Parlamentskorrespondenz Nr. 1004 vom 26.09.2018

Aktuelle Europastunde: Kontroverse Debatte über EU-Außengrenzschutz und Asylpolitik

Regierung spricht von Trendwende in Europa, die Opposition vermisst nachhaltige Lösungen

Wien (PK) – "Effektiver EU-Außengrenzschutz als Fundament eines geordneten Asylwesens"  lautete der von der FPÖ gewählte Titel für die heutige Aktuelle Europastunde im Nationalrat . Von einer Schicksalsfrage für Europa sprach Innenminister Herbert Kickl, der Österreich als Vorreiter und Impulsgeber in Sachen Migration bezeichnete. Die Europäische Union sei nun auf österreichischem Kurs und das ist gut so, betonte auch der freiheitliche Klubobmann Walter Rosenkranz. Die Stärkung von Frontex, die Einrichtung einer europäischen Asylagentur oder die Verschärfung der Rückführungs-Richtlinie seien nun unumstritten. Außerdem werde man danach trachten, dass Österreich seine volle Souveränität im Fremden- und Asylrecht behält.

R echtspopulistische Abschottung mache uns ärmer und spalte die Gesellschaft, entgegnete SPÖ-Abgeordneter Jörg Leichtfried, durch Inszenierung und Spektakel werde kein Problem gelöst. Auch die VertreterInnen der NEOS und der Liste Pilz warfen der Regierung vor, mit "Zaubersprüchen" und "Krisenrhetorik" politisches Kleingeld zu schlagen. An der Debatte nahmen auch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments Harald Vilimsky (FPÖ) und Evelyn Regner (SPÖ) teil.

Kickl: Notwendiger Paradigmenwechsel in der Asypolitik wurde nun endlich eingeleitet

Von der Lösung der Asyl- und Migrationsfrage hänge das Schicksal von Europa ab, war Innenminister Herbert Kickl überzeugt. Dies sei entscheidend dafür, ob die kommenden Generationen ein Leben in Sicherheit, Freiheit, Demokratie und Wohlstand führen können.

Auch wenn seit dem Antritt der neuen Regierung unter FPÖ-Beteiligung sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene schon viel Dampf gemacht wurde, sei man von einem "Zustand der Ordnung noch meilenweit" entfernt. Er werde daher in ein paar Wochen einen Brief an die EU-Kommission schicken und ankündigen, dass "Österreich weiterhin die Notwendigkeit sieht, seine eigenen Grenzen nach eigenem Ermessen zu kontrollieren". Für ihn stehe nämlich das Schutzbedürfnis der Bevölkerung an erster Stelle, betonte Kickl. Im Artikel 3 des EU-Vertrags sei eindeutig festgelegt, dass Grenzkontrollen innerhalb der EU nur dann entfallen können, wenn es einen funktionierenden Außengrenzschutz und geordnete Maßnahmen im Asylwesen gibt.

Auf nationaler Ebene verfolge man eine restriktive Asylpolitik, die neben einer Reduktion der Anreize auch eine Beschleunigung der Verfahren zum Ziel hat, führte Kickl weiter aus. Was die EU betrifft, so müsse man wegkommen von dem Holzweg einer zwangsweisen Verteilung von AsylwerberInnen quer über den Kontinent, der noch dazu unter dem Begriff Solidarität debattiert wird. Ein gemeinsames Vorgehen brauche es hingegen beim Schutz der Außengrenzen, der den Dreh- und Angelpunkt einer verantwortungsbewussten Asylpolitik darstelle. Nur dadurch könne man "das inhumanste aller Asylsysteme" beenden, das dazu führt, dass tausende Menschen in der Sahara oder im Mittelmeer ihr Leben lassen. Dafür gebe es nun auch klare Vorgaben von Seiten der Staats- und Regierungschefs der EU, die sich für einen starken Außengrenzschutz, eine Zerschlagung des Geschäftsmodells der Schlepperei sowie für eine Eliminierung der Pull-Faktoren ausgesprochen haben. Einig sei man sich auch bezüglich der Ausschiffungsplattformen und der kontrollierten Einrichtungen an den Außengrenzen der EU; in diese Richtung müsse es als nächsten Schritt gehen. Am Schluss sollte es aber ein System geben, in dem gewährleistet ist, das nur dann in der EU um Asyl angesucht werden kann, wenn nicht vorher schon unzählige sichere Länder durchquert wurden. Dies sei nicht unmenschlich, sondern vernünftig, unterstrich Kickl.

FPÖ sorgt dafür, dass Grenzschutz funktioniert, wenn man ihn braucht

Europa verändere sich hin zum Guten, meinte der EP-Abgeordnete Harald Vilimsky (FPÖ), verfehlte Konzepte der Vergangenheit werden endlich verworfen. Positiv bewertet er vor allem die Zusammenarbeit zwischen dem österreichischen und dem italienischen Innenminister, die immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung finde. Es sei erfreulich, dass auf europäischer Ebene endlich ein Umdenken stattgefunden habe und die EU nun auf österreichischem Kurs sei, bekräftigte auch der freiheitliche Klubobmann Walter Rosenkranz (FPÖ). Das Jahr 2015 habe den Menschen dramatisch vor Augen geführt, was eine Staatsgrenze wert sei, erinnerte er, eine solche Situation dürfe sich nicht mehr wiederholen. Ungarn war zu Zeiten der Flüchtlingskrise übrigens das erste und einzige Land, das den rechtmäßigen Zustand in Bezug auf die Sicherung der Schengen-Grenze wiederhergestellt hat. Dafür gebühre ihm Dank und Anerkennung.

Die aktuelle österreichische Regierung mit den Ministern Kickl und Kunasek setze sich massiv für eine Stärkung von Frontex sowie für gezielte Maßnahmen in den Herkunftsstaaten ein und stelle somit sicher, dass der Grenzschutz wieder funktioniert, wenn man ihn braucht. Generell war Rosenkranz davon überzeugt, dass jeder Staat seine Souveränität behalten müsse und selbst entscheiden könne, wer auf sein Territorium zuwandert bzw. wer das Land zu verlassen hat, wenn die nationalen Gesetze gebrochen werden. Aus diesem Grund beurteilte Rosenkranz auch den geplanten UN-Migrationspakt, der einheitliche globale Regeln für alle Länder festlegen soll, kritisch.

Die FPÖ mache Schluss mit der falschen Politik der SPÖ, die jahrelang die Begriffe Zuwanderung und Asyl vermischt hat, zeigte Abgeordneter Johann Gudenus (FPÖ) auf. Damit habe man nicht nur Armut importiert, sondern auch dazu beigetragen, dass Delikte wie Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Seine Fraktionskollegin Petra Steger war der Meinung, dass sich die Sozialdemokraten für die Politik der vergangenen Jahre, die eine unkontrollierte Massenzuwanderung zur Folge hatte, endlich einmal entschuldigen sollten.

ÖVP zeigt sich erfreut über Trendwende in der EU und Stärkung von Frontex

Es gab im Jahr 2015 eine "völlig ungeordnete Situation", die nicht zuletzt mit der Uneinigkeit innerhalb der letzten Bundesregierung zu tun hatte, räumte ÖVP-Abgeordneter Werner Amon ein. Es wurde u.a. sichtbar, dass das ursprünglich wahrscheinlich gut gemeinte Dublin-System nicht funktioniert. Klar geworden sei zudem, dass auf Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums erst dann verzichtet werden kann, wenn ein effektiver Außengrenzschutz gewährleistet wird. Angesichts der großen globalen Herausforderungen – vom Klimawandel bis zum Bevölkerungswachstum in Afrika – brauche man aber nicht weniger europäische Lösungen, sondern mehr, ist Amon überzeugt. Deshalb sei es ausdrücklich zu begrüßen, dass der Europäische Rat im Juni eine Trendwende eingeleitet hat, machte auch Karl Nehammer (ÖVP) geltend. So belege etwa die geplante Ausweitung von Frontex auf bis zu 10.000 Personen, dass der Außengrenzschutz als wesentliche Säule in der Asyl- und Migrationspolitik erkannt wurde. Für wichtig erachtete er auch die Einberufung eines Afrika-Gipfels, bei dem es u.a. um den Ausbau von Investitionen vor Ort gehen soll. Dabei müsse man natürlich darauf achten, dass die Hilfe wirklich der Bevölkerung zu Gute kommt und nicht irgendwelchen Potentaten oder Kriminellen.

SPÖ: Regierung setzt auf Inszenierung und Spektakel

Abgeordneter Jörg Leichtfried (SPÖ) warnte davor, Menschen gegeneinander auszuspielen, weil dadurch der soziale Frieden gefährdet wird. Flucht sei kein Verbrechen, hob der SPÖ-Mandatar hervor, es gebe gute Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen. Statt einer Anbiederung an zweifelhafte Gestalten der Weltgeschichte sollte es vielmehr darum gehen, einen gemeinsamen europäischen Entwicklungsplan zu entwerfen, eine aktive Neutralitätspolitik zu betreiben und die nationalen Mittel für die Entwicklungshilfe aufzustocken. Die SozialdemokratInnen stehen auch uneingeschränkt zur Genfer Flüchtlingskonvention und der humanitären Verpflichtung, Geflüchteten vor Terror, Gewalt und Krieg zu helfen. Es sei auch nicht hinzunehmen, dass nur wenige Länder die meisten Asylanträge bearbeiten und sich andere EU-Mitgliedstaaten unsolidarisch verhalten. In all diesen Punkten sei die Regierung aber säumig, kritisierte Leichtfried, der u.a. die noch immer fehlenden Rückführungsabkommen einforderte.

Ein effektiver Außengrenzschutz sei wichtig, meinte Angela Lueger (SPÖ), aber gleichzeitig brauche es viel mehr Unterstützung der Menschen vor Ort sowie die Umsetzung von fairen Handelsabkommen. Was die neue Grenzschutzeinheit "Puma" betrifft, so handle es sich dabei um keine Extraeinheit, stellte Lueger klar. Obwohl es kaum mehr Flüchtlinge gebe, würden für dieses "Spektakel" PolizistInnen aus ganz Österreich rekrutiert, die dann in ihren Wachzimmern vor Ort fehlen.

Die SPÖ-Abgeordnete des Europäischen Parlaments Evelyn Regner erinnerte daran, dass Kommissionspräsident Juncker dem österreichischen EU-Ratsvorsitz den Auftrag mit auf dem Weg gegeben hat, Solidarität in der Migrationsfrage dauerhaft zu organisieren. Die Devise laute, Ordnung in das System zu bringen; das müsse aber schnell passieren. Basis dafür sei ein gemeinsames europäisches Asylsystem, die Gewährleistung von raschen Verfahren und die Ermöglichung von legalen Einreisewegen. An diesen klaren Lösungen haben der Kanzler und der Vizekanzler aber gar kein Interesse, urteilte Regner. Sie schlügen stattdessen Kapital aus einer Situation, die sie noch eskalieren lassen; dies sei unverantwortlich. Der Gipfel in Salzburg habe gezeigt, dass die Fassade der Inszenierung an allen Ecken und Enden bröckle.

NEOS: Ehrliche Initiativen für ein gemeinsames europäisches Asylsystem statt "Zaubersprüche"

Mit simplen "Zaubersprüchen" könne man kein komplexes Problem lösen, gab Abgeordnete Claudia Gamon (NEOS) zu bedenken. Ein funktionierender EU-Außengrenzschutz sei natürlich wichtig, aber nur ein Element von vielen. Da die Regierung die Bevölkerung in dieser Frage "für blöd verkaufe", möchte sie den Kanzler und den Innenminister für den Preis "Das goldene Brett vor dem Kopf" nominieren. Dieser werde von der Gesellschaft für die wissenschaftliche Untersuchung von Parawissenschaften vergeben, und zwar an Menschen, deren Versprechen eine Gefahr für andere darstellen. Gerade in einer Zeit, wo Österreich den EU-Ratsvorsitz inne hat, sollte eine evidenzbasierte und aufrichtige Politik betrieben werden, forderte Gamon ebenso wie ihre Fraktionskollegin Stephanie Krisper. Deshalb sei ein gemeinsames europäisches Asylverfahren, das schnell und effizient an den Außengrenzen angewandt wird, unabdingbar. Überdies trat Krisper für konsequente Rückführungen von Personen mit negativem Asylbescheid sowie für mehr Hilfe Ort, zum Beispiel in Form von Städtepartnerschaften, ein.

Liste Pilz: Umfassender Ansatz für Bewältigung von globalen Herausforderungen notwendig

Es sei wohl allen klar, dass es ein neues geordnetes Asylsystem brauche, konstatierte Abgeordnete Alma Zadic (PILZ). Eine so wichtige Frage sollte aber nicht emotional, sondern vernünftig und basierend auf Fakten diskutiert werden. Die Regierung bediene sich jedoch bloß einer "Krisenrhetorik" und befinde sich damit in einem Boot mit den Rechtsaußen der EU wie Salvini, Orban etc., beklagte Bruno Rossmann (PILZ). Er und Zadic sind der Auffassung, dass es weitaus mehr als einen effektiven Außengrenzschutz benötige. Nur ein umfassender Ansatz könne dazu führen, dass eine holistische Antwort auf eine globale Herausforderung gefunden wird. Dazu gehöre auch, dass endlich nicht mehr Ursachen und Wirkung vermischt werden. Wenn z.B. die Fluchtursachen bekämpft werden sollen, dann müssen auch die nationalen Mittel für die diversen Hilfsprogramme deutlich aufgestockt werden, forderte Zadic. Außerdem plädierte die Liste Pilz für eine Fair Trade-Handelspolitik, die Hand in Hand mit der Entwicklungszusammenarbeit geht. Bruno Rossmann drängte zudem auf die Einführung eines gemeinsamen Asylsystems sowie die Reform des Dublin-Verfahrens.

Abgeordneter Efgani Dönmez (o.F.) bezeichnete die Bevölkerungsentwicklung in Afrika als eine der größten Herausforderungen. Seit dem Jahr 1960 kam es zu einer Versechsfachung, bis 2050 rechnet man mit einem Anstieg auf ca. 2,5 Milliarden Menschen. Die Durchführung eines Afrika-Gipfels sei daher sehr wichtig, weil Europa jener Kontinent ist, der von dieser Entwicklung am meisten betroffen sein wird, war Dönmez überzeugt. Er plädierte für eine wirtschaftliche Kooperation auf Augenhöhe, die dazu beiträgt, dass die vielen jungen Menschen ihre Heimatländer nicht mehr verlassen müssen. 

Die ebenfalls fraktionslose Abgeordnete Martha Bißmann wies darauf hin, dass die illegale Migration in die EU seit dem Jahr 2015 um 95% zurückgegangen ist. Sie frage sich daher, warum angesichts dieser Zahlen weiterhin Panik verbreitet werde. Man sollte sich vielmehr dem drängendsten Problem zuwenden, dass es derzeit gibt, nämlich dem Klimawandel. Wenn man diese Frage nicht in den Griff bekommt, dann müsse man bis 2050 mit bis zu 200 Millionen Klimaflüchtlingen rechnen. (Fortsetzung Nationalrat) sue