Parlamentskorrespondenz Nr. 182 vom 27.02.2019

Aktuelle Stunde: SPÖ fordert verpflichtende Lkw-Abbiegeassistenten

Verkehrsminister Hofer verweist auf EU-rechtliche Probleme und präsentiert rasch umsetzbares Maßnahmenpaket

Wien (PK) – Mit der Frage " Tun Sie alles für die Sicherheit unserer Kinder im Straßenverkehr, Herr Minister?" wurde heute der für diesen Bereich zuständige Ressortchef Norbert Hofer in der Aktuellen Stunde des Nationalrats konfrontiert. Anlass für die Themenwahl der SPÖ war nicht zuletzt der Tod eines neunjährigen Buben in Wien, der von einem Lkw-Fahrer übersehen und auf dem Schulweg getötet worden war. Durch den Einbau von sogenannten Abbiegeassistenten, die einen besseren Blick auf den toten Winkel ermöglichen, könnte man das Sterben der Kinder und anderer VerkehrsteilnehmerInnen verhindern, ist SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner überzeugt. Die Lösung dieses Problems dürfe nicht auf die lange Bank geschoben werden, es gebe rechtliche und technische Möglichkeiten, die umgesetzt werden können, unterstrich auch Jörg Leichtfried (SPÖ).

Im Jahr 2017 sind drei Personen beim Rechtsabbiegen von Lkw zu Tode gekommen, berichtete Verkehrsminister Norbert Hofer, man wolle daher alles tun, damit der tote Winkel zu einer kleineren Gefahr wird. Er stellte mit Bedauern fest, dass derzeit die Einführung von verpflichtenden Abbiegeassistenten aus EU-rechtlicher Sicht nicht möglich sei. Aus diesem Grund wurde ein Bündel an Maßnahmen geschnürt, die sofort umgesetzt werden können. So soll etwa die Straßenverkehrsordnung dahingehend geändert werden, dass bei gefährlichen Kreuzungen die Verordnung eines Rechtsabbiegeverbots für Lkw möglich wird.

Im Laufe der Sitzung brachten SPÖ, NEOS und die Liste JETZT einen Entschließungsantrag ein, in dem der Verkehrsminister unter anderem aufgefordert wird, eine Novelle des Kraftfahrgesetzes vorzulegen, wonach bereits zugelassene, österreichische Lastkraftwagen mit technisch geeigneten Abbiegeassistenzsystemen verpflichtend nachzurüsten sind. Überdies soll sich Hofer auf EU-Ebene für einen langfristig gültigen Standard bei Abbiegeassistenzsystemen, der auch die österreichische Lösung umfasst, einsetzen.

Rendi-Wagner: "Entscheiden wir uns für die Kinder und nicht für die Wettbewerbsfähigkeit"

Hinter der Debatte über den sperrigen Begriff Lkw-Abbiegeassistent verberge sich eine wichtige Frage, nämlich was Menschen- und Kinderleben der Politik wert sind, gab Pamela Rendi-Wagner zu bedenken. Es sei richtig, dass die Nachrüstung von Lastkraftwagen mit Abbiegeassistenten Geld koste, aber die Sicherheit der Bevölkerung müsse im Vordergrund stehen. Teile der Privatwirtschaft hätten schon die moralische Notwendigkeit für diesen Schritt erkannt, hob Rendi-Wagner unter Hinweis auf eine große Lebensmittelkette hervor, die nun ihre Lieferwägen freiwillig und auf eigene Kosten nachrüsten will. Nun gehe es darum, diesem Vorbild zu folgen, damit Österreichs Straßen sicherer werden. Die Umsetzung aus technischer Sicht sei schon heute möglich, es brauche keine Übergangsfristen. Es sei die ureigenste Aufgabe der PolitikerInnen, ihre Verantwortung wahrzunehmen, egal welcher Fraktion sie angehören. "Entscheiden wir uns für die Sicherheit und gegen den toten Winkel!", schloss die SPÖ-Chefin.

Hofer: Verpflichtende Ausrüstung oder Nachrüstung mit Abbiegeassistenten mit EU-Recht nicht vereinbar

Verkehrsminister Norbert Hofer sah aus EU-rechtlicher Sicht keine Möglichkeit für Österreich, einen Lkw-Abbiegeassistenten verpflichtend vorzuschreiben. Das System der EU-Typengenehmigung für Fahrzeuge sehe nämlich vor, dass eine Zulassung in jedem einzelnen Mitgliedstaat erfolgen müsse. Sollte Österreich dennoch eine verpflichtende Ausrüstung neuer Lkw bzw. eine Nachrüstung älterer Lkw mit Abbiegeassistenten einführen, würde man ein Vertragsverletzungsverfahren riskieren. Während der österreichischen Ratspräsidentschaft habe man in dieser Frage jedoch einen Fortschritt erreicht, erinnerte Hofer. Ab 2022 werden die Abbiegeassistenten im Zuge der Typengenehmigung verpflichtend eingeführt und ab 2024 für alle neue Fahrzeuge. Er würde es jedoch begrüßen, wenn diese Vorschriften ein Jahr früher als geplant umgesetzt werden.

Bei dem von ihm initiierten Lkw-Gipfel sei im Vordergrund gestanden, Maßnahmen zu finden, die auf nationaler Ebene rasch umgesetzt werden können, führte Hofer weiter aus. Als Beispiel führte er den massiven Ausbau jener Asfinag-Parkplätze auf Autobahnen an, wo die Fahrzeugspiegel besser eingestellt werden können. Diesbezügliche Gespräche werden auch mit der Mineralölindustrie geführt, um die Tankstellen einzubeziehen. Auch die Anbringung von sogenannten Trixi-Spiegeln auf Ampeln sei geplant. Als wichtig erachtete der Ressortchef auch den Ausbau von bewusstseinsbildenden Maßnahmen, die etwa im Rahmen der Verkehrssicherheitserziehung von Kindern greifen sollen.

Hofer informierte weiters darüber, dass fünf Millionen Euro in die Aus- und Weiterbildung von Bus- und Lkw-Fahrern investiert werden. Zudem wurde ein Forschungsprojekt "Toter Winkel" ausgeschrieben, das mit einer Million Euro dotiert ist. Was das unter seinem Vorgänger eingeleitete Pilotprojekt "Mobileye" angeht, so werden die Ergebnisse erst im April vorliegen. Sein Ressort plane auch eine Änderung der Straßenverkehrsordnung, damit beim Rechtsabbiegeverbot künftig zwischen jenen Fahrzeugen differenziert werden könne, die einen toten Winkel haben und jenen, die keinen haben. Dieses Verbot soll bei jenen gefährlichen Kreuzungen, die nicht durch andere Möglichkeiten entschärft werden, zur Anwendung kommen. Eine derartige zielgerichtete Maßnahme halte er für sinnvoller als etwa die von der Wiener Verkehrsstadträtin Vassilakou geforderten Fahrverbote für ganze Bezirke. Auch das Londoner Modell sei für ihn kein Vorbild, da dort erst ab 2024 Assistenzsysteme eingeführt werden sollen.

Opposition fordert umgehende Aus- und Nachrüstung mit Abbiegeassistenten

" Drückt mir die Daumen", habe Verkehrsminister Hofer im Vorfeld des Lkw-Gipfels zu jenen Kindern gesagt, die ihren Schulfreund vor Kurzem durch einen Lkw-Unfall in Wien verloren haben, rief der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried in Erinnerung. Geschehen sei seitdem seiner Meinung nach aber zu wenig. Es wäre die Pflicht der Politik, alles zu unternehmen, um derartige Unfälle, die jährlich zehn bis 14 Menschen das Leben kosten, zu verhindern. Die nun von Hofer aufgezeigten Maßnahmen werden nicht ausreichen, die Lösung müsse eine technologische sein, forderte Leichtfried. Er war auch überzeugt davon, dass dies mit dem Europarecht kompatibel wäre. Durch eine Ermächtigung in der Straßenverkehrsordnung könnte man die Gemeinden in die Lage versetzen, Fahrverbote für jene Lkw auszusprechen, die über keinen Abbiegeassistenten verfügen.

Leichtfried wies darauf hin, dass im Jahr 2017 unter seiner Ägide ein Verkehrssicherheitsprogramm mit über 100 Einzelmaßnahmen in die Wege geleitet worden sei, das seinesgleichen suche. Ein Bestandteil davon war das im Jahr 2017 gestartete Pilotprojekt "Mobileye", im Rahmen dessen 15 Lkw und Busse mit Abbiegeassistenten ausgerüstet wurden. Entsprechende Ergebnisse hätten schon im Vorjahr vorliegen sollen. Abgeordneter Alois Stöger stellte generell die Glaubwürdigkeit der Verkehrspolitik der jetzigen Bundesregierung in Frage, wenn auf der einen Seite Sicherheit propagiert wird, auf der anderen Seite aber Tempo 140 km/h auf Autobahnen sowie Rechtsabbiegen bei Rot erlaubt werden sollen. Auch den technologischen Bedenken Hofers bezüglich der Abbiegeassistenten konnte er wenig abgewinnen, zumal heutzutage schon jedes moderne Mittelklasseauto mit Unterstützungssystemen ausgerüstet ist, die etwa beim Einparken eine Rundumsicht ermöglichen.

NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger zeigte sich enttäuscht über die Ergebnisse des Lkw-Gipfels. Wirklich empörend sei aus ihrer Sicht jedoch, dass die Verantwortung nun nach Brüssel abgeschoben wird. Wenn es darum geht, das Leben von Kindern zu retten, dann sollten alle technischen Möglichkeiten, auch wenn sie noch nicht ganz ausgereift und perfekt sind, zum Einsatz kommen. Das Argument, wonach die derzeitigen Systeme vielleicht zu oft piepsen, könne sie einfach nicht nachvollziehen. Gleichzeitig wolle man aber in absehbarer Zeit autonomes Fahren ermöglichen, hielt sie dem Minister entgegen. Abgeordneter Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) machte vor allem auf die Situation der rund 80.000 Lkw-FahrerInnen aufmerksam, deren Anliegen in der Debatte auch berücksichtigt werden müssen.

Abgeordnete Stephanie Cox (JETZT) wies darauf hin, dass sich bereits 73.000 ÖsterreicherInnen und zahlreiche Verkehrsklubs für einen verpflichtenden Lkw-Abbiegeassistenten ausgesprochen haben. Eine Langzeitstudie habe deutlich gezeigt, dass die LenkerInnen beim Einsatz von Sensoren vorsichtiger fahren. Kritik übte sie auch am Maßnahmenpaket, weil damit die Verantwortung für Verkehrssicherheit auf alle anderen abgeschoben werde. Zustimmung kam nur vonseiten der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer, die die Einigung schon vor dem Lkw-Gipfel "super fanden". Welche Rolle die Frächterlobby in dieser Angelegenheit gehabt hat, das werde man wohl nie erfahren.

ÖVP und FPÖ fordern eine Versachlichung der Debatte und weisen auf die zahlreichen Sofortmaßnahmen hin

Niemanden lassen so schreckliche Unfälle von Kindern ungerührt, meinte ÖVP-Abgeordneter Andreas Ottenschläger, der für eine sachliche Debatte plädierte. Es sei einfach nicht richtig, dass durch die Einführung von verpflichtenden Abbiegeassistenten die Sicherheit der Kinder zu 100% gewährleistet werden könne. Damit würde man nur falsche Hoffnungen schüren. Es handle sich dabei auch um keine Kostenfrage, verwehrte sich Ottenschläger gegen die Unterstellung, dass der Regierung die Sicherheit der Menschen nichts wert sei. Tests hätten ergeben, dass die derzeitigen technischen Systeme einfach nicht ausgereift seien und vielleicht sogar ignoriert würden, weil sie ununterbrochen anschlagen. Ebenso wie Abgeordnete Elisabeth Pfurtscheller war er der Meinung, dass das von Minister Hofer vorgelegte zehn Punkte umfassende Maßnahmenpaket, das unter anderem ein Rechtsabbiegeverbot für Lkw vorsieht, mindestens so effektiv sei wie die von der Opposition als einzig mögliche Lösung propagierten Abbiegeassistenten.

Auch FPÖ-Mandatar Christian Hafenecker zeigte sich äußerst betroffen über den tragischen Tod des neunjährigen Buben in Wien. Es stellte sich für ihn sofort die Frage, ob der Unfall nicht zu verhindern gewesen wäre. Bei dem von Verkehrsminister Hofer sofort einberufenen Lkw-Gipfel wurden alle Facetten des Problems von über 70 ExpertInnen ausführlich erörtert. Dabei habe sich aber leider herausgestellt, dass es eine Patentlösung zum jetzigen Zeitpunkt nicht gibt, konstatierte Hafenecker. Aber dennoch sollen all jene Maßnahmen, die schon jetzt umgesetzt werden können, sofort wirksam werden. Außerdem soll die europaweite Einführung von verpflichtenden Abbiegeassistenten beschleunigt werden. Sein Fraktionskollege Günther Kumpitsch stellte in Richtung der SozialdemokratInnen die Frage, warum die nun geforderte Ausrüstung mit Assistenzsystemen nicht schon unter SPÖ-Verkehrsministern in die Wege geleitet worden sei. Er nehme an, dass wohl auch damals rechtliche oder technische Gründe dagegengesprochen haben. Anlassgesetzgebung sei nicht die richtige Antwort für dieses Problem. (Fortsetzung Nationalrat) sue