Parlamentskorrespondenz Nr. 588 vom 27.05.2019

Nationalrats-Sondersitzung: SPÖ sieht Bundeskanzler Kurz gescheitert

Ibiza-Affäre könnte zum Sturz der gesamten Regierung führen

Wien (PK) – Am Mittwoch vergangener Woche hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen vier neue Regierungsmitglieder angelobt. Eckart Ratz, Johann Luif, Walter Pöltner und Valerie Hackl übernahmen jene Ressorts, die durch das Ausscheiden der FPÖ-MinisterInnen aus der Regierung infolge der Ibiza-Affäre vakant geworden sind. Nun könnte die gesamte Regierung über das kompromittierende Video stolpern. Der geschäftsführende Klubobmann der SPÖ Jörg Leichtfried hat zu Beginn der heutigen Sondersitzung des Nationalrats jedenfalls klar gemacht, dass seine Fraktion kein Vertrauen mehr in Kurz hat. Anstatt sich um eine stabile Regierung zu bemühen, die die Mehrheit des Parlaments hinter sich hat, habe der Kanzler den Dialog verweigert und Alleingänge gestartet, kritisierte er. Für Kurz sind das aber nichts als Unterstellungen, seiner Meinung nach stellt die SPÖ parteitaktische Überlegungen über die Staatsräson.

Leichtfried: Kurz trägt Verantwortung für "gefährliches Experiment"

Basis für die Diskussion im Nationalrat bildet eine Dringliche Anfrage der SPÖ an den Kanzler. Leichtfried und seine FraktionskollegInnen werfen Kurz darin vor, letztendlich die Verantwortung für die aktuelle Misere zu haben. Schließlich sei er es gewesen, der sich trotz aller Warnungen und "entgegen jeder Vernunft" auf eine Koalition mit der FPÖ eingelassen habe. Dieses "gefährliche Experiment" habe einen nachhaltigen Schaden für die Demokratie, die Pressefreiheit, den Rechtsstaat, das internationale Ansehen Österreichs und den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft angerichtet.

Für entlarvend hält die SPÖ in diesem Zusammenhang auch die Vorgangsweise des Kanzlers nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos. Wäre Innenminister Herbert Kickl bereit gewesen, ein anderes Ressort zu übernehmen, hätte Kurz die Koalition fortgesetzt, wird in der Begründung der Dringlichen Anfrage festgehalten. Das zeigt nach Meinung der SPÖ-Abgeordneten deutlich, dass "reiner Machterhalt und ein egozentrischer Grundzugang" die Entscheidungen des Bundeskanzlers bestimmen. Für Unmut bei der SPÖ sorgt außerdem, dass Kurz einseitig Neuwahlen ausgerufen hat, ohne zuvor die anderen Parteien zu kontaktieren, und dass die Opposition auch nicht in die Bestellung der vier neuen MinisterInnen eingebunden wurde. Kurz habe nach der Veröffentlichung des Videos keine vertrauensbildenden Maßnahmen gesetzt, so die Conclusio der Dringlichen Anfrage.

Diese Kritik wurde von Leichtfried im Rahmen der Nationalratsdebatte bekräftigt. "Die Regierung Sebastian Kurz ist gescheitert." Kurz habe in den vergangenen Tagen alles andere als verantwortungsvoll gehandelt und sich für einen Alleingang entschieden, ohne Dialog und ohne ernsthafte Gespräche mit den anderen Parteien. Es sei Kurz nie um eine stabile Übergangsregierung gegangen, die die Mehrheit des Parlaments hinter sich habe, mutmaßt er. Vielmehr habe der Kanzler eine ÖVP-Alleinregierung installiert. Die SPÖ halte in der gegenwärtigen Situation jedoch eine Expertenregierung für notwendig. "Wirklich verwundert" äußerte sich Leichtfried außerdem darüber, dass der Bundeskanzler bis zum heutigen Tag kein Wort der Entschuldigung an die österreichische Bevölkerung gerichtet habe.

Leichtfried warf Kurz darüber hinaus vor, in zwei Jahren "zwei Regierungen gesprengt" zu haben. Um an der Macht zu bleiben, habe die ÖVP bei den letzten Nationalratswahlen außerdem die Wahlkampfkosten massiv überschritten. Dem will Leichtfried mit härteren Sanktionen entgegenwirken. Zudem stellte er einen Antrag der SPÖ zur Deckelung von Parteispenden in Aussicht. Allein schon der Anschein, dass Politik käuflich sein könnte, sei Gift für die parlamentarische Demokratie in Österreich, argumentierte er. Der FPÖ hielt Leichtfried vor, Österreich an russische Oligarchen "verscherbeln" zu wollen: "Das ist nicht Heimatliebe."

Abseits der Ibiza-Affäre hielt Leichtfried der Regierung Kurz vor, soziale Errungenschaften zerstört und den Ruf Österreichs im Ausland beschädigt zu haben.

Kurz: Bin stolz und zufrieden mit der Arbeit der Regierung

Bundeskanzler Sebastian Kurz räumte im Rahmen der Beantwortung der Dringlichen Anfrage ein, dass die Ereignisse der letzten Tage nicht dazu angetan waren, das Ansehen Österreichs in der Welt und das Ansehen der Politik in Österreich zu steigern. Für die Kritik der SPÖ an seiner Person zeigte er allerdings kein Verständnis. Er habe alles getan, dass Österreich handlungsfähig bleibe, und sich dabei auch um ein Maximum an Transparenz und Einbindung bemüht. So habe er, anders als dargestellt, in den vergangenen Tagen mit den Parteichefs der anderen Parteien mehrere persönliche und telefonische Gespräche geführt. Ausdrücklich bedankte sich Kurz in diesem Zusammenhang bei den NEOS für deren konstruktive Zusammenarbeit trotz zum Teil unterschiedlicher Positionen.

Dass der von der SPÖ angekündigte Misstrauensantrag eine Mehrheit im Nationalrat finden dürfte, führt Kurz auf "Rachegelüste" und parteitaktische Überlegungen zurück. Selbst bei einer derartigen Motivation ist es für ihn aber unverständlich, dass nicht nur er, sondern gleich die gesamte Regierung gestürzt werden soll. Schließlich habe es keine einzige kritische Stimme gegen die neuen Regierungsmitglieder gegeben. Kurz versprach den Abgeordneten jedenfalls, auch eine neue Übergangsregierung bestmöglich zu unterstützen, "in welcher Funktion auch immer", und ihr keine Steine in den Weg zu legen, um so für Stabilität in Österreich zu sorgen.

"Sehr stolz und zufrieden" zeigte sich Kurz mit der Arbeit, die die Bundesregierung in den letzten eineinhalb Jahren geleistet hat, wobei er sich ausdrücklich sowohl bei den ÖVP- als auch bei den FPÖ-Regierungsmitgliedern bedankte. In "sehr guter und erfolgreicher Zusammenarbeit" sei es gelungen, die Schuldenpolitik zu beenden, gegen illegale Migration anzukämpfen, die Arbeitslosenzahlen zu senken und den Standort Österreich attraktiver zu machen. Man habe das Land "endlich wieder in die richtige Richtung geführt".

Wenig Neues zutage brachte die Beantwortung der einzelnen Fragen der Dringlichen Anfrage durch Kurz. Er bekräftigte, dass er das Ibiza-Video erstmals gesehen habe, als es Freitagabend um 18 Uhr online gestellt wurde. Das Video habe ihn sehr erschüttert, es sei ihm klar gewesen, dass das das Ende der Koalition bedeute. Der Bundespräsident habe ihn am Dienstag beauftragt, eine handlungsfähige Regierung auf die Beine zu stellen, wobei es binnen 24 Stunden gelungen sei, neutrale ExpertInnen zu finden. Für Personalentscheidungen in ihren Ressorts seien die neuen MinisterInnen selbst letztverantwortlich. Auf etliche Detailfragen zu den Abläufen ging der Kanzler nicht ein.

Nationalratspräsident Sobotka appelliert an Abgeordnete

Zu Beginn der Sitzung hatte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka an die Abgeordneten appelliert, die Debatte sachlich zu führen und bei allen Entscheidungen an Österreich zu denken. Er habe viel Verständnis für politisch profilierte Positionen, sagte Sobotka, man solle im Ton und bei der Wortwahl aber auch an das Danach denken. Ausdrücklich bedankte sich Sobotka bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen für dessen Arbeit in den letzten Tagen. (Fortsetzung Nationalrat) gs