Parlamentskorrespondenz Nr. 802 vom 29.06.2018

SPÖ läuft weiter Sturm gegen 12-Stunden-Tag

Nationalrats-Sondersitzung mit Dringlicher Anfrage an Bundeskanzler Kurz

Wien (PK) – Die von der Regierung anvisierte Arbeitszeitflexibilisierung ließ auch bei der heutigen Sondersitzung des Nationalrats die Wogen hochgehen. Eine Dringliche Anfrage der SPÖ an Bundeskanzler Sebastian Kurz mit dem Titel "12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche - in wessen Auftrag, Herr Bundeskanzler?"   gab dabei den Ton für eine äußerst heftige Debatte vor. Josef Muchitsch sprach darin von "Lohnraub", "Gesundheitsraub" und "Freizeitraub" zu Lasten der ArbeitnehmerInnen und warf der Regierung überdies vor, die Betriebsräte auszuklammern und den Dialog mit der Gewerkschaft zu verweigern. Klar ist für den Sozialsprecher der SPÖ jedenfalls, dass mit dem 12-Stunden-Tag eine zentrale Forderung eines der Großspender der ÖVP umgesetzt wurde.

Kanzleramtsminister Gernot Blümel, der Bundeskanzler Sebastian Kurz zunächst vertrat, sah im Antrag der Regierungsparteien eine Reaktion auf die geänderte Arbeitswelt, betonte aber, der Achtstundentag und die 40-Stunden-Woche würden nach wie vor der Regelfall bleiben. Er verwies zudem auf geplante Abänderungen des Initiativantrags, die die Freiwilligkeit sicherstellen und die ArbeitnehmerInnen im Fall der Ablehnung vor negativen Folgen schützen sollen. Bei der Abgeltung der Überstunden gebe es nunmehr auch die Wahl zwischen Geld und Freizeitausgleich.  

Muchitsch: Antrag enthält ausschließlich Verschlechterungen für die Beschäftigten

"12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche brauchen wir nicht, die Wirtschaft kommt mit den bestehenden Regelungen aus", schickte Josef Muchitsch voraus. Der Initiativantrag von ÖVP und FPÖ enthalte keine einzige Verbesserung für die Beschäftigten, sondern ausschließlich Verschlechterungen, lautete sein kritisches Urteil. So werde die Jahresarbeitszeit um zusätzliche 96 Stunden erhöht, für gleiche Arbeit gebe es nun weniger Einkommen. Nichts konnte der SPÖ-Sozialsprecher auch der nunmehr im Gesetz festgeschriebenen Freiwilligkeit der Überstundenleistung abgewinnen. Diese werde in der Praxis nicht funktionieren, zumal die ArbeitnehmerInnen ja am kürzeren Ast sitzen, wandte er ein. Wie oft werde man tatsächlich Nein sagen können? Dazu komme noch, dass die Mitbestimmung völlig ausgeschaltet wird. Betriebsvereinbarungen über die Verlängerung der Arbeitszeit und die Form der Abgeltung von Überstunden, wie sie bisher immer abgeschlossen wurden, werde es in Zukunft nicht mehr geben. Muchitsch sprach zudem auch von einem erhöhten Unfall- und Gesundheitsrisiko und sieht sich dabei durch entsprechende Warnungen von ArbeitsmedizinerInnen bestätigt. Irritiert zeigte er sich in diesem Zusammenhang über den Umstand, dass das Wort Gesundheit in den Aussendungen der Regierungsparteien über die Arbeitszeitflexibilisierung nicht ein einziges Mal vorkommt.

"Es geht um die Zukunft der ArbeitnehmerInnen, um die Würde der Menschen", unterstrich Muchitsch die Brisanz aus seiner Sicht. Er richtete einen eindringlichen Appell an die Regierungsparteien, den Initiativantrag zurückzuziehen und stattdessen eine Ministerratsvorlage einzubringen und diese dem Sozialausschuss zuzuweisen. Diese könnte dann noch Ende August in einem Sondersozialausschuss beraten und im September vom Nationalrat als Gesetz beschlossen werden.

Blümel: Mehr Flexibilität als Reaktion auf geänderte Arbeitswelt, Normalarbeitszeit bleibt unangetastet

Die Regierung passe bloß die rechtlichen Rahmenbedingungen an die geänderte Arbeitswelt an, wandte Kanzleramtsminister Gernot Blümel ein. Die Grundprinzipien der normalen Arbeitszeit – 8-Stunden-Tag und 40-Stunden-Woche – bleiben unangetastet. Mehrleistungen würden weiter durch mehr Geld oder mehr Freizeit abgegolten, betonte er mit Nachdruck. In vielen Bereichen, von den ÄrztInnen über die ÖBB bis hin zu den JournalistInnen und zur Forschung, sei Flexibilität der Arbeitszeit heute schon eine Selbstverständlichkeit. Seit 15 Jahren werde das Thema Arbeitszeitflexibilisierung diskutiert, und zwar auch von SPÖ-Seite, es war darüber hinaus auch in den letzten vier Regierungsprogrammen enthalten, erinnerte der Minister. Auch die Sozialpartner hätten sich letztes Jahr schon fast darüber geeinigt. Heute setze man vieles des damaligen Entwurfs, aber auch wesentliche Teile des "Plans A" von SPÖ-Chef Christian Kern um.

Ziel ist nach den Worten Blümels in erster Linie die Vereinfachung des bisher komplizierten Überstundenregimes, wobei man, anders etwa als in Schweden, unter den möglichen 13 Stunden geblieben ist. Die nunmehr im Gesetz verankerte Freiwilligkeitsgarantie ermögliche den Beschäftigten, die 11. und 12. Stunde jederzeit ohne Angabe von Gründen abzulehnen. Flankiert werde dies von einem Benachteiligungsverbot. Überstunden werden wie bisher durch Zuschläge abgegolten, versicherte Blümel und kündigte zudem an, dass es bei der 11. und 12. Überstunde eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich einer Abgeltung in Geld oder Freizeit geben werde.

Kern: Im Gesetzestext erwähnte Freiwilligkeit ist nur Placebo

Die Auswirkungen der Änderungen des Arbeitszeitgesetzes treffen mehr als dreieinhalb Millionen ArbeitnehmerInnen und alle Familien in diesem Land, sagte SPÖ-Klubobmann Christian Kern. Minister Blümel habe ausschließlich Beispiele von Menschen angeführt, für die auch jetzt schon andere Arbeitszeitregelungen bestehen, sie seien nicht geeignet, die Kritik zu entkräften. Der Plan A habe mit dem Vorschlag der Regierung nichts gemeinsam, denn was man jetzt plane, bringe nur Vorteile für die Arbeitgeberseite und ausschließlich Nachteile für die Arbeitnehmerseite. Die Regierung setze statt auf sinnvolle Verteilung der Arbeit auf Arbeitszeitverlängerung und erhöhten Arbeitsdruck, sie gehe damit völlig an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Kern erinnerte daran, dass das Prinzip des sozialen Ausgleichs das Erfolgskonzept der Zweiten Republik war. Die Regierung entziehe nun dieser Gemeinsamkeit von ArbeitgeberInnen und ArbeitsnehmerInnen den Boden. Im Wahlkampf habe die ÖVP eine neue Gerechtigkeit versprochen. In den Konzepten der Regierung sehe er davon nichts, sondern nur Einschränkung der Freiheit der ArbeitnehmerInnen.

Die Freiwilligkeit, von der die Koaltion im Antrag spreche, sei nur ein Placebo, sagte Kern. Die ÖVP komme den Wünschen ihrer Großsponsoren entgegen, ignoriere aber die Kritik, die von vielen Seiten, auch ihren eigenen Reihen, und zuletzt sogar von der Österreichischen Bischofskonferenz komme. Die Gewerkschaften hätten der Regierung stets die Hand entgegengestreckt, sagte Kern, die Regierung solle diese endlich annehmen. Statt eines sehr schlechten plane man nun einen schlechten Gesetzesentwurf. Die Menschen in diesem Land hätten sich anderes verdient, schloss der SPÖ-Chef.

Wöginger: Neuregelung der Arbeitszeit Win-Win-Situation für alle Seiten

Die Kritik an der geplanten Änderung des Arbeitszeitgesetzes wies ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger mit dem Argument zurück, die Regierung setze nur um, was auch von SPÖ und Christian Kern bereits im Plan A gefordert worden sei. Mit dem nun verhandelten Abänderungsantrag schaffe man Regelungen für Gleitzeit und Viertagewoche, die genau diesen Forderungen entsprächen. Er verstehe nicht, wo der Unterschied sein solle, wenn der Zwölfstundentag aufgrund einer Betriebsvereinbarung oder einer freiwilligen Entscheidung von ArbeitnehmerInnen ermöglicht wird, sagte Wöginger.

Die Freiwilligkeit werde erstmals eindeutig festgeschrieben, in bestehende Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen nicht eingegriffen. Das Gesetz werde außerdem klar regeln, dass es ArbeitnehmerInnen freisteht, selbst zu entscheiden, ob sie Überstunden finanziell oder als Freizeit abgegolten haben wollen. Der Achtstundentag und die Vierzigstundenwoche würden weiterhin die Norm bleiben. Die EU-Arbeitszeitregelung stelle sicher, dass eine Sechzig-Stunden-Woche nicht die Regelarbeitszeit werden kann, stellte Wöginger klar. Die geplanten Regelungen würden vielmehr Menschen aus einem rechtlichen Graubereich herausholen und das rechtlich möglich machen, was oft schon praktiziert werde. Damit schaffe man eine Win-Win-Situation für beide Seiten.

Gudenus: Entscheidungsrecht von ArbeitnehmerInnen wird gestärkt 

Johann Gudenus (FPÖ) rief zur Rückkehr zur Sachlichkeit in der Debatte auf und sprach besonders Abgeordneten Muchitsch an. Dieser solle auch seine Freunde in der Gewerkschaft dazu aufrufen, die Panikmache zu beenden. Gudenus warf SPÖ-nahen Organisationen vor, sie würden mit Geldgeschenken DemonstrantInnen motivieren, nach Wien zu reisen. Die Parole des Kampfes gegen den Zwölfstundentag, welche die SPÖ und SPÖ-Gewerkschafter ausrufen, entbehre dabei jeder Grundlage, denn der generelle Zwölfstundentag sei nicht geplant, was immer auch behauptet werde. Die SPÖ trete also gegen eine Chimäre auf. Die Koalition stehe klar zum ArbeitnehmerInnenschutz. Der einzige Unterschied sei, dass die neue Regelung vorsehe, dass anstelle von BetriebsrätInnen ArbeitnehmerInnen selbst über ihre Arbeitszeit entscheiden dürfen. Das sei offenbar jener Punkt, der die SPÖ am meisten störe, vermutete Gudenus. Die FPÖ stehe jedenfalls für Eigenverantwortung und Freiheit und werde auch weiter dafür eintreten.

In Antwort auf Gundenus wies Muchitsch in einer tatsächlichen Berichtigung dessen Aussage zurück, die SPÖ-Gewerkschaften würden DemonstrantInnen mit Geldgeschenken zur Teilnahme an der geplanten Demonstration in Wien motivieren.

Loacker: "Dampfwalzenpolitik" der Regierung schädigt Anliegen

Das Anliegen der Arbeitszeitflexibilisierung finde grundsätzlich breite Zustimmung, sagte Gerald Loacker (NEOS). Die nun ausgebrochene Polemik auf beiden Seiten sei der Sache jedoch nicht dienlich. Loacker warf sowohl SPÖ als auch ÖVP und FPÖ vor, die sachliche Ebene verlassen zu haben. Er bezweifelte, dass die Freiwilligkeit, welche die Koalition verspreche, im Arbeitsalltag tatsächlich stattfinden werden. Aus Sicht von Loacker ist es auch das Vorgehen der Koalition, welche zu der derzeitigen Debatte geführt hat. Anstelle einer Regierungsvorlage oder eines Initiativantrags mit ausreichend langer Begutachtungsfrist habe sie sich für die "Dampfwalze" entschieden. Die Abänderungen, die nun angekündigt werden, ändern für Loacker wenig. Nach wie vor gebe es unscharfe Formulierungen in der Frage, wer künftig vom Arbeitszeitgesetz umfasst sei, und wer nicht. Damit schaffe man neue Rechtsunsicherheit, was langwierige gerichtliche Klärungen nach sich ziehen werde, warnte er. Die Regierung habe es geschafft, mit ihrer Dampfwalzenpolitik einem berechtigten Anliegen die Unterstützung in der Bevölkerung zu entziehen.

Holzinger-Vogtenhuber fordert Volksabstimmung zu Arbeitszeitflexibilisierung

Daniela Holzinger-Vogtenhuber von der Liste Pilz kritisierte, dass bei der Debatte des Nationalrats weder Bundeskanzler noch Sozialministerin anwesend sind. Die Bundesregierung wolle mit ihren Plänen nicht den Einzelnen stärken, sondern ihn schwächen, der Initiativantrag zum Arbeitszeitgesetz sei ein Anschlag auf Freizeit und Gesundheit der ArbeitnehmerInnen. Er sei ausschließlich aus dem Blickwinkel von Wirtschaftstreibenden und deren Profitinteressen formuliert und missachte die Interessen der ArbeitnehmerInnen. Höchstarbeitszeiten gebe es aus gutem Grund, denn es sei bekannt, dass zu lange Arbeitstage physische und psychische Erkrankungen fördern und das Unfallrisiko deutlich erhöhen, warnte sie.

Das Modell der Koalition zur Arbeitszeitflexibilisierung sei auch deshalb untauglich, weil es ein starres System über alle Branchen hinweg vorsehe. Die angekündigte Freiwilligkeit sei das Papier nicht wert, auf dem sie stehe, denn die betriebliche Praxis sehe anders aus, meinte Holzinger-Vogtenhuber. Ein Recht, Freizeitblöcke in Anspruch zu nehmen, sehe das Gesetz nicht vor, noch berücksichtige es die tatsächliche Situation der Kinderbetreuung. Wenn die Regierung derart überzeugt sei, dass die Menschen in diesem Land diese Regelungen wollen, dann solle sie eine Volksabstimmung über dieses Gesetz ermöglichen, sagte Holzinger-Vogtenhuber und unterstrich diese Forderung mit einem Entschließungsantrag. (Fortsetzung Nationalrat) hof/sox