Parlamentskorrespondenz Nr. 1434 vom 04.12.2018

Pflege und Sozialversicherung: Opposition erwartet mehr Engagement von Regierung

Gesundheitsausschuss thematisiert Personalmangel im Pflegebereich und Sozialversicherungsreform; außerdem: Gratis-Verhütungsmittel

Wien (PK) – Der Pflegenotstand in Österreich besteht bereits, glaubt man SPÖ und JETZT. Beide Fraktionen nutzten heute den Gesundheitsausschuss des Nationalrats , um Bundesministerin Beate Hartinger-Klein aufzufordern, entschiedene Maßnahmen zur Behebung des Personalmangels im Pflegebereich zu ergreifen. Hartinger-Klein stimmte zwar mit Selma Yildirim (SPÖ) und Daniela Holzinger-Vogtenhuber (JETZT) über die Aktualität der Pflegeproblematik überein, sie verwies aber auf die Anstrengungen des Gesundheitsministeriums, von der Pflegefinanzierung über Qualifizierungsfragen bis hin zur Bedarfserhebung in den Bundesländern das Thema ganzheitlich zu bearbeiten.

Die diesbezüglichen Anträge der Oppositionsparteien wurden schließlich ebenso von ÖVP und FPÖ vertagt wie die NEOS-Initiativen zur Reform der Sozialversicherungen. Gerald Loacker (NEOS) forderte dabei, die Krankenfürsorgeanstalten (KFA) für öffentlich Bedienstete in die Arbeiten zur Leistungsharmonisierung miteinzubeziehen. Zur weiteren Behandlung vertagte die Ausschussmehrheit auch die SPÖ-Forderung, Verhütungsmittel auf Krankenkassenkosten anzubieten. "Aufklärung ja, kostenlose Verhütung nein", fasste Ausschussvorsitzende Brigitte Povysil (FPÖ) die Haltung der Regierungsfraktionen zusammen, nämlich durch bessere Informationstätigkeit ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden.

SPÖ und JETZT warnen vor Pflegenotstand

Der Personalbedarf in der Pflege sei angesichts der demografischen Entwicklung in Österreich dringend bundesweit zu erfassen, richten die Abgeordneten Selma Yildirim (SPÖ) und Daniela Holzinger-Vogtenhuber (JETZT) der Regierung aus. Mittels einer Pflegebedarfsrechnung (339/A(E)) beziehungsweise einer wissenschaftlichen Studie (484/A(E)) und einer Datenbank (511/A(E)) zur Pflege seien seriöse Prognosen zu erstellen und daraus Maßnahmen zur Sicherung der Pflegeversorgung abzuleiten. Nicht zuletzt geht es den Antragstellerinnen um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Bereich Pflege, wie Yildirim in ihrem Appell um "Sofortmaßnahmen" zur Reduktion der körperlichen Belastung von Pflegekräften festhielt. "Österreich wird in 10 Jahren eines der Länder mit der ältesten Bevölkerung sein", warnte Holzinger-Vogtenhuber davor, den Pflegepersonalbedarf nicht laufend aktuell zu halten. Dabei sei auch die Einkommenssituation in Pflegeberufen zu erfassen. Das Gesundheitsberuferegister, das laut Ministerin Hartinger-Klein als bestehende Datenquelle dient, enthalte keine Informationen über regionale Personalmängel und sei außerdem nicht so transparent wie eine öffentlich zugängliche Datenbank.

Mit Verweis auf die Pflegedienstleistungsdatenbank des Sozialministeriums bestätigte Petra Wagner (FPÖ), der Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal sei ein bekanntes Problem, schon aufgrund vieler Pensionierungen und sinkender Ausbildungszahlen in diesem Bereich. Allerdings, so Wagner, liege die Zuständigkeit der Bedarfsentwicklungsplanung für die Pflege bei den Bundesländern. Norbert Sieber (ÖVP) wies außerdem darauf hin, dass es hinsichtlich Pflegepersonal in den Ländern unterschiedliche Definitionsstandards gibt. Vor diesem Hintergrund betonte Gesundheitsministerin Hartinger-Kein, das Pflegethema sei ganzheitlich zu sehen. Anfragen zum Pflegebedarf habe sie bereits an die Bundesländer geschickt und gleichzeitig das Forschungs- und Planungsinstitut für Gesundheitsfragen, "Gesundheit Österreich", mit einer Einschätzung des künftigen Pflegebedarfs beauftragt. Zudem würden vom Arbeitsmarktservice Qualifizierungsmaßnahmen für Pflegefachkräfte gestartet, sagte Hartinger-Klein in ihrer Ressortzuständigkeit für Arbeit und Soziales. Die bereits erwähnte Pflegedienstleistungsdatenbank wolle ihr Ministerium noch 2018 überarbeiten, versicherte sie, was Philip Kucher (SPÖ) dazu veranlasste, gegen die Vertagung der Oppositionsanträge aufzustehen. Immerhin hätte der Ausschuss damit Gelegenheit, die Ministerin bei ihren Arbeiten zu unterstützen.

NEOS sehen Reformbedarf bei KFA und AUVA

Die laufenden Arbeiten an der Sozialversicherungsreform schnitten die NEOS in der Ausschussdebatte an. Im Vergleich zu Versicherten anderer Krankenkassen genössen bei Krankenfürsorgeanstalten (KFA) versicherte Landes- und Gemeindebedienstete massive Vorteile, ist Gerald Loacker (NEOS) über diese "Ungleichbehandlung der Versicherten" entrüstet. Noch dazu ändere die geplante Reform nichts daran. Die KFA, nach Ansicht Loackers ein "politischer Privilegienstadl", müssten entweder durch eine Zusammenlegung aller Unselbständigen-Träger von der Reform mitumfasst werden, oder durch einen Risikostrukturausgleich, nachdem die KFA keine beitragsschwachen Gruppen wie Arbeitslose, MindestsicherungsbezieherInnen oder AsylwerberInnen versichern (286/A(E)). Während Norbert Sieber (ÖVP) warnte, ein derartiger Risikostrukturausgleich "würde ein Maximum an Bürokratie mit sich bringen", konnten Verena Nussbaum (SPÖ) und Daniela Holzinger-Vogtenhuber (JETZT) dem Vorschlag durchaus einiges abgewinnen. Gerhard Kaniak (FPÖ) erinnerte allerdings, aus verfassungsrechtlichen Gründen sei eine Zusammenführung aller Versicherungsträger inklusive KFA derzeit nicht möglich.

Eine weitere Initiative (497/A(E)) der NEOS zielt auf eine umfassende Reform der Arbeitsunfall-Versicherung AUVA, die nach Ansicht Loackers ebenfalls mit einer Entpolitisierung einhergehen sollte. Neben einer Übertragung einzelner Aufgaben der AUVA an andere Stellen sieht Loackers Reformkatalog eine Versicherungspflicht auf Grundlage der Betriebsvereinbarung eines Unternehmens vor. Damit könnte die Art der Unfallversicherung frei gewählt werden, zum finanziellen Vorteil für ArbeitgeberInnen, die aufgrund sicherer Arbeitsbedingungen weniger Prämien zu zahlen hätten, führte Loacker aus. Von der SPÖ gab es scharfen Gegenwind: Loackers Pläne nach dem Motto "jeder haftet für sein eigenes Risiko" gingen meilenweit an einer sachlichen Lösung vorbei, zeigte sich Markus Vogl (SPÖ) entrüstet. Dank des derzeitigen Unfallversicherungssystems würden kleine Unternehmen entlastet, da größere Betriebe mehr einzahlten, und nicht zuletzt bestünden branchenabhängig unterschiedliche Risiken für Arbeitsunfälle. "Solidarität auf Arbeitgeberseite" werde damit gelebt, denn der größte Nutzen für die Betriebe sei eine gesunde Belegschaft.

Mehr Verständnis für seine Problemanalyse fand Loacker bei der FPÖ, für die Gerhard Kaniak auf die Regierungsvorhaben bei der AUVA hinwies. Eine "Zerschlagung" der AUVA strebe man jedoch nicht an. Ministerin Hartinger-Klein bekräftigte, mit der Schaffung einer Betriebs-GmbH für die AUVA-Einrichtungen in Kooperation mit öffentlichen Spitälern werde die Unfallversicherungsanstalt gemäß moderner medizinischer Standards weiterentwickelt. Die Tochtergesellschaften verblieben dabei völlig im Eigentum der AUVA und auch an der eingeforderten Solidarität der ArbeitgeberInnen wolle sie nicht rütteln, unterstrich Hartinger-Klein.

Verhütungsmittel auf Krankenkassenkosten: Ausschuss will weiter beraten

Welche Rahmenbedingungen die Politik für einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität schaffen soll, diese Frage beschäftigte den Ausschuss heute ebenfalls. "Österreich ist eines der wenigen Länder in Westeuropa, wo Verhütungsmittel nicht von der öffentlichen Hand getragen werden", machte SPÖ-Mandatarin Yildirim aufmerksam. Dabei könnten mit leistbarer Verhütung Teenagerschwangerschaften beziehungsweise Schwangerschaftsabbrüche ebenso verhindert werden wie die Verbreitung übertragbarer Krankheiten. Ausgangspunkt der Diskussion war Yildirims Antrag (335/A(E)), wonach die Krankenkassen Verhütungsmittel zahlen sollen. Die Nutzung von Kontrazeptiva dürfe nicht von der ökonomischen Situation der Betroffenen abhängen, weist die Antragstellerin auf den hohen Preis für effiziente und langfristige Verhütungsmittel hin und erhielt dabei Rückendeckung von Holzinger-Vogtenhuber (JETZT). Die "Pille danach" sollte von der Kostenübernahme ebenfalls umfasst sein.

Für die Regierungsfraktionen ist aber das Hauptproblem fehlende Aufklärung, gerade über ungewollte Schwangerschaften und ihre Folgen. Kaniak (FPÖ) nimmt hier den Bildungsbereich in die Pflicht, zumal die "Pille danach", die er als starkes Hormonmittel beschrieb, gravierende gesundheitliche Auswirkungen haben könne. Der erste Schritt zur Prävention müsse Aufklärung sein, bekräftigte Martina Diesner-Wais (ÖVP) und auch Loacker (NEOS) meinte, da unerwünschte Schwangerschaften vor allem auf Anwendungsfehler der Kontrazeptiva zurückzuführen seien, brauche es mehr Informationen. Überdies könnten die Krankenkassen nicht die Kosten für sämtliche Verhütungsmittel übernehmen. Grundsätzlich ist Diesner-Wais dennoch einig mit ihren SPÖ-KollegInnen, das Thema müsse ernsthaft – nach Gabriele Heinisch-Hoseks (SPÖ) Worten "ohne Schwarz-Weiß-Diskussion" – erörtert werden, um Details wie die Art der kassenunterstützten Verhütungsmittel und die begünstigten Personengruppen zu konkretisieren. (Schluss Gesundheitsausschuss) rei