Parlamentskorrespondenz Nr. 1223 vom 07.11.2018

BR-Präsidentin Posch-Gruska: Einheitliche Qualitätskriterien und Mindeststandards für die Schwächsten in der Gesellschaft

Parlamentarische Enquete der Länderkammer über die zukünftige Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe

Wien (PK) – Zu einer Parlamentarischen Enquete mit dem Titel " Kinder- und Jugendhilfe quo vadis? Rechte.Chancen.Perspektiven " lud heute der Bundesrat in den Großen Redoutensaal in der Hofburg ein. "Ein Kind könne nicht beeinflussen, ob es in Armut lebt, von Gewalt betroffen ist oder einen breiten Zugang zu Bildung erhält", betonte die Präsidentin der Länderkammer Inge Posch-Gruska in ihrem Eingangsstatement. Dafür brauche es bundesweit einheitliche Qualitätskriterien und Mindeststandards in der Kinder- und Jugendhilfe, die für Rechtssicherheit und Gerechtigkeit sorgen. Gemeinsam mit ExpertInnen wolle sie daher im Rahmen ihrer Präsidentschaft konkrete Lösungen erarbeiten; die heutige Enquete sei ein weiterer wichtiger Baustein auf diesem Weg.

Im ersten Teil der Enquete wurden zunächst die politischen Strategien zur Kinder- und Jugendhilfe von der Bundesministerin für Frauen, Familie und Jugend, Juliane Bogner-Strauß, der niederösterreichischen Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig und der Zweiten Wiener Landtagspräsidentin Veronika Matiasek umrissen. Nach Impulsreferaten von ExpertInnen stehen drei Panels zu Spezialthemen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe auf dem Programm: Krisenpflege und Pflegefamilien – aktuelle Herausforderungen; Übergänge – der Weg ins Erwachsenenwerden; Das Recht des Kindes auf Schutz, Versorgung und Teilhabe in der Kinder-und Jugendhilfe. Das Schlussreferat hält Helmut Sax vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte. Als Einstimmung in die ganztägige Veranstaltung las die bekannte Kinder- und Jugendbuchautorin Renate Welsh kurze Texte aus ihren Werken vor.

Posch-Gruska:

Einheitliche Rahmenbedingungen für kindgerechtes Leben notwendig

Sie habe bewusst den Schwerpunkt ihrer Präsidentschaft auf das Thema Kinderrechte gelegt, die einen zentralen Eckpfeiler des demokratischen und sozialen Wohlfahrtsstaates darstellen, betonte Inge Posch-Gruska. Kinder und Jugendliche können es sich nicht aussuchen, ob sie in eine arme oder reiche Familie hineingeboren werden, ob die Eltern mit ihnen für die Schule lernen können, ob sie in einer trockenen Wohnung leben oder ob sie gesunde Nahrung bekommen. Mit dem 2013 beschlossenen Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz wurde die Grundlage dafür gelegt, um jenen Menschen Schutz zu bieten, die sich selbst nicht helfen können. Allerdings seien damals schon viele Wünsche offen geblieben und nicht alle Forderungen erfüllt worden, zeigte die Bundesratspräsidentin auf.

So hätten etwa dezentrale Regelungen dazu geführt, dass für Krisenpflegeeltern und Pflegeeltern sehr unterschiedliche Regelungen gelten und dass die Kinder- und Jugendanwaltschaften in den einzelnen Bundesländern nicht überall gleich gut ausgestattet sind. Einen weiteren Missstand finde man im Bereich der Jugendlichen über 18 Jahre, gab die BR-Präsidentin zu bedenken, da diese ab diesem Alter den Anspruch auf einen Platz in Wohngemeinschaften verlieren oder keine finanzielle Unterstützung mehr erhalten. Damit aber jedes Kind in Österreich die bestmöglichen Chancen erhält – eine wichtige Voraussetzung, um später ein selbstbestimmtes Erwachsenenleben führen zu können – brauche es einheitliche Qualitätskriterien und Mindeststandards. Mit der heutigen Parlamentarische Enquete werde ein weiterer wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen gesetzt; Ergebnisse einer Online-Diskussion liegen bereits vor. Außerdem wies Posch-Gruska auf die engagierte Tätigkeit des Kinderrechteausschusses des Bundesrates hin. Ihr Ziel sei es, noch bis Ende des Jahres gemeinsam mit ExpertInnen konkrete Vorschläge zur erarbeiten, wobei das Augenmerk immer auf den Lebensrealitäten der Kinder und ihrer Familien liegen müsse.

Bogner-Strauß: Evaluierungsergebnisse sollen in die 15a-Vereinbarung einfließen

Bundesministerin Juliane Bogner-Strauß erinnerte daran, dass erstmals im Jahr 1954 ein Jugendwohlfahrtsgesetz erlassen wurde. Damals stand die Verwaltung der Agenden im Vordergrund; von einer Servicefunktion war man noch weit entfernt. In den 70er Jahren kam es zu einem Paradigmenwechsel, der durch die Orientierung am Wohle des Kindes zum Ausdruck kam. Die entscheidende Veränderung wurde jedoch erst mit dem modernen Jugendwohlfahrtsgesetz des Jahres 1989 eingeläutet, als die bis dato unantastbare Familienautonomie hinterfragt wurde. Einen ganz wichtigen Fortschritt stellte dann das Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz aus dem Jahr 2013 dar, das derzeit vom Institut für Familienforschung evaluiert werde.

Nun stehe die Kinder- und Jugendhilfe vor einem weiteren Entwicklungsschritt, führte die Ministerin aus, dieser Bereich soll nämlich in die alleinige Verantwortung der Länder übergehen. Alle Landeshauptleute haben sich dazu bekannt, diese Kompetenzbereinigung durchzuführen. Ihr sei sehr wohl bewusst, dass man derzeit "weit weg von einheitlichen Standards" sei. Da müsse man auch in Hinkunft genau hinschauen und sich an Best-practice-Beispielen orientieren. Bogner-Strauß war aber überzeugt davon, dass dies im Rahmen der geplanten 15a-Vereinbarung gut gelingen wird. Für wichtig erachtete es die Ministerin auch, noch mehr in die Prävention und in die Elternbildung zu investieren.

Königsberger-Ludwig: Oberste Prämisse ist ein einheitlicher und qualitätsvoller Kinderschutz

Die niederösterreichische Landesrätin für soziale Verwaltung, Gesundheit und Gleichstellung, Ulrike Königsberger-Ludwig, sprach von einem sehr wichtigen Thema, das in der politischen Diskussion oft etwas zu kurz komme. Es gehe dabei um Agenden, die sich in einem großen Spannungsfeld befinden, einem Spannungsfeld zwischen den Eltern, den Behörden und dem Wohl des Kindes. Nachdem Königsberger-Ludwig auf die gesetzlichen Grundlagen auf Landes- und Bundesebene genauer einging, kam sie auf die Grundsätze der gelebten Kinder- und Jugendhilfe in Niederösterreich zu sprechen. Diese bestünden vor allem in den zahlreichen niederschwelligen Präventionsmaßnahmen wie etwa Schulsozialarbeit oder soziale Dienste sowie Maßnahmen im behördlichen Kontext. Eine Fremdunterbringung von Kindern könne immer nur "ultima ratio" sein, betonte die Landesrätin, und habe zudem das Ziel, eine Rückführung in die Herkunftsfamilie, wenn es das Beste für das Kind ist, zu ermöglichen.

Was die aktuelle Diskussion über die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern betrifft, so vertrat Königsberger-Ludwig die Auffassung, dass Kinderschutz eine Materie ist, "die uns alle angehen muss". Kinder haben das Recht, bestens in das Erwachsenenleben begleitet zu werden und altersgerecht in Familien bzw. einer Umgebung aufzuwachsen, wo sie geschützt sind – egal, ob sie am Bodensee oder Neusiedlersee zuhause sind. Aus diesem Grund müsse ganz genau darauf geachtet werden, dass es zu keiner Verschlechterung beim Kinderschutz kommt. Auch bei der letzten Konferenz der Landes-Kinder- und JugendhilfereferentInnen habe man gemeinsam festgehalten, dass sich die Grundsatzgesetzgebung durch den Bund und die Ausführungsgesetzgebung durch die Länder sehr bewährt habe. Sollte der Bundesgesetzgeber den Artikel 12 B-VG aufheben, so dürfen die bisher bestehenden Standards in der Kinder- und Jugendhilfe und im Kinderschutz nicht gesenkt werden, forderte Königsberger-Ludwig.

Matiasek plädiert für einheitliche Standards in der Kinder- und Jugendhilfe

Die Zweite Wiener Landtagspräsidentin Veronika Matiasek war der Auffassung, dass Österreich in Bezug auf die Kinder- und Jugendhilfe grundsätzlich gut aufgestellt ist. Die Schwerpunkte der Arbeit der zuständigen Behörden liegen in den Bereichen Prävention, Unterstützung und Begleitung, denn Kinder haben ein Recht auf Schutz und Unversehrtheit, auf ein gedeihliches Aufwachsen und auf Chancen. Was die grundsätzlichen Kriterien der Kinder- und Jugendhilfearbeit betrifft, so schloss sich Matiasek der Meinung von Ministerin Bogner-Strauß an, wonach es einheitliche Standards geben müsse. Entscheidend sei natürlich auch immer, dass eine gute Familienpolitik die richtigen Rahmenbedingungen schafft und ausreichende Ressourcen zur Verfügung stellt. Es dürfe in diesem Bereich keine personellen Einsparungen geben, appellierte die Zweite Wiener Landtagspräsidentin. Außerdem ersuchte sie die Medien, über Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe, wie z.B. im Rahmen der Überführung in die Fremdbetreuung, mit großer Sorgfalt zu berichten. Reißerische Artikel könnten nämlich dazu führen, dass schutzsuchende Kinder oder Familien davon abgehalten werden, sich an die Behörden zu wenden. (Fortsetzung Enquete) sue

HINWEIS: Fotos der Parlamentarischen Enquete finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos .  


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