Parlamentskorrespondenz Nr. 1211 vom 16.12.2019

Volksanwaltschaft fordert inklusiven Arbeitsmarkt

Sonderbericht zur arbeitsmarktpolitischen Situation von Menschen mit Behinderung in Österreich

Wien (PK) – "Unbefriedigend und unzulässig" – so beschreibt die Volksanwaltschaft (VA) die Situation von Menschen mit Behinderung am österreichischen Arbeitsmarkt. Mit einem Sonderbericht (III-66 d.B. und III-697-BR/2019 d.B. ) weisen die Volksanwälte den Nationalrat auf die bestehenden Probleme beim Thema Arbeit und Behinderung hin: mangels inklusiven Arbeitsmarkts müssten die Betroffenen in Werkstätten für ein Taschengeld und ohne eigenen Anspruch auf Sozialversicherung arbeiten. Dadurch werde ihnen eine Abhängigkeit von der Sozialhilfe und ein Leben auf unterstem Existenzsicherungsniveau aufgezwungen, auch junge Personen würden häufig allzu schnell als nicht arbeitsfähig qualifiziert. Mit Hinweis auf die 2020 anstehende Überprüfung Österreichs durch den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung empfiehlt die Volksanwaltschaft der Bundes- und der Landespolitik mehrere Maßnahmen, die auf einen besseren Arbeitsmarktzugang für Menschen mit Behinderung samt gerechter Entlohnung und Versicherung abzielen.

Erschwerter Arbeitsmarktzugang

Im Jahr 2018 lag die Erwerbsquote von Menschen mit Behinderung im Erwerbsalter laut VA-Bericht mit 58,5 % deutlich unter jener von Menschen ohne Beeinträchtigung der gleichen Altersgruppe (77,8 %). Zusätzlich machen die Volksanwälte hierzulande auch eine Tendenz von sich verschlechternden Arbeitsmarktmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung aus: "Im Zeitraum von 2007 bis 2017 ist die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung um 139,22 % gestiegen", heißt es im Bericht.

Eines der Hauptprobleme ist demnach die Bemessung der Arbeitsfähigkeit. Nur wenn Personen im Sinne des Arbeitslosenversicherungsgesetzes beziehungsweise des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) arbeitsfähig sind, werden sie vom Arbeitsmarktservice (AMS) unterstützt. Eine ärztlich festgestellte Arbeitsfähigkeit von unter 50% schließe somit eine AMS-Förderung gänzlich aus, folgert die Volksanwaltschaft, auch wenn die Betroffenen sich weiterbilden oder arbeiten wollen. Besonders junge Menschen treffe dieser Ausschluss von arbeitsmarktrelevanter Unterstützung schwer. Aufgrund der "strukturellen Barrieren" sei ihr weiteres Leben in Abhängigkeit von der Sozialhilfe vorgezeichnet, wird der Mangel an integrativen Betrieben aufgezeigt.

Werkstätten als "Auffangbecken"

Das Fehlen eines inklusiven Arbeitsmarkts in Österreich bedingt den Zustrom von Menschen mit Behinderung jedes Alters in eigene Werkstätten. Diese bezeichnet die Volksanwaltschaft als "Auffangbecken" für derzeit über 20.000 Menschen. Da laut Bericht nur wenige von dort den Übergang in den zweiten oder ersten Arbeitsmarkt schaffen, bleibt die Mehrzahl der Betroffenen das ganze Leben lang in dieser Form von Beschäftigungstherapie. Zwar stellt der VA-Bericht die dortigen Aktivitätsangebote durchaus positiv dar, mit unterschiedlichen Gruppen für kreative und berufsnahe Tätigkeiten. Der Fokus liege primär auf der Schaffung einer Tagesstruktur und einer lebenspraktischen Förderung, wird erklärt, bei Bedarf auch mit speziellen Förder- und Unterstützungsmaßnahmen.

Problematisch an den Werkstätten ist in den Augen der Volksanwaltschaft aber, dass anstatt einer Entlohnung nur ein Taschengeld ausbezahlt wird. Die Höhe des Taschengelds reiche von etwa 5 € bis - "in sehr seltenen Fällen" – 200 € pro Monat, entspreche also keinem adäquaten Lohn wie er für die Finanzierung eines normalen Alltags notwendig ist. Gerechtfertigt werde das "Taschengeld-Modell" damit, dass in den Tagesstrukturen kostenintensive Betreuungen angeboten werden. Man übersehe dabei jedoch jene Einrichtungen, von denen im Auftrag privater Unternehmen Produkte hergestellt und gewinnbringend verkauft werden. Finanziell am Existenzminimum würden die Betroffenen auch unter dem Gefühl leiden, zum ständigen Sozialhilfe- beziehungsweise Waisenrentenbezug gezwungen und dadurch gesellschaftlich geringer geschätzt zu werden, analysiert die Volksanwaltschaft. Die Inanspruchnahme von Krankentagen oder anderen Arbeitnehmerrechten sowie von Alterspensionsansprüchen stehe Werkstättenbeschäftigten ebenfalls nicht offen, der Aufbau von eigenem Vermögen gestalte sich nahezu unmöglich, beschreibt der Bericht die Lage: "Menschen mit Behinderung können nach der Sozialhilfelogik ihre Situation weder durch eigenen Willen und eigene Leistung noch durch Erbschaften, Schenkungen oder Ähnliches verbessern."

Österreich hat Erklärungsbedarf

Subjektiv wie objektiv hält die Volksanwaltschaft den Umgang Österreichs mit Menschen mit Behinderung für "nicht zufriedenstellend", zumal die Republik dabei gegen menschenrechtliche Verpflichtungen verstoße, deren Einhaltung sie auf internationaler Ebene zugesagt habe. "Für die Nichteinhaltung wird sich Österreich auch vor verschiedenen Gremien rechtfertigen müssen", warnt die Ombudsstelle in ihrer Funktion als Menschenrechtshüterin.

An die Bundesregierung und alle Landesregierungen richten die Volksanwälte daher die eindringliche Empfehlung, Menschen mit Behinderung einen besseren Arbeitsmarktzugang zu gewähren. So sei die Einteilung der Betroffenen in "Arbeitsfähige" und – bei einer unter-50%-igen Arbeitsfähigkeit – "nicht Arbeitsfähige" abzuschaffen. Außerdem drängt die Volksanwaltschaft auf eine eigene sozialversicherungsrechtliche Absicherung für Menschen, die in Beschäftigungstherapiewerkstätten arbeiten sowie auf die Prüfung neuer Entlohnungsmodelle anstelle des bisherigen "Taschengeldsystems". (Schluss) rei