Parlamentskorrespondenz Nr. 1345 vom 23.11.2018

Kurz: Großbritannien verlässt die EU, nicht aber Europa

Großes Bedauern im EU-Hauptausschuss über Brexit, Abgeordnete für möglichst enge Partnerschaft

Wien (PK) – Im heutigen EU-Hauptausschuss , der im Vorfeld des Sondergipfels am kommenden Sonntag zum Brexit stattfand, waren sich alle einig, dass der Austritt Großbritanniens einen Schaden sowohl für das Land selbst als auch für die EU darstellt. Man verliere mehr als einen Nettozahler, so der Tenor, auch wenn sich das Land manchmal als ein Bremser im Hinblick auf die Integration gezeigt habe. Sorgen wurden vor allem in Bezug auf die in Großbritannien lebenden EU-BürgerInnen geäußert, zudem stehen Befürchtungen im Raum, wonach der Inselstaat den Weg eines aggressiven Wettbewerbs und einer Steueroase gehen könnte. Das Austrittsabkommen enthalte Bestimmungen, um das möglichst auszuschließen, betonte dazu Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Kurz zum Austrittsabkommen: Bin jetzt optimistischer als noch vor einigen Wochen

Der Kanzler zeigte sich noch immer optimistisch – deutlich optimistischer als noch vor ein paar Wochen, wie er sagte -, dass der Deal durchzubringen ist, auch wenn die Situation in Großbritannien nicht einschätzbar sei. Es sei gelungen, ein faires Austrittsabkommen zustande zu bringen, die politische Erklärung über das zukünftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU sei detaillierter ausgefallen als von der EU erhofft. Das Abkommen bezeichneten Kurz und Kanzleramtsminister Blümel als einen guten Kompromiss, die Guidelines würden eine gute Basis für eine hoffentlich enge und dauernde Partnerschaft darstellen.

Auch was die noch offene Gibraltar-Frage betrifft, so äußerte sich die Regierungsspitze zuversichtlich, noch vor dem Sonntag eine Lösung zu finden. Blümel stellte zudem klar, dass Spanien nicht darauf gepocht habe, das Verhandlungspaket aufzumachen. Außerdem ist für die Zustimmung eine qualifizierte Mehrheit und nicht die Einstimmigkeit notwendig.

Ein weiteres Referendum schloss der Bundeskanzler aus. Diese Diskussion werde eher in der EU und in den Medien geführt, nicht aber in Großbritannien. Außerdem stelle sich die Frage, worüber abgestimmt werden sollte, entweder lege man die gleiche Frage wie vor zwei Jahren noch einmal vor, oder man lasse über den Deal, bzw. über ein Notszenario abstimmen.

Lob für Verhandlungsführung, vor allem für Michel Barnier

Großes Lob gab es von allen Seiten für den Brexit-Chefverhandler Michel Barnier, der mit seiner transparenten Verhandlungsführung und Informationspolitik entscheidend zum Erfolg beigetragen habe. Wesentliche Voraussetzung sei zudem gewesen, dass das Mandat des Rates für die Kommission sehr klar gewesen sei und die 27 Mitgliedstaaten immer einhellig vorgegangen seien. Die österreichische Ratspräsidentschaft habe Barnier bei seiner Aufgabe tatkräftig unterstützt, so Bundeskanzler Kurz und EU-Minister Blümel.

In der Debatte war in diesem Punkt auch kaum Kritik an der Vorsitzführung zu vernehmen. Reinhold Lopatka (ÖVP), Erwin Angerer (FPÖ) und Johann Gudenus (FPÖ) attestierten der Regierung professionelles Vorgehen. Claudia Gamon von den NEOS hob die enge Einbindung des Nationalrats in Form von Aussprachen mit dem österreichischen Delegierten bei den Brexit-Verhandlungen, Gregor Schusterschitz, sowie mit Michel Barnier positiv hervor.

Man wird mit einem starken Wettbewerb rechnen müssen

Mit dem Austritt Großbritanniens geht mehr verloren als ein Nettozahler, gab Reinhold Lopatka (ÖVP) zu bedenken und verdeutlichte dies mit dem Hinweis, dass die 17 schwächsten Mitgliedstaaten der EU die gleiche Wirtschaftsleistung wie Großbritannien haben. Aber nicht nur das, Großbritannien habe auch einen bestimmten Geist in die EU eingebracht und mit seiner Korrektheit, Zielgerichtetheit und Vehemenz ein gutes Gegengewicht zu manch anderen Haltungsweisen in der EU abgegeben, zeigte sich Jörg Leichtfried (SPÖ) mit Lopatka einer Meinung. Großbritannien sei einer der zwei Staaten innerhalb der EU, der auch militärische Präsenz außerhalb seiner Grenzen bewirken könne, stellte Leichtfried fest. Wenn man heute über eine gemeinsame EU-Armee nachdenkt, dann wäre Großbritannien ein wichtiger Teil davon. In gleicher Weise bedauerten Claudia Gamon (NEOS) und Bruno Rossmann (JETZT) explizit die Entscheidung der Briten, die EU verlassen zu wollen, auch wenn sich das Land in Fragen der Integration manchmal als Bremser erwiesen habe, sagte Gamon.

Die Abgeordneten Johann Gudenus (FPÖ) und Bruno Rossmann (JETZT) gingen näher auf das zukünftige Verhältnis der Briten zur EU ein, worauf Bundeskanzler Sebastian Kurz feststellte, die Partnerschaft werde weiter eng sein. Man strebe eine Freihandelszone an, außerdem werde Großbritannien an verschiedenen EU-Programmen teilnehmen. Er geht davon aus, dass auch die kulturelle, militärische, aber auch menschliche Zusammenarbeit eng bleibt und stellte fest: "Großbritannien verlässt die EU, nicht aber Europa".

Angesprochen, ob Österreich auf einen harten Brexit vorbereitet ist, meinte Kurz gegenüber Jörg Leichtfried (SPÖ), Kai Jan Krainer (SPÖ) und Bruno Rossmann (JETZT), man sei sehr wohl auf alternative Szenarien vorbereitet, wolle dies aber medial nicht breit treten, um etwaige Verunsicherungen zu vermeiden. Betreffen würden allfällige Maßnahmen vor allem das Innenministerium (Staatsbürgerschaften), die Luftfahrt und Zollfragen. Auf EU-Ebene sei eine Brexit-Lenkungsgruppe eingerichtet worden, eine solche gebe es auch in Österreich.

Insbesondere habe man die in Großbritannien lebenden ÖsterreicherInnen im Auge. Eine direkte Schlechterstellung sollte es nicht geben, gegebenenfalls werde man nationale Nachschärfungen vornehmen, etwa mit dem Instrument einer doppelten Staatsbürgerschaft, so der Kanzler.

In diesem Zusammenhang äußerte auch Josef Muchitsch (SPÖ) Sorgen, dass Großbritannien den Weg eines unfairen Wettbewerbs beschreiten könnte, was sich für den Arbeitsmarkt in Europa negativ auswirken würde. Diese Bedenken teilte der Bundeskanzler, indem er darauf hinwies, dass die Brexit-Befürworter die Auffassung vertreten, ihr Land könne dann wieder selbst bestimmen, um freier und erfolgreicher im Wettbewerb mit Europa stehen zu können. Das Austrittsabkommen enthalte daher Bestimmungen zu den Bereichen Umwelt, Soziales und Steuerdumping, um einen derartig unfairen Wettbewerb möglichst auszuschließen. Dennoch müsse man mit einem starken Wettbewerb rechnen, sagte er, wobei diese Frage nicht einseitig betrachtet werden könne, denn beispielsweise seien die Banken weiterhin an einer engen Verbindung mit der EU interessiert. Man werde auch alles unternehmen, um einen möglichen "Steuersumpf und regulatorischen Sumpf vor der Haustür", wie dies Kai Jan Krainer (SPÖ) formuliert hatte, vorzubeugen.

Was den mittelfristigen Finanzrahmen betrifft, so sei Großbritannien derzeit nicht mehr berücksichtigt, erklärte Kanzleramtsminister Gernot Blümel gegenüber Claudia Gamon (NEOS). Sollte die Übergangsfrist jedoch verlängert werden, dann werden man Adaptierungen vornehmen und Großbritannien adäquat ins EU-Budget einzahlen müssen, sagte er. (Schluss EU-Hauptausschuss) jan