Parlamentskorrespondenz Nr. 1477 vom 11.12.2018

Nationalrat: Opposition wirft Regierung soziale Kälte vor

Bundeskanzler Kurz sieht mehr Gerechtigkeit in Österreich

Wien (PK) - Nachdem kürzlich Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache eine Bilanz zum ersten Regierungsjahr der ÖVP-FPÖ-Koalition gezogen hatten, präsentierte heute im Nationalrat die Opposition ihr Resümee. "Ein Jahr Regierung: Rechtsruck und soziale Kälte" fasste JETZT im Titel der von dieser Fraktion verlangten Aktuellen Stunde die bisherige Regierungsarbeit zusammen. JETZT-Klubobmann Bruno Rossmann sprach von einer "schamlosen Umverteilung von unten nach oben", die von Regierungsseite praktiziert werde. Beispiele dafür sieht er in der geplanten Sozialversicherungsreform, bei der Einführung des 12-Stunden-Arbeitstags, den Änderungen bei Arbeitslosengeld und Mindestsicherung sowie bei Kürzungen im Pflichtschul- und im Integrationsbereich. Die SPÖ schloss sich der vernichtenden Bilanz von JETZT an, "unsozialer, ungesünder, undemokratischer und unmoralischer" sei Österreich unter der aktuellen Regierung geworden. Die Regierungsarbeit baue vor allem auf Populismus, kritisierten die NEOS ebenfalls und prangern ein Abdriften Österreichs ins "rechtsnationale Eck" an.

Kurz und Strache zeichneten mit Unterstützung von ÖVP und FPÖ naturgemäß ein anderes Bild vom vergangenen Regierungsjahr. "Österreich steht heute gut da", betonte Kurz mit Verweis auf zahlreiche politische Unsicherheiten in Europa und führte das nicht zuletzt auf den Mut und die Entschlossenheit seiner Regierung zurück, die erfolgreiche Reformen umsetze. Fairness und soziale Gerechtigkeit schaffe die Regierung, bekräftigte Strache. Steuererleichterungen für Familien, höhere Pensionen und Entlastungen für Niedrigverdienende habe man bereits umgesetzt. Die geplante Mindestsicherungsreform werde überdies den Import von Armut beenden.

Untermalt waren die Wortwechsel zwischen Regierungsfraktionen und Oppositionsparteien von der mehrmals gegenseitig ausgerichteten Botschaft "Schämen Sie sich!"

JETZT: Sozialtransfer von unten nach oben

Die Regierung arbeite an einer "Zwei-Drittel-Gesellschaft", hielt Bruno Rossmann Kanzler und Vizekanzler vor. Das zeige sich schon am sogenannten Familienbonus, von dem nur das mittlere und obere Einkommensdrittel mit bis zu 1.500 € pro Jahr und Kind profitiere, die unteren Einkommen müssten mit 250€ ihr Auslangen finden. Kinderarmut werde daher zunehmen, gab Rossmanns Parteikollegin Daniela Holzinger-Vogtenhuber zu bedenken, zumal die Mindestsicherung pro Kind bei mehreren Kindern sich künftig reduziere. Außerdem fehle weiterhin eine Unterhaltsgarantie für AlleinerzieherInnen. Insgesamt gebe es einen "Frontalangriff auf Arme, Arbeitslose und Migranten", so Rossmann. Hass- und Feindbilder in der Gesellschaft würden produziert, um andererseits die "eigene Klientel" aus Industrie und Wirtschaft zu bedienen. Etwa mit der Einführung des 12-Stunden-Arbeitstags gegen den Aufstand der ArbeitnehmerInnen und Betriebsräte und -rätinnen.

Die Bevorzugung regierungseigener Interessen macht der JETZT-Klubobmann auch bei der Neugestaltung der Sozialversicherungen, der Umwandlung der Österreichischen Beteiligungsgesellschaft sowie bei Neubesetzungen in den Staatsbahnen und der Oesterreichischen Nationalbank aus. Die Auswirkungen dieser "Parteibuchwirtschaft" unter der Ägide der FPÖ habe nicht zuletzt zum Skandal im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung geführt. Brandaktuellen Themen wie dem Klimawandel schenke die Regierung Kurz kaum Aufmerksamkeit.

Ebenso missachtet würden von der Regierung andere globalpolitische Fragen, zog Alfred Noll (JETZT) nach und nannte dabei die Ausrichtung aller Lebensbereiche auf ihren Geld- beziehungsweise Verkaufswert, sowie das zunehmende Prekariat, wenn Ausbildungen nicht mehr zum Erwerb ausreichen. Als Jurist bedauerte Noll zudem ausdrücklich, die Justiz werde "budgetär ausgehungert".

SPÖ: Regierung macht Land unsozialer

"Dieses Land ist durch diese Regierung unsozialer, ungesünder, undemokratischer und unmoralischer geworden", sagte Jörg Leichtfried (SPÖ) und nannte unter anderem die Abschaffung der Lehrlingsentschädigung, die Pläne zur Reform der Notstandshilfe und zur "Business-Class in Krankenhäusern", also das Regierungs-Vorhaben von Sonderklasseleistungen in Ambulanzen. Das Parlament werde bei der Gesetzgebung laufend umgangen, Volksbegehren wie jenes zum Nichtraucherschutz würden ignoriert. Dabei nehme die Zahl der frühzeitigen Todesfälle wegen Passivrauchens wieder zu: "Das ist Ihre Verantwortung und Ihre Schuld." Einen politischen Moralverlust erkennt Leichtfried schließlich in der FPÖ-Klage auf Rückerstattung von Wahlkampfkosten.

Die Klimaerwärmung rückte Munar Duzdar (SPÖ) ins Zentrum ihrer Rede, in der sie der Regierung vorwarf, gerade beim Klimaschutz interessensgesteuerte Politik zu betreiben. Das Umweltressort habe sich nicht gegen die probeweise Einführung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h auf Autobahnen gewehrt, dafür scheue es keine Kosten für die Übersiedlung des Umweltbundesamts von Wien nach Niederösterreich. Auflagen zur Energiewende würden "auf private Haushalte abgewälzt", die Industrie dagegen geschont, monierte Duzdar.

NEOS: Gesellschaft wird gespalten

NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger stellte wie die Rechnungshofsprecherin ihrer Fraktion, Irmgard Griss, der Regierung aus sozialer wie rechtlicher Sicht ein schlechtes Zeugnis aus. Für die Lösung der Pflegeproblematik gibt es laut Meinl-Reisinger ebenso wenig eine nachhaltige Lösung wie für ein generationengerechtes Pensionssystem. Bei der Mindestsicherung würden die ärmsten Gruppen gegeneinander aufgehetzt, was die Gesellschaft spalte. Der neue Regierungsstil sei von der Weiterführung der althergebrachten Partei- und Machtpolitik geprägt, analysierte die Klubvorsitzende weiter und richtete ÖVP und FPÖ aus: "Umfärben ist keine Reform." Griss warf der Regierung vor, den öffentlichen Diskurs in wichtigen Belangen wie der Arbeitszeitflexibilisierung zu umgehen. Das Resultat seien Gesetze, die mehr Rechtsunsicherheit schaffen.

"Wir erleben eine Unkultur der Ausgrenzung und des Pauschalverdachts", fasste Griss ihren Eindruck über die Regierungspolitik zusammen und erklärte dies damit, dass die FPÖ mit Angriffen gegen AusländerInnen ihre Wählerschaft von unpopulären Maßnahmen – Stichwort 12-Stunden-Arbeitstag – ablenken wolle. Die Abgeordnete ohne Fraktion, Martha Bißmann, verdeutlichte Griss' Kritik der Ausländerfeindlichkeit mit einer Stoffpuppe in türkischer Tracht, um die sie die Lebensgeschichte eines Gastarbeiters aus der Türkei spann. In den 1960er-Jahren für schwere Arbeiten nach Österreich geholt, habe dieser Türke sich in Österreich unter prekären Bedingungen mit seiner Familie ein Leben aufgebaut. Nun würden er und seine mittlerweile gut ausgebildeten Kinder, die rechtmäßig Steuern zahlen, von der Regierung ob ihrer Doppelstaatsbürgerschaft unter "Generalverdacht" gestellt und mit dem Verlust der Existenz bedroht. Dabei, ist Bißmann einer Meinung mit Griss, sollte erfolgreiche Politik auf ein friedliches Zusammenleben aller gesellschaftlichen Gruppen ausgerichtet sein.

ÖVP: Sozialpolitik der Regierung ist ein Erfolg

"Meilensteine der Sozialpolitik" hielt wiederum August Wöginger, Vorsitzender im ÖVP-Klub, der Regierung zugute, als er gegen die Argumente der Opposition auftrat. Konkret zählte er die steuerliche Entlastung niedriger Einkommen seit vergangenem Juli, die anvisierte Strukturreform bei den Sozialversicherungen und die Neugestaltung der Mindestsicherung – "ein Akt der Gerechtigkeit" – auf. "Wir sind eine soziale Bundesregierung", folgerte Wöginger, denn "wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein". Beim von den Oppositionsfraktionen geschmähten Familienbonus hielt er im Einklang mit Parteikollegen Karl Nehammer fest, damit habe man "die größte Steuererleichterung" seit Jahrzehnten für Familien umgesetzt. SteuerzahlerInnen, die den Mut zur Familiengründung haben, seien zu unterstützen.

Letztendlich gehe es bei sämtlichen Maßnahmen der Regierung um die Sicherung des Sozialstaats, erläuterte Nehammer und machte das an der Arbeitszeitflexibilisierung fest. Dadurch sorge man für eine funktionierende Wirtschaft, die Arbeitsplätze schaffe und so wiederum die Grundlage für Wohlstand lege.

FPÖ: Regierungsarbeit für Österreich

Die Klubobmänner der FPÖ, Walter Rosenkranz und Johann Gudenus, sehen die Regierungsarbeit durch die Vorhaltungen der Opposition bestätigt. SPÖ, NEOS und JETZT mögen eine "Mehrheit abseits von Links zur Kenntnis nehmen", empfahl Rosenkranz. "Diese Bundesregierung arbeitet für die Interessen der Österreicher und Österreicherinnen", den Befund gebe es bei der nächsten Nationalratswahl. Entschieden zurück wiesen beide Redner die Aussagen der SPÖ, die Regierung sei verantwortlich für Todesfälle aufgrund von Passivrauchen und die FPÖ handle mit ihrer Klage gegen die Republik betreffend Wahlkampfkostenrückerstattung amoralisch. Der Nichtraucherschutz sei im neuen Tabakgesetz maßgeblich gestärkt geworden und die Entscheidung, ob die FPÖ ihr Recht auf Kostenrückerstattung zugestanden bekommt, obliege der unabhängigen Justiz. Rosenkranz bezog sich damit auf den Vorwurf Leichtfrieds, dass die FPÖ die Republik wegen der durch die Bundespräsidentenwahlwiederholung entstandenen Kosten klagt.

Eine "g'scheite Politik mit Herz, Hirn und Hausverstand" ist in den Augen von Gudenus das Markenzeichen der Regierung. Ihr "soziale Kälte" vorzuwerfen, sei völlig haltlos. Anders als SPÖ-geführte Regierungen, die in den letzten Jahren "Armut produziert und importiert" hätten, schiebe die ÖVP-FPÖ-Koalition dem Leben "in der sozialen Hängematte" einen Riegel vor. Der im Debattentitel angeführte "Rechtsruck" stelle daher eine Bewegung hin zur Normalität dar.

Kurz und Strache bekräftigen positive Bilanz

Bundeskanzler Kurz unterstrich, mit der Regierungspolitik befinde sich Österreich am Weg in eine sozial sichere und gerechte Zukunft. "Schuldenpolitik ist langfristig das Unsozialste", hob er hervor, dass für 2019 keine Neuverschuldung mehr einkalkuliert ist. Dagegen erhielten arbeitende Menschen mehr Einkommen. Die neue Mindestsicherung werde dafür sorgen, arbeitslose Personen schneller wieder zurück ins Berufsleben zu bringen, denn "sozial ist, was stark macht". Ihm gehe es darum, betonte Kurz, Menschen aus der staatlichen Abhängigkeit zu lösen. Gleichzeitig setze die Regierung mit Initiativen wie der Reform der Sozialversicherungsträger auf Sparmaßnahmen "im System", spielte er auf die Verschlankung von Verwaltungskörpern an. Bestätigt sieht sich Kurz nicht zuletzt durch das gute Wirtschaftswachstum der Republik und die seit 2017 sinkende Arbeitslosigkeit.

Die Regierung lasse keine "Massenzuwanderung in das Sozialsystem" mehr zu, hielt Vizekanzler Strache fest. Stattdessen arbeitete man konsequent für Erwerbstätige, Familien und PensionistInnen. Mit dem Familienbonus und der letzten Pensionserhöhung erhielten die betreffenden Gruppen die höchsten Entlastungen der Zweiten Republik, so Strache, der dabei den Erhalt der Notstandshilfe zusicherte. Zur Kritik der Opposition meinte er, der Vorwurf der sozialen Kälte stimme nicht mit der politischen Realität überein. Allerdings sei die Regierungspolitik "nichts für Linksideologen". (Schluss) rei