Parlamentskorrespondenz Nr. 1141 vom 22.10.2018

Deutsche Bundestagsdelegation besucht österreichisches Parlament

Aussprache mit Abgeordneten über Immunitäts- und Geschäftsordnungsfragen

Wien (PK) – Das Immunitätsrecht, die Darstellung der parlamentarischen Arbeit in der Öffentlichkeit und Fragen der Transparenz standen im Mittelpunkt eines Gedankenaustausches zwischen österreichischen und deutschen MandatarInnen heute im Parlament. Wie der Vorsitzende des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des deutschen Bundestags Patrick Sensburg (CDU) berichtete, wird in Deutschland derzeit eine Diskussion darüber geführt, ob die Immunität den Abgeordneten nicht mehr schade als nutze. Auslieferungsbegehren erzeugten oft große mediale Aufmerksamkeit, mehr als 80% der betroffenen Strafverfahren endeten aber mit Einstellungen bzw. Auflagen. Der Ruf sei dann ruiniert, ohne dass strafrechtlich etwas übrig bleibe. Gleichzeitig erwecke das Immunitätsrecht den Anschein, dass Abgeordnete privilegiert seien. In diesem Sinn gibt es laut Sensburgs Fraktionskollegem Patrick Schnieder Überlegungen, das Prinzip umzukehren und sich nur noch mit jenen Fällen zu beschäftigen, in denen durch eine Strafverfolgung eine Beeinträchtigung der Funktionalität des Bundestags droht.

Pro Legislaturperiode gibt es laut Auskunft der deutschen Delegation rund 40 bis 50 Immunitätsfälle. Dass die Zahl im Vergleich zu Österreich verhältnismäßig hoch ist, liegt nicht zuletzt daran, dass auch Vergehen wie gröbere Verkehrsdelikte, z.B. Fahrerflucht, oder Veruntreuung im eigenen Betrieb im Immunitätsausschuss landen. In Österreich wird die Immunität hingegen sehr eng ausgelegt – nur wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit eines Abgeordneten und dem vermeintlichen Delikt besteht, benötigen die Strafverfolgungsbehörden die ausdrückliche Zustimmung des Nationalrats für Ermittlungen.

Überholt ist die Immunität nach Meinung von ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker und ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl nicht. Diese sei seinerzeit eingeführt worden, damit die Abgeordneten ihr Mandat möglichst frei ausüben könnten, gab Steinacker zu bedenken. Dieser Schutzmechanismus sei auch heute sinnvoll, wo es "schick" geworden sei, jemanden anzuzeigen. Oft gehe es nur darum, den politischen Gegner in Misskredit zu bringen, ergänzte Gerstl. In diesem Sinn hält er die Immunität auch als im Interesse der BürgerInnen gelegen, damit sich die PolitikerInnen weiter für deren Anliegen einsetzen können. Der Obmann des österreichischen Immunitätsausschusses Klaus Uwe Feichtinger (SPÖ), der die Aussprache leitete, wies darauf hin, dass die betroffenen Abgeordneten oft selbst die Aufhebung ihrer Immunität befürworten würden. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Immunität liege die Entscheidung aber beim Nationalrat.

In Bezug auf die immer wieder diskutierte Forderung nach Veröffentlichung von Lobbyisten-Terminen, waren sich die ParlamentarierInnen weitgehend einig, dass man, was Transparenzpflichten betrifft, auch über das Ziel hinausschießen könne. Es sei originäre Aufgabe der Abgeordneten, sich mit Interessensverbänden und anderen betroffenen Gruppen zu treffen, sagte Steinacker. Darin liege nichts Verwerfliches. Das betonte auch die deutsche SPD-Abgeordnete Marianne Schieder. Viele würden den Abgeordneten aber offenbar nicht zutrauen, Argumente abwägen und gewichten zu können. Sensburg warnte in diesem Zusammenhang vor einer Einschränkung des freien Mandats.

In Zusammenhang mit Überlegungen in Deutschland, die neu eingeführte "Kanzlerbefragung" – eine Art Fragestunde mit Bundeskanzlerin Angela Merkel – lebendiger zu gestalten und so für die Öffentlichkeit interessanter zu machen, entspann sich eine Diskussion über die mediale Wahrnehmung der Arbeit der Parlamente. Er habe mit Interesse die gestrige Festsetzung des Nationalrats im ORF verfolgt, sagte Sensburg. Die Arbeit des deutschen Parlaments sieht er in der medialen Berichterstattung hingegen vernachlässigt. Das Gefühl von AfD-Abgeordnetem Andreas Bleck, dass die ZuschauerInnen jetzt häufiger als früher Parlamentsdebatten verfolgen, konnte er nicht teilen. Ein Problem haben das österreichische und das deutsche Parlament gemeinsam: Die wiederholte Kritik am oft leeren Sitzungssaal, wobei es den deutschen Abgeordneten Sensburg zufolge allein schon deshalb nicht möglich ist, ständig im Sitzungssaal anwesend zu sein, weil parallel dazu Ausschüsse und Arbeitssitzungen stattfinden.

Von österreichischer Seite nahmen am Gedankenaustausch auch Abgeordnete Gertraud Salzmann (ÖVP) und der steirische Bundesrat Gottfried Sperl (FPÖ) teil. (Schluss) gs