Parlamentskorrespondenz Nr. 534 vom 16.05.2018

Aktuelle Europastunde: Kontroverse Debatte über CETA im Nationalrat

SPÖ wirft Regierung Verrat an WählerInnen und am Rechtsstaat vor

Wien (PK) - "Ein Europa für die Menschen und nicht für die Konzerne, Herr Bundeskanzler!". Diesen Aufruf wählte die SPÖ als Titel der Aktuellen Europastunde heute im Nationalrat. Dabei kam abermals Kritik an der Abwesenheit des Bundeskanzlers, der "in der Früh noch Zeit genug hatte, um im Ministerrat CETA durchzupeitschen", beklagte Jörg Leichtfried (SPÖ). Diese Entscheidung sei ein Verrat an den WählerInnen sowie am demokratischen Rechtsstaat, weil dadurch weltweit agierende Unternehmen die nationale Gesetzgebung beeinflussen und anfechten können. Die ÖVP hingegen sprach von einem "Erfolgskurs mit Kanada" zum Wohle der Klein- und Mittelbetriebe. Die von der Opposition ins Treffen geführten Untergangssszenarien hätten sich alle nicht bewahrheitet. Die Freiheitlichen verteidigten ihre Zustimmung und wiesen darauf hin, dass zahlreiche Verbesserungen im Vertrag erreicht wurden. An der Debatte nahmen auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments Othmar Karas (ÖVP), Evelin Regner (SPÖ) und Angelika Mlinar (NEOS) teil.

SPÖ: CETA bringt undemokratische Sonderrechte für Konzerne und ist ein Verrat an den WählerInnen

SPÖ-Mandatar Jörg Leichtfried konzentrierte sich in seiner Wortmeldung auf das heute im Ministerrat beschlossene Handelsabkommen mit Kanada, das auch Sonderrechte für Konzerne (" investor-state dispute settlement", ISDS) enthält. Die SPÖ hätte einem Vertrag, in dem solche Geheimtribunale vorgesehen sind, nie zugestimmt. Dieser Passus führt u.a. dazu, dass etwa Philip Morriss die Möglichkeit hat, mit Klagen gegen den Nichtraucherschutz in Australien vorzugehen. Dies sei nicht nur demokratisch bedenklich, sondern auch höchst ungerecht, urteilte Leichtfried. Der ältere Arbeitslose hingegen, der vom Wegfall der Aktion 20.000 betroffen ist, der könne sich nämlich bloß beim Salzamt beschweren. Er frage sich wirklich, was mit der FPÖ, die vor den Wahlen noch eine Volksabstimmung in dieser Frage verlangt hat, los ist? "Können Sie sich angesichts dieses Verrats an der Bevölkerung in der Früh noch in den Spiegel schauen?", so der SPÖ-Mandatar.

Wolfgang Katzian (SPÖ) setzte sich dafür ein, dass aus der Wirtschaftsunion eine Union wird, die soziale Standards hoch hält.  Er sei nicht für ein Europa, das sich mit dem Argument der Subsidiarität aus der Sozialpolitik verabschiedet. Auch bei der Debatte über das Gold Plating komme es oft zu einer Verdrehung der Tatsachen. Aus gutem Grund seien Mindeststandards eingeführt worden, die nicht unterschritten werden dürfen. Katzian forderte die Regierung auf, sich nicht nur für den Schutz der Außengrenzen einzusetzen, sondern etwa auch für eine schlagkräftige Arbeitsschutzbehörde, die grenzüberschreitend Lohn- und Sozialdumping bekämpft. Dringend erforderlich seien auch wirksame Maßnahmen gegen Steuerbetrug und –hinterziehung, verlangte Doris Margreiter (SPÖ).  

Auch wenn CETA als das beste Handelsabkommen gilt, dass je abgeschlossen wurde, so ist es nicht gut genug, meinte die Abgeordnete zum Europäischen Parlament Evelyn Regner (SPÖ). Es sei verantwortungslos, das Abkommen heute durch den Ministerrat zu peitschen, zumal auch eine diesbezügliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs noch ausständig sei. Die SozialdemokratInnen stehen für eine Politik der klaren Regeln, um die Macht der Konzerne zu bändigen und die Schwächeren zu schützen. Während sich die großen Unternehmen durch Gründung von Briefkastenfirmen ihre Rechtsordnung aussuchen können, müssen die ArbeitnehmerInnen und die kleinen Betriebe brav ihre Steuern zahlen; dies sei nicht fair. "Europa werde sozial sein oder nicht sein", warnte Regner.

Blümel: Regierung setzt sich für ein "fair play" zwischen allen Marktteilnehmern ein

EU-Minister Gernot Blümel, der auch in dieser Debatte den Bundeskanzler vertrat, widmete sich vielmehr grundsätzlichen Zukunftsfragen der EU und warf SPÖ-Mandatar Leichtfried Populismus vor. Er gehöre einer Generation an, für die die Europäische Union eine Normalität darstellt. Gerade deshalb war die Entscheidung der Briten, aus der EU auszutreten, ein Schock, räumte er ein. Umso wichtiger erachtete es Blümel, daraus die richtigen Lehren zu ziehen. Entscheidend für dieses Votum waren sicher auch Ängste innerhalb der Bevölkerung bezüglich Sicherheit, Migration und Wohlstandsverlust. Beigetragen dazu hat auch Flüchtlingskrise, die seiner Meinung nach eine Art Sündenfall war, da die EU, die mit einem großen Problem konfrontiert war, nicht "geliefert hat". Wer die Ängste der Menschen nicht ernst nimmt, gefährdet das europäische Projekt, war der Minister überzeugt. Aus diesem Grund habe die österreichische Regierung auch das Motto "Europa, das schützt" für die kommende Ratspräsidentschaft gewählt. Neben dem gemeinsamen Schutz der Außengrenzen stehe die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit im Vordergrund, die aber ein fair play aller Marktteilnehmer inkludiert. Es könne nicht sein, dass sich digitale Großkonzerne wie Google und Facebook davor drücken können, Steuern zu zahlen. Mehr Unterstützung soll etwa auch den bäuerlichen Familienbetrieben zugute kommen.

ÖVP: CETA ist ein Erfolg; weitere Schritte müssen folgen

Internationale Handelsabkommen sind zur Stunde das einzige Instrument der Europäischen Union, ihre Werte und Standards global durchzusetzen, konstatierte der EU-Abgeordnete der ÖVP, Othmar Karas. Dies sei seiner Meinung nach bei CETA auch erfolgreich gelungen. Außerdem seien jene Punkte, die noch offen sind, mit den ursprünglichen Forderungen nicht vergleichbar. Die intensive öffentliche Debatte sowie die Bemühungen zahlreicher NGOs und der Parlamente haben dazu beigetragen, dass es nunmehr keine privaten Schiedsgerichte und keine Parallelgerichtsbarkeit gibt, unterstrich der EU-Mandatar. Dennoch brauche es weitere Schritte, wie z.B. den Kampf gegen Steueroasen und Geldwäsche oder die Einführung einer Digitalsteuer.

Abgeordnete Angelika Winzig (ÖVP) verteidigte das CETA-Abkommen, das schon seit acht Monaten vorläufig angewandt wird und bis dato keine negativen Auswirkungen auf die heimischen Standards gehabt hat. Die Globalisierung sei nicht aufzuhalten und müsse aktiv gestaltet werden, ist ihr Credo. In diese Kerbe schlug auch ihr Fraktionskollege Peter Haubner. Europa brauche sich vor Kanada, das auch sehr hohe Standards hat, nicht zu fürchten. Es sei überdies nicht richtig, dass CETA die ArbeitnehmerInnenrechte untergräbt. Überdies wurde der Investitionsschutz im Vertrag sehr vernünftig geregelt.

FPÖ verteidigt Zustimmung zu CETA und wirft der SPÖ im Gegenzug "billigste Polemik" vor

FPÖ-Mandatar Roman Haider sprach von einer "gespielten Entrüstung" seitens der SPÖ. Ex-Bundeskanzler Christian Kern habe CETA im Oktober 2016 als das beste Handelsabkommen bezeichnet, das die EU je abgeschlossen hat. Diese Aussage traf er zu einem Zeitpunkt, als der Vertrag noch alle "Giftzähne" enthalten habe, die in der Zwischenzeit herausverhandelt werden konnten. Aus diesem Grund sei die Kritik der SozialdemokratInnen völlig unglaubwürdig, meinte auch Reinhard Eugen Bösch (FPÖ). Die Position der Freiheitlichen begründete er damit, dass die FPÖ einerseits zur Koalitionsvereinbarung steht und dass andererseits zahlreiche Verbesserungen bei CETA erreicht wurden. Es blieben nicht nur alle Lebensmittelstandards erhalten, auch die Schiedsgerichtsbarkeit sei ordentlich geregelt worden.

NEOS: Macht der Konzerne soll positiv gesteuert werden

Claudia Gamon (NEOS) konnte mit der Phrase "Europa der Konzerne" wenig anfangen, weil sie meist dazu benutzt werde, um populistische Politik zu machen. Man verstelle damit den Menschen nur die Sicht auf die vielen Chancen, die die Europäische Union eröffnet. Der freie Personen- und Warenverkehr biete ungeschätzte Vorteile, die von der Niederlassungsfreiheit bis hin zu  neuen Marktchancen für KMU reichen. Außerdem setze die Union den Konzernen sehr wohl Schranken, urteilte Gamon, die Kommission verfüge über ein ganzes Arsenal an Instrumenten. Sie erinnerte u.a. daran, dass Google einmal eine Geldbuße von 2,42 Mrd. € Strafe aufgebrummt wurde. Und was die Steuerfrage betrifft, so sind nach Auffassung von Gamon vor allem die nationalen Finanzminister gefordert. Ihrem Fraktionskollegen Douglas Hoyos-Trauttmansdorff ging es vor allem darum, die Interessen der jungen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Aus diesem Grund müssen alt eingesessene Systeme, die Privilegien nur für wenige  vorsehen, aufgebrochen und reformiert werden.

Konzerne sind global agierende Unternehmen und nicht per se etwas Schlechtes, gab die Europaabgeordnete der NEOS, Angelika Mlinar, zu bedenken. Dennoch sei es richtig, dass die klassische Rollenzuteilung zwischen Wirtschaft und Politik oft nicht mehr gelte. Die EU sollte daher ihre Wirtschaftskraft nutzen und eine Vorreiterrolle im Umgang mit den multinationalen Unternehmen einnehmen. Als Beispiele nannte Mlinar die Einführung einer Digitalsteuer für IT-Giganten sowie klare Regelungen für die Gewinnbesteuerung von Konzernen.

Liste Pilz: Regierung soll Steuerfluchtrouten schließen; FPÖ legt einer Umfaller der Sonderklasse hin

Die ÖVP, die seit Jahren den Finanzminister stellt, betreibt eine "Willkommenskultur für Steuerflüchtlinge", merkte Bruno Rossmann (PILZ) kritisch an. Die vorrangige Aufgabe des Bundeskanzlers wäre es daher, sich im Rahmen des EU-Ratsvorsitzes für die Schließung der Steuerfluchtrouten stark zu machen. Was das CETA-Abkommen betrifft, so habe die FPÖ einen "Umfaller der Sonderklasse" an den Tag gelegt, urteilte Rossmann. Dieser Vertrag enthalte nämlich im Wesentlichen noch immer dieselben Giftzähne wie im Vorjahr. Umfragen zeigten zudem, dass 75% der ÖsterreicherInnen gegen die Ratifizierung sind. Angesichts der ersten innenpolitischen Maßnahmen und der Ankündigungen im EU-Bereich befürchtete auch Peter Kolba, dass die Regierung die Interessen der Konzerne in den Mittelpunkt stelle und nicht jene der Menschen. Es sei nicht richtig, dass bei CETA die Giftzähne gezogen wurden; der Investorenschutz sei noch immer ein wesentliches Merkmal des Abkommens. (Fortsetzung Nationalrat) sue