Parlamentskorrespondenz Nr. 34 vom 16.01.2020

Bundesminister Rudolf Anschober bekennt sich zur öffentlichen Verantwortung in der Pflegefrage

Neuer Ressortchef stellt erstmals seine Pläne im Sozialausschuss vor

Wien (PK) – Nur wenig Schonfrist von Seiten der Opposition wurde dem neuen Minister Rudolf Anschober eingeräumt, der sich schon heute im Sozialausschuss vielen kritischen Fragen stellen musste. Im Rahmen einer aktuellen Aussprache konnte er aber zunächst seine wichtigsten Vorhaben für die nächsten Monate präsentieren, die von einer nachhaltigen finanziellen und personellen Absicherung des Sektors Pflege, einem Maßnahmenbündel zur Armutsbekämpfung insbesondere von Kindern und Frauen im Alter bis hin zu einer rechtlichen Klärung der offenen Fragen zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz reichen.

Die Schilderungen "der schönen heilen Welt" stünden teilweise stark im Widerspruch zum Regierungsprogramm, monierte SPÖ-Abgeordneter Alois Stöger, zumal vor allem die Finanzierung in vielen Bereichen nicht gewährleistet sei. Außerdem habe der Kanzler eine weitere Absenkung der Abgabenquote in Aussicht gestellt. Schlagworte alleine seien zu wenig, meinte Abgeordnete Dagmar Belakowitsch, der konkrete Maßnahmen und Zeitpläne fehlten. NEOS-Mandatar Gerald Loacker beklagte wiederum, dass wichtige Themen wie etwa die Pensionsfrage nicht angegangen werden.  

Anschober: Keine Verschlechterungen auf dem Rücken der Schwächsten im Land

Er achte und wertschätze den Parlamentarismus über alles, betonte Sozialminister Rudolf Anschober, der allen Fraktionen "die ausgestreckte Hand" zu einer engen Zusammenarbeit anbot. Dieser Grundsatz gelte für ihn auch in Bezug auf die Sozialpartner, die – ebenso wie die Zivilgesellschaft - kontinuierlich einbezogen und aufgewertet werden sollen. Im Februar und März wolle er zudem eine Dialogtour durch Österreich starten, um Gespräche mit möglichst vielen Stakeholdern, Organisationen und der Bevölkerung über wichtige Fragen seines Ressorts zu führen.

Die Lösung der Pflegefrage sei zweifellos eine der wichtigsten Herausforderungen der Zukunft, war Anschober überzeugt. Aufgrund der  demographischen Entwicklung werden in 50 Jahren bereits 42% der Bevölkerung älter als 65 Jahre sein; 12% sind sogar älter als 80. Um den steigenden Bedarf an Fachkräften – bis 2030 fehlen ca. 75.000 MitarbeiterInnen - zu decken, brauche es ein Bündel an Maßnahmen. Ein Schritt in die richtige Richtung sei der gestrige Beschluss im Ministerrat, der den Start eines Schulversuchs für den Sektor Pflege ab September vorsieht. Dieser soll InteressentInnen ab 15 Jahren offen stehen und mit Matura abschließen. Das Bildungsministerium habe die Standorte bereits ausgeschrieben, die Nachfrage sei enorm, berichtete der Minister.

Für essentiell hielt Anschober die Attraktivierung der Arbeitsbedingungen des Pflegeberufs, der derzeit eine sehr hohe Fluktuation aufweist. Es gebe zudem rund 30.000 Personen, die über eine entsprechende Ausbildung verfügen, aber nicht im erlernten Beruf tätig seien. Er hoffe daher, dass die Kollektivvertragsverhandlungen im Pflegesektor ein gutes Ergebnis bringen. Weiters brauche es seiner Meinung nach eine bessere Unterstützung der insgesamt 950.000 pflegenden Angehörigen, die Einführung von "community nurses" als zentrale Ansprechpersonen in den Gemeinden sowie den Ausbau der Qualitätssicherung in der 24-Stunden-Betreuung. Da Prävention und Vorsorge in der Pflegefrage eine entscheidende Rolle spielen, sollte auch die Kooperation mit der AUVA gestärkt werden. All diese Themen sollen ab April in einer Taskforce Pflege, die sehr breit aufgestellt wird, näher beleuchtet werden. Wenn möglich könne dann per Jahresende eine Zielsteuerungskommission eingesetzt werden. Für Minister Anschober liege die Pflege jedenfalls in der öffentlichen Verantwortung, eine Pflegeversicherung nach dem deutschen Modell, das "eine Katastrophe sei", komme für ihn daher nicht in Frage.

Ganz oben auf seiner Agenda stehe auch die Armutsbekämpfung, führte der Ressortchef weiter aus. Es sei für ihn schwer erträglich, dass es in einem Land wie Österreich noch immer 55.000 Kinder gibt, deren elementare Grundbedürfnisse nicht gedeckt sind. Im Regierungsprogramm wurden bereits erste Schritte festgelegt, wie etwa die Absenkung der ersten Lohnsteuertarifstufe oder die Erhöhung des Familienbonus Plus. Was die Armut von Frauen im Alter betrifft, so stelle es oft ein Problem dar, dass viele Betroffene jahrelang Teilzeit arbeiten. Im Bereich der mobilen Dienste etwa seien nur 7% der Frauen vollzeitbeschäftigt, zeigte Anschober auf. Er bekenne sich auch zu dem im Regierungsprogramm vereinbarten Pensionssplitting; es müsse allerdings klug umgesetzt werden.

Froh zeigte sich Anschober darüber, dass die im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz enthaltene degressive Staffelung der Leistungen für die Kinder vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde. Nach dem Abschluss der Rechtsprüfung in dieser Causa werde er die SozialreferentInnen der Bundesländer einladen, um sie darüber zu informieren, welche Handlungsspielräume sie nun haben. Er erwarte sich, dass zwischen dem Bund und den Ländern ein Grundkonsens in dieser Angelegenheit erreicht werden könne.

Lob für die Initiativen der Regierung in Sachen Pflege und Armutsbekämpfung

ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger ging noch einmal auf die wichtigsten Eckpunkte des Sozialkapitels im Regierungsprogramm ein. Bei der Pflege sei man sich einig, dass die komplizierten Finanzströme im Pflegebereich vereinfacht und gebündelt werden müssen. Er legte auch ein Bekenntnis dazu ab, dass der Pflegesektor auch in Zukunft aus Steuern finanziert werden soll. Klar sei, dass es eine Personaloffensive brauche, was u.a. durch weitere Ausbildungsangebote oder Fachkräftestipendien erreicht werden könne. Für pflegende Angehörige soll es einen Pflege-Daheim-Bonus geben. Ein wichtiges Anliegen war ihm auch die Stärkung des Ehrenamts.

Abgeordnete Bedrana Ribo (Grüne) kam auf das Konzept der "community nurses" zu sprechen, das in einigen europäischen Ländern bereits erfolgreich angewandt wird. Ihr Fraktionskollege Markus Koza hob vor allem die geplanten Maßnahmen im Bereich Kinderarmut hervor.  

Opposition zeigt sich abwartend und übt Kritik an einzelnen Vorhaben

Abgeordneter Dietmar Keck (SPÖ) stellte im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Sozialhilfe mit Nachdruck fest, dass alle Kinder gleichgestellt werden müssen. Sein Fraktionskollege Philip Kucher zeigte sich schwer enttäuscht vom angekündigten Paket zur Bekämpfung der Kinderarmut. Während große Konzerne von der KöSt-Entlastung in der Höhe von 2 Mrd. € profitieren, werde der Familienbonus für Kleinverdiener nur um 100 € im Jahr erhöht. Aus Sicht der SPÖ brauche es eine staatliche Pflegegarantie sowie bessere Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte. Wenig abgewinnen konnte er der Pflegelehre; dagegen würden sich alle ExpertInnen aussprechen. Abgeordete Verena Nussbaum (SPÖ) stand dem Pensionssplitting kritisch gegenüber, weil dadurch Menschen mit geringen Einkommen in der Armutsfalle landen könnten. Sie plädierte zudem dafür, dass die Notstandshilfe in der bestehenden Form erhalten bleiben müsse.

NEOS-Vertreter Gerald Loacker warnte davor, das "Pferd von hinten aufzuzäumen". Zuerst müsse definiert werden, welche Leistungen man wolle und dann erst könne man über die Finanzierung reden. Zu klären sei auch die Frage, wieviel Mittel für ein Kind in Österreich aufgewendet werden sollen, zumal es bei einzelnen Leistungen unterschiedliche Ansätze gebe. Grundsätzlich sei aber schon viel erreicht worden, konstatierte er, von 2008 bis 2018 habe sich die manifeste Armut in Österreich halbiert.

Abgeordneter Christian Ragger (FPÖ) war der festen Überzeugung, dass man bei den Zahlungsströmen ansetzen müsse; hier müsse es eine Entbürokratisierung geben. (Fortsetzung Sozialausschuss) sue