten Jahren deutlich zurück

Wien (PK) – Dass die Arbeitsinspektorate angehalten sind, bei zumindest 38% der von ihnen durchgeführten Kontrollen Mängel festzustellen, hat vergangene Woche für Diskussionen in der Öffentlichkeit gesorgt. Nun hat die Debatte das Parlament erreicht. Die NEOS nutzten die heutige Debatte im Nationalrat über den Tätigkeitsbericht der Arbeitsinspektion 2015/16 dazu, um scharfe Kritik an dieser Zielvorgabe zu üben. Das sei eine Schikane für Unternehmen und stehe dem Grundsatz "beraten statt bestrafen" entgegen, sagte Abgeordneter Josef Schellhorn. Seiner Meinung nach ist es für Unternehmer außerdem unmöglich, alle 85 Verordnungen und anderen Regelungen im Bereich des Arbeitnehmerschutzes zu kennen. Auf offene Ohren stieß Schellhorn bei den Regierungsparteien – der Bericht, der auf Initiative der NEOS auf die Tagesordnung gesetzt wurde, wurde schließlich einstimmig zur Kenntnis genommen.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein betonte, dass sie bereits an einem neuen Erlass arbeite, der stärker auf Beratung fokussiert sei. Die ArbeitsinspektorInnen würden beste Arbeit machen und bräuchten daher keine Zielvorgaben für eine Beanstandungsquote, bekräftigte sie. Am hohen Niveau des Arbeitnehmerschutzes will Hartinger-Klein allerdings nicht rütteln, wie sie versicherte, es sei schließlich auch im Interesse der Arbeitgeber, dass die MitarbeiterInnen gesund sind.

FPÖ und ÖVP kritisieren Schikanen gegenüber Unternehmen

Ausdrücklich begrüßt wurde die Rücknahme des Erlasses unter anderem von Dagmar Belakowitsch (FPÖ) und Michael Hammer (ÖVP). Er sei froh, dass die Ministerin die Notbremse gezogen habe, sagte Hammer und kritisierte in Einklang mit seinen FraktionskollegInnen Tanja Graf, Ernst Gödl und Norbert Sieber überzogene Kontrollen durch die Arbeitsinspektorate. Es brauche mehr Hausverstand und größere Ermessensspielräume, sind Gödl und Graf überzeugt.

Auch FPÖ-Abgeordneter Christian Ragger hielt fest, dass es nicht Aufgabe der Arbeitsinspektorate sein könne, UnternehmerInnen zu "drangsalieren". Strafen sollten nur die ultima ratio sein, mahnte er. Belakowitsch verwies in diesem Zusammenhang auf das Regierungsprogramm, wo der Grundsatz Beratung vor Bestrafung festgeschrieben sei. Positiv ist für Ragger, dass die Zahl der Arbeitsunfälle zurückgegangen ist, auch Belakowitsch hält Arbeitnehmerschutz grundsätzlich für wichtig. Niemand habe etwas von kranken Menschen, am wenigsten die Arbeitgeber selbst, sagte sie.

Der ÖVP ist aber nicht nur mehr Augenmaß bei den Kontrollen ein Anliegen, sondern auch ein umfassender Bürokratieabbau. Mittlerweile müssten Unternehmen 1.200 Vorschriften beachten, gab Abgeordnete Graf zu bedenken. Noch dazu seien einige davon widersprüchlich. So ist es ihrer Meinung nach etwa nicht leicht, einen Bodenbelag zu finden, der sowohl den Hygienebestimmungen als auch dem Arbeitnehmerschutz entspricht. Auch Sieber hält die Dichte an Vorschriften für zu groß.

SPÖ und Liste Pilz fürchten Kahlschlag beim Arbeitnehmerschutz

Seitens der SPÖ machte Josef Muchitsch geltend, dass der Grundsatz "beraten statt strafen" bereits jetzt im Vordergrund stehe. Schließlich habe zuletzt nur jede 71. Übertretung zu einer Strafe geführt, und das bei insgesamt 115.000 Übertretungen. Auf 1.000 Übertretungen seien demnach nur 14 Strafen verhängt worden. Für diejenigen, die nicht belehrbar sind, müsse es aber auch weiterhin Strafen geben, forderte der Sozialsprecher der SPÖ.

Was den Erlass des Sozialministeriums betrifft, wiesen die SPÖ-Abgeordneten Alois Stöger und Dietmar Keck darauf hin, dass der Rechnungshof gefordert habe, verstärkt Risikobetriebe zu kontrollieren. Durch die Zielvorgabe habe man dem Rechnung getragen, das habe nichts mit Schikanen zu tun. Im Übrigen würden Unternehmen nur dann bestraft, wenn sie die Vorschläge der Arbeitsinspektorate nicht umsetzen, hob Keck hervor. Ausdrücklich verwiesen Keck und Muchitsch außerdem darauf, dass eine Reorganisation der Arbeitsinspektorate bereits unter Sozialminister Stöger eingeleitet wurde.

Den Plänen der Regierung kann Stöger nichts abgewinnen. Er fürchtet, dass unter dem Vorwand des Bürokratieabbaus die Arbeitsbedingungen für Beschäftigte verschlechtert werden sollen. Die Regierung sei nicht nur schnell, wenn es um die Besetzung von Posten gehe, sondern auch beim Abbau von Arbeitnehmerschutzbestimmungen, meinte er. Mit einem Entschließungsantrag forderte die SPÖ die Sozialministerin auf, keinerlei Maßnahmen zu setzen, die die Sicherheit und Gesundheit der ArbeitnehmerInnen gefährden, und stattdessen mehr Personal für die Arbeitsinspektion zur Verfügung zu stellen, konnte sich bei der Abstimmung damit aber nicht durchsetzen.

Eine Lanze für die Arbeitsinspektion brach auch Daniela Holzinger-Vogtenhuber (PILZ). Das Arbeitsinspektorat knechte keine Betriebe, sondern schaue nur darauf, dass ArbeitnehmerInnen nicht geknechtet werden, sagte sie. Zudem zeige der vorliegende Bericht, dass nur dann gestraft werde, wenn es zu schwerwiegenden Übertretungen komme. Holzinger-Vogtenhuber befürchtet wie die SPÖ einen Kahlschlag beim Arbeitnehmerschutz durch die Regierung. Bedenklich ist für sie auch der Anstieg der Berufserkrankungen von über 10%.

60 tödliche Arbeitsunfälle im Jahr 2016

Laut Bericht haben die Arbeitsinspektorate im Jahr 2016 45.850 Arbeitsstätten sowie 14.337 Baustellen und auswärtige Arbeitsstellen besucht und dabei 68.162 Kontrollen durchgeführt. Dabei kam es fast bei jeder zweiten Kontrolle (45,2%) zu der einen oder anderen Beanstandung. Zu den genannten Kontrollen kommen außerdem noch 1.180 Lenkerkontrollen.

Die Zahl der anerkannten Arbeitsunfälle 2016 wird im Bericht mit 87.449 angegeben, wobei die Arbeitsinspektion den leichten Anstieg gegenüber 2015 (86.607) vorrangig auf die steigende Zahl der Beschäftigten zurückführt. Grundsätzlich geht der Trend jedoch in die andere Richtung: So gab es 2012 (93.152), 2013 (90.419) und 2014 (89.502) signifikant mehr Arbeitsunfälle als in den beiden Berichtsjahren. 60 Arbeitsunfälle endeten 2016 tödlich. (Fortsetzung Nationalrat) gs