Parlamentskorrespondenz Nr. 383 vom 11.04.2018

Vergaberecht: Bestbieterprinzip wird weiter gestärkt

Verfassungsausschuss stimmt mehrheitlich für Reformpaket

Wien (PK) – Bereits mit der letzten Novelle zum Bundesvergabegesetz hat das Parlament die Weichen in Richtung Bestbieterprinzip gestellt. Seither muss bei bestimmten Vergaben der öffentlichen Hand ein stärkerer Fokus auf Qualitätskriterien und Folgekosten gelegt werden. Auch soziale Aspekte können in die Bewertung von Angeboten einfließen. Dieser Weg wird nun fortgesetzt. Der Vefassungsausschuss des Nationalrats hat heute das von der Regierung vorgelegte Vergaberechtsreformgesetz 2018 mehrheitlich gebilligt. Für die Liste Pilz ist das Reformpaket zwar grundsätzlich "ein großer Wurf", die Oppositionsfraktion stört sich allerdings daran, dass Rechtsberatungsberufe von den Regelungen ausgenommen sind.

Nicht an der Sitzung teilnehmen konnte der zuständige Minister Josef Moser – er befindet sich aufgrund einer Blutvergiftung im Krankenhaus. Seitens Wolfgang Gerstl (ÖVP) hieß es im Ausschuss, dass seine Stabilisierung bereits eingetreten sei und die Blutvergiftung zu keinem langen Krankenhausaufenthalt führen werde. Nach der Entlassung wolle Moser seiner Aufgabe wieder mit vollem Tatentrang nachgehen und auch dem Parlament zur Verfügung stehen. Den Abgeordneten im Verfassungsausschuss vertretungsweise zur Verfügung standen der Generalsekretär des Justizministeriums Christian Pilnacek sowie der Leiter des Verfassungsdienstes Gerhard Hesse.

Dass es sich bei der Abhaltung des Verfassungsausschusses ohne zuständigen Minister aufgrund der kurzfristigen Erkrankung um einen Ausnahmefall handelt, unterstrich neben Gerstl insbesondere Peter Wittmann (SPÖ). Es sei kein Präjudiz für andere Ausschüsse oder derartige Wiederholungen. Verbunden mit guten Wünschen an den Minister brachte Johannes Jarolim (SPÖ) seine Hoffnung über Mosers Genesung zum Ausdruck, um im Justiz-Budget nachzuverhandeln und "sinnlose Streichungen" zu verhindern.

Österreich setzt EU-Vorgaben mit zweijähriger Verspätung um

Zentrales Ziel des Gesetzentwurfs (69 d.B.) ist es, den rechtlichen Rahmen für Auftragsvergaben der öffentlichen Hand – in Anlehnung an die EU-Vorgaben – zu vereinfachen und zu modernisieren. Unter anderem geht es um die Einführung neuer Arten von Vergabeverfahren und die Ermöglichung gemeinsamer Auftragsvergaben österreichischer Behörden und Behörden anderer EU-Länder. Außerdem sollen künftig mehr Aufträge als bisher nach qualitativen Kriterien (Bestbieterprinzip) und nicht alleine nach dem Preis (Billigstbieterprinzip) vergeben werden.

Neben einer vollständigen Neufassung des Bundesvergabegesetzes gehören ein neues Bundesgesetz über die Vergabe von Konzessionsverträgen und eine Novellierung des Bundesvergabegesetzes für den Bereich Verteidigung und Sicherheit zum insgesamt 324 Seiten starken Reformpaket. Nicht mehr Teil des Entwurfs ist hingegen – anders als 2017 im vorgelegten Gesetzespaket der damaligen rot-schwarzen Regierung  – ein eigenes Bundesvergaberechtsschutzgesetz für den öffentlichen Personenverkehr. Die von der EU geforderten Rechtsschutzbestimmungen für diesen Bereich werden direkt in das Bundesvergabegesetz integriert und sind damit auch von den Ländern zu beachten. Wie bisher gilt das Vergaberegime nicht nur für Bund, Länder und Gemeinden, sondern auch für Auftragsvergaben in bestimmten Sektoren wie etwa der Wasser- und Energieversorgung und Teilen des öffentlichen Verkehrs.

An der Möglichkeit der öffentlichen Hand, Personenverkehrsdienste auf der Schiene direkt zu vergeben, ändert das vorliegende Gesetzespaket nichts. Auch andere Sonderverfahren in diesem Bereich wie interne Vergaben und Zusatzaufträge bleiben – in Anlehnung an EU-Recht – weiterhin zulässig. Zuständig für das Vergaberecht ist nunmehr das Justiz- und Reformministerium unter Minister Josef Moser und nicht mehr das Bundeskanzleramt.

In Kraft treten kann das Gesetz nur dann, wenn auch sämtliche Länder ihre Zustimmung erteilen.

Im Ausschuss wurde das Reformpaket von den Fraktionen positiv bewertet. Es sei gut, dass die Versäumnisse der Vergangenheit aufgeholt würden, es aber dennoch zu keinem Golden Plating bei der EU-Richtlinie komme, sagte Wolfgang Gerstl (ÖVP). Sein Fraktionskollege Friedrich Ofenauer sieht die Flexibilisierung im Verhandlungsverfahren als eine der wesentlichsten Neuerungen. Für Nikolaus  Scherak (NEOS) ist die Weiterentwicklung des Bestbieterprinzips ein essentieller Schritt, zumal das Spannungsverhältnis zwischen einem effizienten Einsatz von öffentlichen Geldern und einem praxisgerechten Vergaberecht enorm sei.

Trotz einer generell positiven Bewertung für die Weiterentwicklung des Vergaberechts gab es letztendlich dennoch keine Zustimmung von Abgeordnetem Alfred Noll (Liste Pilz) für das Gesetzespaket. Dass Rechtsberatungsberufe von den vergaberechtlichen Regelungen ausgenommen werden, würde Nepotismus und "Freunderlwirtschaft" Tür und Tor öffnen, bemängelte Noll. Außerdem begünstige es große Anwaltskonglomerate, die international tätig sind.

Vergabeverfahren werden vereinfacht und flexibilisiert

Im Sinne der angestrebten Vereinfachung und Flexibilisierung von Vergabeverfahren werden die europarechtlichen Spielräume größtmöglich genutzt, wird in den Erläuterungen zum Gesetzentwurf hervorgehoben. So ist etwa vorgesehen, die Ausnahmebestimmungen zu erweitern, den Zugang zum Verhandlungsverfahren zu erleichtern, die Verpflichtung zur Durchführung einer formalen Angebotsöffnung mit Bieterbeteiligung zu streichen, mehr Flexibilität beim Abruf von Leistungen aus Rahmenvereinbarungen zu ermöglichen und die Mindestfristen für die Abgabe von Teilnahmeanträgen und Angeboten zu verkürzen. Auch für Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich, für die es keine spezifischen EU-Vorgaben gibt, kommt es zu Vereinfachungen.

EuGH mahnt Transparenz auch bei kleinen Aufträgen ein

Der Schwellenwert für Direktvergaben ohne vorherige Bekanntmachung wird wie bisher mit 50.000 € festgesetzt, wobei es weiterhin möglich sein wird, den Betrag mittels Verordnung hinaufzusetzen bzw. zu reduzieren. Das betrifft auch bestimmte andere Los- und Schwellenwerte. Zuständig dafür ist allerdings nicht mehr der Bundeskanzler, sondern der Justizminister. Laut aktueller Verordnung liegt die Obergrenze für Direktvergaben bei 100.000 €.

Bei der Vergabe kleinerer Aufträge gilt es jedoch nicht nur, die Vorgaben des Bundesvergabegesetzes zu berücksichtigen, sondern auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Bedacht zu nehmen, wird in den Erläuterungen angemerkt. Demnach sind bestimmte Verpflichtungen wie das Gebot der Gleichbehandlung und der Transparenz im Falle eines grenzüberschreitenden Interesses auch bei wertmäßig nicht von den EU-Vergabe-Richtlinien umfassten Vergabeverfahren einzuhalten. Faustregel laut Justizministerium: Je höher der Wert, je näher der Leistungs- und Nutzungsort an einer Staatsgrenze und je spezifischer der Auftragsgegenstand, desto eher muss von einem grenzüberschreitenden Interesse ausgegangen und ein angemessener Grad von Öffentlichkeit sichergestellt werden.

An aktuelle EU-Vorgaben angepasst wurden einzelne Schwellenwerte. Der Oberschwellenbereich für Liefer- und Dienstleistungsaufträge beginnt demnach bei 221.000 € bzw. – in bestimmten Fällen – bei 144.000 €. Zuletzt waren es 209.000 € bzw. 135.000 € gewesen. Bei Bauaufträgen liegt der entsprechende Wert bei 5,548 Mio. € (alt: 5,225 Mio. €).

Um eine missverständliche Interpretation der gesetzlichen Bestimmungen zu vermeiden, wurde zu diesen Schwellenwerten heute auch eine Ausschussfeststellung gefasst. Demnach sind ausgeschriebene Dienstleistungsaufträge für ein Vorhaben nur dann zusammenzurechnen, wenn es sich um Dienstleistungen desselben Fachgebiets handelt. Bei völlig unterschiedlichen Dienstleistungsaufträgen, etwa wenn eine Gemeinde Architekturplanung, Projektsteuerung, rechtliche Beratungsleistungen und Vermessungsleistungen ausschreibt, müsse kein komplexes EU-weites Vergabeverfahren durchgeführt werden, sollten die Aufträge zusammengerechnet den Schwellenwert von 221.000 € überschreiten.

Bestbieterprinzip wird ausgeweitet

Ein wesentlicher Punkt der Novelle ist die weitere Forcierung des Bestbieterprinzips gegenüber dem Billigstbieterprinzip. Schon jetzt gilt, dass rein auf den Preis abstellende Ausschreibungen – ohne die Berücksichtigung von Folgekosten wie etwa Wartungskosten oder Lebenszykluskosten – nur bei Waren und Dienstleistungen mit hohem Standardisierungsgrad erlaubt sind. Zudem ist bei bestimmten Vergaben wie Bauaufträgen über einer Million Euro oder der Beschaffung ausgewählter Lebensmittel wie Fleisch, Käse, Obst und Gemüse in jedem Fall verpflichtend das technisch und wirtschaftlich günstigste Angebot zu wählen, wobei neben Kostenfaktoren etwa auch soziale Kriterien berücksichtigt werden können. Diese Verpflichtung wird nun ausgeweitet und gleichzeitig ein neues Qualitätssicherungsmodell eingeführt, das den Auftraggebern die Möglichkeit eröffnet, Qualitätskriterien nicht nur im – laut Erläuterungen komplexen und anfechtungsgefährdeten – Bereich der Zuschlagskriterien festzulegen, sondern etwa auch bei der Leistungsbeschreibung, den Eignungskriterien oder den Ausführungsbedingungen.

Das neue Modell hat den Vorteil, dass die geforderten Qualitätskriterien – in Frage kommen soziale, ökologische und innovative Aspekte – vom Bieter in jedem Fall zu berücksichtigen sind und nicht durch ein besonderes Glänzen bei einem höher gewichteten Zuschlagskriterium, etwa einen besonders attraktiven Preis, umgangen werden können. Als ein konkretes Beispiel einer Ausführungsbedingung wird in den Erläuterungen die verpflichtende Beschäftigung von Lehrlingen oder Langzeitarbeitslosen im Rahmen der Auftragsausführung genannt. Wie schon bisher muss jedenfalls aus der Ausschreibung klar hervorgehen, welche Leistungen gefordert sind und wie die einzelnen Zuschlagskriterien gewichtet werden.

Verpflichtend berücksichtigt werden müssen Qualitätskriterien künftig jedenfalls bei der Ausschreibung personenbezogener Dienstleistungen im Gesundheits- und Sozialbereich – genannt werden in diesem Zusammenhang etwa ärztliche und therapeutische Leistungen, Kinderbetreuung, Erwachsenenbildung, Altersfürsorge etc. –, bei der Ausschreibung von Gebäudereinigungs- und Bewachungsdienstleistungen, bei der Beschaffung von Lebensmitteln sowie bei Verkehrsdiensten im öffentlichen Straßenpersonenverkehr – z. B. bei Linienbussen, Rufbussen oder Anrufsammeltaxis –, wobei bei den unter das Gesetz fallenden Verkehrsdiensten, abweichend von der grundsätzlich freien Wahl der Qualitätsaspekte, zumindest ein soziales Kriterium zur Anwendung kommen muss. Allgemein kommen als Qualitätskriterium beispielsweise Energieeffizienz, Abfallvermeidung, Bodenschutz, Tierschutz oder die Beschäftigung bestimmter Gruppen wie ältere ArbeitnehmerInnen oder behinderte Menschen in Frage. Im Bereich der Lebensmittelbeschaffung könnte es in diesem Sinn etwa ein Biogütezeichen sein.

Darüber hinaus ist das technisch und wirtschaftlich günstigste Angebot – abseits von Bauaufträgen mit einem geschätzten Auftragswert über einer Million Euro – auch bei Dienstleistungen, die im Verhandlungsverfahren vergeben werden, insbesondere bei geistigen Dienstleistungen, bei einer im Wesentlichen funktionalen Beschreibung der Leistung, bei einem wettbewerblichen Dialog sowie bei Auftragsvergaben im Wege einer so genannten Innovationspartnerschaft verpflichtend zu wählen. Bei letztgenannter handelt es sich um ein neues Vergabemodell mit dem Ziel, eine innovative Ware, Bau- oder Dienstleistung zuerst zu entwickeln und diese dann zu erwerben. Generell gilt, dass die Konzeption und Durchführung eines Vergabeverfahrens nach Möglichkeit so erfolgen soll, dass auch kleine und mittlere Unternehmen daran teilnehmen können.

Begründet wird die Forcierung des "Bestangebotsprinzips" nicht zuletzt damit, dass eine Fokussierung bei Auftragsvergaben allein auf den niedrigsten Preis als Zuschlagskriterium einen hohen Preisdruck erzeugt, der in letzter Konsequenz zu Lohn- und Sozialdumping führen kann. Auch die weiteren Bestimmungen des geltenden Bundesvergabegesetzes, die sich gegen "schwarze Schafe" unter den Unternehmen richten, wurden in diesem Sinn - teilweise adaptiert - in das neue Gesetz übernommen. Ausgeweitet wird etwa die Möglichkeit, Subvergaben zu beschränken.

Pflicht zu elektronischen Vergabeverfahren ab Oktober 2018

Neu ist auch die Verpflichtung der Auftraggeber zu elektronischen Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich ab Oktober 2018. Ab diesem Zeitpunkt müssen außerdem – im Sinne des Transparenzgedankens – die Ergebnisse aller einschlägigen Vergabeverfahren auf einer eigenen Plattform veröffentlicht werden. Das betrifft sowohl vergebene Aufträge als auch abgeschlossene Rahmenvereinbarungen und Ergebnisse von Ideenwettbewerben. Ausnahmen sind nur in bestimmten Fällen vorgesehen, etwa wenn eine Veröffentlichung öffentlichem Interesse zuwiderläuft oder berechtigte geschäftliche Interessen eines Unternehmens geschädigt würden.

Die EU erwartet sich von der elektronischen Abwicklung von Vergabeverfahren nicht nur mehr Transparenz, sondern auch eine erhebliche Reduktion der Kosten. Das Einsparungspotential könne allerdings nur dann realisiert werden, wenn standardisierte Software-Lösungen auf breitester Basis eingesetzt werden bzw. die implementierten Lösungen untereinander kompatibel sind, mahnt das Justizministerium eine abgestimmte Vorgangsweise zwischen Bund und Ländern ein. Die Erfahrung in Deutschland zeige, dass im Falle des Einsatzes unterschiedlicher Beschaffungssysteme hohe Kosten bei den Unternehmen drohen.

Bundesvergabegesetz gilt nicht für Personenbeförderungen per Bahn und U-Bahn

Vom Geltungsbereich des Bundesvergabegesetzes in weiten Bereichen ausgenommen sind Personenbeförderungsdienstleistungen auf der Schiene und auf U-Bahnen. Ähnliches gilt für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen im Bereich Bus und Straßenbahn. Österreich folgt damit der Regelungssystematik einschlägiger EU-Verordnungen und Richtlinien, wobei für die beiden genannten Bereiche primär die sogenannte PSO-Verordnung maßgeblich ist. Diese sieht laut Erläuterungen im Grundsatz zwar die Durchführung eines "wettbewerblichen Verfahrens" vor, ermöglicht aber auch Sonderverfahren wie Direktvergaben, Vergaben an "interne Betreiber" und Zusatzaufträge.

Um dem von der EU geforderten Rechtsschutz in diesen Bereichen Genüge zu tun, werden in das Bundesvergabegesetz jedoch einschlägige Rechtsschutzbestimmungen aufgenommen. Im Wesentlichen geht es dabei um die Regelung des Verfahrens vor den für zuständig erklärten Verwaltungsgerichten. Für Dienstleistungsaufträge im Bereich der "Schiene" ändert sich dadurch gegenüber der bisherigen Rechtslage nichts, im Bereich der Konzessionen treten an Stelle der ordentlichen Gerichte nunmehr die Verwaltungsgerichte, wird dazu in den Erläuterungen angemerkt.

Eigenes Bundesgesetz für die Vergabe von Konzessionsverträgen

In einem eigenen Bundesgesetz wird, in Anlehnung an die Konzessionsvergabe-Richtlinie der EU, die Vergabe von Konzessionsverträgen geregelt. Konzessionsvergaben kommen bei Privat-Public-Partnership-Modellen zur Anwendung, das Risiko trägt das Unternehmen bzw. der Konzessionär. (Fortsetzung Verfassungsausschuss) keg/gs