Parlamentskorrespondenz Nr. 1308 vom 21.11.2018

Nationalrat: Scharfe Kritik der Opposition am Ausstieg aus dem UN-Migrationspakt

Bundeskanzler Kurz verteidigt Regierungslinie und will keine Vermischung von Asyl und Migration

Wien (PK) – Die Lösung der wesentlichen globalen Zukunftsfragen hänge davon ab, ob Europa handlungsfähig ist und mit einer Stimme spricht, betonte NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger in der heutigen Nationalratssitzung. Mit der einseitigen Ablehnung des UN-Migrationspakts durch die Bundesregierung würden diese Fakten aber konterkariert und der Multilateralismus in Frage gestellt. Aus diesem Grund haben die NEOS für die Aktuelle Stunde das Thema "Nach Nein zu Migrationspakt - Bundeskanzler Kurz verspielt Österreichs diplomatische Rolle und Ansehen in der Welt" gewählt. Kritik kam auch von Seiten der anderen Oppositionsparteien, die sich um den guten Ruf Österreichs in der Außenpolitik sorgten und der Regierung Angst und Panikmache vorwarfen. Die Rednerinnen richteten nochmals einen Appell an den Bundeskanzler, sich nicht der Stimme zu enthalten.

Multilateralismus heiße nicht, dass alle dieselbe Meinung haben müssen, entgegnete Bundeskanzler Sebastian Kurz, der die Regierungslinie verteidigte. Es stimme, dass der Pakt nicht rechtsverbindlich ist, aber er stelle eine Selbstverpflichtung dar. Er sei überzeugt davon, dass zahlreiche Staaten, die jetzt sang- und klanglos zustimmen, viele der angeführten Punkte gar nicht umsetzen wollen bzw. werden. Den UN-Pakt, der auch viele positive Elemente enthält, sehe er vor allem deshalb kritisch, weil es zu einer Vermischung zwischen der Suche nach Schutz und der Arbeitsmigration kommt, betonte er. Vizekanzler Strache vertrat die Ansicht, dass insgesamt 17 Punkte des Vertrags dem Regierungsprogramm diametral gegenüberstehen.

NR-Präsident Sobotka: Nulltoleranz gegenüber Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Noch bevor die Debatte über die Aktuelle Stunde stattfand, erinnerte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka daran, dass das österreichische Parlament die Kampagne von UN-Women "Orange The World" gegen Gewalt an Frauen unterstützt. Während der "16 Tage gegen Gewalt an Frauen", zwischen dem 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen, bis zum 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, werden weltweit Gebäude in oranger Farbe beleuchtet, um ein starkes Zeichen zu setzen.

In diesem Sinne wird auch das Parlament vom 20. bis zum 30. November am Josefsplatz in der Farbe Orange erstrahlen. "Gewalt gegen Frauen und Mädchen beschränkt sich nicht nur auf Krisenregionen, sondern ist allgegenwärtig – Gewalt gegen sie findet in allen gesellschaftlichen Schichten, in jeder Altersgruppe und unabhängig von Bildung, Religion oder ethnischer Zugehörigkeit statt. Sie passiert sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum, im öffentlichen wie im privaten Bereich", so der Nationalratspräsident.

Das dürfe und könne man nicht tolerieren. Die Sitzung wird daher heute gegen 17.30 Uhr unterbrochen, um am Josefsplatz vor der orange angeleuchteten Fassade ein Foto zu machen. Sobotka rief die Abgeordneten auf, sich zahlreich zu beteiligen, um Geschlossenheit zu zeigen. Dies sei vor allem auch im internationalen Kontext und vor dem Hintergrund des Gedenkens an die Ausrufung der Republik vor 100 Jahren wichtig.

NEOS: Regierung verspielt gute Rolle Österreichs als Brückenbauer und verlässlicher Partner

Die Klubchefin der NEOS, Beate Meinl-Reisinger, hielt es für höchst an der Zeit, über die Vorgangsweise der Regierung in Bezug auf eine "Schicksalsfrage für die Weltgemeinschaft" ausführlich im Nationalrat zu diskutieren. Die Ablehnung des UN-Migrationspakt schade nicht nur der außenpolitischen Zusammenarbeit in der EU, sondern leiste vor allem dem "Populismus und Haschen nach dem Applaus des Stammtisches" Vorschub. Außerdem stelle es eine Blamage für alle MitarbeiterInnen des Außenamts dar, die jahrelang mitverhandelt haben, und ruiniere massiv den Ruf Österreichs auf dem diplomatischen Parkett. Es wäre leicht möglich gewesen, einen anderen Weg zu begehen, meinte sie, man hätte nämlich zu einzelnen Punkten Vorbehalte formulieren können. Der Migrationspakt müsse auch im Zusammenhang mit der Ratspräsidentschaft gesehen werden, unterstrich Meinl-Reisinger, da Österreich mit dem Vorsitz eine große Verantwortung für die Weiterentwicklung Europas übernommen hat. Damit sei auch eine Vorbildfunktion verbunden, der Österreich nun in keiner Weise gerecht werde, beklagte auch Nikolaus Scherak (NEOS).

Der UN-Pakt habe die Eindämmung von illegaler, chaotischer und lebensgefährlicher Migration zum Ziel und nichts mit dem Thema Flüchtlinge zu tun, stellte Stephanie Krisper (NEOS) mit Nachdruck fest. Er lege gewisse Mindeststandards fest, die es ermöglichen sollen, dass die Menschen in ihren Heimatländern bleiben können. Im Gegensatz dazu präsentiere die Regierung eine "Angstliste", die nur fadenscheinige Gründe enthalte, um den Vertrag ablehnen zu können. So sei etwa von einem Eingriff in die Souveränität der Länder im Text keine Rede; es werde auch "kein Menschenrecht auf Migration" geschaffen.

Bundeskanzler Kurz und Vizekanzler Strache verteidigen souveränes Recht Österreichs auf Enthaltung der Stimme

Bundeskanzler Sebastian Kurz hielt das Argument, dass sich Österreich nun vom Multilateralismus verabschiede, für nicht ganz redlich. Ein souveräner Staat habe immer die Möglichkeit, sich in multilateralen Angelegenheiten für Ja, Nein oder Enthaltung zu entscheiden. Er habe sich in seiner Zeit als Außenminister in zahlreichen Bereichen engagiert, wie etwa im Kampf gegen Atomwaffen, für Abrüstung und vieles mehr, und versucht, gemeinsame Lösungen zu finden. Auch dabei habe er zur Kenntnis nehmen müssen, dass einzelne Länder andere Meinungen haben. Davon könne man jedoch nicht ableiten, dass diese Staaten damit ihr Kapital verspielt haben. Kurz wehrte sich daher auch gegen die derzeit herrschende "Aufregungskultur". Nur weil sich Österreich in der Frage des UN-Migrationspakts der Stimme enthält, werde es nicht das "Image in der Welt verlieren", hielt der Kanzler den KritikerInnen entgegen. Außerdem sei man mit dieser Haltung nicht alleine, auch andere europäische Länder sowie Israel oder Australien sehen das so.

Was die konkreten Inhalte des Pakts angeht, so zeigte der Bundeskanzler auf, dass im Text mindestens 80 Mal das Wort Verpflichtung vorkommt. Eine Selbstverpflichtung sollte aber nur dann eingegangen werden, wenn man es wirklich ernst damit meint. Er sei überzeugt davon, dass zahlreiche Staaten, die jetzt sang- und klanglos zustimmen, viele der angeführten Punkte gar nicht umsetzen wollen bzw. werden. "Treffen wir uns in drei Jahren wieder und machen wir eine Bestandsaufnahme, wie viele Staaten ehrlich den Inhalt des Dokuments umgesetzt haben". Die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 habe deutlich gezeigt, dass es eine klare Trennung zwischen der Suche nach Schutz und der Arbeitsmigration geben müsse.

Migration sei kein Menschenrecht und soll auch keines werden, bekräftigte Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der auf die Sicherstellung der Souveränitätsrechte Österreichs pochte. Man habe auf eine sehr verantwortungsvolle Weise alle 23 Punkte des Pakts bewertet und dabei festgestellt, dass 17 davon dem Regierungsprogramm diametral gegenüberstehen. Ebenso wie der Bundeskanzler verwies er darauf, dass der Vertrag eine Selbstverpflichtung der Staaten sowie eine Adaptierung der nationalen Gesetze bedingen würde.

ÖVP und FPÖ für Beibehaltung der Souveränität in der Migrationspolitik

Unterstützung für die Vorgangsweise der Regierung kam von RednerInnen der ÖVP und der FPÖ. Karl Nehammer etwa ging noch einmal auf die Hauptkritikpunkte ein, die letztlich zu einer Stimmenthaltung führen. Als Beispiele führte er die Vermischung von Asyl und Migration oder die fehlende klare Trennung zwischen legaler und illegaler Migration an. Zahlreiche ExpertInnen hätten zudem bestätigt, dass auch ein nicht verbindlicher Pakt sich zu Völkergewohnheitsrecht entwickeln könne. Nachlesen könne man auch, dass Eingriffe in die souveräne Sozialpolitik der Staaten möglich sind. Der Migrationspakt enthalte zweifellos auch viele positive Punkte, wie z.B. die Bekämpfung von Armut, die Koordinierung des Grenzmanagements oder das gemeinsame Vorgehen gegen Schlepperei und Menschenhandel, räumte Abgeordnete Eva-Maria Himmelbauer (ÖVP) ein. Nichtsdestotrotz müsse Österreich selbst darüber entscheiden können, nach welchen Kriterien man nach Österreich einreisen darf. Angesichts der zahlreichen Verschwörungstheorien in den sozialen Medien gewinne man auch den Eindruck, dass viele bewusst Angst schüren.

FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz bedankte sich bei den NEOS für die heutige Gelegenheit, einige Klarstellungen zum UN-Migrationspakt zu treffen. Man habe sich die einzelnen Punkte genau angesehen und auch Gutachten dazu eingeholt. Da sich der "Albtraum" des Jahres 2015 nicht wiederholen darf, lasse man keine Eingriffe in die Souveränität des Landes in Sachen Migration zu. Er sehe Österreich zudem als Trendsetter in dieser Frage, weil nun auch in anderen Ländern ein Nachdenkprozess eingesetzt habe, zeigte Rosenkranz auf. Viele Staaten seien nun ebenfalls zum Schluss gekommen, dass sie keine Aushebelung der nationalen Souveränität wollen, erklärte Johann Gudenus (FPÖ). Er sei überzeugt davon, dass dies auch die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung nicht will.

SPÖ kritisiert Abkehr von der traditionellen Rolle Österreichs in der Außenpolitik

Nach Auffassung des SPÖ-Klubobmanns Andreas Schieder sollte bei der heutigen Debatte vor allem die grundsätzliche Frage beantwortet werden, was die aktuelle Regierung unter Außenpolitik versteht. Er erkenne dabei leider eine "totale Abkehr von der alten, erfolgreichen Tradition Österreichs", das sich als kleines Land immer als Vermittler verstanden hat. Es war für Österreich immer klar, dass Lösungen nur auf dem Verhandlungsweg und nur gemeinsam mit anderen Staaten erzielt werden können. Die Linie der Regierung sei auch wenig glaubwürdig, zeigte Schieder auf, da Kanzler Kurz noch vor einem Jahr bei der UN-Vollversammlung den UN-Migrationspakt begrüßt hatte. Nur um den Koalitionsfrieden zu erhalten, habe er nun seine Meinung geändert. Dies sei keine Außenpolitik, die ihren Namen verdient. Wenn man will, dass die negativen Auswirkungen der Migration in Österreich nicht ankommen, dann müsse man den Pakt annehmen, forderte Schieder.

Seine Fraktionskollegin Petra Bayr hielt es für ziemlich beunruhigend, dass die Regierung nicht die offizielle UN-Übersetzung des Titels in Deutsch ("Globaler Pakt für sichere, geregelte und reguläre Migration") übernommen hat, sondern in der Ministerratsvorlage das Wort "regulär" durch das Wort "planmäßig" ersetzt hat. Dieser Ausdruck werde üblicherweise von Rechtsradikalen und Identitären im Zusammenhang mit dem Thema Migration verwendet. Ihrer Meinung nach sind die beiden Regierungsparteien generell eine "unheilige Allianz" eingegangen. Die ÖVP trage die fremdenfeindliche Symbolpolitik der FPÖ mit, während die Freiheitlichen im Gegenzug die arbeitnehmerfeindliche und großkapitalfördernde Politik der Volkspartei unterstützen.

JETZT: Österreichs Image in der Außenpolitik werde einem innenpolitischen Opportunismus geopfert

Die Staatengemeinschaft steht im 21. Jahrhundert vor drei großen Herausforderungen, dem Klimawandel, der sozialen Frage und der Migration, erklärte Bruno Rossmann (JETZT). All diese Fragen seien zudem eng miteinander verbunden. Eine ausschließlich auf Gewinn ausgerichtete Handelspolitik, die Ignoranz gegenüber der Kluft zwischen Arm und Reich sowie die Zerstörung der Lebensgrundlagen in vielen Ländern werden die Anzahl der flüchtenden Menschen vom Süden in den Norden massiv erhöhen. Bedauerlicherweise werde die österreichische Ratspräsidentschaft nicht dazu genützt, um all diese drängenden Probleme anzugehen. Stattdessen distanziere sich Österreich vom UN-Migrationspakt, was aus Sicht von Rossmann äußerst kurzsichtig sei. Außerdem befinde man sich dabei im Einklang mit "illustren Figuren" wie Donald Trump und Victor Orban. Statt wie bisher als Brückenbauer in der Außenpolitik aufzutreten, lasse sich Kurz in dieser Frage von der FPÖ vor sich hertreiben, kritisierte Rossmann.

Der UN-Pakt stelle einen Versuch dar, Migration im Rahmen eines einheitlichen Regelwerks zu gestalten, konstatierte Alma Zadic (JETZT). Die Initiative dafür ging sogar von Europa aus, weil es im Jahr 2015 erkannt hat, dass einzelne Regionen alleine das Problem nicht lösen können. Der nun vorliegende Pakt will daher die internationale Zusammenarbeit fördern und die Fluchtursachen bekämpfen. Besonders bedauerte Zadic, dass der politische Diskurs über die zentralen Fragen der Gesellschaft polemisch geführt wird. Viele der vorgebrachten Kritikpunkte seien haarsträubend und einfach nicht wahr, wie etwa das Argument, der Pakt würde ein Menschenrecht auf Migration schaffen. Es komme auch zu keiner Vermischung von Migration und Asyl, betonte Zadic. Es handle sich nicht einmal um einen Vertrag, sondern um eine Absichtserklärung, die auch nicht unterzeichnet wird.

Martha Bißmann(o.F.) erinnerte daran, dass die ÖsterreicherInnen selbst in den letzten hundert Jahren wiederholt gezwungen waren, die Heimat zu verlassen. Heute sei es vor allem der Klimawandel, der die Menschen weltweit zur Migration zwingt. Der UN-Migrationspakt wäre ein erster wichtiger Schritt gewesen, um notwendige Maßnahmen in diesem Bereich einzuleiten. Unverständlich sei für sie, warum die Gegenargumente nicht schon vor zwei Jahren vorgebracht wurden. Mit der kurzfristigen Ablehnung durch Österreich werde ein fatales Signal ausgesandt, das zudem noch einen unkontrollierten Dominoeffekt auslöst, beklagte sie.

Der UN-Migrationspakt schade den ArbeitnehmerInnen in den Herkunfts- und in den Zielländern, urteilte der fraktionsfreie Abgeordnete Efgani Dönmez, Nutznießer seien die Kapitalbesitzer und Unternehmen in den Industriestaaten. Es sei daher für ihn nicht nachvollziehbar, warum gerade die linken Parteien so auf den Abschluss des Pakts drängen. Ein negativer Effekt des Migrationspakts wäre auch, dass es zu einem massiven "brain drain" kommen würde. Gerade jene Menschen würden ihre Heimat verlassen, die in den Herkunftsländern dringend gebraucht werden. (Fortsetzung Nationalrat) sue