Parlamentskorrespondenz Nr. 58 vom 29.01.2019

NR-Präsident Sobotka: Auseinandersetzung mit Geschichte ist identitätsstiftend

Buchpräsentation: Die Republik entsteht: Österreich 1918 - 1925

Wien (PK) - Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka lud zur Präsentation des Buchs "Die Republik entsteht: Österreich 1918 – 1925", verfasst vom ehemaligen Dritten Nationalratspräsidenten Wilhelm Brauneder, ins Palais Epstein.

Im Mittelpunkt des Werks steht die Zeit der Gründung der österreichischen Republik im Oktober 1918 und deren schwerer Beginn in äußerster Not bis hin zum vollen Inkrafttreten des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 im Jahr 1925.

"Das Kalenderjahr 2018 war ein bedeutendes Gedenkjahr. Gedenken darf sich aber nicht nur auf kalendarische Gegebenheiten reduzieren. Gedenken darf sich auch nicht nur in formelhaften Floskeln erstrecken. Es ist von großer Bedeutung, dieses Gedenken auch über 2018 fortzuführen. Gedenken muss als kontinuierlicher Prozess begriffen werden. Ich danke daher Professor Brauneder für seine Bereitschaft, sein neuestes Werk im Parlament zu präsentieren und einen ganz persönlichen Beitrag zum Gedenkjahr zu leisten", so NR-Präsident Sobotka in seiner Begrüßungsrede.

Sobotka: Müssen das Geschehene im Kontext sehen

Auch 2019 blicke man auf wesentliche historische Ereignisse zurück, die entscheidend für die österreichische Geschichte waren: 100 Jahre Frauenwahlrecht – ein besonderer Schwerpunkt des Parlaments zu Jahresbeginn, Erste Konstituierung einer Nationalversammlung am 04. März 1919, die Pariser Vorortverträge im Herbst 1919 und die Auswirkungen auf Fragen der Minderheiten in vielen europäischen Staaten. Aber auch 15 Jahre Osterweiterung und 30 Jahre Öffnung des Eisernen Vorhangs stünden als historische Meilensteine an, erläuterte Sobotka die Schwerpunkte des heurigen Jahres. "Die Auseinandersetzung mit Geschichte ist identitätsstiftend für jeden Staat, zugleich aber auch von besonderer Bedeutung um die Zukunft gestalten zu können", betonte er. "Der heutigen Generation nicht nur Daten und Fakten zu übermitteln, sondern auch das Geschehene im Kontext zu sehen, ist von immenser Bedeutung."

Das Buch stellt wissenschaftlich fundiert die Gründung der österreichischen Republik im Oktober 1918 und deren schweren Beginn in äußerster Not bis zum vollen Inkrafttreten der Bundesverfassung 1920 im Jahre 1925 dar. Schriftstellerisch-künstlerische Wahrnehmungen von Zeitzeugen wie z. B. Arthur Schnitzler und Eugen Roth, das politische und rechtliche Handeln etwa von Karl Renner und Prälat Hauser bzw. Hans Kelsen und Adolf Merkl verbindet der Autor mit seinen Einsichten in parlamentarisches Geschehen als ehemaliger Dritter Nationalrats-Präsident in anschaulicher Weise.

Brauneder: Die Republik feiert nicht ihren eigenen Geburtstag

"Aus der Geschichte soll man lernen", unterstrich der Autor Wilhelm Brauneder.  "Wenn man die Situation 1918/1919/1925, die wirtschaftliche Notlage, die Herausforderungen usw. sieht.  Es ist ein Wunder, dass sich dieser Staat so erholt hat - und nach 1945 umso mehr. Es ist der Tatkraft der Menschen zu verdanken, die hier leben, dass dieser Staat zu dem geworden ist, was er heute ist. Leider feiern wir nicht unseren rechtmäßigen Geburtstag – denn der wäre am 30. Oktober."

Er habe sich viele Jahre mit der Materie beschäftigt, doch man tue sich schwer mit Situationen, die man nicht selbst erlebt hat, sagte Brauneder. Noch dazu über eine Situation, die von der Gegenwart überdeckt wird. Wir leben in einer modernen Welt und können uns die Situation von damals gar nicht vorstellen. Dieses Österreich war zu diesem Zeitpunkt etwas völlig neues."

Wilhelm Brauneder ist emeritierter Universitätsprofessor der Rechtswissenschaften. Er lehrte 1975–1977 an der Universität Linz sowie 1977–2011 an der Universität Wien, wo er der Rechtswissenschaftlichen Fakultät 1987–1989 als Dekan vorstand; dazu kamen mehrere Gastprofessuren in den USA, Frankreich und Ungarn. Brauneder war 1996–1999 Dritter Präsident des Österreichischen Nationalrats.

Zum Inhalt:

1918 wurde vor dem Hintergrund des verlorenen Ersten Weltkriegs in Österreich – wie im Deutschen Reich – die Republik ausgerufen. 1919 diktierten die Siegermächte im Vertrag von Saint-Germain die Bedingungen für den neuen Staat "Deutschösterreich". Die österreichischen Zeitgenossen indes verstanden das durch diesen Vertrag formierte Staatsgebilde dezidiert als "Neu-Österreich", das ausdrücklich nicht dem "alten Österreich" entsprach. Erst mit der Volksabstimmung in Kärnten 1921 und mit dem endgültigen Erwerb des Burgenlandes 1922 war dieses "Neu-Österreich" jedenfalls äußerlich konsolidiert, freilich kaum im Inneren – angesichts allseits bedrückender Not und einer noch bis 1925 offenen Verfassungsgestaltung.

Wilhelm Brauneder seziert die politischen und staatsrechtlichen Vorgänge dieser Umbruchszeit mit dem routiniert geführten Skalpell des Verfassungshistorikers. Im Verlauf seiner Analyse erschließen sich zahlreiche – auch den geschichtlich versierten Leser überraschende – neue Erkenntnisse, so etwa zu den Sichtweisen verschiedener juristischer Denkschulen auf das verfassungsmäßige Wesen "Deutsch-" bzw. "Neu-Österreichs" sowie vor allem zum eigentlichen Gründungsdatum der österreichischen Republik: Denn dieses liegt konträr zur öffentlichen Meinung nicht etwa auf dem 12. November, sondern vielmehr ganz eindeutig auf dem 30. Oktober 1918.

Das Buch ist im Ares-Verlag erhältlich. (Schluss) mar

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