Parlamentskorrespondenz Nr. 200 vom 05.03.2018

Sobotka: Die parlamentarische Demokratie beginnt und lebt vom Respekt, den wir voreinander haben

Gedenkveranstaltung zur Ausschaltung des Parlaments

Wien (PK) – "Die parlamentarische Demokratie beginnt und lebt vom Respekt, den wir voreinander haben." Mit diesem Appell für Gegenwart und Zukunft erinnerte heute Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka im Rahmen einer Gedenkveranstaltung an die Ausschaltung des Parlaments am 4. März 1933 durch die Regierung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Die damaligen Ereignisse leiteten den Beginn des autoritären Ständestaats ein.

Sobotka: Die parlamentarische Demokratie ist eine Grundhaltung, die sich durch alle Bereiche der Gesellschaft zieht

Der 4. März 1933 könne als Wendepunkt eines komplexen und weitreichenden Wirkungszusammenhangs von Eskalation und Gewalt in einem österreichischen und auch europäischen Klima antidemokratischen und autoritären Denkens gesehen werden – eines Denkens, das bestimmt war von einem grundlegenden Mangel an Respekt vor politisch Andersdenkenden und vor den demokratischen Institutionen, so Sobotka. Der Nationalratspräsident machte aber ebenso einen fundamentalen Mangel an Respekt der damaligen demokratischen Institutionen vor sich selbst aus. Es sei eine Demokratie ohne Demokraten gewesen. Der 4. März 1933 markiere jenen Moment, "an dem der Parlamentarismus der Ersten Republik endete, an dem der noch jungen und fragilen Demokratie unseres Landes die Lichter abgedreht wurden und der Dunkelheit eines autoritär agierenden Ständestaats Raum gelassen wurde", hielt Sobotka fest.

Der Nationalratspräsident betonte insbesondere die Bedeutung des gesellschaftlichen Umfelds für die parlamentarische Demokratie, denn diese sei eine Grundhaltung, die sich als demokratisches Prinzip durch alle Bereiche der Gesellschaft zieht – im täglichen Leben, in Familien, in Schulen, in Vereinen, in Gemeinden, bis hin zum Parlament. Damit sprach Sobotka die Verantwortung aller an. Besonders mahnte er aber das gute Beispiel der ParlamenatrierInnen ein, denn im Parlament schlage das Herz der Demokratie. "Eine starke Demokratie braucht einen starken Parlamentarismus, begleitet und gestützt von starken Institutionen, klaren Spielregeln, einer unabhängigen Justiz in einem rechtsstaatlichen Rahmen, wo sich das Recht auch gegen Widerstand durchsetzen lässt", so Sobotka. Man müsse sich immer dessen bewusst sein, dass dies die Voraussetzungen dafür sind, dass politische Konflikte in Österreich nicht auf der Straße ausgetragen werden.

Parlament gedenkt der Ereignisse 1933 mit übergreifenden Elementen aus Geschichte, Politik und Kunst

Nationalratspräsident Sobotka hatte zu dieser Gedenkveranstaltung in den Großen Redoutensaal eingeladen, um die Bedeutung eines freien und unabhängigen Parlamentarismus einmal mehr in Erinnerung zu rufen. "Denn eine starke gelebte Demokratie ist die Grundlage unserer Freiheit", unterstrich Sobotka.

Die historische Situation im Nationalrat im Jahr 1933 wurde mittels übergreifender Elemente aus Geschichte, Politik und Kunst nachempfunden. Szenische Lesungen aus den Stenografischen Protokollen der Sitzung am 4. März 1933 durch Studenten des Max Reinhardt Seminars wechselten mit Musikstücken von Anton Webern und Alban Berg, dargeboten von einem Ensemble der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Anschließend analysierten der Politikwissenschafter Anton Pelinka sowie die Historiker Ernst Bruckmüller und Lothar Höbelt in einer Podiumsdiskussion die politischen Ereignisse und Entwicklungen dieser Zeit. Die Moderation übernahm die Journalistin Martina Salomon. Während der Veranstaltung wurde im Hintergrund eines der bedeutendsten Werke von Fritz Wotruba, die Skulptur "Großer liegender Jüngling" aus dem Jahr 1933, auf die Wand hinter dem Präsidium projiziert.

Die künstlerische Gesamtkonzeption des Abends stammt von Giuseppe Rizzo, die Dramaturgie und Regie der szenischen Lesung entwarf Alexander Hauer. Die Veranstaltung wurde vom ORF aufgezeichnet, die Ausstrahlung auf ORF III ist zeitversetzt am 8. März um 23.20 Uhr geplant.

Nationalratspräsident Sobotka konnte zahlreiche hochrangige Gäste begrüßen, darunter Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer, Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures und Dritte Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller sowie Bundesratspräsident Reinhard Todt, Vizekanzler Heinz-Christian Strache, Klubobleute und ParlamentarierInnen von Nationalrat, Bundesrat und Europäischem Parlament.

Ausschaltung des Parlaments im März 1933

Am 4. März 1933 kam es im Nationalrat zu einer schwerwiegenden Abstimmung in der Geschichte der Ersten Republik. Es ging um drei Anträge in Zusammenhang mit möglichen Sanktionen gegen die EisenbahnerInnen, die gestreikt hatten. Die Abstimmung war knapp, es gab große Unstimmigkeiten über Formalfehler. Nachdem kein Kompromiss gefunden werden konnte, traten alle drei Nationalratspräsidenten – der Sozialdemokrat Karl Renner, Rudolf Ramek von den Christlich-Sozialen und Josef Straffner von der Großdeutschen Volkspartei - zurück. Die Sitzung war somit unterbrochen, das Parlament kurzfristig handlungsunfähig. Die Geschäftsordnung sah – anders als heute – für einen solchen Fall keine Regelungen vor. Der Versuch, am 15. März die Sitzung fortzusetzen, scheiterte, da die Regierung Dollfuß unter Zustimmung von Bundespräsident Miklas mithilfe eines Polizeiaufgebots das Zusammentreten des Nationalrats verhinderte. Die parlamentarische Demokratie in Österreich war damit de facto ausgeschaltet. Ein frei gewähltes Parlament gab es erst 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg wieder.

Österreich habe nach 1945 die Lehren gezogen, meinten in der Diskussion der Politikwissenschafter Anton Pelinka und die Historiker Ernst Bruckmüller und Lothar Höbelt. Es habe sich ein selbständiges Bewusstsein für eine eigene Nation entwickelt, im Gegensatz zu 1918 sei die Eigenstaatlichkeit bejaht worden. Die drei Wissenschaftler sprachen umfassende Aspekte der historischen Entwicklungen vor und nach dem März 1933 an, etwa die internationale Dimension mit der Rolle von Diktatoren in anderen europäischen Ländern. Sie thematisierten auch die Rolle der Parteien und inwieweit der Regierung Dollfuß mit den Rücktritten der Nationalratspräsidenten ein Anlassfall zur Ausschaltung des Parlaments geliefert wurde. Einig waren sie sich auch im Hinblick auf den Begriff "Kanzlerdiktatur" für das Regime, das der Auflösung des Parlaments folgte. (Schluss) jan/mbu

HINWEIS: Fotos von der Gedenkveranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos.