Parlamentskorrespondenz Nr. 1282 vom 16.11.2018

12-Stunden-Tag: SPÖ fordert Rücknahme der gesetzlichen Bestimmungen

Rendi-Wagner bringt bei Sondersitzung des Nationalrats Dringlichen Antrag ein

Wien (PK) – Die SPÖ fordert von der Regierung, die vor dem Sommer beschlossenen neuen Arbeitszeitregelungen zurückzunehmen. Gleichzeitig sollen unverzüglich Verhandlungen mit den Parlamentsparteien, den Sozialpartnern und ExpertInnen über moderne, praxistaugliche gesetzliche Bestimmungen aufgenommen werden. SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner hat in der heutigen Sondersitzung des Nationalrats zum 12-Stunden-Tag einen entsprechenden Dringlichen Antrag eingebracht. Es brauche einen Interessensausgleich zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen, begründet sie den Vorstoß. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck hält allerdings nichts von einem Aufschnüren des Gesetzesbeschlusses: Vereinzelte Missbrauchsfälle sind für sie kein Grund, die neuen Regelungen in Frage zu stellen. Die Wirtschaft brauche flexible Arbeitszeiten.

Noch vor der eigentlichen Debatte über den Dringlichen Antrag protestierte die SPÖ gegen die Abwesenheit von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Dieser missachte durch sein Verhalten die Würde des Hauses, sagte er. Ihm schloss sich Wolfgang Zinggl von der Liste Pilz an, der von "Ausreden des Bundeskanzlers" sprach. Nur über den Wert der Demokratie zu reden, sie aber nicht zu praktizieren, genüge nicht, so Zinggl. 

Kurz hatte sich für die Sitzung wegen Verpflichtungen als EU-Ratsvorsitzender entschuldigen lassen. Es sei unabdingbar, dass Kurz nach Brüssel reise, um mit Ratspräsident Donald Tusk, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Brexit-Chefverhandler Michel Barnier im Vorfeld des geplanten EU-Sondergipfels zum Brexit notwendige Gespräche zu führen und strategische Fragen zu klären, bekräftigten die Klubobleute der Koalitionsparteien August Wöginger (ÖVP) und Walter Rosenkranz (FPÖ). Der Termin sei für die EU und für Österreich wichtig.

Zu Beginn der Sitzung war Katharina Kucharowits (SPÖ) als neue Abgeordnete angelobt worden. Sie hat das Mandat von Christian Kern übernommen. Kucharowits saß bereits von 2013 bis 2017 im Nationalrat.

Rendi-Wagner: Neues Arbeitszeitgesetz ist ausschließlich im Interesse der Unternehmen

In den Erläuterungen zum Dringlichen Antrag weist die SPÖ darauf hin, dass das Arbeitszeitgesetz als Schutzkonzept konzipiert sei. Man wolle verhindern, dass ArbeitnehmerInnen durch überlange Arbeitszeiten krank werden, "und sich für die Profitmaximierung des Arbeitgebers kaputt arbeiten müssen". Zudem gelte es sicherzustellen, dass den Beschäftigten auch Zeit für die Familie bleibt und diese die Möglichkeit einer selbstbestimmten Freizeitgestaltung haben.

Diese Schutzfunktion wurde nach Meinung von Rendi-Wagner mit den neuen Regelungen zum 12-Stunden-Tag und zur 60-Stunden-Woche ausgehebelt. ÖVP und FPÖ hätten ein "verpfuschtes Arbeitszeitgesetz" beschlossen, das ausschließlich den Interessen der UnternehmerInnen diene und schon in den ersten zwei Monaten viele Missbrauchs- und Härtefälle produziert habe. Diese Fälle seien keine Einzelfälle, sondern nur die Spitze eines Eisbergs, ist sie überzeugt. Das Gesetz sei eine grundlegende Fehlkonstruktion.

Es sei genau das eingetreten, wovor die SPÖ gewarnt habe, betonte Rendi-Wagner und appellierte an die Koalitionsparteien, ihren Fehler einzugestehen. Das wäre "ein Zeichen der Stärke und der Vernunft", sagte sie. Der Dringliche Antrag biete ÖVP und FPÖ die Chance zu zeigen, ob sie auf der Seite der Konzernbosse stehen oder auf der Seite der Beschäftigten. Betroffene ArbeitnehmerInnen an die Arbeiterkammer, die Gewerkschaft oder das Sozialgericht zu verweisen, hält die designierte SPÖ-Chefin jedenfalls für unzureichend, damit würden die Regierungsparteien nur demonstrieren, dass sie sich nicht für die Millionen arbeitender Menschen in Österreich zuständig fühlen.

Auch die SPÖ sei für flexible Arbeitszeiten und für eine moderne Arbeitswelt, versicherte Rendi-Wagner. Es brauche aber einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der ArbeitgeberInnen und der Beschäftigten. So, wie das Ganze jetzt geregelt ist, sei der Arbeitgeber immer der Stärkere. Mehrere Fälle wie jener der Hilfsköchin, die gekündigt wurde, weil sie keinen 12-Stunden-Dienst machen wollte, zeige, dass das Prinzip der Freiwilligkeit in der Praxis nicht wirke. Im Endeffekt bringe der 12-Stunden-Tag weniger Zeit für die Familie, weniger Lohn und weniger Gesundheit.

Generell verwies Rendi-Wagner darauf, dass das Prinzip des sozialen Ausgleichs zum Grundkonsens der Zweiten Republik gehöre. Der Erfolg Österreichs beruhe nicht zuletzt auf dem steten Bemühen in der Vergangenheit, gemeinsame Lösungen zu finden. "Genau das war der Weg der letzten Jahrzehnte, der uns stark gemacht hat." Mit ihrer Politik würde die nunmehrige Regierung diesen Weg des Gemeinsamen und des Dialogs verlassen.

Schramböck: Wirtschaft braucht flexible Arbeitszeiten

Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck räumte in ihrer Stellungnahme zum Dringlichen Antrag ein, dass es einzelne Missbrauchsfälle gebe. Diese seien aber kein Grund, das ganze Arbeitszeitgesetz infrage zu stellen und eine 180-Grad-Wende zu machen, bekräftigte sie. "Schwarze Schafe", die sich nicht an die geltenden Arbeitszeitregeln halten, habe es auch schon vor der von der SPÖ kritisierten Novelle gegeben.

Schramböck hält die neuen, flexiblen Arbeitszeiten zur Stärkung des österreichischen Wirtschaftsstandorts für unabdingbar. Die Unternehmen bräuchten zeitgemäße Rahmenbedingungen, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Flexible Arbeitszeiten seien dabei ein wesentlicher Faktor. Mit ihrer "politischen Kleingeldwechslerei" stelle die SPÖ die Zukunft Österreichs aufs Spiel, warnte die Ministerin.

Schramböck stellte auch in Abrede, dass die neuen Arbeitszeitregelungen nur im Interesse der Arbeitgeber seien. Eine große Mehrheit der ArbeitnehmerInnen bewerte flexible Arbeitszeiten als positiv, verwies sie auf aktuelle Umfragen. Die Befragten seien zudem überzeugt, dass flexible Arbeitszeiten ihren Job sichern. Auch nach dem Inkrafttreten der Arbeitszeitflexibilisierung habe sich an der Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz nichts geändert. Diese sei unverändert hoch, wie eine Studie zeige.

Anders als die SPÖ sieht Schramböck auch das Prinzip der Freiwilligkeit durch die neuen Regelungen nicht geschwächt, sondern vielmehr sogar gestärkt. Zum ersten Mal gebe es ein generelles Ablehnungsrecht der ArbeitnehmerInnen gegen die elfte und zwölfte Überstunde. Bei der 9. und 10. Stunde sei das anders geregelt. Es gebe auch keinen generellen 12-Stunden-Tag, betonte Schramböck, "bitte hören Sie auf, das den Menschen zu erzählen". (Fortsetzung Nationalrat) gs