Parlamentskorrespondenz Nr. 1152 vom 24.10.2018

Höhere Anrechnung von Karenzzeiten soll über Sozialpartnerverhandlungen verankert werden

Nationalrat: Anträge von SPÖ, NEOS und Liste Pilz abgelehnt, letztere stimmen ÖVP-FPÖ-Entschließung trotzdem zu

Wien (PK) – ÖVP und FPÖ setzen sich mit einem heute im Nationalrat mehrheitlich befürworteten Entschließungsantrag in Richtung Sozialpartner dafür ein, dass in der diesjährigen Herbstlohnrunde die Anrechnung von Karenzzeiten bis zu 24 Monate in allen Kollektivverträgen und Berufen verankert wird. Die Liste Pilz stimmte ebenfalls zu, obwohl ihr eigener Antrag für eine ehestmögliche gesetzliche Änderung zur Anrechnung der Karenzzeiten ebenso wie die Forderung nach Anerkennung von Karenzzeiten als Vordienstzeiten mehrheitlich abgelehnt wurde.

Vehemente Kritik an der Vorgehensweise von ÖVP und FPÖ äußerte neuerlich die SPÖ - eine Verbesserung in der Anrechnung könne nur durch eine umgehende Gesetzesänderung bewirkt werden. Eine von den SozialdemokratInnen heute eingebrachte Initiative auf konkrete Änderung des Mutterschutzgesetzes setzte sich aber nicht durch. Für die NEOS wäre es zur Förderung von Gleichberechtigung zielführender, für jeden Elternteil einen individuellen, zumindest zum Teil nicht übertragbaren Karenzanspruch vorzusehen. Ihr diesbezüglicher Antrag blieb ebenso in der Minderheit.

Konkret sollen der vom Nationalrat gefassten Entschließung zufolge von der Regierung Gespräche mit den Sozialpartnern aufgenommen werden, damit künftig bis zu 24 Monate Karenz bei Gehaltsvorrückungen, Urlaubsansprüchen, Kündigungsfristen und Entgeltfortzahlungen zur Anrechnung gelangen, und zwar lückenlos in allen Kollektivverträgen. Derzeit sei das nur in rund 30 Prozent der großen Kollektivverträge bzw. 145 von insgesamt 859 Kollektivverträgen der Fall, machen ÖVP und FPÖ in ihrer Initiative geltend. Ziel sei die Verankerung in der diesjährigen Herbstlohnrunde. Sie berufen sich, was das Anliegen betrifft, nicht zuletzt auf das Regierungsprogramm.

ÖVP sieht Generalklausel als Möglichkeit der Sozialpartner in Herbstlohnrunde

August Wöginger und Michael Hammer (beide ÖVP) sehen zur Umsetzung der Karenzzeit-Anrechnung für die Sozialpartner die Möglichkeit, dies in der Herbstlohnrunde für alle Kollektivverträge in einer Generalklausel vorzunehmen. Sollte das nicht funktionieren, werde bis Jahresende ein Gesetzesvorschlag eingebracht, so Wöginger. Die Maßnahme sei jedenfalls eine langjährige Forderung der ÖVP und soll und werde dafür sorgen, dass die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen geschlossen werden kann. Der Wortlaut im Antrag - bis zu 24 Monate - sei für den Fall einer geringeren Inanspruchnahme von Elternkarenz zu verstehen.

Unverständlich ist aus Wögingers Sicht, warum gerade die SPÖ den Weg über die Sozialpartner ablehnt und ein Gesetz an diesen "vorbeischummeln" wolle. Einer "Zwangsaufteilung" der Karenz, wie sie die NEOS vorschlagen würden, kann er wenig abgewinnen. Die Regierung stehe für Wahlfreiheit, wie auch Carmen Schimanek (FPÖ) betonte. Dem schloss sich Michael Hammer an. Das Ziel sei ganz klar, die Einkommensschere zu schließen. Aus Sicht von Tanja Graf (ÖVP) spricht sich auch die Wirtschaft entschieden gegen Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt aus. Dass in manchen Branchen die Karenzzeiten nicht höher angerechnet würden, führt sie auf "völlig überzogene Forderungen der Gewerkschaft" zurück. Vernünftige Lösungen würden nicht an der Wirtschaft scheitern, so Graf.

Die Maßnahme trage sowohl dazu bei, die Gehaltsschere zwischen Mann und Frau zu schließen, als auch die vergleichsweise kinderarme Mittelschicht bei Kinderwünschen zu unterstützen, unterstrich Petra Wagner seitens der FPÖ. Die Anrechnung sei ein wichtiger Schritt für nachhaltige Familienpolitik und für die Gleichstellung von Mann und Frau und soll für alle Berufe gewährleistet sein – niemand solle sich zwischen Familie und Beruf entscheiden müssen. Dem Vorschlag der Liste Pilz, Karenz als Dienstzeiten anzurechnen könne sie nichts abgewinnen, dies würde jene ohne Karenz benachteiligen. Auch Wagner betonte, es werde zu einer gesetzlichen Lösung kommen, falls die Kollektivvertragsverhandlungen keine Einigung bringen sollten. Als langjähriges Anliegen werde nun ein Schritt in die richtige Richtung gesetzt, um die Gehaltsschere und Pensionslücken zu schließen, ergänzte ihre Fraktionskollegin Schimanek. Vor allem Frauen mit Kindern würden davon profitieren. Außerdem seien die Sozialkompetenzen aus Karenzzeiten für den Arbeitsmarkt unverzichtbar.

Ein Faktum sei, dass es immer noch eine Schlechterstellung und daraus resultierende Einkommensunterscheide von erziehenden Elternteilen gegenüber den Beschäftigten gebe, hob Sozialministerin Beate Hartinger-Klein hervor. Die Verbesserung der Anrechnung ziele bewusst auf die vergleichsweise kinderarme Mittelschicht ab, damit sich diese auch Kinderwünsche erfüllen könne.

SPÖ will umgehende Änderung im Mutterschutzgesetz, NEOS fordern individuellen Karenzanspruch

Auf eine umgehende gesetzliche Änderung pochte wiederholt die SPÖ. Josef Muchitsch wies auf die Problematik hin, dass etwa drei Prozent der Beschäftigten keinem Kollektivvertrag unterliegen. Außerdem wäre eine volle Anrechnung von Elternkarenzzeiten gerade in Branchen, wo viele Frauen arbeiten, etwa im Handel oder der Gastronomie, bisher nicht gelungen. Daher sei diese "Empfehlung" der Koalition an die Sozialpartner ein "Schmarrn" und der Antrag ein "Schmäh", so Muchitsch. Gabriele Heinisch-Hosek brachte seitens der SPÖ einen Antrag auf Änderung des Mutterschutzgesetzes ein, der aber in der Minderheit blieb. Sie fordert damit eine volle Anrechnung der gesetzlichen Karenzzeiten nach dem Mutterschutzgesetz auf alle Rechtsansprüche, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten. Es brauche dringend ein ganzes Maßnahmenpaket für Frauen, zumindest aber eine sofortige gesetzliche Möglichkeit der Anrechnung, sagte Heinisch-Hosek.

Auf Tanja Grafs Aussage zu Gewerkschaftsforderungen reagierte Birgit Sandler (SPÖ). Deren Forderungen zu bewerten sei nicht Sache der Abgeordneten. Im Regierungsprogramm heiße es, man wolle "gemeinsam" mit den Sozialpartnern eine Lösung. Das könne aber nicht bedeuten,  den Sozialpartnern nur etwas "auszurichten" und mit einem Gesetz zu "drohen". Außerdem lasse die Regierung 100.000 Menschen im Stich, die nicht einer kollektivvetraglichen Regelung unterliegen. Angela Lueger (SPÖ) kritisierte Graf für arbeitnehmerunfreundliche Regelungen in der Arbeitskräfteüberlassung, die selbige ausverhandelt habe.

Gerald Loacker (NEOS) hält die Koalitionsinitiative für ungeeignet, die Thematik zu lösen. Es sei nicht der Job von Abgeordneten, den Sozialpartnern "etwas auszurichten", außerdem gebe es eine generelle Herbstlohnrunde nicht. Darüber hinaus werde sich das Rollenmuster, wonach grundsätzlich Frauen die Erziehungsarbeit übernehmen, nicht ändern. Claudia Gamon (NEOS) befürchtet eine neue indirekte Diskriminierung von Frauen. Für selbige werde es mit Anrechnung von Zeiten ohne Berufserfahrung am Arbeitsmarkt nicht einfacher werden. Aus der Sicht der NEOS wäre zur Förderung von Gleichberechtigung zielführender, für jeden Elternteil einen individuellen, zumindest zum Teil nicht übertragbaren Karenzanspruch vorzusehen. Der diesbezüglich von Loacker eingebrachte Antrag blieb jedoch in der Minderheit.

Anträge der Liste Pilz finden keine Mehrheit, trotzdem Zustimmung zur Koalitions-Initiative

Für eine umgehende gesetzliche Regelung machte sich zuvor auch die Liste Pilz stark. Die Nichtanrechnung von Karenzzeiten führe nicht nur zu Gehaltseinbußen während des Berufslebens vor allem für Frauen, sondern wirke sich auch negativ auf die Pensionshöhe aus, unterstrich Daniela Holzinger-Vogtenhuber im Entschließungsantrag der Liste Pilz . Zudem machte sie darauf aufmerksam, dass Urlaub, die Zeit beim Bundesheer und Krankenstand schon jetzt sehr wohl als Dienstzeit für Gehaltsvorrückungen berücksichtigt werden. Ein Anliegen der Liste Pilz ist vor diesem Hintergrund auch die Anrechnung von Elternkarenzen als Vordienstzeiten. Die beiden Vorschläge fanden zwar keine Mehrheit, sie werde dem Entschließungsantrag der Koalitionsparteien letztlich trotzdem zustimmen, sagte Holzinger-Vogtenhuber. Dieser Weg, dass kein Elternteil mehr einen Nachteil durch Karenzzeit erleide, müsse endlich beschritten werden. (Fortsetzung Nationalrat) mbu