Parlamentskorrespondenz Nr. 56 vom 22.01.2020

Nationalrat nimmt Bericht der Behindertenanwaltschaft und Freiwilligenbericht einstimmig zur Kenntnis

Einhellige Forderung nach bundesweiter Regelung für persönliche Assistenz; FPÖ-Antrag zum Erhalt des Dieselprivilegs abgelehnt

Wien (PK) – Eine durchwegs positive Resonanz fanden bei den Abgeordneten in der heutigen Nationalratssitzung zwei Berichte aus dem Sozialbereich. Einstimmig zur Kenntnis genommen wurde der Jahresbericht des Anwalts für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderung über die Tätigkeit im Jahr 2018. Einig zeigten sich die Abgeordneten darüber, dass der Anspruch auf persönliche Assistenz in allen Lebensbereichen bundeseinheitlich geregelt werden sollte. Ein Entschließungsantrag der NEOS dazu wurde einstimmig angenommen. Die Abgeordneten der Türkis-Grünen Koalition betonten dazu, dass dieser Punkt bereits im Regierungsprogramm enthalten sei.

Ebenfalls einstimmige Kenntnisnahme fand der Bericht der Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz zur Lage und zu den Perspektiven des Freiwilligen Engagements in Österreich. In der Debatte brachte die FPÖ ihren Antrag auf eine Beibehaltung des Dieselprivilegs ein. In der namentlichen Abstimmung wurde dieser Antrag bei 172 abgegebenen Stimmen jedoch nur von 27 Abgeordneten unterstützt, 145 sprachen sich gegen ihn aus.

Abgeordnete stellen sich hinter Forderungen nach Barrierefreiheit und Inklusion

Die Arbeit des Anwalts für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen im Jahr 2018 wird im aktuellen Tätigkeitsbericht der Behindertenanwaltschaft dargestellt. Im breiten Spektrum an Sachverhalten, die von den Betroffenen an die Anwaltschaft herangetragen wurden, lassen sich die Problemfelder erkennen, die in den Bereichen Bildung, Arbeit, Barrierefreiheit und Wohnen nach wie vor bestehen und bei denen die Anwaltschaft für Menschen mit Behinderung auf Verbesserungen drängt.

Die Abgeordnete der Grünen Heike Grebien hob die Verbesserung des Rechtsschutzes für Menschen mit Behinderung hervor, die der Bericht aufzeige. Handlungsbedarf gebe es jedoch noch bei der inklusiven Bildung, der Forderung nach Lohn statt Taschengeld und nach einem bundeseinheitlichen Recht auf persönliche Assistenz. In die Stadt- wie Wohnplanung müssten die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung einfließen, zudem sollte Barrierefreiheit ein Pflichtfach in allen einschlägigen Ausbildungen werden. Für Grebien ist es besonders wichtig, dass sich das öffentliche Bild von Menschen mit Behinderung verändert. Auch muss ihrer Ansicht nach das Thema Sexualaufklärung stärkere Beachtung finden, es gehe dabei nicht zuletzt um die Prävention von sexualisierter Gewalt an Menschen mit Behinderungen.

Seitens der SPÖ betonte Verena Nussbaum die Wichtigkeit der Inklusion in den Arbeitsmarkt für ein selbstbestimmtes Leben. Derzeit seien 24.000 Personen in so genannten Arbeitstherapien beschäftigt. Das seien aber keine regulären Beschäftigungsverhältnisse, kritisierte sie. Lohn statt Taschengeld sei wichtig dafür, dass die betroffenen Menschen in Zukunft sozial umfassend abgesichert werden. Nussbaum forderte einen Inklusionsfonds, der persönliche Assistenz auch im Freizeitbereich sicherstellen kann. In einem Entschließungsantrag forderte die SPÖ die rasche Umsetzung der Vorschläge der Behindertenanwaltschaft, insbesondere zur Barrierefreiheit, dieser blieb aber in der Minderheit.

FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch sprach die Notwendigkeit eines Programms für mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung an. Die Partizipation an der Gesellschaft müsse stark verbessert werden, dazu brauche es Sensibilisierung und Veränderungen in der Arbeitswelt. Zudem müsse versucht werden, mehr Kinder aus dem Sonderschul- ins Regelschulsystem zu bringen. Sie hoffe auch auf baldige Verbesserungen bei der Barrierefreiheit. Belakowitsch thematisierte zudem die geplante Schließung des Rehabilitations- und Therapiezentrums "Weißer Hof" in Klosterneuburg mit Verlegung nach Wien-Meidling. Sie forderte in einem Entschließungsantrag die Erhaltung des Standorts, dieser Antrag blieb aber in der Minderheit.

Für ÖVP-Abgeordnete Kira Grünberg ist es wichtig, die Fähigkeit von Menschen mit Behinderung stärker in den Vordergrund zu rücken. Sie hob es als positiv hervor, dass das Regierungsprogramm die Umsetzung der Forderung Lohn statt Taschengeld vorsehe. Während die persönliche Assistenz am Arbeitsmarkt bereits bundeseinheitlich geregelt sei, gelte das noch nicht für die Freizeit. Entscheidend sei daher, ein Anrecht unabhängig von Wohnort und Art der Behinderung zu schaffen. Auch die Stärkung des inklusiven Schulsystems und die Senkung der Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung seien ein wichtiger Teil des Regierungsprogramms.

Sie hoffe ebenfalls, dass Österreich auf dem Weg sei, eine inklusive Gesellschaft zu werden, sagte Fiona Fiedler (NEOS). Handlungsbedarf gebe es dafür noch bei der persönlichen Assistenz. Ihre Fraktion fordere daher ein Konzept für eine bundeseinheitliche Regelung der persönlichen Assistenz in allen Lebensbereichen. Dieser Antrag wurde einstimmig angenommen.

Das Thema Inklusion sei eine Querschnittsmaterie, er setze hier auf eine umfassende Zusammenarbeit aller Stakeholder, sagte Sozialminister Rudolf Anschober. Das Regierungsprogramm nenne inklusive Bildung und die Teilhabe an der Arbeitswelt als großes Ziel. Er hoffe, dass der Grundkonsens, der in diesen Bereichen zu spüren sei, auch bei der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans Behinderung den Zeitraum 2023 bis 2030 zu spüren sein werde, die heuer beginnen soll. Der Nationale Aktionsplan werde der Schlüssel für die Umsetzung der Vorhaben der Bundesregierung sein.

Ehrenamtliches Engagement in Österreich bleibt hoch

Einstimmig zur Kenntnis genommen haben die Abgeordneten den dritten Bericht zur Lage und zu den Perspektiven des Freiwilligen Engagements in Österreich ( 3. Freiwilligenbericht). Laut diesem noch von der Übergangsregierung vorgelegten Bericht waren 2019 rund 3,5 Mio. ÖsterreicherInnen ab 15 Jahren in Vereinen, Organisationen, Initiativen oder der Nachbarschaftshilfe freiwillig tätig. Die Tätigkeiten reichen dabei vom Katastrophenhilfs- und Rettungsdienst zu Sport und Kultur. Auch die Bereiche Umwelt, Soziales und Gesundheit sind den ÖsterreicherInnen sehr wichtig. In der Diskussion der Abgeordneten kam ein fraktionsübergreifender Konsens über die Bedeutung des freiwilligen Engagements in Österreich zum Ausdruck.

Ralph Schallmeiner (Grüne) betonte, dass der Bericht noch nicht die vielen MitarbeiterInnen von NGOs berücksichtige, er hoffe, das werde in der Zukunft der Fall sein. Wie der Bericht zeige, gebe es je nach Form der Freiwilligentätigkeit starke Unterschiede nach Geschlechtern, Bildungsgrad und sozialem Hintergrund. Hier müsse man einen stärkeren Ausgleich versuchen. David Stögmüller (Grüne) forderte die Stärkung freiwilligen Engagements und setzte sich für die Aufwertung des freiwilligen Umweltschutzjahrs, des Gedenkdiensts sowie von Organisationen, die im Katastrophenschutz tätig sind, ein.

Für Andreas Kollross (SPÖ) stellte sich die Frage, ob derzeit tatsächlich alle Freiwilligenvereine eine gleiche Behandlung erfahren. Wie Schallmeiner lehnte er es ab, staatliche Aufgaben an das Ehrenamt auszulagern. Kollross sah hiervon vor allem den Pflegebereich betroffen. Pflegetätigkeit müsse ausreichend finanziert werden und dürfe nicht auf die Familien und Freiwillige abgewälzt werden. Michael Seemayer (SPÖ) schloss sich dieser Argumentation an. Wichtig für das Ehrenamt sei zudem der Faktor Freizeit, dem müssten auch alle politischen Maßnahmen im Bereich der Arbeitszeit Rechnung tragen.

Österreich sei im Umfang des freiwilligen Engagements weltweit führend, sagte Andreas Hanger (ÖVP). Das Ehrenamt bilde zudem einen "starken gesellschaftlichen Kitt". Der Abgeordnete lobte besonders die Freiwilligen Feuerwehren und die Rettungsdienste. Viele Blaulichtorganisationen, etwa die Bergrettung, beruhten fast ausschließlich auf Freiwilligenarbeit. Hanger verwies auch auf die Bedeutung der Sport- und Kulturvereine sowie von Sozialorganisationen. Die Politik müsse darauf achten, für sie geeignete Rahmenbedingungen zu sichern. Elisabeth Scheucher-Pichler (ÖVP) betonte, es gebe keine Absicht, Aufgaben der Pflege in die Freiwilligentätigkeit zu verlagern, sondern darum, vorhandene Potenziale zu nützen.

Den Wert der freiwilligen Tätigkeit unterstrich auch Yannick Shetty (NEOS). Erfreulicherweise engagierten sich auch Jugendliche. Wichtig sei ihm, dass auch ehrenamtliche Tätigkeiten gewürdigt werden, die nicht so im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Er nannte den Verein Sindbad, ein Mentoring-Programm an Brennpunktschulen, sowie den Verein frida, der kostenlose Beratung in Asyl- und Fremdenrechtsfragen anbietet.

FPÖ-Abgeordneter Christian Lausch betonte die Wichtigkeit der Nachwuchsförderung bei den ehrenamtlichen Organisationen. Sein Fraktionskollege Christian Hafenecker beklagte, dass neue Hürden für Freiwilligenorganisationen geschaffen würden. Die Abschaffung des Dieselprivilegs werde vor allem auch Blaulichtorganisationen treffen. Das Thema sei "der Lackmustest" für die tatsächlichen Pläne der Bundesregierung, meinte er.

Der Freiwilligenbericht zeige auf, wie gut organisiert und wie vielfältig das ehrenamtliche Engagement in Österreich sei, sagte Bundesminister Rudolf Anschober. Ehrenamtliche Tätigkeit habe eine große Rolle dabei gespielt, dass die Herausforderungen der Flüchtlingswelle der Jahre 2015/2016 bewältigt werden konnten. Bemerkenswerterweise gebe es kaum mehr Unterschiede beim ehrenamtlichen Engagement von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und sei ein Gradmesser für das Gelingen der Integration. Für Anschober wäre es auch wichtig, den Gedanken der Sozialpartnerschaft um die Organisationen der Zivilgesellschaft zu erweitern. (Fortsetzung Nationalrat) sox

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