Parlamentskorrespondenz Nr. 1112 vom 17.10.2018

Sektenbericht: Von der Esoterikszene bis hin zu den Staatsverweigerern

Zentrale Anlaufstelle in Weltanschauungsfragen informiert über Entwicklungen im Jahr 2017

Wien (PK) – Seit nunmehr 20 Jahren beobachtet die Bundesstelle für Sektenfragen die weltanschauliche und spirituelle Landschaft in Österreich, die sich in einem stetigen Wandel befindet. Die MitarbeiterInnen sind dabei mit einem weiten Spektrum an Themen konfrontiert, das von klassischen einschlägigen Gemeinschaften über Esoterik, Okkultismus, Satanismus, Wunderheilungen, fundamentalistischen Strömungen, Angeboten zur Lebenshilfe, Verschwörungstheorien bis hin zu religiösem Extremismus reicht.

Der aktuelle Tätigkeitsbericht enthält – wie schon in den drei letzten Jahren – eine ausführliche Darstellung der diversen "souveränen Bewegungen", die auch mit Begriffen wie Staatsverweigerer, Freeman, Reichsbürger oder Staatenbund Österreich umschrieben werden. Ins Berichtsjahr fallen u.a. die Verhaftung der "Präsidentin" des Staatenbunds Österreich sowie von insgesamt 26 Personen im Rahmen einer Großrazzia, ein Prozess gegen mehrere Staatsverweigerer in Krems im April 2017 sowie die Einrichtung eines eigenen Straftatbestands.

Eingang in den Bericht fanden abermals umstrittene Unterrichtskonzepte (Lais-Lernmethode, Schetinin-Schule, Anastasia-Bewegung), die weiterhin stark an Popularität gewonnen haben. Außerdem blieb die Auseinandersetzung mit Esoterik und Verschwörungstheorien ein großer Arbeitsbereich der Bundesstelle. Um einen besseren Einblick in die konkrete Arbeit zu geben, werden in einem eigenen Kapitel unter strikter Wahrung des Datenschutzes "Fallbeispiele" präsentiert, wobei erstmalig der Fokus auf Kinder und Jugendliche als Betroffene gelegt wurde. (III-184 d.B. ).  

Zentrale Servicestelle bietet umfangreiches Beratungs- und Hilfsangebot

Die Bundesstelle für Sektenfragen, an die sich im Jahr 2017 insgesamt 1.360 Personen gewandt haben, steht seit 1998 als zentrale Service- und Anlaufstelle allen Privatpersonen, Institutionen und staatlichen Einrichtungen zur Verfügung. Neben möglichst objektiver Information und Dokumentation bietet sie individuelle psychosoziale Beratungen (402 Fälle im Jahr 2017), Präventionsarbeit sowie Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Aufgrund des hohen Interesses an bestimmten Themen (z.B. Staatsverweigerer, alternative Unterrichtskonzepte etc.) stellten Medienanfragen einen neuen Arbeitsschwerpunkt dar. Insgesamt ließ sich eine Zunahme von Anfragen und Beratungsfällen verzeichnen. Gleichzeitig war das Jahr 2017 geprägt von finanziellen Kürzungen und Einsparungen im Personalbereich, ist dem Bericht zu entnehmen. Derzeit umfasst das Team fünf MitarbeiterInnen, wobei zwei vollzeit- und drei teilzeitbeschäftigt sind.

Nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bundesstelle, die der Aufsicht durch das Bundeskanzleramt unterliegt, fallen die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften (www.bundesstelle-sektenfragen.at ).

Staatsverweigerer: Mehr Gerichtsverfahren und eigener Straftatbestand

Das Phänomen der Staatsverweigerer – auch bekannt unter den Begriffen OPPT, Souveräne, Freeman, Staatenbund Österreich oder Reichsbürger – beschäftigte auch im Jahr 2017 intensiv Medien, Öffentlichkeit und auch Behörden. Im Juni 2017 sprach BVT-Direktor Peter Gridling von 1.300 den Behörden bekannten Staatsverweigerern; die Zahl der SympathisantInnen gab er mit bis zu 20.000 an. Die AnhängerInnen dieser mitunter auch esoterisch geprägten Szene erkennen den Staat, seine Verfassung und seine Institutionen nicht an und damit ebenfalls keine behördlichen Maßnahmen. Das wiederum führe dazu, dass diese Personen in Konflikt mit dem Staat kommen, weil sie beispielsweise keine Steuern oder Gebühren zahlen. Im letzten Jahr fanden z ahlreiche Polizeieinsätze in der Szene statt, viele ProtagonistInnen mussten sich in Gerichtsverfahren verantworten. Seit dem 1. September 2017 gibt es mit dem Paragraphen 247a einen neuen und eigens auf das Phänomen "Staatsverweigerer" zugeschnittenen Straftatbestand.

Fallbeispiele: Von der Chlorbleiche bis hin zum missionarischen Kinderanimationsprogramm

Der 149 Seiten umfassende Bericht enthält auch zahlreiche Fallbeispiele, die einen konkreten Einblick in die Beratungstätigkeit der Bundesstelle für Sektenfragen geben. Betroffene suchten nicht nur Unterstützung beim Rückzug aus einer Gemeinschaft, bei vielen geht es auch um die Verarbeitung von Erlebtem, um Neuorientierung oder die Klärung von Konflikten mit Angehörigen. So wandten sich etwa Personen an die Bundesstelle, die viele Jahre Teil einer Yoga-Gemeinschaft waren, dessen Guru ständig Geldspenden forderte und die Mitglieder anstiftete, sich von den Eltern das Erbe auszahlen zu lassen.

Da Menschen, die schwere Gesundheitsprobleme haben, besonders anfällig für jede Form von Heilungsversprechen sind, gab es auch in diesem Bereich zahlreiche Fälle. Je größer die Verzweiflung, desto höher sei oftmals die Bereitschaft, beträchtliche Geldsummen auszugeben oder sich einem ideologischen Weltbild anzuschließen, das Gesundheit verspricht. Einem Mann, der unter chronischen Gelenkschmerzen litt, teilte z.B. eine Heilerin mit, dass Probleme aus früheren Leben Ursache seiner Krankheit seien. Sie las ihm bei einem Termin aus Palmblättern vor und teilte ihm mit, wann er sterben würde. Für die Auflösung seiner Blockaden verlangte sie von ihm 1.000 Euro.

In einem Fall, in dem Kinder betroffen waren, wandte sich ein Mitarbeiter einer Jugendeinrichtung an die Bundestelle. Er hatte beobachtet, dass Eltern ihren Kindern das vermeintliche Wundermittel "Miracle Mineral Supplement" verabreicht haben. Gesundheitsbehörden warnen eindringlich vor der Einnahme dieses Produkts, bei dem es sich um "Chlorbleiche" handelt, da es gefährliche bis tödliche Auswirkungen haben kann.

Anlass zu einer Beratung gab auch ein Animationsprogramm in einem Familienhotel, das – wie es sich schlussendlich herausstellte – von einer evangelikalen Gemeinschaft organisiert wurde. Jedes Kind bekam eine Bibel geschenkt und gemeinsam wurde ein Programm für den Sonntagsgottesdienst geprobt. Ziel der Gemeinschaft war es, Kinder aus religionsfernen Elternhäusern näher an Jesus heranzuführen und damit zu "retten". Die Eltern ärgerten sich darüber, dass die Kinderanimation für Missionszwecke missbraucht und die Herkunft des Angebots verschleiert wurde. (Schluss) sue