Parlamentskorrespondenz Nr. 785 vom 28.06.2018

Hartinger-Klein: Selbstverwaltung bei Sozialversicherungen bleibt gewahrt

Bundesrat durchleuchtet Strukturreform bei Sozialversicherungsträgern

Wien (PK) - Die Zusammenlegung der aktuell 21 Sozialversicherungen Österreichs auf vier bis fünf besiegelte der Ministerrat schon im Mai. Wie die gesetzliche Grundlage dieser Reform genau aussehen wird, darüber diskutiert nicht nur die Öffentlichkeit, auch der Bundessrat setzt sich damit auseinander. Bei einer Aktuellen Stunde mit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein in der heutigen Bundesratssitzung wurde klar: allen ist ein hochqualitatives Gesundheitssystem für die Allgemeinheit wichtig, nur bei der Ausgestaltung gehen die Meinungen auseinander. Während die Regierungsfraktionen ÖVP und FPÖ die Verschlankung der Sozialversicherung als bedeutenden Schritt zur Leistungssicherung lobten, rügt die oppositionelle SPÖ, Wirtschaftsinteressen würden künftig in der Gesundheitsverwaltung auf Kosten der Versicherten überhand nehmen. Aus Sicht der Grünen ist die Reform ein klares Zeichen der Machtpolitik, da bestimmte Sonderversicherungen nicht einbezogen würden.

Hartinger-Klein widersprach den Vorwürfen energisch: "Wir haben immer das Wohl des PatienteInnen, der Versicherten im Auge". Durch Verwaltungszusammenlegungen bei den Versicherungen würden Mittel frei, die der Leistungssteigerung dienten. Das Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherungsträger bleibe dabei erhalten.

Zu Beginn der Sitzung waren die vier neu gewählten Salzburger BundesrätInnen – Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP), Silvester Gfrerer (ÖVP), Miachel Wanner (SPÖ) sowie Marlies Steiner-Wieser (FPÖ) – angelobt worden. Zwei von ihnen, Gfrerer und Steiner-Wieser, zogen erstmals in die Länderkammer ein. Damit sind die personellen Änderungen im Bundesrat im Gefolge der vier Landtagswahlen in Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg nun abgeschlossen. Die Grünen sind aktuell nur noch mit zwei MandatarInnen in der Länderkammer vertreten, damit haben sie auch das Recht auf die Einbringung schriftlicher Anfragen verloren.

Den höchsten Frauenanteil unter den drei verbliebenen Fraktionen hat die ÖVP mit 42,86%, insgesamt ist der Frauenanteil in den letzten Monaten auf 32,8% gesunken. 20 der 61 MandatarInnen sind weiblich.

Fairness bei der Krankenversicherung laut Hartinger-Klein klares Ziel der Reform

Soziale Gerechtigkeit stellte Sozialministerin Hartinger-Klein ins Zentrum der geplanten Strukturreform bei den Kranken-, Pensions-, und Unfallversicherungskassen. "Veränderungen tun weh", doch die Kritik der Opposition sei nicht nachvollziehbar und verunsichere nur die BürgerInnen, rügte sie. Die Fusionierung sei eine "Jahrhundertreform", die im Sinne der österreichischen Bevölkerung mit Bedacht auf Qualität und Effektivität der Versorgung angegangen werde, hätten doch zahlreiche Studien den Veränderungsbedarf bewiesen. Das Prinzip der Selbstverwaltung bei den Versicherungsträgern werde gewahrt, unterstrich Hartinger-Klein, auch die Pflichtversicherung bleibe erhalten. Einsparungen würden nicht auf Kosten der Versicherten gehen, sondern durch intelligente Zusammenlegungen im Back-Office-Bereich für eine bürgernahe Verwaltung sorgen. Keinesfalls plane man Entlassungen unter den MitarbeiterInnen der Versicherungsträger.

"Wir brauchen ein gerechtes, faires System", hob Hartinger-Klein hervor, daher seien gleiche Leistungen für gleiche Beiträge unabdingbar, gerade im niedergelassenen ärztlichen Leistungsfeld. Neue Tarifkataloge verhandle ihr Haus deswegen mit der Ärztekammer, wobei Fachleute die Definition extramuraler medizinischer Leistungen übernähmen. Den Kassenärzten wolle man ermöglichen, sich mehr den PatientInnen widmen zu können, also nicht mehr ihr Einkommen auf die Zahl Behandelter abstellen zu müssen. Überdies gelte es, die ländliche Versorgung zu sichern.

In Hinblick auf die verbleibende Zahl der Sozialversicherungen – vier oder fünf – gibt die Ministerin der Allgemeinen Unfallversicherung (AUVA) Zeit bis Ende August, um Reformkonzepte zu liefern, die dem eigenen Versorgungsauftrag Rechnung tragen sollten. Über den Sommer werde die Regierung ihre Reformvorhaben in Gesetzesform gießen, sodass ab nächstem Jahr mit der Umsetzung begonnen werden kann.

ÖVP und FPÖ setzen auf Ausbau der Primärversorgung

Macht und Interessenspolitik hätten die Strukturreform viele Jahre verhindert, richtete Sandra Kern (ÖVP/N) den Blick zurück, ehe sie das Sozialversicherungswesen der Zukunft erläuterte: eine eigene Kammer werde es für Selbstständige geben, eine für den öffentlichen Dienst inklusive Eisenbahner, sowie die Pensionsversicherungsanstalt, die österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) als Verschmelzung aller neun Gebietskrankenkassen und eventuell die Allgemeine Unfallversicherung (AUVA). Doppelgleisigkeiten würden dabei beseitigt und der niedergelassene Bereich gestärkt, ist Kern zuversichtlich. Der Zwei-Klassen-Medizin sage man der Kampf an, weil mehr Fairness in einem finanziell nachhaltig gesicherten Sozialsystem Einzug halte. Weder Leistungskürzungen, Entlassungen im Versicherungspersonal oder Gebührenerhöhungen plane die Regierung, vielmehr seien ihr "gleiche Leistungen für gleiche Beiträge" wichtig. So würden unterschiedliche Zuschüsse der Vergangenheit angehören.

Einen jahrelangen Stillstand habe man im Bereich der Sozialversicherungen bisher gesehen, meinte ebenso Bernhard Rösch (FPÖ/W), als er die Notwendigkeit einer zügigen Strukturänderung hervorhob. Die Reform titulierte er daher als "Meilenstein", zumal Einsparungen ohne Leistungsverlust damit einhergehen würden. Die Versorgung verbessere sich dank der Verschlankung überkommener Strukturen. Gemäß des solidarischen Ansatzes in Österreich seien die Sozialpartner bei den Verhandlungen mitbedacht, wies Rösch auf die Bedeutung eines gut funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens hin.

Die Strukturreform habe bereits die frühere Regierung in ähnlicher Weise geplant gehabt, verwies Ferdinand Tiefnig (ÖVP/O) auf Überlegungen des ehemaligen Sozialministers Alois Stöger (SPÖ) zu einer Trägerfusion. Veränderungen würden aber jetzt erst angestoßen, verspricht er sich eine Stärkung der Primärversorgung. Wichtig ist Tiefnig nämlich, dass "der Landarzt wieder ins Land kommt". Regional würden gleiche Leistungen, hohe Standards der Gesundheitsversorgung und der Ausbau der Kassenärzte und -ärztinnen gesichert, bekräftigte Georg Schuster (FPÖ/W). Die Reform der Sozialversicherungen trage zur sozialen Gerechtigkeit bei, sagte er und konnte vor diesem Hintergrund die Ablehnung der SPÖ nicht nachvollziehen. Zum Schaden für SteuerzahlerInnen und PatientInnen ist aus Schusters Sicht der aktuelle Umfang an Versicherungen in Österreich samt "aufgeblähter Verwaltung" samt ihm zufolge 2.000 FunktionärInnen und 21 GeneralsekretärInnen "mit dem Durchschnittsgehalt eines Staatssekretärs", wie er ausführte. Nichtnachbesetzungen würden den Personalstand dem Bedarf angleichen.

SPÖ sorgt sich um Versicherungsleistungen

Zahlen, Daten und Fakten sprächen gegen die angedachte Reform, widersprach René Pfister (SPÖ/N). Die angekündigte Kosteneinsparung von 1 Mrd € durch eine schlankere Administration sei nicht vorhersehbar, beliefen sich die Verwaltungsausgaben der Versicherungen doch höchstens auf die Hälfte dieses Betrags. Die Versicherten müssten dagegen verschlechterte Leistungen für ihre Beiträge in Kauf nehmen, denn die Umstrukturierungen fielen zu Lasten der ArbeitnehmerInnen. Das gehe mit der Senkung der Arbeitgeberbeiträge sowie der geminderten Zahl von Verwaltungspersonal für den medizinischen Bereich automatisch einher. Unter der Vorgängerregierung hätten die Sozialversicherungsträger nach eigenen Maßstäben bereits einen Angleichungskurs eingeschlagen, der nun gestört werde.

Bei den Unfallkrankenhäusern der AUVA erkennt der SPÖ-Bundesrat überhaupt keine "funktionierende Finanzierung" aufgrund der Einsparungsvorgaben, wodurch Unfallopfer auf der Strecke blieben.

"Kann es sein, dass die Reform der Sozialversicherung gar nicht Ihre Reform ist?", fragte Pfister die Ministerin, und er vermutete Wirtschaftsinteressen als Triebfeder für die Vorhaben. Pfister verabschiedete sich mit seiner heutigen Rede vom Bundesrat, er wechselt in den niederösterreichischen Landtag. Den Rechten der ArbeitnehmerInnen widmete Korinna Schumann (SPÖ/W) ebenfalls ihr Augenmerk und warnte vor eine Destabilisierung des heimischen Sozialsystems durch die jetzige Regierung. VertreterInnen der Versicherten leiteten die Sozialversicherungen derzeit, spielte sie auf das bestehende Selbstverwaltungsrecht an. Die Reform ziele aber darauf ab, diese Selbstverwaltung "zu durchbrechen", die Arbeitgeber würden künftig über die Versicherungsgestaltung entscheiden, meldete sie starke Bedenken über die nach ihrem Dafürhalten zu geringe Zahl von ArbeitnehmervertreterInnen in den geplanten Gremien an.

Grüne sehen unausgegorenes Reformkonzept

David Stögmüller (G/O) wählte eine pragmatischen Zugang zur Debatte: alle versuchten, das Beste für das heimische Gesundheitssystem zu erreichen. Tatsächlich gebe es Probleme mit den unterschiedlichen Versicherungen, etwa bei Genehmigungen von diversen Leistungen oder den seiner Meinung nach gesundheitspolitisch kontraproduktiven Selbstbehalten einiger Versicherungen. Um die Problemursachen zu beseitigen, wäre eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Trägern nötig, befand Stögmüller, sodass in Folge das Optimierungspotential eindeutig wird. Dies sehe die Regierung jedoch nicht vor. Pensionsanstalten und Versicherungsanstalten für Gemeinde- und Landesbedienstete (KFA) wolle sie nicht antasten, da Machtstrukturen dem entgegenstünden. "Schaffen wir ein einheitliches System mit gleichen Rechten und Bedingungen", appellierte der Grüne Mandatar, anstatt eine "totale Zerschlagung" bestimmter Versicherungen in Angriff zu nehmen. (Fortsetzung Bundesrat) rei


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