Parlamentskorrespondenz Nr. 505 vom 09.05.2019

Betreuung und Rechtsberatung von AsylwerberInnen künftig durch Bundesagentur

Innenausschuss verabschiedet BBU-Errichtungsgesetz, Reihe an Oppositionsanträgen wurde vertagt

Wien (PK) – Ab Mitte 2020 sollen die Erstaufnahmezentren für Flüchtlinge von einer staatlichen Agentur betrieben werden, ab Anfang 2021 soll dann auch die Rechts- und Rückkehrberatung für AsylwerberInnen ausschließlich von der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH durchgeführt werden. Der entsprechende Gesetzestext (594 d.B.) passierte heute mit den Stimmen der Regierungsparteien den Innenausschuss. Innenminister Herbert Kickl sieht darin eine Möglichkeit zur Synergienutzung und Kosteneffizienz. Die Oppositionsparteien kritisierten das Gesetz in Hinblick auf fehlende Unabhängigkeit und orteten Interessenskonflikte. Auf der Tagesordnung standen außerdem acht Oppositionsanträge zu Sicherheitsthemen, die allesamt vertagt wurden.

Derzeit erfolgt die Erstbetreuung von Flüchtlingen, die in Österreich einen Asylantrag stellen, in von privaten Unternehmen geführten Einrichtungen des Bundes. Auch die Rechts- und Rückkehrberatung für AsylwerberInnen ist an externe Leistungserbringer, vorrangig gemeinnützige Organisationen, ausgelagert. Beides soll sich nun ändern. Zudem sind Einschränkungen beim Rechtsanspruch auf Rechtsberatung in Aussicht genommen. Inkrafttreten sollen die neuen Bestimmungen schrittweise, der Vollbetrieb der Agentur ist für 2021 in Aussicht genommen.

Ziel der Novelle sind insbesondere mehr Kosteneffizienz, eine Reduzierung der Abhängigkeit von externen Leistungserbringern sowie Qualitätssicherung. So ist die Regierung zuversichtlich, dass die Gesamtkosten für einen in Bundesbetreuung befindlichen Asylwerber von derzeit durchschnittlich 183 € pro Tag durch niedrigere Administrationskosten und weniger Personal im "Overheadbereich" reduziert werden können, ohne die hohe Betreuungsqualität zu senken. Zudem soll eine "faire, realistische und objektive" Rechtsberatung dazu beitragen, den Anteil der freiwilligen Ausreisen von Fremden an den Außerlandesbringungen von aktuell 45% zu erhöhen. Insgesamt geht der Entwurf nach vorübergehenden Mehraufwendungen in den Jahren 2019 (+4,1 Mio. €) und 2020 (+6 Mio. €) von deutlichen Minderausgaben in den Jahren 2021 (-12,5 Mio. €), 2022 (-15,2 Mio. €) und 2023 (-15,4 Mio. €) aus.

Bundesagentur soll Betrieb ab Sommer 2020 aufnehmen

Im Konkreten soll die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen als Gesellschaft mit beschränkter Haftung im hundertprozentigen Eigentum des Bundes eingerichtet werden. Sie ist ausdrücklich nicht auf Gewinn ausgerichtet und hat ausschließlich mildtätige und gemeinnützige Zwecke zu verfolgen. Als Aufsichtsrat sind zwölf Mitglieder – sechs VertreterInnen des Innenministeriums, je ein Vertreter bzw. eine Vertreterin des Finanz- und des Justizministeriums und vier PersonalvertreterInnen – vorgesehen.

Aufnehmen soll die Agentur ihren Betrieb grundsätzlich mit Juli 2020, wobei sie in einem ersten Schritt für die Grundversorgung der in Bundesbetreuung befindlichen Flüchtlinge zuständig sein wird. Ab 2021 soll sie dann auch die Rechtsberatung für AsylwerberInnen und andere Fremde, die Rückkehrberatung und Rückkehrhilfe, die Bereitstellung von DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen und die Bereitstellung von MenschenrechtsbeobachterInnen zur Überwachung von Abschiebungen übernehmen. Sollte es aufgrund einer neuen Flüchtlingswelle zu Engpässen bei der Versorgung kommen, darf die Betreuungsagentur ausnahmsweise auf Drittanbieter zurückgreifen. Die von der Bundesagentur beschäftigten RechtsberaterInnen werden gemäß Gesetzentwurf – ebenso wie die MenschrechtsbeobachterInnen, die DolmetscherInnen und die ÜbersetzerInnen – bei der Wahrnehmung ihrer Tätigkeit unabhängig sein und weisungsfrei gestellt.

Verbunden mit der Übernahme der Rechtsberatung durch die Bundesbetreuungsagentur ist eine Einschränkung des Rechtsanspruchs. Demnach sollen AsylwerberInnen, die sich im Zulassungsverfahren befinden – ausgenommen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge –, künftig nur noch dann Anspruch auf kostenlose Rechtsberatung haben, wenn ihnen eine negative Entscheidung in Aussicht gestellt wurde und sie weniger als 72 Stunden Zeit haben, um sich auf ihre Einvernahme beim Bundesamt für Asyl- und Fremdenwesen (BFA) vorzubereiten. Auch Fremden, die zum Zweck einer Abschiebung festgenommen werden, wird nur noch nach Maßgabe vorhandener Kapazitäten unentgeltliche Rechtsauskunft erteilt. Die Betrauung anderer juristischer Personen mit der Durchführung der Rechtsberatung ist sodann laut Gesetzesvorlage ausdrücklich nicht mehr zulässig.

Kickl: Bundesagentur wird kosteneffiziente Betreuung und faire Rechtsberatung leisten

Innenminister Herbert Kickl unterbreitete den Ausschussmitgliedern die neue Einrichtung als einen "bedeutsamen Schritt zum politischen Ziel eines krisenfesten und zukunftsfähigen Asylsystems". Er betonte, dass man mit dem Gesetz nationalen und EU-rechtlichen Vorgaben entspreche sowie auf Fairness und Kostenwahrheit Wert gelegt habe. Dass das bestehende System nun auf neue Beine gestellt werde, sei außerdem kein politischer Schnellschuss, sondern einem langen Entwicklungsprozess geschuldet, um die Abhängigkeiten von externen Organisationen zu verringern. Mit der Umsetzung in einem zweistufigen Verfahren sollen Unsicherheiten, die mit einem Übergangsprozess üblicherweise einhergehen, minimiert werden.

Die Gesetzesvorlage bezeichnete ÖVP-Sicherheitssprecher Werner Amon als sehr solide. Um die Rechtsberatung von AslywerberInnen besser und kostengünstiger zu erledigen, sei schon seit mehreren Jahren eine Verstaatlichung in Diskussion gewesen. Auch Abgeordneter Wolfgang Gerstl (ÖVP) erwartet sich dadurch Verbesserungen. Bislang sei von manchen NGOs versucht worden, mittels der Rechtsberatung die Aufenthaltstitel und Aufenthaltsdauer zu verlängern, meinte er. FPÖ-Abgeordneter Hans-Jörg Jenewein sagte, dass die Rückkehrberatung in der Vergangenheit zwar nicht alles schlecht gemacht habe, NGOs in einigen Fällen aber eher eine "Hierbleib-Beratung" durchgeführt hätten. Die Gewinnorientierung der bislang beauftragten Firmen empfindet er als einen unhaltbaren Zustand für einen solch sensiblen Bereich. Die Unterbringung beim Bund sei also sinnvoller. FPÖ-Fraktionskollege Werner Herbert geht davon aus, dass die MitarbeiterInnen des Innenressorts hervorragende Betreuungs- und Beratungsarbeit leisten werden.

Opposition kritisiert fehlende Unabhängigkeit durch Verstaatlichung

Umfassende Kritik an dem Gesetzesvorhaben äußerte NEOS-Sprecherin Stephanie Krisper, an welcher sich auch Alfred Noll (JETZT) und die SPÖ-Fraktion anschlossen. Aufgrund künftig fehlender Unabhängigkeit würde das Gesetz europarechtlichen Vorgaben, etwa in Bezug auf das Recht auf ein faires Asylverfahren, widersprechen, meinte sie. Wie könne man AslywerberInnen weiterhin unbefangene Verfahren garantieren? Mit dem "Interessenskonflikt hoch 20" kritisierte sie auch die unschlüssige Kostenberechnung, die Bürokratisierung und die knappen personellen Ressourcen, die einen Einbruch in Qualität und Effektivität vermuten lassen. Außerdem fehlt für Abgeordnete Krisper sowohl ein Qualitäts- als auch ein Beschwerdemanagement.

Die "objektive Beratung", die laut Gesetzestext für Flüchtlinge von der BBU geleistet werden soll, ist für JETZT-Mandatar Noll ein Widerspruch in sich. Die rechtliche Vertretung sollte sich nämlich immer an den subjektiven Interessen der Mandantin bzw. des Mandanten orientieren, meinte er. In diesem Zusammenhang entstand im Ausschuss eine Debatte über die Unterscheidung zwischen den Begriffen Rechtsvertretung und Rechtsberatung. Für Noll ist dabei die Regierungsvorlage diesbezüglich nicht ausreichend differenziert. Klarstellung bedarf es seiner Ansicht nach auch bei der Datenweitergabe. Auch SPÖ-Abgeordnete Nurten Yılmaz machte diese "Verschärfung und massiven Eingriff" zum Thema. Alle mit der Rechtsberatung von Asylwerbern in Zusammenhang stehenden Daten sollen nämlich an die Bundesagentur herausgegeben werden. Um die rechtsanwaltliche Verschwiegenheit im BBU-G jedenfalls zu wahren, brachte Noll einen Entschließungsantrag ein, der allerdings keine Mehrheit fand.

Aufgrund der Neuerung sorgte sich die SPÖ auch um faire Rechtsberatung und Rechtsvertretung bei künftigen Asylverfahren. Die SPÖ-Abgeordneten Maurice Androsch und Reinhold Einwallner interessierten sich außerdem für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Bundesagentur und für deren Weisungsgebundenheit. Innenminister Kickl informierte, dass die sechs vom Innenministerium gestellten Mitglieder von ihm selbst nach sachlichen und objektiven Kriterien ausgewählt werden. Weisungsfreiheit werde stets anhand des Aufgabenbereichs entschieden.

Kickl verstand die geäußerten Kritikpunkte allgemein als ungerechtfertigten Misstrauensvorschuss gegenüber den künftig damit betrauten Beamten. Die Vorteile der Verstaatlichung liegen für ihn klar auf der Hand. Bei der Grundversorgung etwa sei durch Synergien eine günstigere Betreuung zu ermöglichen, bei der die Qualität in vollem Umfang aufrechterhalten werden könne. Weil man außerdem keinen Gewinn machen möchte, sei von einem Einsparungspotential auszugehen. Bei der Rechtsberatung sei die Unabhängigkeit durch Objektivität und Weisungsfreiheit abgesichert und Verschwiegenheit gewährleistet. Bei der Rückkehrberatung ginge es darum, eine Rückkehr in Würde sicherzustellen und Chancen realistisch einzuschätzen, um nicht falsche Hoffnungen zu machen. Den EU-Richtlinien werde dabei in Kongruenz mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in Punkt und Beistrich entsprochen, so der Innenminister.

SPÖ und JETZT drängen auf Einsetzung einer Sonderkommission zum Fall Dornbirn

Im Innenausschuss standen sodann Anträge der Oppositionsparteien auf der Tagesordnung. Die SPÖ drängt auf umgehende Einsetzung einer Sonderkommission zum Fall Dornbirn (703/A(E)). Bis zum 30. Juni 2019 sollte der folgenschwere Mord am Leiter des Sozialamts in Dornbirn vollständig aufgeklärt und in Berichtsform dem Ausschuss für innere Angelegenheiten vorgelegt werden. Durch die Heranziehung einer ExpertInnenkommission wäre die notwendige Transparenz gewährleistet, meinte Reinhold Einwallner. Die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission zur Aufklärung allfälligen Behördenversagens im Fall Dornbirn fordert auch JETZT-Mandatar Alfred Noll (659/A(E)).

Im Zusammenhang mit dem Thema Dornbirn hakten die NEOS mit einem Entschließungsantrag auf vordringliche Behandlung und schnellere Entscheidung von Asylverfahren in besonderen Fällen ein (651/A(E)). Im Visier hat Stephanie Krisper dabei Asylverfahren von AsylwerberInnen, die eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Bei Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbots bestehe zwar bereits die Möglichkeit, das Verfahren beschleunigt durchzuführen, dies sei aber bloß eine Kann-Bestimmung und keine Verpflichtung, gab Krisper zu bedenken.

Innenminister Herbert Kickl verwies auf entsprechende parlamentarische Anfragebeantwortungen, die ausführlich Auskunft über den Fall Dornbirn geben, und betonte ebenso wie FPÖ-Mandatar Hans-Jörg Jenewein, es liege keinerlei Behördenversagen vor. Was die Beschleunigung von Asylverfahren in bestimmten Fällen betrifft, verwies Jenewein auf die geplante Neukodifizierung des Asyl- und Fremdenrechts. Die drei Anträge wurden daraufhin mit den Stimmen der Regierungsparteien vertagt.

Kampf gegen Rechtsextremismus: Opposition ortet Handlungsbedarf

Jüngste Berichte über rechtsextreme Netzwerke sowie Entwicklungen rund um die Identitären legen für die Opposition dringenden Handlungsbedarf seitens der Regierung nahe. So schlägt SPÖ-Abgeordnete Nurten Ylmaz in einem Initiativantrag die Aufnahme der Symbole der Identitären Bewegung in das Symbole-Gesetz vor (772/A). Stephanie Krisper wiederum drängt namens der NEOS auf eine umgehende Aufstockung des Extremismusreferats im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), und zwar sowohl personell als auch hinsichtlich der technischen Ressourcen (704/A(E)). JETZT-Mandatar Alfred Noll schließlich pocht in einem Entschließungsantrag (714/A(E)) auf jährliche Vorlage eines Rechtsextremismusberichts und mahnt zudem auch Berichte zu den Themen Linksextremismus und religiöser Extremismus ein.

Innenminister Herbert Kickl stellte klar, dass der Bericht zum Thema Rechtsextremismus nun Teil des Verfassungsschutzberichts ist, und meinte an die Adresse von Noll gerichtet, man können nicht so tun, als ob niemand auf den Bereich Rechtsextremismus hinschaue. Die drei Anträge wurden unter Hinweis auf die anhängige Prüfung eines Verbots der Identitären durch die Vereinsbehörde sowie den laufenden BVT-Reformprozess mit den Stimmen der Regierungsparteien vertagt.

NEOS fordern Strategien gegen Desinformationen im Netz

Die sich häufenden Fälle von gezielter Desinformation im Netz rufen nun die NEOS auf den Plan. Zunächst fordert Stephanie Krisper eine Strategie zur Bekämpfung der so genannten "Deep Fakes" (645/A(E)), wobei es ihr vor allem darum geht, Technologien einzudämmen, die es ermöglichen, täuschend echte Video- und Audio-Dateien von Menschen zu erstellen und ihnen Aussagen in den Mund zu legen oder sie bei Handlungen zu zeigen, die sie nie begangen haben. Darüber hinaus wollen die NEOS auch bei der Medienkompetenz der Bevölkerung ansetzen. Krisper urgiert in diesem Zusammenhang einen "Aktionsplan gegen Desinformation" (590/A(E)), der vor allem der Bewusstseinsbildung dienen und verhindern soll, dass die Menschen im Vorfeld von Wahlen Falschinformationen und Manipulationen aufsitzen. Ein entsprechender Aktionsplan werde vom Bundeskanzleramt ausgearbeitet, erinnerte Hans-Jörg Jenewein (FPÖ) und gab damit den Grund für die Vertagung der beiden Anträge vor. (Schluss Innenausschuss) gs/fan/hof