Parlamentskorrespondenz Nr. 694 vom 18.06.2019

EU-Ausschuss: Westbalkan soll Teil der EU werden

Gewerkschaftsbund warnt aber vor überschnellen Neuaufnahmen

Wien (PK) – Die Heranführung des Westbalkans an die EU wertet nicht nur die Europäische Kommission als zentralen Bestandteil der Erweiterungspolitik zur Sicherung von Stabilität und Aufschwung in der Region, auch der EU-Ausschuss des Bundesrats teilt diese Sicht. Vom Rat der EU-Außenminister wird heute eine Entscheidung erwartet, ob Beitrittsgespräche mit zwei der südosteuropäischen Länder, Nordmazedonien und Albanien, aufgenommen werden. Das österreichische Außenministerium erkennt bei beiden südosteuropäischen Ländern keinen Grund mehr, die Verhandlungen über einen EU-Beitritt weiter hinauszuzögern. Beide Staaten hätten zuletzt maßgebliche Reformen erfolgreich durchgeführt, die EU müsse dies gebührend würdigen, betonten die BMEIA-VertreterInnen in der heutigen Ausschusssitzung die Symbolwirkung eines positiven Ratsbeschlusses. Letztendlich wäre dieser im Interesse Europas.

Warnungen vor einer allzu raschen Aufnahme neuer Länder in die Union kommen jedoch vom Österreichischen Gewerkschaftsbund. In seiner Stellungnahme zum EU-Erweiterungsprozess hält er fest, eine weitere Öffnung des EU-Arbeitsmarkts würde zu vermehrtem Sozial- und Lohndumping führen. Beitrittsverhandlungen mit Ländern Südosteuropas dürften daher erst starten, wenn die Staaten sämtliche Auflagen der EU erfüllen. Die Wirtschaftskammer wiederum unterstützt die Haltung der EU-Kommission, den Reformwillen am Westbalkan durch konkrete Beitrittsaussichten zu stärken. Als größter Investor in einigen Ländern Südosteuropas liege Österreich viel am rechtsstaatlichen Schutz seiner dort tätigen Unternehmen.

EU-Kommission lobt Reformen am Westbalkan

In ihrer jüngsten Mitteilung zur Erweiterungspolitik bilanziert die EU-Kommission die Fortschritte des seit 2015 laufenden Prozesses der Heranführung beitrittswilliger Länder an die Union. Positiv gewertet wird die demokratische Entwicklung in den Ländern des Westbalkans, besonders die Beendigung des jahrzehntelangen Namensstreits zwischen Griechenland und Nordmazedonien honoriert die Kommission. Zur Türkei heißt es, das Land am Bosporus sei ein wichtiger Partner der EU, nicht zuletzt bei der Migrationspolitik. Allerdings bemerkt Brüssel Rückschritte Ankaras bei Rechtstaatlichkeit, politischer Kontrolle und bei Grundrechten. Dementsprechend seien die Beitrittsverhandlungen zu einem Stillstand gekommen, eine Weiterführung der Verhandlungen sei nicht in Aussicht. Österreichs Position für einen Abbruch der Verhandlungen mit der Türkei finde derzeit noch keine ausreichende Mehrheit unter den übrigen Mitgliedsländern, räumte das Außenministerium auf Nachfragen der Bundesräte Hubert Koller (SPÖ/St) und Christoph Steiner (FPÖ/T) ein. Wie der Wiener Sozialdemokrat Stefan Schennach ausführte, habe die EU aber mit der starken Kürzung der finanziellen Beitrittshilfen an die Türkei ein klares Zeichen gesetzt. Ausschussobmann Christian Buchmann erwähnte in diesem Zusammenhang, heute Nachmittag den türkischen Botschafter auf dessen Wunsch zu einer Unterredung zu treffen.

EU-Perspektive spornt zu Reformen an

Für den Zeitraum 2014 bis 2020 hat die EU insgesamt 11,7 Mrd. € an Heranführungshilfen bereitgestellt. Als weiteren Reformanreiz für Beitrittskandidaten hält die Kommission fest, dass die derzeitigen Vorreiter in den Beitrittsverhandlungen möglicherweise bis 2025 für eine Mitgliedschaft in der EU bereit sein könnten, wenn sie echte und nachhaltige Reformen durchführen und Streitigkeiten mit Nachbarländern endgültig beilegen. Die Aussicht auf einen EU-Beitritt hänge von der Erfüllung demokratie- und sicherheitspolitischer sowie wirtschaftlicher Kriterien ab. Die Europäische Union wiederum habe schon im Sinne ihrer Glaubwürdigkeit ihre Zusagen zu erfüllen. Letztendlich liege die Stabilität in Südosteuropa im ureigenen Interesse der EU, mahnt die Kommission, Fortschritte etwa bei der Korruptionsbekämpfung durch konkretes und schnelles Handeln seitens der Union zu würdigen und ein Abtriften der Länder hin zu anderen geopolitischen Partnern zu verhindern.

So sei dem Kosovo die noch im Rat anhängige Visaliberalisierung zu gewähren, nachdem das Land laut Kommission bereits 2018 alle entsprechenden "Benchmarks" erfüllt hat. Die Anziehungskraft der europäischen Perspektive zeitige derartige Reformerfolge. Das werde unter anderem auch in Albanien sichtbar. Dort hat es der Expertin des Außenministeriums zufolge tiefgreifende Reformen wie die Umstrukturierung des Justizwesens gegeben. Vor dem Hintergrund derartiger Anstrengungen, zu denen laut Außenministerium neben Fortschritten bei Rechtstaatlichkeit und Demokratisierung nicht zuletzt die Beilegung des Namensstreits zwischen Skopje und Athen im Vorjahr zählt, seien die schon im letzten Jahr in Aussicht gestellten Beitrittsverhandlungen mit den südosteuropäischen Ländern Nordmazedonien und Albanien rasch aufzunehmen. Die EU-Kommission erinnert in ihrer Mitteilung auch an die klaren Signale, die es 2018 von den Staats- und Regierungschefs der EU an einzelne Länder des westlichen Balkans gegeben habe. Demzufolge sollten im Juni 2019 Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien eröffnet werden.

Langer Weg bis zur Mitgliedschaft

Gegen eine sofortige Verhandlungseröffnung der EU mit Ländern des Westbalkans tritt dagegen die Gewerkschaft auf. Eine Vertreterin des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) erklärte im Ausschuss, die Abwanderung von Personen und Dienstleistungen aus Ländern mit einem niedrigeren Lohnniveau als Österreich schade sowohl heimischen Betrieben als auch der Wirtschaft in den Herkunftsländern, weil ihnen Arbeitskräfte fehlten. Beispielsweise halte sich im Baugewerbe fast die Hälfte der ausländischen Entsendefirmen nicht an in Österreich kollektivvertraglich festgesetzte Löhne. Ehe weitere Mitgliedstaaten in die EU aufgenommen werden, habe die Politik daher wirkungsvolle Maßnahmen gegen Lohn- und Sozialdumping zu ergreifen. Die Expertin des Außenministeriums erwiderte auf diese Bedenken, man nehme Probleme in Verbindung mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit sehr ernst und habe eigene Zusatzprotokolle dazu verfasst. Allerdings wandere beispielsweise aus Serbien bereits jetzt ein großer Teil der Jugend aus. Hinsichtlich der Kopenhagener Kriterien, die ein Beitrittskandidat erfüllen muss, um EU-Mitglied zu werden, informierte das BMEIA, zum Start des Verhandlungsprozesses sei deren Erfüllung noch nicht ausschlaggebend.

Immerhin dauerten Beitrittsverhandlungen im Schnitt zehn bis fünfzehn Jahre, seien also ein langer Weg mit vielen Auflagen, bemerkte Stefan Schennach (SPÖ/W), der dennoch Verständnis für die Sorgen des ÖGB zeigte. Wie seine AusschusskollegInnen von ÖVP und FPÖ unterstrich er grundsätzlich die Bedeutung der EU als Friedensprojekt für die Stabilisierung der einst von Krisen geschüttelten Region. Monika Mühlwerth (FPÖ/W) und Martin Preineder (FPÖ/N) erinnerten dabei an ein Gespräch mit den sechs Botschaftern der Westbalkanländer Ende letzten Jahres, bei dem teilweise immer noch große bilaterale Differenzen deutlich geworden seien. Die EU habe der Region dabei zu helfen, derartige Streitigkeiten aufzuarbeiten, mahnte Mühlwerth. Abgesehen davon müsse der Kampf gegen Korruption oberste Priorität haben.

Seitens der Wirtschaftskammer (WKÖ) bezeichnete ein Experte die Aussichten auf einen EU-Beitritt als treibende Kraft für Rechtsreformen. Die österreichische Wirtschaft habe großes Interesse an gesicherter Rechtsstaatlichkeit am Westbalkan, ebenso an der Senkung der dortigen Jugendarbeitslosigkeit. Aktuell unterstütze die WKÖ gemeinsam mit der Austrian Development Agency und südosteuropäischen Partnerorganisationen die Schaffung einer überregionalen dualen Ausbildung am Westbalkan, bei der Lehrabschlüsse gegenseitig anerkannt werden. (Fortsetzung EU-Ausschuss) rei


Format