Parlamentskorrespondenz Nr. 1153 vom 24.10.2018

Aktuelle Stunde: Auftakt zur Debatte über umstrittene Sozialversicherungsreform

Heftiges Match zwischen Regierungsfraktionen und Opposition im Nationalrat

Wien (PK) – Die Aktuelle Stunde mit dem Titel "Sozialversicherung Neu als Grundlage einer Gesundheitsreform" bildete den Auftakt zu einer intensiven Auseinandersetzung im Nationalrat über den von der Regierung angestrebten Umbau der Krankenkassen. Das dafür vorgelegte und heftig umstrittene Sozialversicherungs-Organisationsgesetz (SV-OG) wurde heute Morgen im Ministerrat beschlossen. Damit habe man die größte Strukturreform im Bereich der Sozialversicherung, die es je gegeben hat, auf den Weg gebracht, sparte ÖVP-Klubobmann August Wöginger nicht mit Superlativen. Über 30 Jahre habe man darüber diskutiert, die Regierung setze es nun um, lobte auch Walter Rosenkranz das Vorhaben. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein hob insbesondere die Schaffung von klaren und transparenten Entscheidungsstrukturen sowie die Umsetzung des Prinzips "gleiche Beiträge für gleiche Leistungen" hervor. Keinen Zweifel gibt es ihrer Meinung nach an der Verfassungskonformität des Entwurfs.

Eine gänzliche andere Sicht hatten die Oppositionsparteien. Die SPÖ könne das Gesetz sicherlich nicht mittragen, weil es keine konkreten Verbesserungen für die PatientInnen und das Gesundheitspersonal bringe. Es komme zu einem Umbau des Sozialversicherungssystems zu Lasten der ArbeitnehmerInnen. Die NEOS wiederum warfen der Regierung vor, eine "große Zaubershow" zu veranstalten, die den Menschen Sand in die Augen streue. Die Liste Pilz beklagte die "Demontage der Selbstverwaltung" und verwies zudem auf die massive Kritik von Seiten des Rechnungshofs.

Rosenkranz: Regierung gibt Startschuss für dringend notwendige Reform der Sozialversicherung

Durch die heute im Ministerrat beschlossene Sozialversicherungsreform werde ein Vorhaben umgesetzt, über das seit mehr als 30 Jahre nur diskutiert wurde, konstatierte FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz zu Beginn der Debatte. Die Bundesregierung, vor allem in der Person der zuständigen Ministerin Beate Hartinger-Klein, setze nun den Startschuss für einen Systemwandel, der nicht nur eine Verschlankung der Strukturen bringt, sondern vor allem für die dringend notwendige Leistungsgerechtigkeit vom Neusiedler See bis zum Bodensee sorgt. Im Gegensatz zum Rechnungshof war Rosenkranz auch sicher, dass durch Einsparungen im System, z.B. beim Hauptverband, beim statistischen Jahrbuch oder durch eine einheitliche Gebühreneinhebung, die angestrebten Ziele erreicht werden können. Es sei jedoch klar, dass etwa die Reduktion der FunktionärInnen von 2000 auf 480 bei den Betroffenen nicht so gut ankomme. Generell verwahrte er sich gegen die oft sehr "unredliche Kritik" von Seiten der Opposition, die sich – so war Rosenkranz überzeugt – bald in Luft auflösen wird. Außerdem hätten zahlreiche ExpertInnen bestätigt, dass der Gesetzentwurf verfassungskonform ist. Spätestens bei den nächsten Wahlen, werde der Opposition das Lachen im Hals stecken bleiben, war sich der FPÖ-Klubobmann sicher, weil die Menschen erkennen werden, wer für Verunsicherung und wer für Umsetzung steht. 

Hartinger-Klein: Effizientere Strukturen, Reduktion der Gremien und mehr Leistungsgerechtigkeit

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein sprach von einem zentralen Projekt der Bundesregierung, das lange und umfassend vorbereitet wurde. Das Sozialversicherungs-Organisationsgesetz (SV-OG) stehe nicht nur für schlanke, nachhaltige und effiziente Strukturen, sondern bilde auch die Basis für eine umfassende Gesundheitsreform. Müsste man den Inhalt in einem Satz zusammenfassen, dann laute dieser "weniger Geld für die Bürokratie und die FunktionärInnen und mehr Geld für die PatientInnen und die ÄrztInnen". Entgegen der in den Medien oft kolportierten Schreckensszenarien, die alle falsch seien, bringe die Reform viele positive Veränderungen, wie etwa die Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen zu einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), eine drastische Reduktion der Gremien, eine deutliche Beschleunigung der Verfahren, eine Prüfung der Unternehmen gemeinsam mit der Finanzverwaltung sowie eine moderate Stärkung des Aufsichtsrechts des Bundes. Es sei zudem völlig unbestritten, dass es weiterhin die Selbstverwaltung gibt, dass die Unfallkrankenhäuser bestehen bleiben und dass es zu einem regionalen Strukturausgleich kommt. Außerdem versicherte Hartinger-Klein, dass keine einzige Leistung durch die vorliegende Organisationsreform gekürzt werde.

Wenn sich die KritikerInnen die etwa 1.500 Seiten an Unterlagen einmal genauer ansehen würden, dann könnten sie die zahlreichen Kosten- und Effizienzpotenziale, die sich durch die Zusammenlegung der Kassen ergeben, erkennen. Die Ministerin verwies auch darauf, dass die AUVA selbst ein Konzept vorgelegt hat, das in den nächsten fünf Jahren Einsparungen in der Höhe von fast 500 Mio. € bringen wird. Ihr sei es wichtig, dass "jeder Cent für die Versicherten eingesetzt wird und nicht für ineffiziente Verwaltung und Funktionäre". Was die rechtlichen Fragen anbelangt, so würden mehrere Gutachten eindrucksvoll belegen, dass der Gesetzentwurf "nach menschlichem Ermessen" verfassungskonform ist, unterstrich Hartinger-Klein.

ÖVP: Sozialversicherungsreform bildet wichtige Grundlage für weitere Schritte im Gesundheitswesen

"Wir haben heute die größte Strukturreform im Bereich der Sozialversicherung auf den Weg gebracht", schloss ÖVP-Klubobmann August Wöginger an die Ausführungen der Ministerin an. Er stimmte mit seinen Vorrednern auch darin überein, dass es sich dabei um eine Strukturreform und keine Gesundheitsreform handelt. Das jetzige Gesundheitssystem habe Mängel, die behoben werden müssen, urteilte er, und wies auf überfüllte Ambulanzen und lange Wartezeiten hin. So warte man z.B. in seiner Heimatregion, dem Innviertel, bis zu zehn Monate auf einen Augenarzttermin. Außerdem gebe es zu wenig FachärztInnen im ländlichen Raum.

Entsprechend den Zielen im Regierungsprogramm werden daher die Träger von 21 auf fünf zusammengelegt und die Gremien reduziert, erläuterte Wöginger. Er ging davon aus, dass sich bis zum Jahr 2023 Einsparungseffekte in der Höhe von rund einer Milliarde Euro erreichen lassen, wobei das eingesparte Geld aber im System und bei den PatientInnen gelassen wird. Es werden keine Spitäler geschlossen und keine Leistungen gekürzt, betonte der Klubobmann weiter. Außerdem habe man eine Jobgarantie für die fast 29.000 MitarbeiterInnen in der Sozialversicherung abgegeben. Wöginger appellierte daher an die Abgeordneten, ein "aus unserer Sicht verfassungskonformes Gesetz" mitzutragen und im Sinne der österreichischen Versicherten umzusetzen. Die Bevölkerung müsse sich nämlich darauf verlassen können, dass es in Österreich auch in Zukunft eine Gesundheitsversorgung auf höchsten Niveau gibt, betonte seine Fraktionskollegin Gabriela Schwarz.

SPÖ: Husch-Pfusch-Gesetz bringt keine echten Verbesserungen für die Menschen

Im Zentrum jeder Reform müssen die Fragen stehen, warum etwas verändert werden soll und vor allem für wen etwas verändert werden soll, gab SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner zu bedenken. Beim zur Debatte stehenden Vorhaben der Regierung, das mit den verschiedensten Namen bedacht wird, habe sie den Eindruck, dass diese Fragen im Vorfeld nicht beantwortet wurden. Denn entscheidend müsse sein, ob etwa die Probleme der Kindergärtnerin in der Steiermark, die auf einen MRT-Termin wartet, oder des Pensionisten aus Tirol, der mit akuten Herzbeschwerden in die Notfallaufnahme kommt, gelöst werden oder nicht. Wenn man sich nun die Eckpunkte des Gesetzentwurfs näher anschaut, dann komme man zu dem Schluss, dass konkrete Verbesserungen für die PatientInnen und für das Gesundheitspersonal nicht im Mittelpunkt standen. Es sei nämlich nicht gerecht, dass der burgenländische Bauarbeiter beim Zahnarztbesuch, bei der Physiotherapie oder beim Wahlarzt eine schlechtere Leistung bekommt als die PolitikerInnen, die bei der BVA versichert sind. Die SPÖ sehe daher keine Veranlassung, ein Gesetzesvorhaben mitzutragen, das nicht die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellt, erklärte Rendi-Wagner. Außerdem erinnerte sie an die zahlreichen Bedenken, die von VerfassungsexpertInnen oder dem Rechnungshof geäußert wurden.

Auch Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ) war der Auffassung, dass das Sozialversicherungssystem zu Lasten aller Versicherten, vom Kleinkind bis zum Pensionisten, umgebaut werde. Obwohl die Selbstverwaltung nur rund 5,7 Mio. € im Jahr koste, betreibe die Regierung ein "Funktionärsbashing" sondergleichen und verspreche den Menschen Einsparungen in Milliardenhöhe. Die österreichischen SV-Träger weisen die niedrigsten Verwaltungsausgaben in ganz Europa auf; die Administration kostet 40 Cent pro Versicherten. Überdies gab Muchitsch zu bedenken, dass die Fusionskosten überhaupt nicht eingerechnet wurden und den Privatspitälern noch mehr Geld zugeschanzt werde.

FPÖ: Statt Geld für machtpolitische Strukturen bessere Leistungen für die PatientInnen

Das bestehende Mehrklassensystem im Gesundheitswesen, für das vor allem sozialdemokratische MinisterInnen verantwortlich zeichneten, sei genau der Grund dafür, dass eine umfassende Reform so dringend erforderlich war, zeigte Abgeordnete Dagmar Belakowitsch (FPÖ) auf. Mit dem SV-OG werde nun der erste bedeutsame Schritt gesetzt, um das Ende der macht- und parteipolitischen Strukturen in der Sozialversicherung einzuläuten. Auch wenn am Grundprinzip der Selbstverwaltung festgehalten wird, so müsse sie doch so gestaltet werden, dass sie lenkbar ist und vor allem die Interessen der PatientInnen im Auge hat, unterstrich die Rednerin. Es dürfe nicht mehr dazu kommen, dass Menschen die notwendigen Untersuchungen nicht bekommen oder Wartezeiten von drei Monaten oder länger in Kauf nehmen müssen. Dazu brauche es auch wieder mehr Kassenstellen und eine bessere Versorgung im ländlichen Raum. Auch die Gesundheitssprecherin der Freiheitlichen, Brigitte Povysil, betonte, dass die Bedürfnisse der PatientInnen im Mittelpunkt stehen und das eingesparte Geld im System bleiben wird. Es brauche mehr Leistungsgerechtigkeit sowie zeitgemäße und effiziente Strukturen. Die Regierungsvorlage sei die Basis dafür, um ein schlichtes, transparentes und tragfähiges Haus der Gesundheit zu bauen.

NEOS: Regierung setzt auf Zaubershows und Marketing-Gags statt Fakten

Die Themenwahl der FPÖ für die heutige Aktuelle Stunde war ein mutiger Schritt, urteilte Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger  (NEOS), zumal alle Medien und auch der Rechnungshof den Gesetzentwurf als "große Zaubershow" eingestuft haben. Der aus dem Hut gezauberte "Einsparungshase" in der Höhe von einer Milliarde Euro sei nämlich nichts anderes als Hokus-Pokus, ärgerte sich die Rednerin. Die RH-Präsidentin habe klar aufgezeigt, dass die von der Regierung angegebenen finanziellen Auswirkungen nicht nachvollziehbar sind. Statt auf die Kritik sachlich einzugehen, versuche die FPÖ wieder einmal, die Institution Rechnungshof zu delegitimieren. Den Menschen werde Sand in die Augen gestreut, da weiterhin zahlreiche Privilegien, wie etwa für die Versicherten der BVA und der KFA bestehen bleiben. Nicht einmal die versprochene Abschaffung der Mehrfachversicherungen werde umgesetzt, beklagte Abgeordneter Gerald Loacker (NEOS). Dass sich die FPÖ vor den "schwarzen Karren" hat spannen lassen, belege die Tatsache, dass die "roten Kassen" ein Rotationsprinzip im Vorsitz bekommen, während die "schwarzen Kassen" unberührt bleiben. Auch beim Eignungstest für die FunktionärInnen wurden die "Wirtschaftskämmerer" ausgenommen. Die Reform bringe unterm Strich nichts von dem, was angekündigt wurde.

Liste Pilz wirft der Regierung Demontage der Selbstverwaltung vor und sieht keine Verbesserung für die PatientInnen

Nach Ansicht von Klubobmann Bruno Rossmann (PILZ) könne man weder von einer Gesundheits- noch einer Organisationsreform sprechen. Die Pläne der Regierung zielten vor allem auf eine Demontage der Selbstverwaltung bzw. eine Entmachtung der ArbeitnehmerInnen unter dem Motto "rot raus, schwarz und blau rein" ab. Er erkenne auch keine Verbesserungen für die PatientInnen, da es weiterhin eine Mehrklassenmedizin geben wird, bemängelte er. Zudem werde mit Zahlentricksereien agiert, die jeglicher Grundlage entbehren. Daniela Holzinger-Vogtenhuber (PILZ) schloss sich der Kritik des Rechnungshofs am Gesetzentwurf an, wonach nachvollziehbare Berechnungsgrundlagen fehlen, die Kosten für die Zusammenlegung der Kassen verschleiert und die Kontrolle über die Verwendung der Beiträge verhindert werden. Bedauerlich sei vor allem, dass weder die Vorschläge der MitarbeiterInnen, die genau wissen, wo es im System krankt, einbezogen wurden, noch jene von namhaften GesundheitsexpertInnen. Für so ein großes Vorhaben hätte man einen breiten gesellschaftlichen Konsens suchen müssen. (Fortsetzung Nationalrat) sue