Parlamentskorrespondenz Nr. 532 vom 15.05.2019

Heftige Auseinandersetzung im Nationalrat über Sozialpolitik der Regierung

Dringliche Anfrage der FPÖ, Meinungen von Regierung und Opposition liegen weit auseinander

Wien (PK) – Die weitere Debatte im Plenum des Nationalrats zur Dringlichen Anfrage der FPÖ an Sozialministerin Beate Hartinger-Klein hinsichtlich der Maßnahmen der Bundesregierung zur Armutsbekämpfung sowie zu mehr sozialer Gerechtigkeit war geprägt von gegenseitigen Schuldzuweisungen und teils emotionalem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Meinungen, was auch Ordnungsrufe seitens der Vorsitzführung nach sich zog.  

Bogner-Strauß: 10 Prozent des Bundesbudgets gehen an die Familien

Zu Wort meldete sich auch Frauen-, Familien- und Jugendministerin Juliane Bogner-Strauß, um insbesondere die familien- und frauenpolitischen Maßnahmen hervorzuheben. Angesichts der Tatsache, dass ein Drittel der alleinlebenden Pensionistinnen von Armut bedroht ist, sieht sie es als notwendig, Frauen in Erwerbstätigkeit zu bringen bzw. ihnen zu ermöglichen, mehr Stunden zu arbeiten, denn das bringe auch höhere Pensionen. Man investiere in den nächsten Jahren deshalb auch 700 Mio. € in den Ausbau der Kinderbetreuung und in die Flexibilisierung der Öffnungszeiten, betonte sie.

Als die größte Familienentlastung, die es je in Österreich gab, bezeichnete Bogner-Strauß den Familienbonus Plus, für den man 1,5 Mrd. € in die Hand genommen habe. Davon würden 1,6 Millionen Kinder und eine Million Familien profitieren. Darüber hinaus zahle der Staat Familienbeihilfe über die Volljährigkeit hinaus, gewähre großzügig Kinderbetreuungsgeld in verschiedenen Varianten und familienpolitische Sachleistungen wie die Schülerfreifahrt und die Schulbuchaktion. Darüber hinaus gebe es auch einen Familienhärteausgleich. Insgesamt würden 10% des Bundesbudgets für Familienleistungen zur Verfügung gestellt, was den Stellenwert, den die Familie für die Bundesregierung hat, deutlich zeige.

Man sei auch extrem treffsicher, sagte die Ministerin und wies darauf hin, dass die Familienarmut in den letzten Jahren um die Hälfte reduziert werden konnte. Notwendig sei es, das Sozialsystem so auszurichten, dass Leistungen dort ankommen, wo sie auch gebraucht werden. Die Bundesregierung stehe für mehr Fairness und mehr Gerechtigkeit und nehme die Herausforderung an, Armut zu bekämpfen, denn das Aufwachsen in Armut bedeute Verzicht und gehe mit dem Mangel an Bildung und Krankheit einher. Die wirkungsvollste Maßnahme gegen die Armut sei die Arbeit und daher sei es auch die Priorität der Bundesregierung, Arbeit zu schaffen und mehr Menschen in die Beschäftigung zu bringen.

FPÖ: Koalition steht für soziale Wärme und Empathie

Die aktuelle Regierung stehe für soziale Wärme und Empathie, und die Menschen seien sehr zufrieden mit deren Arbeit, stellte Peter Wurm (FPÖ) fest. Vieles habe sich zum Positiven bewegt und die FPÖ setze das um, was die Sozialdemokratie offensichtlich vergessen habe - nämlich, dass Arbeit sich wieder lohnen und ein sozialer Aufstieg durch Leistung möglich sein müsse. Dazu habe die Koalition bereits viele Maßnahmen umgesetzt und werde weitere setzen, sagte Wurm, der besonders auf den bereits umgesetzten Kinderbonus und den geplanten Pensionsbonus verwies. Der Pensionsbonus komme ab 2020 allen zugute, die mindestens 40 Beitragsjahre nachweisen können, sie werden zumindest 1.200 € monatlich an Pension erhalten, zeigte sich Wurm zufrieden.

Österreich sei ein Sozialstaat, auf den man stolz sein dürfe, und zu dem sie sich bekenne, sagte Petra Wagner (FPÖ). Hierzulande gebe es ein soziales Netzwerk, das dazu da sei, Menschen vor dem sozialen Absturz zu bewahren. Dieses sei aber keine Hängematte und nicht grenzenlos belastbar. Daher denke die Koalition auch an jene, die das Sozialsystem durch ihre Beiträge finanzieren. Diese positive Bewertung der aktuellen Sozialpolitik wurde vollinhaltlich auch von Werner Neubauer (FPÖ) geteilt, der auf die zahlreichen Maßnahmen wie Familienbonus Plus, geplante Steuerreform und Pensionserhöhung  hinwies. Er zeigt sich insbesondere zufrieden, dass ein Nulldefizit erreicht werden konnte, während die SPÖ nur Schulden gemacht habe.

ÖVP: Sozial ist, was Arbeit schafft

Die Bundesregierung habe im Bereich der Armutsbekämpfung in nur eineinhalb Jahren sehr vieles erreicht, sagte August Wöginger (ÖVP). Die Zahl der Betroffenen sei deutlich gesunken. Die Bundesregierung stehe auf dem Standpunkt, dass vor allem jenen geholfen werden müsse, die sich selbst nicht helfen können. Österreich sei ein soziales Land und bleibe es. Wer arbeitsfähig sei, von dem werde jedoch erwartet, eine Arbeit anzunehmen, da Erwerbseinkommen die beste Absicherung gegen Armut sei. "Sozial ist, was Arbeit schafft", unterstrich Wöginger. Die ersten Maßnahmen der Bundesregierung hätten den BezieherInnen niedriger Einkommen genützt, damit Arbeit sich wieder lohne. Die kommende Steuerreform werde die seit langem erhobene Forderung nach Entlastung der Arbeit umsetzen.

Die Fortschritte bei der Armutsbekämpfung seien eine Tatsache, die nicht zu leugnen sei, sagte Tanja Graf (ÖVP) in Richtung SPÖ. Österreich sei nach wie vor Spitzenreiter bei den Sozialausgaben und bezahle den zweithöchsten Mindestlohn in Europa. Niemand werde zurückgelassen, doch wolle man Menschen nicht in der Untätigkeit belassen und Anreize zur Arbeit schaffen. Graf lobte die geplante Steuerreform, die den Menschen nachhaltige Entlastungen bringen werde. "Diese Regierung hält, was sie versprochen hat", bekräftigte Norbert Sieber (ÖVP) die Aussagen seiner KlubkollegInnen. Man entlaste diejenigen, die es ohnehin schwer haben, sagte er und wies insbesondere darauf hin, dass die Armutsgefährdung in den letzten Jahren um 10% gesenkt werden konnte. Dabei räumte er ein, dass dies auch ein Erfolg der Vorgängerregierungen gewesen ist.      

SPÖ: Entlastung nur für große Einkommen auf Kosten der sozial Schwächeren

Gänzlich anders sieht das die SPÖ. Die aktuellen Zahlen zur Armutsentwicklung seien das Ergebnis der Politik 2008 bis 2017, die sichtbaren Erfolge also früheren Bundesregierungen unter sozialdemokratischen Regierungschefs und SozialministerInnen zuzuschreiben, wandte Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) gegen die Darstellung der Sozialministerin ein. Sozialdemokratisch geführte Bundesregierungen hätten es trotz Wirtschaftskrise und knapper Budgets geschafft, erfolgreich für sozialen Ausgleich zu sorgen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Die derzeitige Bundesregierung betreibe hingegen Sozialabbau und gefährde den sozialen Frieden. Die angekündigte Steuerreform bedeute, dass die kalte Progression in den Jahren 2020 bis 2021 den ArbeitnehmerInnen mehr wegnehme, als sie an Entlastungen erhalten. Die Bundesregierung verteile zur gleichen Zeit 1,6 Mrd. € an Steuerzuckerln an große Konzerne. Das werde zu Lasten des Gesundheits- und Sozialsystems und der Pflege gehen, befürchtet die SPÖ-Fraktionschefin.

Auf den ersten Blick scheine die Steuerreform durchaus positive Aspekte zu enthalten, sagte Kai Jan Krainer (SPÖ). Bei genauerer Betrachtung gleiche sie jedoch nicht einmal die gesamte kalte Progression aus, falle also auf den Faktor Arbeit bezogen zu gering aus. Zudem komme sie zu spät, um Wirkung gegen die Konjunkturabschwächung zu zeigen. Letztlich zahlten die kleinen EinkommensbezieherInnen die Entlastung der Besserverdienenden. Diese Regierung mache nur Politik für Miethaie und Konzerne, nicht für die Menschen, kritisierte Krainer. In die gleiche Kerbe schlug Jörg Leichtfried (SPÖ), der der Regierung vorwarf, bei der Steuerreform 1,5 Mrd. € den großen Unternehmen als Körberlgeld auf Kosten der Armen und Kranken zuzuschieben. Die Sozialministerin kritisierte er in diesem Zusammenhang scharf, denn sie "springe wenn die Industriellenvereinigung rufe". Die Ministerin sorgt in seinen Augen dafür, dass die Reichen noch reicher werden. Auch der ehemalige Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) rechnete vor, dass 43% der Entlastung bei der Körperschaftssteuer Unternehmen bekommen, die mehr als 10 Mrd. € Gewinn haben.

Die Steuerreform sei eine "Pimperlreform", ergänzte Josef Muchitsch (SPÖ) die Kritik seiner Klubkollegen und fand auch keine positiven Worte für die Pensionserhöhung und den Familienbonus Plus. Wenn der wöchentliche Einkauf um 4,5% gestiegen ist, dann stellt eine Pensionserhöhung um 2,6% einen Verlust dar. Vom Familienbonus würden viele Kinder wenig bzw. gar nichts bekommen. Muchitsch kann der derzeitigen Sozialpolitik nichts Positives abgewinnen und meinte, es tue weh, wenn Schlimmes nur gut geredet wird.   

NEOS: Erfolge der Regierung nur aufgrund hohen Steueraufkommens

Grundsätzliche Kritik an der Sozialpolitik der Bundesregierung übte auch Gerald Loacker (NEOS). Durch die angekündigte Steuerreform werde die kalte Progression nicht abgeschafft, die Maßnahmen blieben damit letztlich nur Kosmetik, meinte er. Auch die Erfolge bei der Senkung der Arbeitslosigkeit seien weitaus geringer, als sie sein könnten, da man versäume, in Bildung und Qualifizierung zu investieren. Mit der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge fördere man nur die Teilzeitarbeit. Die Regierung stütze damit alte Rollenbilder, wonach Männer Vollzeit arbeiten und Frauen vorzugsweise Teilzeitarbeit annehmen. Das angebliche Ansteigen des Pensionsantrittsalter beruhe auf reinen Rechentricks, denn in Wirklichkeit habe sich seit Jahren hier nichts bewegt, hielt Loacker der Sozialministerin vor. Auch die Maßnahmen zur Erhöhung der kleinen Pensionen würden verpuffen, da im Gesamtsystem nichts geändert werde.

Die Bundesregierung leiste keine gute Arbeit, da sie es nur aufgrund des hohen Steueraufkommens schaffe, keine neuen Schulden zu machen, sagte Josef Schellhorn (NEOS). Tatsächlich habe es zuletzt keinerlei Reallohnerhöhungen gegeben. Die Steuerreform bleibe letztlich nur eine Tarifreform, da keinerlei ausgabenseitige Maßnahmen gesetzt würden. Sobald die Wirtschaftsleistung und damit das Steueraufkommen sich wieder abschwächen, sei daher die Rückkehr zur alten Schuldenpolitik zu erwarten.

Fraktion JETZT kritisiert Sozialpolitik der Regierung

Die von der Sozialministerin präsentierten Zahlen belegen für Daniela Holzinger-Vogtenhuber (JETZT)deutlich, dass die Bundesregierung weiterhin soziale Gruppen, die besonders armutsgefährdet sind, systematisch benachteiligt. Das gelte vor allem für die AlleinerzieherInnen und ihre Kinder. Seit Jahren verspreche man die Einführung einer Unterhaltssicherung, setze diese jedoch nicht um. Die Verantwortung für die Unterstützung von AlleinerzieherInnen werde vielmehr an die Bundesländer abgeschoben. Die Zahlen würden auch keine Erfolge bei der Armutsbekämpfung belegen, da die Armutsgefährdung von Frauen sowie von Personen über 65 Jahren weiter steige. Unverändert bleibe auch, dass gut acht Prozent der Arbeitenden zu den "Working Poor" gehören. Auf diese Menschen, die besonders im Gesundheits- und Sozialsystem, im Handel und in der Gastronomie tätig seien, vergesse die Bundesregierung, klagte Holzinger-Vogtenhuber. Die Abgeordnete forderte in einem Entschließungsantrag einen Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut, konnte sich mit diesem aber nicht durchsetzen.

Die Behauptung, dass die Arbeitslosigkeit seit dem Antritt der neuen Regierung sinke, schmerze ihn als Ökonomen, meinte Bruno Rossmann (JETZT). Hier bestehe nämlich keinerlei Zusammenhang, der entscheidende Faktor sei vielmehr das Wirtschaftswachstum. Die Sozialministerin lasse grundlegende ökonomische Kenntnisse vermissen. Für die in diesem Zusammenhang getroffene Aussage, die Ministerin "verzapfe ökonomischen Unsinn", erhielt Rossmann einen Ordnungsruf. Der Abgeordnete beharrte jedoch auf seiner Kritik an der Sozialministerin und fuhr fort, die Budgetpolitik der Bundesregierung bedeute, dass Geld für Sozial- sowie Klima- und Umweltpolitik fehle. Die von der Bundesregierung gesetzten Entlastungen kommen bei vielen Menschen nicht an, ist Rossmann überzeugt. Auch die Steuerreform werde tendenziell nur mittlere, aber keine niedrigen Einkommen entlasten. Die Senkung der Körperschaftssteuer begünstige nur Großkonzerne, lautet ein weiter Kritikpunkt Rossmanns.

Dönmez: Nicht jeder, der keine Arbeit findet, ist ein Verweigerer

Efgani Dönmez (o.F.) nahm sich in seiner Rede vor allem jener Menschen an, die es aufgrund ihrer Beeinträchtigungen schwer haben, eine Stelle zu finden. Nicht jeder, der keine Arbeit bekommt, ist ein Verweigerer, sagte Dönmez und bedauerte, dass aufgrund von Sparmaßnahmen der öffentliche Sektor für diese Gruppe kaum mehr offenstehe. Er thematisierte zudem die prekären Beschäftigungsverhältnisse der Frauen in Gesundheitsberufen und nannte den Wildwuchs an Agenturen im Bereich der Pflege als ein großes Problem.

Diskussion über Sympathisanten der Identitären in Ministerbüros

In der Debatte um die Sozialpolitik entwickelte sich aufgrund der Wortmeldungen von Jörg Leichtfried (SPÖ) und Peter Pilz (JETZT) eine Diskussion über Mitglieder bzw. Sympathisanten der Identitären in FPÖ-Ministerbüros, konkret um ein Kabinettsmitglied bei Sozialministern Beate Hartinger-Klein. Pilz forderte sie auf klarzustellen, ob der Mitarbeiter sie und das BVT darüber informiert habe, dass er die Identitären finanziell unterstützt habe. Das rief eine Wortmeldung von FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz hervor, der im Hinblick auf Pilz von "moralischer Armut am Rednerpult" sprach und ihm vorwarf, einen Überwachungsstaat und einer Gesinnungsschnüffelei das Wort zu reden.

Demgegenüber sieht Alois Stöger (SPÖ) die Verantwortung beim Bundeskanzler, zumal dieser wie auch der Vizekanzler eine klare Abgrenzung zu den Identitären postuliert haben. Das werde offensichtlich von den eigenen MinisterInnen nicht eingehalten, so Stöger, was er als einen "politischen Skandal" bezeichnete. (Schluss Dringliche Anfrage, Fortsetzung Nationalrat) sox/jan